Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Apr. 2012 - 2 StR 70/12

published on 04/04/2012 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Apr. 2012 - 2 StR 70/12
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 70/12
vom
4. April 2012
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 4. April 2012 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 28. November 2011 mit den Feststellungen aufgehoben
a) soweit der Angeklagte wegen Nötigung, Freiheitsberaubung und gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist (Tatkomplex II. 3. der Urteilsgründe),
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit Körperverletzung und mit Nötigung (Fall II. 2. der Urteilsgründe) sowie wegen Nötigung, Freiheitsberaubung und gefährlicher Körperverletzung (Tatkomplex II. 3. der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
I. Nach den Feststellungen zum Tatgeschehen vom 8. Juli 2011 (Tatkomplex II. 3. der Urteilsgründe) versteckte sich der Angeklagte am Arbeitsplatz seiner ehemaligen Freundin, die sich einige Zeit zuvor von ihm getrennt hatte. Als sie den Raum betrat, packte der Angeklagte die Geschädigte am Hals, nahm sie in einen Würgegriff und drückte sie gegen einen Spind. Er verlangte von ihr, die Beziehung zu ihm wieder aufzunehmen. Die Geschädigte, die sich schon wegen früherer Nachstellungen und tätlicher Übergriffe des Angeklagten auf kein Gespräch mit ihm einlassen wollte, wies sein Ansinnen ab und versuchte den Raum zu verlassen. Dies verhinderte der Angeklagte, indem er sich ihr in den Weg stellte und den Raum verschloss. Nachdem die Geschädigte ihm erneut erklärt hatte, eine Fortsetzung der Beziehung abzulehnen, stach der Angeklagte , als sie ihm den Rücken zuwandte, unvermittelt zweimal mit einem Küchenmesser auf sie ein. Als die Geschädigte daraufhin aufgrund der Stichverletzungen kaum Luft bekam und vor Schmerzen stöhnte, forderte der Angeklagte sie auf, ruhig zu sein, und drohte damit, ihr sonst ins Herz zu stechen. Mit gleicher Todesdrohung zwang der Angeklagte die Geschädigte im weiteren Verlauf, ihm arabische Verse nachzusprechen. Schließlich ließ der Angeklagte die Geschädigte etwa 25 Minuten nach seinen Messerstichen telefonisch Hilfe herbeirufen.
3
II. Die Verurteilung des Angeklagten in Bezug auf das Tatgeschehen vom 8. Juli 2011 wegen Nötigung, Freiheitsberaubung und gefährlicher Körperverletzung hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
4
1. Die nicht näher begründete Annahme des Landgerichts, die nach seiner rechtlichen Würdigung verwirklichten Straftatbestände stünden untereinander im Verhältnis der Tatmehrheit, ist rechtsfehlerhaft.
5
Grundsätzlich kann ein Delikt, das sich über einen gewissen Zeitraum hinzieht, andere Straftaten, die bei isolierter Betrachtung in Tatmehrheit zueinander stehen, zur Tateinheit verbinden, wenn es seinerseits mit jeder dieser Straftaten tateinheitlich zusammentrifft. Diese Wirkung tritt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nur dann nicht ein, wenn eine minderschwere Dauerstraftat jeweils mit schwereren Gesetzesverstößen zusammentrifft. Wiegt dagegen nur eines der betroffenen Delikte schwerer als dasjenige, das die Verbindung begründet, so bleibt es bei der Klammerwirkung mit der Folge, dass alle während der Begehung des Dauerdelikts zusätzlich verwirklichten Gesetzesverstöße zu einer Tat im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB zusammengefasst werden (BGHSt 31, 29, 31; BGH NStZ 1993, 39, 40; 2008, 209, 210 mwN; BGH, Beschluss vom 10. November 2010 - 5 StR 464/10 Tz. 5; vgl. auch BGH NStZ 2011, 577, 578). Danach steht hier einer Verklammerung der Nötigung und der gefährlichen Körperverletzung durch die Freiheitsberaubung zur Tateinheit nicht entgegen, dass das Dauerdelikt der Freiheitsberaubung in seinem strafrechtlichen Unwert, wie er in der Strafdrohung Ausdruck findet, deutlich hinter dem Körperverletzungsdelikt zurückbleibt.
