Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Okt. 2019 - 2 StR 466/18

bei uns veröffentlicht am16.10.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 466/18
vom
16. Oktober 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Erpressung u. a.
ECLI:DE:BGH:2019:161019B2STR466.18.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 16. Oktober 2019 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 11. April 2018 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Erpressung und versuchter Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.
2
Seine auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat bereits mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die Verfahrensrügen nicht ankommt.

I.


3
Nach den Feststellungen suchte der Angeklagte am 11. April 2016 in A. die als Prostituierte tätige Nebenklägerin auf. Nach einem kurzem Gespräch über die Preise äußerte der Angeklagte, er sei Mitglied einer Rocker- gruppierung und wolle „abkassieren“, die „Jungs“ seien vor demHaus postiert.
Damit bezweckte der Angeklagte, die Nebenklägerin gefügig zu machen und zu verängstigen. Ihm kam es jedenfalls auch darauf an, den Geschlechtsverkehr mit ihr ohne Bezahlung zu vollziehen. Der Angeklagte entkleidete die durch die Drohungen sichtlich verängstigte und zitternde Nebenklägerin und vollzog mit ihr gegen ihren Willen den vaginalen Geschlechtsverkehr. Im Anschluss verließ der Angeklagte die Örtlichkeit. „Die Nebenklägerin unterließ es aus Furcht vor den angedrohten Zwangsmaßnahmen, den Angeklagten an das fällige Honorar zu erinnern, welches 50,-- € betragen hätte“ (Fall 1 der Urteilsgründe).
4
Am 18. Mai 2016 suchte der Angeklagte eine andere Prostituierte, die Zeugin B. , in A. auf. Nach Betreten des Studios äußerte er, Mitglied einer Rockergruppierung zu sein und forderte 1.000 Euro Schutzgeld. Als die Prostituierte erklärte, sie werde kein Geld zahlen, erkannte der Angeklagte, dass er sein Ziel nicht mehr erreichen konnte, brach seine Bemühungen des „Geldeintreibens“ ab und verließ die Örtlichkeit (Fall 2 der Urteilsgründe).

II.


5
1. Der Schuldspruch wegen Erpressung zum Nachteil der Nebenklägerin (Fall 1 der Urteilsgründe) hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil die Beweiswürdigung ungeachtet des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs wegen Lückenhaftigkeit durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet.
6
a) Das Landgericht hat die Verurteilung maßgeblich auf die Aussage der Nebenklägerin gestützt. Die Einlassung des Angeklagten, wonach er nie unbezahlten Geschlechtsverkehr mit der als Prostituierten tätigen Nebenklägerin gehabt und zu keinem Zeitpunkt Schutzgeld von ihr erpresst habe, hat es als unwahre Schutzbehauptung bewertet. Das Gleiche gilt für seine Angabe, die Nebenklägerin habe ihm Geld geschuldet, weshalb er „rumgeprahlt“ und ihr ge- droht habe. Soweit die Nebenklägerin angegeben hat, den Angeklagten vor der Tat nicht gekannt zu haben, während der Angeklagte sich davon abweichend eingelassen hat, zwischen ihnen habe eine mehrere Jahre andauernde Stammkunden -Prostituierten-Beziehung bestanden, hat sich die Strafkammer weder von der Richtigkeit der einen noch der anderen Behauptung überzeugen können. Sie hat daher letztlich insoweit offengelassen, welchen der Aussagen sie Glauben schenkt.
7
Das Landgericht vermochte den Angaben der Nebenklägerin nur „betreffend der geschilderten Erpressungshandlung bezogen auf den aufgrund des drohenden Auftretens des Angeklagten durchgeführten Geschlechtsverkehr ohne Bezahlung“ zu folgen. Dabei hat sie sich im Wesentlichen auf deren Aus- sageverhalten in der Hauptverhandlung sowie auf die Konstanz ihrer Angaben während des gesamten Verfahrens gestützt. Zudem hat sie die Aussagen der Nebenklägerin durch dem Angeklagten zugeordnete SMS und die Angaben weiterer Zeugen als bestätigt angesehen.
