Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Juni 2013 - 2 StR 104/13

bei uns veröffentlicht am18.06.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 104/13
vom
18. Juni 2013
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Mordes u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführer am 18. Juni 2013 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Fulda vom 29. Oktober 2012 aufgehoben
a) in den Einzelstrafaussprüchen zur Tat II.3 der Urteilsgründe ,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafen und
c) jeweils im Ausspruch über die Dauer des Vorwegvollzugs der Strafen vor Vollziehung der Maßregel. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen Mordes (Tat II.3 der Urteilsgründe), vorsätzlicher Körperverletzung und Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einer Ent- ziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass fünf Jahre der Freiheitsstrafe vor Vollziehung der Maßregel vollstreckt werden; den Angeklagten R. hat es wegen Mordes (Tat II.3 der Urteilsgründe) und vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Jahren und zwei Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass drei Jahre und sieben Monate der Freiheitsstrafe vor Vollziehung der Maßregel vollstreckt werden. Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen, die sie jeweils wirksam auf die Verurteilung wegen Mordes sowie auf die erkannte Unterbringung in einer Entziehungsanstalt beschränkt haben. Die jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Nach den Feststellungen zur Tat II.3 der Urteilsgründe wollten die beiden Angeklagten dem späteren Tatopfer, einem ihnen bekannten Obdachlosen , eine gewaltsame Abreibung erteilen. Sie schlugen dem Geschädigten zunächst gemeinsam mehrfach mit der Faust ins Gesicht, bis er zu Boden ging und dort wehrlos liegen blieb. Nunmehr traten sie gemeinsam – teilweise gleichzeitig – aus bloßer Freude an der Ausübung körperlicher Gewalt mit beschuhten Füßen mehrfach mit mindestens bedingtem Tötungsvorsatz wuchtig gegen den Kopf des Tatopfers ein. Das Tatopfer, das durch die sein Gesicht bis zur Unkenntlichkeit entstellenden Misshandlungen u.a. ein schweres Schädel -Hirn-Trauma und multiple Frakturen am Kopf sowie massive innere Blutungen erlitt, verstarb noch am Tatort an den Folgen der Gewalteinwirkung.
3
Die – sachverständig beratene – Schwurgerichtskammer ist davon ausgegangen , dass beide Angeklagte aufgrund ihrer Alkoholisierung (Blutalkohol- konzentration zur Tatzeit von 3,39 ‰ bzw. 3,50 ‰) in ihrer Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert waren (§ 21 StGB). In der Strafzumessung hat sie zu Las- ten beider Angeklagten gewertet, dass sie besonders brutal vorgegangen seien.
4
2. Diese Strafzumessungserwägung begegnet unter den hier gegebenen Umständen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
5
Nach ständiger Rechtsprechung darf die Art der Tatausführung einem Angeklagten nur dann ohne Abstriche strafschärfend zur Last gelegt werden, wenn sie in vollem Umfang vorwerfbar ist, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht oder nur eingeschränkt zu vertretenen geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt (BGH, Beschluss vom 29. Juni 2000 – 1 StR 223/00, StV 2001, 615; Urteil vom 17. Juli 2003 – 4 StR 105/03, NStZ-RR 2003, 294; Beschluss vom 8. Oktober 2002 – 5 StR 365/02, NStZ-RR 2003, 104; Beschluss vom 31. Januar 2012 – 3 StR 453/11, NStZ-RR 2012, 169; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 46 Rn. 32). Damit, ob den Angeklagten die ihnen vorgeworfene "besondere Brutalität" ihres Vorgehens trotz ihrer Rauschzustände, die ihre erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit begründet haben, uneingeschränkt vorwerfbar ist, setzt sich das Urteil indes nicht auseinander. Sie kann jeweils auch Ausdruck der verminderten Schuldfähigkeit gewesen sein. Dass das Landgericht diese Möglichkeit bei der strafschärfenden Berücksichtigung der Art der Tatausführung übersehen oder aus den Augen verloren haben könnte, lässt sich hier auch aus der Gesamtschau der Strafzumessungserwägungen nicht ausschließen.
6
3. Die Aufhebung der Strafaussprüche zur Tat II.3 der Urteilsgründe hat die Aufhebung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafen und der Entscheidungen über die Dauer des Vorwegvollzugs der Freiheitsstrafe vor der Maßregel zur Folge.
7
Die der Strafzumessung zu Grunde liegenden rechtsfehlerfrei getroffenen tatsächlichen Feststellungen sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht berührt und können daher aufrechterhalten bleiben; ergänzende, zu den bisherigen Feststellungen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen bleiben zulässig.
