Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Okt. 2010 - 2 StR 489/10
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich ihre auf die Sachbeschwerde gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
- 2
- Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Ehemann K. die Angeklagte im Rahmen von Auseinandersetzungen wegen seiner Eifersucht und wegen finanzieller Probleme in der Vergangenheit mehrfach misshandelt und verletzt. Am Tattag, dem 31. Dezember 2009, kam es zu verbalen Auseinandersetzungen und Beleidigungen der Angeklagten durch ihren Ehemann. Daraufhin zog sie sich zunächst zurück, versuchte aber kurz vor Mitternacht , eine Versöhnung herbeizuführen. Sie lehnte jedoch die Aufforderung ihres bereits alkoholisierten Ehemanns ab, gemeinsam Whisky zu trinken, was ihn wiederum erzürnte und zu neuen Kränkungen veranlasste. Der Ehemann führte einen Zierdolch über den Körper der Angeklagten, was sie als Bedrohung auffasste. Es kam zu einem Handgemenge, in dessen Verlauf die Angeklagte den Dolch zu fassen bekam. Auf die Äußerung des Ehemanns: "du stichst doch eh nicht zu, du Hure", versetzte sie ihm einen tödlichen Messerstich, damit "es endlich vorbei ist".
- 3
- Darin hat das Landgericht zutreffend einen Totschlag gemäß § 212 Abs. 1 StGB gesehen und den Strafrahmen aus § 213 (1. Alternative) StGB zu Grunde gelegt. Bei der Strafzumessung im engeren Sinne hat es der Angeklagten angelastet, dass "die Tat in Bezug auf Beleidigungen eine völlig unangemessene Reaktion" dargestellt habe, ferner, dass "die Angeklagte durch die Tat ihren Kindern den Vater genommen" habe. Insbesondere dagegen wendet sich die Revision der Angeklagten. Insoweit ist das Rechtsmittel begründet.
- 4
- Es begegnet bereits im Hinblick auf § 46 Abs. 3 StGB rechtlichen Bedenken , dass die Strafkammer den Verlust des Vaters für die gemeinsamen Kinder als bestimmenden Strafschärfungsgrund bewertet hat. Jedenfalls in dieser Allgemeinheit erscheint die Erwägung rechtsfehlerhaft (vgl. BGH Beschluss vom 3. Februar 2004 - 4 StR 403/03), denn es gehört zu den regelmäßigen Tatfolgen eines vollendeten Tötungsverbrechens, dass der Täter den Angehörigen des Opfers Leid zufügt. Ob die Strafkammer zum Ausdruck bringen wollte, dass die (erwachsenen) Kinder, die nach der Todesnachricht "sehr geschockt und tief getroffen" waren sowie unmittelbar nach der Tat vom Kriseninterventionsteam betreut wurden (UA S. 9), in ungewöhnlich schwer wiegender Weise von der Tat betroffen waren, kann offen bleiben.
- 5
- Jedenfalls kann der Strafausspruch wegen der weiteren Erwägung, dass der durch Beleidigungen motivierte Totschlag eine "völlig unangemessene Reaktion" gewesen sei, keinen Bestand haben. Diese Erwägung steht im Widerspruch dazu, dass der Provokationsaffekt im Sinne von § 213 (1. Alternative) StGB als die Tat auslösendes Moment, unbeschadet der Tatsache, dass die Tötung eines Menschen als Reaktion auf Kränkungen stets unangemessen ist, strafmildernd wirkt. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass in der Vergangenheit mehrere Auseinandersetzungen vorangegangen waren, bei denen die Angeklagte auch erheblich körperlich verletzt worden war, ferner dass sie die der Tat unmittelbar vorausgehenden Handlungen des Ehemanns mit dem Dolch als Bedrohung empfand. In der Gesamtschau erlangen diese Umstände größeres Gewicht als dasjenige von bloßen Beleidigungen. Zudem ist zu besorgen, dass die Strafkammer mit ihrer Erwägung letztlich die Erfüllung des Straftatbestands zu Lasten der Angeklagten bewertet und dadurch § 46 Abs. 3 StGB verletzt hat.
- 6
- Da der Strafausspruch nur aufgrund eines Wertungsfehlers keinen Bestand hat, können die zugrunde liegenden Feststellungen, die rechtsfehlerfrei getroffen wurden, bestehen bleiben. Das neue Tatgericht ist dadurch nicht gehindert , ergänzende Feststellungen zu treffen, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:
die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.