8
Den Anklagevorwurf der Vergewaltigung hat die Strafkammer wegen Zweifeln an der Glaubhaftigkeit der Aussage der Nebenklägerin hingegen nicht als erfüllt angesehen. Aus demselben Grund hat sie den Angeklagten von dem weiteren Vorwurf freigesprochen, die Nebenklägerin im Frühjahr 2016 (richtig: im September 2016) vergewaltigt zu haben (Fall 2 der Anklage). Dazu hat sie im Urteil lediglich ausgeführt, dass die Angaben der Nebenklägerin zu den Vergewaltigungsvorwürfen teilweise widersprüchlich und nicht konstant gewesen und zudem mit dem Zeugen T. abgesprochen worden seien.
9
b) Schon diese differenzierende Bewertung der Glaubhaftigkeit einzelner Aussageteile hätte einer näheren Begründung bedurft, die das Urteil vermissen lässt. Glaubt das Gericht einen Teil der Aussage des Belastungszeugen, obwohl es ihm in anderen Teilen nicht folgt, bedarf dies regelmäßig einer besonderen Begründung (vgl. BGH, Beschluss vom 3. September 2013 – 1 StR 206/13, juris Rn. 19; Beschluss vom 24. Juni 2003 – 3 StR 96/03, NStZ-RR 2003, 332 f.). Daher wäre das Landgericht gehalten gewesen, auch die Angaben , die die Nebenklägerin in ihren polizeilichen Vernehmungen sowie in der Hauptverhandlung zu den Vergewaltigungsvorwürfen gemacht hat, inhaltlich mitzuteilen und auf dieser Grundlage nachvollziehbar darzutun, aus welchen Erwägungen es deren Bekundungen zu den Vergewaltigungen als nicht ausreichend für den sicheren Nachweis entsprechender Übergriffe des Angeklagten erachtet, die übrige Schilderung der Tat im April 2016 aber für uneingeschränkt glaubhaft gehalten und als tragfähige Grundlage für eine Feststellung des Tatgeschehens angesehen hat. Angesichts dieses Darlegungsmangels kann der Schuldspruch keinen Bestand haben. Darauf, dass das Gericht im Übrigen verkennt , dass nach den von ihm getroffenen Feststellungen der Tatbestand der Vergewaltigung erfüllt wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Januar 2011 – 3 StR 467/10, NStZ 2011, 278; Beschluss vom 1. August 2013 – 4 StR 189/13, NStZ 2013, 710 f.), kommt es daher nicht an.
10
c) Die Beweiswürdigung ist darüber hinaus lückenhaft, weil das Landgericht sich nicht mit allen wesentlichen Gesichtspunkten auseinandergesetzt hat, die gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin sprechen. Insoweit nimmt der Senat auf die ausführlichen und zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 9. Januar 2019 Bezug.
11
2. Von dem aufgezeigten Rechtsfehler im Fall 1 der Urteilsgründe ist auch der Schuldspruch wegen versuchter Erpressung zum Nachteil der Zeugin B. (Fall 2 der Urteilsgründe) beeinflusst, dieser kann ebenfalls keinen Bestand haben.
12
Die Strafkammer hat die Feststellungen zu dieser Tat zwar im Wesentlichen auf die Aussage der Zeugin gestützt. Von deren Richtigkeit hat sie sich aber unter anderem auch aufgrund des Umstands überzeugt, dass die Tat insoweit das gleiche Handlungsmuster aufweise wie die von der Nebenklägerin geschilderte Tat. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die Strafkammer im Rahmen der Gesamtwürdigung bei einer rechtsfehlerfreien Würdigung der Aussage der Nebenklägerin auch hinsichtlich der Tat zum Nachteil der Zeugin B. zu einer anderen Überzeugung gelangt wäre.
