Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Nov. 2019 - 2 StR 378/19

bei uns veröffentlicht am19.11.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 378/19
vom
19. November 2019
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:191119B2STR378.19.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 19. November 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hanau vom 21. Mai 2019 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Köperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

2
Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist nicht ausgeführt und deshalb unzulässig (§ 344 Abs. 2 StPO).

II.

3
Die Überprüfung der angegriffenen Entscheidung aufgrund der ausgeführten Sachrüge hat hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg; hinsichtlich des Schuldspruchs haben sich Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht ergeben.
4
1. Das Landgericht hat einen „minder schweren Fall im Sinne des § 213 StGB“ mit der Begründung verneint, es lägen keine Gründe objektiver oder sub- jektiver Art vor, die die Anwendung des Regelstrafrahmens des § 212 Abs. 1 StGB als unangemessen erscheinen lassen würden. Es hat im Folgenden der konkreten Strafzumessung den gemäß den §§ 21, 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB zweifach gemilderten Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB, der Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu acht Jahren und fünf Monaten vorsieht, zugrunde gelegt. Diese Strafrahmenwahl begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
5
2. Das Landgericht hat zwar ‒ wie sich aus der Begründung der Verneinung des § 213 StGB entnehmen lässt ‒ einen minder schweren Fall nach § 213 2. Alt. StGB verneint, hat es aber rechtsfehlerhaft versäumt zu erörtern, ob die Voraussetzungen des § 213 1. Alt. StGB vorliegen. Aus diesem Grund kann auch dahin stehen, ob auch die Prüfung des § 213 2. Alt. StGB durchgreifenden rechtlichen Bedenken unterliegt, weil dabei die beiden gesetzlich vertypten Milderungsgründe (§ 21 StGB bzw. § 23 StGB) unberücksichtigt geblieben sind.
6
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts begann der Geschädigte im Vorfeld der Tat eine anfangs verbal geführte Auseinandersetzung mit dem aus Somalia stammenden Angeklagten, indem er ihm am 26. August 2018 gegen 1.45 Uhr beim Verlassen des Festzeltes auf einem Musikfest inB. abfällig zurief: „Geht doch dorthin, wo ihr herkommt“. Sodann „schnipste“ er ihm mit dem Finger die Kappe von dessen Kopf, um ihn weiter zu provozieren. Der Angeklagte geriet in Rage und rief mehrfach „Don‘t touch me, I kill you!“. Im Rahmen der nun folgenden körperlichen Auseinandersetzung schubste der Geschädigte den Angeklagten. Es kam zudem zu gegenseitigen Faustschlägen ins Gesicht. Dabei platzte die Oberlippe des Angeklagten auf. Nachdem die Ehefrau des Geschädigten ihren Ehemann weggezogen hatte, rief der Angeklagte hinterher: „I kill you!“. Er war sehr wütend und wollte die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Deshalb suchte er auf dem Gelände vor dem Festzelt nach Gegenständen, um sich zu bewaffnen. Dabei fand er eine Glasflasche, die er so abschlug, dass eine scharfe Schnittkante entstand. Der Angeklagte sammelte seine Begleiter ein und forderte sie auf, ihm zu folgen, um sich moralische Unterstützung zu sichern. Daraufhin rannte er ‒ mehrere Minuten nach der Auseinandersetzung vor dem Zelt ‒ dem Geschädigten hinterher. Als der Angeklagte mit seinen Begleitern den Geschädigten erreicht hatte, umstellten sie diesen. Dessen Frau warnte ihren Ehemann noch mit den Worten „Pass auf, er hat eine Flasche“. Ungeachtet dessen und obwohl einer der Begleiter des Angeklagten diesen noch abzuhalten versuchte, ging der Angeklagte wutentbrannt auf den Geschädigten in der Absicht zu, diesen zu töten. Er schlug ihm mit der rechten Faust ins Gesicht und stach zweimal mit dem abgebrochenen Flaschenhals direkt hintereinander in den Oberkörper seines Opfers.