Becker Fischer Berger Krehl Eschelbach

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Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Juni 2013 - 2 StR 104/13 zitiert 4 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 223/00
vom
29. Juni 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. Juni 2000 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 10. Februar 2000 im Strafausspruch aufgehoben. In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts Augsburg zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine auf die Sachrüge gestützte Revision hat nur zum Strafausspruch Erfolg. 1. Folgendes ist festgestellt: Der Angeklagte hatte als Krankenpfleger im Bezirkskrankenhaus K., wo er seit langem "tadelsfrei" tätig war, in der Nacht vom 14./15. Februar 1999 Nachtdienst. Die Patientin H. hatte zu dieser Zeit eine manische Phase, die wegen einer zugleich vorliegenden Herzerkrankung nicht medikamentös behandelt werden konnte. Sie war daher, wie schon in den
Tagen zuvor - sie hatte z.B. Kot verschmiert, geschrieen und geschimpft - äußerst "umtriebig". Der Angeklagte fand sie letztlich in einer Urinlache sitzend vor. Er geriet in einen "hochgradigen Erregungszustand", faßte Frau H. unter den Armen und wollte sie ins Bett bringen. Diese wehrte sich und versuchte den Angeklagten "zu liebkosen und zu küssen", was diesem "zutiefst zuwider" war. "In seiner Rage" drückte er sie mit dem Bauch nach unten auf das Bett. Da sie sich weiter heftig wehrte und "strampelte", wollte sie der Angeklagte "endlich ruhig stellen". Daher kniete sich der 100 kg schwere Angeklagte so fest auf den Rücken von Frau H. , daß ein Leberriß eintrat. Gleichzeitig packte er sie am Nacken und drückte ihr Gesicht so stark in das Kissen, daß sie alsbald infolge Sauerstoffnot verstarb. 2. Der auf diese Feststellungen gestützte Schuldspruch ist frei von Rechtsfehlern zum Nachteil des Angeklagten (§ 349 Abs. 2 StPO). 3. Der Strafausspruch kann dagegen keinen Bestand haben (§ 349 Abs. 4 StPO):
a) Sachverständig beraten hat die Strafkammer das Vorliegen der Voraussetzungen von § 21 StGB nicht ausschließen können. Bei der "völlig persönlichkeitsfremden" Tat habe ein hochgradiger Affekt im Sinne einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung vorgelegen. Der Angeklagte hatte zur Tatzeit eine Zyste, die auf die Luftröhre drückte und deshalb Schmerzen und Atemnot verursachte. Darüber hinaus befand er sich in erheblicher Sorge, da er Hautkrebs hatte und noch unklar war, ob sich Metastasen bilden würden. Damit verbunden war die Sorge um seinen psychotisch erkrankten, in ständiger Behandlung stehenden Sohn. In dieser Situation hätten das Auffinden der in einer Urinlache sitzenden Frau H. und deren "Annäherungsversuche" zu einem Anstei-
gen der Affektspannung geführt. Diese habe sich bei der Tatausführung entladen.
b) Im Rahmen der konkreten Strafzumessung innerhalb des (nur) im Hinblick auf das Vorliegen der Voraussetzungen von § 21 StGB und sonstige strafmildernde Umstände angenommenen Strafrahmens des § 227 Abs.2 StGB hat die Strafkammer "das Ausmaß der Gewaltanwendung" zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt. Dies hält unter den gegebenen Umständen rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Strafkammer hat festgestellt, daß die vom Angeklagten verursachten Verletzungen der Geschädigten - z.B. der durch das Aufknien verursachte Leberriß - mit dem psychischen Zustand des Angeklagten "korrespondieren". Tatmodalitäten dürfen einem Angeklagten nur strafschärfend zur Last gelegt werden, wenn sie vorwerfbar sind, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht zu vertretenden geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt. Allerdings ist auch der i.S.d. § 21 StGB erheblich vermindert schuldfähige Täter für die von ihm begangene Tat in ihrer konkreten Ausgestaltung verantwortlich , so daß für eine strafschärfende Verwertung der Handlungsintensität Raum bleibt, jedoch nur nach dem Maß der geminderten Schuld. Dessen muß sich der Tatrichter erkennbar bewußt sein (vgl. BGH NJW 1993, 3210, 3211 f; BGH NStZ 1992, 538; G. Schäfer, Praxis der Strafzumessung 2. Aufl. Rdn. 257 a ff., jew. m.w.N.). Daß dies hier der Fall gewesen wäre, ergeben die Urteilsgründe weder ausdrücklich noch in einer Gesamtschau. Dies wäre um so mehr erforderlich gewesen, als derartige Umstände vor allem bei insgesamt sinnlosen Taten nur geringes strafschärfendes Gewicht haben (vgl. BGH NStZ 1987,
321 f; G. Schäfer aaO Rdn. 257 c). Hinzu kommt, daß Strafzumessungserwägungen um so umfassender sein müssen, je knapper die verhängte Strafe eine grundsätzlich noch bewährungsfähige Strafe (§ 56 StGB) übersteigt (vgl. BGH StV 1992, 462, 463; G. Schäfer aaO Rdn. 618 a jew. m.w.N.). 4. Der aufgezeigte Mangel führt zwar zur Aufhebung des Strafausspruchs , berührt jedoch die der Strafzumessung zu Grunde liegenden tatsächlichen Feststellungen nicht. Da sie auch sonst rechtsfehlerfrei getroffen sind, bleiben sie aufrecht erhalten (§ 349 Abs. 2 StPO), so daß die gesamten Urteilsfeststellungen Bestand haben. Ergänzende, zu den bisherigen Feststellungen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen bleiben jedoch zulässig. 5. Im Hinblick auf das durch den Fall erregte beträchtliche lokale Aufsehen erschien es dem Senat angemessen, die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 (zweite Alternative) StPO an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Dezember 1999 - 1 StR 538/99 m.w.N.).