Franke Eschelbach Zeng
Grube Schmidt

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

19
1. Da die Beschuldigung des Angeklagten im Kern allein auf der Aussage des Zeugen I. aufbaute, bedurfte diese einer besonders sorgfältigen Prüfung, und mussten die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Strafkammer alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen konnten, erkannt und in ihre Überlegungen einbezogen hatte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. April 1997 – 4StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13; vom 22. April1987 – 3 StR 141/87, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1). Glaubt das Gericht in Teilen der Aussage des Belastungszeugen, obwohl es ihr in anderen Teilen nicht folgt, bedarf dies regelmäßig einer besonderen Begründung (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 2003 – 3 StR 96/03, NStZ-RR 2003, 332; Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153). Daran gemessen, bleibt die Beweiswürdigung insgesamt lückenhaft.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 467/10
vom
18. Januar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer sexueller Nötigung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
18. Januar 2011 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 16. August 2010 - im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte der schweren sexuellen Nötigung schuldig ist; - im Strafausspruch aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer sexueller Nötigung in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Dessen Revision rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Der Schuldspruch auch wegen schwerer räuberischer Erpressung hat keinen Bestand.
3
a) Nach den Feststellungen wollte der Angeklagte die Geschädigte, die in einem Wohnmobil der Prostitution nachging, durch Bedrohung mit einem ungeladenen Schreckschussrevolver dazu zwingen, ihn mit der Hand sexuell zu befriedigen. Er ließ sich von ihr die Preise für die Ausübung von Oral- und Vaginalverkehr nennen und erklärte sich damit einverstanden. Darauf ließ ihn die Geschädigte in das Wohnmobil ein und setzte sich vor ihm auf die Bettkante. Nun zog der Angeklagte den Schreckschussrevolver hervor, hielt ihn der Geschädigten an den Kopf und bedeutete ihr, an seinem Geschlechtsteil zu manipulieren. Zwei Fluchtversuche der Geschädigten unterband er dadurch, dass er sie mit der freien Hand auf das Bett zurückdrückte. Aus Angst kam die Geschädigte dem Ansinnen schließlich nach. Nach kurzer Zeit gelang es ihr indes, unter dem erhobenen rechten Arm des Angeklagten, mit dem er immer noch den Revolver hielt, hindurchzuschlüpfen und das Wohnmobil zu verlassen.
4
b) Der Ansicht des Landgerichts, damit habe der Angeklagte die Geschädigte nicht nur genötigt, sexuelle Handlungen an ihm vorzunehmen (§ 177 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 StGB), sondern auch dazu, auf die Geltendmachung einer Forderung in Höhe dessen, was "die Leistung des erwünschten sexuellen Dienstes … üblicherweise kostet", zu verzichten (§ 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b, §§ 253, 255 StGB), kann sich der Senat nicht anschließen. Wird eine Prostituierte zur Vornahme sexueller Handlungen gezwungen, so erwachsen ihr hieraus , wie jedem Opfer einer sexuellen Nötigung oder Vergewaltigung, Ansprüche auf Ersatz des ihr durch die Tat entstandenen materiellen und immateriellen Schadens (§ 823 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BGB i.V.m. § 177 StGB, §§ 249, 253 BGB). Dienstvertragliche Ansprüche werden hierdurch nicht begründet. Daran ändert sich auch nichts, wenn der Täter zunächst das Vertrauen der Prostituierten dadurch erschleicht, dass er sich als normaler Freier ausgibt und Zahlungsbereitschaft vortäuscht. Aus § 1 Satz 1 ProstG ergibt sich nichts Gegenteiliges. Nach dieser Bestimmung erwirbt eine Prostituierte nur dann eine rechtswirksame Forderung, wenn die sexuellen Handlungen gegen ein vorher vereinbartes Entgelt vorgenommen worden sind. Sie ist Ausnahmevorschrift zu § 138 Abs. 1 BGB und bestimmt die Wirksamkeit des Anspruchs der Prostituierten auf das vereinbarte Entgelt trotz Sittenwidrigkeit des Rechtsgeschäfts. Zur Anwendbarkeit weitergehender allgemeiner Regelungen des Dienstvertragsrechts, wie § 612 Abs. 1 und 2 BGB, führt die Vorschrift nicht. Demgemäß kommt die Erpressung einer Prostituierten in der Form, dass ihr der Verzicht auf das vereinbarte Entgelt abgenötigt wird, erst dann in Betracht, wenn die abgesprochene sexuelle Handlung einvernehmlich vorgenommen worden ist.