7
b) Bei diesem Geschehensablauf wäre das Landgericht gehalten gewesen , sich mit den Voraussetzungen des § 213 1. Alt. StGB auseinanderzusetzen.
8
aa) Dabei mag dahinstehen, ob die Provokationen zu Beginn der Auseinandersetzung bereits als schwere Beleidigung gemäß § 213 1. Alt. StGB angesehen werden können. Jedenfalls stellt der zum Aufplatzen der Oberlippe führende Faustschlag gegen den Angeklagten eine (erhebliche) Misshandlung im Sinne der Vorschrift dar.
9
bb) Dadurch ist der Angeklagte auch ‒ wie es § 213 1. Alt. StGB voraussetzt ‒ zum Zorn gereizt und auf der Stelle zur Tat hingerissen worden. Der Angeklagte war nach den Feststellungen aufgrund der Provokationen des Geschädigten in Rage geraten, war sehr wütend und wollte die Sache auch nicht auf sich beruhen lassen, nachdem die Ehefrau des Geschädigten diesen weg- gezogen hatte. Zur Tat entschlossen suchte er nach einer „Waffe“ und rannte schließlich ‒ mehrere Minuten nach der Auseinandersetzung ‒ dem Geschädigten hinterher, um ihn zu töten. Dieser Geschehensablauf belegt zwar einen gewissen zeitlichen Abstand zwischen der den Zorn des Angeklagten auslösenden Auseinandersetzung und dem eigentlichen Tatgeschehen. Er unterbricht aber nicht den erforderlichen Zusammenhang, der insoweit bestehen muss, als der durch die Provokation und die Misshandlung hervorgerufene Zorn im Zeitpunkt der Tatbegehung noch angehalten und als nicht durch rationale Abwägung unterbrochene Gefühlsaufwallung fortgewirkt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Januar 2019 ‒ 1 StR 585/18, NStZ 2019, 471). Davon ist hier auszugehen , wenn der Angeklagte ‒ „weiter wutentbrannt“ und auch nicht von seinem zuvor gefassten Tötungsentschluss abzuhalten ‒ auf den Geschädigten zustürmte , ihm mit der Faust ins Gesicht schlug und schließlich mit dem Flaschenhals auf ihn einstach. Dass dies mehrere Minuten nach dem Beginn der Auseinandersetzung geschehen ist, stellt insoweit keine relevante Zäsur dar.
10
cc) Schließlich ist es nach den getroffenen Feststellungen zu den Provokationen und der Misshandlung des Angeklagten auch ohne dessen eigene Schuld gekommen. Der Angeklagte hat dem Geschädigten hierzu keine genügende Veranlassung gegeben (vgl. hierzu BGH aaO). Dies wäre nur dann der Fall, wenn das Verhalten des Geschädigten seinerseits eine verständliche und verhältnismäßige Reaktion auf vorangegangenes Tun des Täters gewesen wäre. So liegt es hier aber nicht, auch wenn der Angeklagte den Geschädigten im Zuge der Auseinandersetzung seinerseits mit dem Tode bedroht und ihn ebenfalls mit der Faust ins Gesicht geschlagen hatte. Denn aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe ergibt sich, dass der Geschädigte die Auseinandersetzung begonnen und den Angeklagten verbal und körperlich angegriffen hatte (UA S. 31). In Anbetracht dessen kann der Faustschlag gegen den Angeklagten nicht als angemessene Reaktion auf das Verhalten des Angeklagten angesehen werden.
11
dd) Der Strafausspruch beruht auf diesem Rechtsfehler. Es ist nicht auszuschließen , dass das Landgericht bei Annahme der Voraussetzungen des § 213 1. Alt StGB den damit eröffneten, milderen Strafrahmen wiederum zweifach gemäß den §§ 21, 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB gemildert und auch hinsichtlich des tateinheitlich verwirkten Straftatbestands des § 224 StGB einen minder schweren Fall angenommen hätte und innerhalb des neu bestimmten Strafrahmens zu einer milderen Strafe gelangt wäre.
Franke Krehl Eschelbach Meyberg Grube