6
2. Die Strafkammer hat mit ihrem Schuldspruch zudem den Unrechtsgehalt der von ihr festgestellten Tat nicht ausgeschöpft und ist somit ihrer Kognitionspflicht nicht nachgekommen.
7
a) So hat das Landgericht nicht erörtert, ob sich der Angeklagte der Geiselnahme (§ 239b StGB) schuldig gemacht hat. Diese Erörterung drängte sich nach den Feststellungen auf. Danach bemächtigte sich der Angeklagte der Geschädigten zwar zunächst nicht, um sie - wie später geschehen - zum Nachsprechen der Verse zu nötigen. Soweit er sich hierzu aber später während des andauernden psychischen Herrschaftsverhältnisses über das Tatopfer entschloss , könnte er objektiv und subjektiv die von ihm geschaffene Lage zu einer (qualifizierten) Nötigung mittels der von ihm ausgesprochenen Todesdrohung genutzt haben, § 239b Abs. 1 2. Halbsatz StGB (vgl. auch BGH NStZ 2008, 209, 210; NStZ-RR 2011, 142, 143).
8
b) Der festgestellte Sachverhalt enthält eine weitere Körperverletzung, die von der im Hinblick auf die Messerstiche erfolgten Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung nicht erfasst ist: Danach nahm der Angeklagte die Geschädigte zu Beginn des Tatgeschehens zunächst in einen Würgegriff.
9
3. Die Verurteilung des Angeklagten zum Tatgeschehen vom 8. Juli 2011 (Tatkomplex II. 3.) hat deshalb keinen Bestand. Dies führt zur Aufhebung des Urteils auch im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
10
4. Ergänzend bemerkt der Senat:
11
Das Landgericht hat hinsichtlich der Einzelstrafe von vier Jahren und sechs Monaten, die es im Tatkomplex II. 3. wegen der gefährlichen Körperverletzung verhängt hat, sowohl bei der Bestimmung des anzuwendenden Strafrahmens als auch im Rahmen der konkreten Strafzumessung zulasten des Angeklagten darauf abgestellt, "dass ein versuchtes Tötungsdelikt nur wegen des strafbefreienden Rücktritts ausscheidet" (UA S. 13). Diese Erwägung ist rechtsfehlerhaft. Ist ein Täter vom Versuch einer Straftat strafbefreiend zurückgetreten , gleichwohl aber wegen eines zugleich verwirklichten vollendeten Delikts zu bestrafen, darf der auf die versuchte Straftat gerichtete Vorsatz nicht strafschärfend berücksichtigt werden (st. Rspr., vgl. BGHSt 42, 43, 45; Senat, NStZ 2003, 533; BGH, Beschluss vom 4. November 2010 - 4 StR 414/10; Fischer, StGB 59. Aufl., § 24 Rn. 46 mwN).
Fischer Appl Berger Eschelbach Ott
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Verletzt dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals, so wird nur auf eine Strafe erkannt.

(2) Sind mehrere Strafgesetze verletzt, so wird die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Sie darf nicht milder sein, als die anderen anwendbaren Gesetze es zulassen.

(3) Geldstrafe kann das Gericht unter den Voraussetzungen des § 41 neben Freiheitsstrafe gesondert verhängen.

(4) Auf Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Absatz 1 Nummer 8) muss oder kann erkannt werden, wenn eines der anwendbaren Gesetze dies vorschreibt oder zulässt.

(1) Wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt, um ihn oder einen Dritten durch die Drohung mit dem Tod oder einer schweren Körperverletzung (§ 226) des Opfers oder mit dessen Freiheitsentziehung von über einer Woche Dauer zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen, oder wer die von ihm durch eine solche Handlung geschaffene Lage eines Menschen zu einer solchen Nötigung ausnutzt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) § 239a Abs. 2 bis 4 gilt entsprechend.