5
Dies war hier ersichtlich nicht der Fall; denn die Geschädigte hat die Manipulationen am Geschlechtsteil des Angeklagten nicht einvernehmlich in der Erwartung einer zugesagten Entlohnung vorgenommen, sondern wurde hierzu gegen ihren Willen gezwungen. Danach bedarf es keiner näheren Betrachtung, ob die Flucht der Geschädigten überhaupt als Verzicht auf eine ihr zustehende - werthaltige (vgl. BGH, Beschluss vom 17. August 2006 - 3 StR 279/06, NStZ 2007, 95 f.) - Forderung gewertet werden könnte.
6
Auch eine Verurteilung des Angeklagten wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung kommt nicht in Betracht. Zwar ist es grundsätzlich denkbar , dass sich der Täter, der irrtümlich davon ausgeht, er werde sich durch die dem Opfer abgepresste Handlung, Duldung oder Unterlassung rechtswidrig bereichern , der versuchten Erpressung schuldig macht (untauglicher Versuch; s. etwa BGH, Urteil vom 20. September 2007 - 3 StR 274/07, NStZ 2008, 214).
Auch hat das Landgericht ausdrücklich festgestellt, dem Angeklagten sei es bei der Tat neben der Erzwingung der sexuellen Handlung auch darum gegangen, die Geschädigte zum Verzicht auf den für die manuelle Stimulation "üblichen Dirnenlohn" zu nötigen. Diese Feststellung findet indes in der Beweiswürdigung keine Stütze. Worauf das Landgericht seine entsprechende Überzeugung gründet , wird nicht dargelegt. Dessen hätte es aber bedurft, da entsprechende Überlegungen eines Sexualstraftäters mehr als fern liegen. Dass in einer erneuten Hauptverhandlung eine derartige subjektive Vorstellung des Angeklagten noch belegbar sein wird, erscheint ausgeschlossen. Mit Recht ist in Rechtsprechung und Literatur - soweit ersichtlich - bisher auch nicht erwogen worden, der Täter eines Gewalt-, Sexual- oder sonstigen Nichtvermögensdelikts, der sein Opfer nötigt, nach der Tat zu fliehen oder die Flucht des Täters zu dulden, könne sich deswegen der Erpressung schuldig gemacht haben, weil er hierdurch das Opfer zum Verzicht auf die durch die Tat begründeten Schadenersatzund /oder Schmerzensgeldansprüche gezwungen habe. Der Senat lässt daher die Verurteilung wegen schwerer räuberischer Erpressung entfallen und ändert den Schuldspruch entsprechend ab.
7
2. Die Abänderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung des Strafausspruchs , denn es ist nicht auszuschließen, dass die Bemessung der Strafe auf der Annahme beruht, der Angeklagte habe tateinheitlich zur schweren sexuellen Nötigung einen weiteren Verbrechenstatbestand verwirklicht (s. UA S. 15). Auf die zugehörigen Feststellungen hätte dieser Wertungsfehler keinen Einfluss; sie können deshalb aufrechterhalten bleiben.
Becker von Lienen Hubert
Schäfer Mayer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 189/13
vom
1. August 2013
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 1. August 2013 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 15. November 2012 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, von welcher ein Monat als verbüßt gilt. Hiergegen richtet sich die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
Der Angeklagte suchte am 16. Juni 1997 gegen 2.30 Uhr den Kontakthof eines Bordells in Hamm auf und sprach die dort als Prostituierte tätige Zeugin H. -P. an. Er erkundigte sich bei ihr, was der Geschlechtsverkehr koste, wenn sie dabei „Strapse“ trage. Auf die Erwiderung der Zeugin, dass der Preis 100 DM betrage, setzte der Angeklagte seinen Gang an den Fenstern des Kontakthofes zunächst fort, kehrte kurze Zeit später aber zu der Zeugin zurück und gab auf deren Frage, ob er jetzt zu ihr in das Zimmer kommen wolle, sein Einverständnis zu verstehen. Die Zeugin ließ den Angeklagten daraufhin in das Gebäude ein und begab sich mit ihm in ihr Zimmer. Dort fragte der Angeklagte, was man denn machen könne, wenn er mehr als 100 DM bezahle, ließ sich dann aber auf eine von der Zeugin vorgeschlagene Variante nicht ein. Schließlich forderte die Zeugin den Angeklagten auf, zunächst die vereinbarten 100 DM zu bezahlen.