Schäfer Nack Wahl Schluckebier Kolz

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 105/03
vom
17. Juli 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. Juli 2003,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Prof. Dr. Kuckein,
Athing,
Richterin am Bundesgerichtshof
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
als Nebenklägerin in Person,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 12. November 2002 wird verworfen. 2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von dreizehn Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufgedeckt. Dies gilt auch für den Strafausspruch. Die sachverständig beratene Strafkammer hat, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, rechtsfehlerfrei das Vorliegen einer affektbedingten erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sowie einen minder schweren Fall im Sinne des § 213 StGB verneint. Auch die Darlegungen, mit denen das Schwurgericht die Höhe der dem Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB entnommenen Strafe begründet, begegnen keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ist nicht zu bean- standen, daß die Strafkammer "die lange Tatanlaufzeit, während der er [der Angeklagte] alle Warnungen, eine Gefährderansprache durch die Polizei und gerichtliche Verbote in Verfolgung seiner eigenen egoistischen Interessen mißachtete", berücksichtigt hat. Es wäre allerdings rechtsfehlerhaft, wenn sich der Angeklagte bei Begehung der Tat in einem geistig-seelischen Ausnahmezustand befunden und das Landgericht auch solche Umstände strafschärfend verwertet hätte, die unverschuldete Folgen dieses Zustands darstellen (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Gesamtbewertung 3). Das ist jedoch nicht der Fall. Zwar weist der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen Persönlichkeitsauffälligkeiten auf, die Zeichen einer durch Zwanghaftigkeit geprägten (anankastischen ) Persönlichkeit mit starken narzißtischen Anteilen sind; sie äußern sich in abnormem Geiz, Fixiertheit auf das Geld und Starrsinn sowie darin, daß er seiner Ehefrau und seinen Kindern nichts, sich selbst dagegen alles zubilligte. Das Landgericht hat aber in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen nachvollziehbar ausgeschlossen, daß diese Auffälligkeiten einen forensisch relevanten Schweregrad erreicht haben, und hat deswegen eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit verneint. Es ist daher im Hinblick auf die Persönlichkeitsauffälligkeiten rechtlich nicht zu beanstanden, daß die Hartnäkkigkeit , mit der der Angeklagte seiner Ehefrau trotz aller Warnungen über einen längeren Zeitraum nachstellte, straferschwerend gewertet wurde. Im übrigen ist nicht zu besorgen, daß die Strafkammer im Rahmen der Gesamtwürdigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände einen gewissen Zusammenhang zwischen den Persönlichkeitsauffälligkeiten und dem aggressiven Vorgehen gegen das Tatopfer nicht bedacht haben könnte, da sie bei den Milderungsgründen ausdrücklich die besondere Persönlichkeitsstruktur erwähnt.