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Nov. 2019 - 2 StR 378/19

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Nov. 2019 - 2 StR 378/19

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Nov. 2019 - 2 StR 378/19 zitiert 9 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafgesetzbuch - StGB | § 224 Gefährliche Körperverletzung


(1) Wer die Körperverletzung 1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,4. mit einem anderen Beteiligten gemeins

Strafgesetzbuch - StGB | § 212 Totschlag


(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

Strafgesetzbuch - StGB | § 23 Strafbarkeit des Versuchs


(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt. (2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1). (3) Hat der Täter aus grobem Unv

Strafgesetzbuch - StGB | § 213 Minder schwerer Fall des Totschlags


War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minde

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Nov. 2019 - 2 StR 378/19 zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Nov. 2019 - 2 StR 378/19 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Jan. 2019 - 1 StR 585/18

bei uns veröffentlicht am 22.01.2019

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 585/18 vom 22. Januar 2019 in der Strafsache gegen wegen Totschlags ECLI:DE:BGH:2019:220119B1STR585.18.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesa

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt.

(2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1).

(3) Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2).

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt.

(2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1).

(3) Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 585/18
vom
22. Januar 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
ECLI:DE:BGH:2019:220119B1STR585.18.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 22. Januar 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 13. Juli 2018 im Strafausspruch und im Ausspruch über die Dauer des Vorwegvollzugs der Freiheitsstrafe vor der Maßregel aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unter Bestimmung eines Vorwegvollzugs eines Teils der Freiheitsstrafe vor der Maßregel angeordnet. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.


2
1. Nach den Urteilsfeststellungen begab sich der Angeklagte am 31. Dezember 2017 gegen 19.00 Uhr zu einer Silvesterfeier in den Keller einer Pension in W. /I. . Dort benahm er sich, unter Alkoholeinfluss stehend , verbal und durch Gesten sexuell ausfällig. So sagte er manchen Frauen, er wolle mit ihnen "ins Bett gehen", und machte dies durch entsprechende Körperbewegungen deutlich. Gegenüber der Zeugin S. äußerte der Angeklagte, sie habe einen blöden Freund, den er am liebsten umbringen wolle, und er würde es ihr dann "ordentlich besorgen". Ein anderes Paar belästigte er mit den Worten, wenn nicht der Mann der Frau in den "Mund ficken" wolle, würde er das tun. Die Aufforderung durch den Zeugen A. U. , sich zu beruhigen, ignorierte er. Als der Angeklagte tanzte, packte der Zeuge I. U. ihn von hinten am Hals. A. U. versetzte dem Angeklagten einen Faustschlag auf das linke Auge. Nunmehr schlugen und traten die beiden Brüder U. sowie das spätere Tatopfer A. auf den zu Boden gegangenen Angeklagten ein. Dadurch erlitt der Angeklagte mehrere Einblutungen am Kopf und Oberkörper.
3
Nachdem die drei Angreifer vom Angeklagten abgelassen hatten, begab dieser sich in sein Zimmer im zweiten Obergeschoss, holte von dort ein Küchenmesser und kam wenige Minuten später gegen 22.00 Uhr in den Flur vor dem Partyraum zurück. Er war wütend, fühlte sich verraten und wegen des "Rauswurfs" gedemütigt; für die Tritte und Schläge wollte er sich rächen. Auf halber Höhe der Kellertreppe stieß er auf I. U. , der ihn aufforderte, das Messer wegzulegen. Als A. zusammen mit seiner schwangeren Lebenspartnerin L. hinzukam, sagte der Angeklagte, er werde der Zeugin nicht wehtun, er ha- be ein Problem mit den beiden Brüdern und mit ihrem Mann. A. trat in Richtung der rechten Hand des Angeklagten, in der dieser das Messer hielt, traf sie jedoch nicht. Unvermittelt trat der Angeklagte auf A. zu und stach diesem sechsmal u.a. in die linke Achselhöhle, in den Oberbauch und in die rechte Brustkorbseite , wobei er den Herzbeutel traf und die Aorta durchtrennte. Dadurch verstarb A. .
4
2. In der Strafzumessung hat das Landgericht einen minder schweren Fall des Totschlags nach § 213 Alternative 1 StGB mit der Begründung abgelehnt , der Angeklagte habe durch seine "Ausfälligkeiten" die Misshandlungen herausgefordert; auch wenn die Schläge und Tritte nicht erforderlich gewesen seien, um das Fehlverhalten des Angeklagten zu unterbinden, seien diese Körperverletzungen in der Gesamtschau mit den "nicht besonders schwerwiegenden" Verletzungsfolgen "nicht als derart außerhalb jedes vernünftigen Verhältnisses" zur Provokation durch den Angeklagten zu werten, dass sie "als nicht mehr verständliche Reaktionen anzusehen wären". Wegen mehrerer allgemeiner Strafmilderungsgründe wie insbesondere des Geständnisses, der alkoholbedingten Enthemmung und der vorangegangenen Körperverletzung hat das Landgericht dem Angeklagten eine Strafrahmenverschiebung nach einem sonstigen minder schweren Fall (§ 213 Alternative 2 StGB) gewährt.