4
Der Angeklagte, der als Drosselungswerkzeug einen schwarzen Strumpf und als Fesselungsmittel zwei bereits miteinander verbundene Kabelbinder mit sich führte, war nicht bereit, der Zeugin das Geld zu geben. Er war zu diesem Zeitpunkt vielmehr entschlossen, die Zeugin mit Gewalt – unter Drosselung – zu überwältigen und anschließend zu fesseln, um dann mit ihr nach seinem Belieben zu verfahren. Er hatte vor, sie zu zwingen, entweder den ausgehandelten Geschlechtsverkehr ohne Entgelt oder die Wegnahme ihrer Einnahmen oder nacheinander beides zu dulden. Letztlich ging es ihm darum, durch Gewalt gegen das Opfer eine vermögenswerte Leistung – den sexuellen Dienst einer Prostituierten – und/oder Vermögensgegenstände des Opfers an sich zu bringen , worauf er, wie er wusste, keinen Anspruch hatte.
5
Der Angeklagte zog nunmehr den Strumpf aus der Tasche, stieß die Zeugin auf die Schlafcouch, warf sich auf sie und begann sie zu würgen, um sie durch Drosselung mit dem Strumpf am Schreien zu hindern und sie zur Verwirklichung seiner weiter gehenden Absichten entscheidend zu schwächen. Da es dem Angeklagten auf Grund der Gegenwehr der Zeugin, die große Angst um Leib und Leben hatte und sich deshalb nach Leibeskräften wehrte, nicht gelang, den Strumpf um ihren Hals festzuziehen, setzte er seinen Entschluss weiter in die Tat um, indem er das Opfer mit bloßen Händen würgte. Als eine weitere in dem Bordell tätige Prostituierte, die durch die Schreie des Opfers auf das Geschehen aufmerksam geworden war, gemeinsam mit der Wirtschafterin des Bordells in das Zimmer des Opfers eilte und den Angeklagten anschrie, er solle aufhören und die Frau loslassen, sah sich der Angeklagte nicht mehr in der Lage , die geplante Tat zu Ende zu führen. Er ließ von dem unter ihm auf der Couch liegenden Opfer ab und ergriff die Flucht.

II.


6
Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils hat keinen Bestand. Die Begründung des Landgerichts für die eindeutige Verurteilung wegen eines Versuchs der schweren räuberischen Erpressung nach § 253 Abs. 1, §§ 255, 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand, weil bei einem von der Schwurgerichtskammer für möglich gehaltenen Handlungsziel des Angeklagten – der Erzwingung des Geschlechtsverkehrs ohne Entgelt – die Tat nicht auf die Erlangung eines Vermögenswertes zum Nachteil des Tatopfers gerichtet war.
7
1. a) Das Landgericht ist bei seiner rechtlichen Bewertung der verschiedenen in subjektiver Hinsicht alternativ angenommenen Sachverhaltsvarianten davon ausgegangen, dass es dem Angeklagten unabhängig davon, ob er den unentgeltlichen Geschlechtsverkehr oder die Preisgabe der Einnahmen des Opfers oder beides habe erzwingen wollen, um die Erlangung ungerechtfertigter Vermögensvorteile gegangen sei, auf die er keinen Anspruch gehabt habe.
Dies gelte – nach Auffassung der Schwurgerichtskammer – auch dann, wenn sich sein Vorhaben darin erschöpfte, das Tatopfer zur unentgeltlichen Gewährung des Geschlechtsverkehrs zu zwingen, weil sexuelle Dienstleistungen einer Prostituierten, die grundsätzlich nur gegen Entgelt erbracht werden, nach inzwischen gewandelter Einstellung der Rechtsgemeinschaft als vermögenswerte Leistung anzusehen seien.