Die strafschärfende Erwägung, daß die Tötung "objektiv" Besonderheiten aufweise, die sich "am Rande von Mordmerkmalen wie Heimtücke und niedrigen Beweggründen bewegen", begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Zwar hat das Landgericht die subjektive Tatseite dieser Mordmerkmale verneint, da der Angeklagte aufgrund seiner zwanghaften Persönlichkeitsanteile möglicherweise nicht in der Lage gewesen sei, die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers sowie die Umstände, welche die niedrigen Beweggründe ausmachen könnten, rational zu erfassen. Dies bedeutet jedoch nicht, daß die Art des Angriffs und die egoistische Motivation als Belastungsfaktoren gänzlich ausscheiden müssen (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Strafzumessung 1). Wie sich den Urteilsausführungen entnehmen läßt, mit denen die Strafkammer auf die objektive Nähe zu den Mordmerkmalen hinweist, war sie sich dessen bewußt, daß diese Tatumstände bzw. Beweggründe dem Angeklagten nur eingeschränkt anzulasten sind. Die Bemessung der Strafhöhe läßt auch im übrigen keinen Rechtsfehler erkennen. Die Strafkammer hat die für die Strafzumessung im engeren Sinn bestimmenden Gesichtspunkte ausreichend dargelegt. Die erkannte Strafe nähert sich zwar dem gesetzlichen Höchstmaß. Angesichts der konkreten Tatschwere und der gewichtigen Strafschärfungsgründe löst sie sich aber keineswegs nach oben von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein. Sie
liegt vielmehr innerhalb des dem Tatrichter eingeräumten Beurteilungsrahmens und ist daher vom Revisionsgericht hinzunehmen. Tepperwien Maatz Kuckein

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 453/11
vom
31. Januar 2012
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
31. Januar 2012 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 8. September 2011 mit den Feststellungen aufgehoben
a) im Einzelstrafausspruch zur Tat 1 der Urteilsgründe,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe und
c) im Ausspruch über die Dauer des Vorwegvollzugs der Strafe vor Vollziehung der Maßregel.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Tat 1), wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch und wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zur Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass ein Jahr und drei Monate der Freiheitsstrafe vor Vollziehung der Maßregel vollstreckt werden. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt.
2
Die auf die Sachrüge gestützte Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
3
Der Strafausspruch zur Tat 1 der Urteilsgründe hat keinen Bestand.
4
1. Nach den Feststellungen zu dieser Tat wollte der Angeklagte den Geschädigten aus Wut abstrafen, weil dieser ihn einige Zeit zuvor angespuckt und ihm eine Ohrfeige gegeben hatte. Er schlug ihm von hinten mit der Faust gegen den Kopf, wobei er dessen Arglosigkeit bewusst ausnutzte. Anschließend trat er mit Turnschuhen an den Füßen mindestens sieben Mal wuchtig auf den Kopf des Tatopfers ein und nahm dabei dessen möglichen Tod billigend in Kauf. Die - sachverständig beratene - Strafkammer ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte durch das Zusammenwirken seiner Alkoholisierung (Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von 1,89 ‰) und einer massiven affektiven Erregung nicht ausschließbar in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert war (§ 21 StGB). In der Strafzumessung hat es zu Lasten des Angeklagten gewertet , dass er mit einem erschreckenden Ausmaß von roher und brutaler Gewalt gegen sein Opfer vorging.
5
2. Diese Strafzumessungserwägung begegnet unter den hier gegebenen Umständen durchgreifenden rechtlichen Bedenken; denn die Art der Tatausführung darf einem Angeklagten nur dann ohne Abstriche strafschärfend zur Last gelegt werden, wenn sie in vollem Umfang vorwerfbar ist, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht oder nur eingeschränkt zu vertretenen geistigseelischen Beeinträchtigung liegt (BGH, Beschluss vom 29. Juni 2000 - 1 StR 223/00, StV 2001, 615; Urteil vom 17. Juli 2003 - 4 StR 105/03, NStZ-RR 2003, 294; Beschluss vom 8. Oktober 2002 - 5 StR 365/02, NStZ-RR 2003, 104; Beschluss vom 16. Juli 2003 - 1 StR 251/03, NStZ-RR 2003, 362; Beschluss vom 29. November 2011 - 3 StR 375/11; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 46 Rn. 32). Damit , ob dem Angeklagten die ihm vorgeworfene "rohe und brutale Gewalt" seines Vorgehens trotz der Umstände, die seine nicht ausschließbar erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit begründen, uneingeschränkt vorwerfbar ist, setzt sich das Urteil indes nicht auseinander. Sie kann auch Ausdruck der verminderten Schuldfähigkeit gewesen sein.
6
Die Aufhebung des Einzelstrafausspruchs zur Tat 1 der Urteilsgründe hat die Aufhebung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe und der Entscheidung über die Dauer des Vorwegvollzugs der Freiheitsstrafe vor der Maßregel zur Folge.
7
3. Der Senat weist darauf hin, dass bei der Strafzumessung sorgfältig auf das Verbot der Doppelverwertung von Tatbestandsmerkmalen (§ 46 Abs. 3 StGB) zu achten ist. Ein versuchter Mord durch wuchtige Tritte mit den Füßen gegen den Kopf ist regelmäßig mit roher und brutaler Gewalt verbunden. Die strafschärfende Erwägung, der Angeklagte habe sich zunächst nicht durch einen Dritten von der Fortsetzung seiner Tritte abhalten lassen, ist rechtsfehler- haft, wenn ihm dadurch vorgeworfen wird, vom Versuch nicht freiwillig zurückgetreten zu sein (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl., § 46 Rn. 76 f.).
Becker Pfister von Lienen
Hubert Schäfer