II.


5
Diese Strafzumessungserwägungen halten der Nachprüfung nicht stand.
6
1. Die Annahme, der Angeklagte habe sich nicht "ohne eigene Schuld" zum Zorn reizen und hierdurch zum Totschlag hinreißen lassen, sodass § 213 Alternative 1 StGB nicht anwendbar sei, begegnet durchgreifenden Bedenken.
7
a) Nicht "ohne eigene Schuld" handelt der Täter, der das Opfer zu seinem Verhalten herausfordert. Das ist nicht schon bei jeder Handlung des Täters der Fall, die ursächlich für die ihm zugefügte Misshandlung gewesen ist. Vielmehr muss er dem Opfer genügende Veranlassung gegeben haben; dessen Verhalten muss eine verständliche Reaktion auf vorangegangenes Tun des Täters gewesen sein. Dabei ist die Verständlichkeit auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit zu prüfen (BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2018 - 3 StR 391/18, juris Rn. 7; vom 9. August 1988 - 4 StR 221/88, BGHR StGB § 213 Alternative 1 Verschulden 1; vom 2. Oktober 1985 - 3 StR 376/85, StV 1986, 200; vom 26. April 1985 - 2 StR 181/85, StV 1985, 367 und vom 22. Juli 1981 - 3 StR 254/81, juris Rn. 4).
8
b) Die Schläge und Tritte waren nicht verhältnismäßig. Denn sie waren, wie das Landgericht nicht verkannt hat, nicht erforderlich, um den Angeklagten von weiteren Belästigungen abzuhalten. Ein milderer Eingriff wäre es gewesen, wenn die Brüder U. und A. den Angeklagten - gegebenenfalls unter Zerren und Schieben - aus dem Keller gedrängt hätten. Das Einschlagen und Treten auf den am Boden liegenden Angeklagten hatte nichts mehr mit Unterbinden weiterer Ausfälligkeiten zu tun, sondern stellt sich selbst als Rache für die vorangegangene "sexuelle Anmache" dar. Diese nicht mehr verständlichen Misshandlungen sind gar als gefährliche Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) zu werten. Die drei Angreifer waren nicht aus Nothilfe nach § 32 StGB gerechtfertigt; denn der Angeklagte beleidigte zum Zeitpunkt des Zupackens von hinten nicht mehr.
9
2. Der zeitliche Abstand von wenigen Minuten unterbricht, wie auch das Landgericht zutreffend angenommen hat, den motivationspsychologischen Zusammenhang zwischen der Provokation durch die Tritte und Schläge auf der einen und den Messerstichen auf der anderen Seite nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 19. September 2017 - 1 StR 436/17, NStZ-RR 2018, 20, 21 mwN). Neben dem Beweggrund der Rache hatte nach den Urteilsfeststellungen der fortwirkende Zorn in der Form von Wut und Kränkung bestimmenden Einfluss auf die Tatbegehung (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 2004 - 4 StR 48/04, NStZ 2004, 500 f.).
10
3. Die Tritte und Schläge sind von ausreichendem Gewicht, um sie als ausreichend schwere Tatprovokation zu werten. Sie griffen nicht nur unerheblich in die körperliche Unversehrtheit des Angeklagten ein (§ 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB; BGH, Urteil vom 26. Februar 2015 - 1 StR 574/14, NStZ 2015, 582 f. mwN).
11
4. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Strafausspruch auf dem Rechtsfehler beruht. Denn hätte das Landgericht einen minder schweren Fall nach § 213 Alternative 1 StGB zugrunde gelegt, hätte es die allgemeinen Strafmilderungsgründe nicht zur Annahme des unbenannten vertypten Milderungsgrundes nach § 213 Alternative 2 StGB heranziehen müssen; sie hätten bei der Strafzumessung im engeren Sinne zugunsten des Angeklagten erstmals und damit mit größerem Gewicht berücksichtigt werden können. Der Strafausspruch unterliegt deshalb der Aufhebung. Die Feststellungen können bei diesem Sub- sumtionsfehler aufrechterhalten bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Neue Feststellungen sind möglich, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.
12
5. Die Aufhebung des Strafausspruchs zieht die Aufhebung der Bestimmung der Dauer des Vorwegvollzugs nach sich (§ 67 Abs. 2 Satz 2, 3 StGB).
Raum Jäger Cirener
Hohoff Leplow

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt.

(2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1).

(3) Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2).

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.