8
b) Dieser Ansicht des Landgerichts vermag der Senat nicht zu folgen. Dabei kann offen bleiben, ob und inwieweit das am 1. Januar 2002 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten – Prostitutionsgesetz – vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3983) einen schon im Tatzeitraum eingetretenen Wandel in der gesellschaftlichen und rechtlichen Bewertung der Ausübung der Prostitution zum Ausdruck gebracht hat (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der rechtlichen und sozialen Situation der Prostituierten, BT-Drucks. 14/5958, S. 4; einerseits BGH, Beschluss vom 7. Mai 2003 – 5 StR 536/02, StV 2003, 616; Urteil vom 13. Juli 2006 – I ZR 241/03, BGHZ 168, 314, 318 f.; andererseits Beschluss vom 18. Januar 2011 – 3 StR 467/10, NStZ 2011, 278; zum Streitstand Fischinger in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2011, Anh. zu § 138: § 1 ProstG Rn. 10 ff.). Denn auch die Regelungen des Prostitutionsgesetzes haben nichts daran geändert, dass jedwede bindende Verpflichtung zur Vornahme sexueller Handlungen mit dem in Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten Schutz der Menschenwürde unvereinbar ist und nicht rechtswirksam begründet werden kann (vgl. Fischinger aaO Rn. 15; MüKoBGB/Armbrüster, 6. Aufl., § 138 Rn. 57 und § 1 ProstG Rn. 7, 19). Von einer durch die Rechtsordnung nicht missbilligten Dienstleistung, die typischerweise gegen Entgelt erbracht wird und deshalb im Rahmen einer entgeltlichen Vertragsbeziehung als Vermögensbestandteil anzusehen ist (vgl. zu § 263 StGB BGH, Urteil vom 18. Januar 2001 – 4 StR 315/00, NStZ 2001, 258; Be- schluss vom 28. April 1987 – 5 StR 566/86, BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vermögen 1; SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 98, 102; vgl. auch BGH, Beschluss vom 2. Mai 2001 – 2 StR 128/01, NStZ 2001, 534), kann daher allenfalls bei freiwillig erbrachten sexuellen Handlungen einer Prostituierten die Rede sein. Nichts anderes ergibt sich aus der erst nach der Tat am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Regelung des § 1 Satz 1 ProstG. Danach erwirbt eine Prostituierte erst dann eine rechtswirksame Forderung, wenn die sexuelle Handlung gegen ein vorher vereinbartes Entgelt vorgenommen worden ist. Die Erpressung einer Prostituierten in der Form, dass ihr der Verzicht auf das vereinbarte Entgelt abgenötigt werden soll, kommt demgemäß nur in Betracht, wenn die abgesprochene sexuelle Handlung zuvor einvernehmlich erbracht worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Januar 2011 – 3 StR 467/10 aaO). Dem gegen den Willen der Prostituierten erzwungenen Geschlechtsverkehr kommt hiergegen kein Vermögenswert im Sinne des § 253 Abs. 1 StGB zu (vgl. Zimmermann, NStZ 2012, 211, 213). Die Rechtsgutverletzung erschöpft sich in diesen Fällen vielmehr in einem Angriff auf die sexuelle Selbstbestimmung, deren Schutz vor Zwangseinwirkungen das geltende Strafrecht mit den Tatbeständen des § 177 StGB und § 240 Abs. 1, Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 StGB umfassend gewährleistet.
9
2. Die Verurteilung wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung auf alternativer Tatsachengrundlage erweist sich demnach als rechtsfehlerhaft. Da zu besorgen ist, dass sich die unzutreffende rechtliche Würdigung des Landgerichts bereits auf die Feststellung des Tatgeschehens ausgewirkt hat, hebt der Senat das Urteil insgesamt auf und verweist die Sache zur erneuten tatrichterlichen Verhandlung und Entscheidung zurück.
10
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass der Tatrichter weder mit Blick auf den Zweifelssatz noch sonst gehalten ist, zu Gunsten des Angeklagten von Sachverhaltsvarianten auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteile vom 13. Dezember 2012 – 4 StR 33/12, wistra 2013, 195, 196; vom 21. Oktober 2008 – 1 StR 292/08, NStZ-RR 2009, 90, 91).
Sost-Scheible Roggenbuck Mutzbauer
Bender Quentin