Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Feb. 2019 - 1 StR 692/18

26.02.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 692/18
vom
26. Februar 2019
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:260219B1STR692.18.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO am 26. Februar 2019 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 13. Juli 2018 im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben. 2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt.
2
Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
3
1. Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft bei der Ahndung der ohne Rechtsfehler festgestellten Tat keine Entscheidung zur Einbeziehung einer Vorahndung nach § 105 Abs. 1 i.V.m. § 31 Abs. 2 oder Abs. 3 JGG getroffen, so dass die Rechtsfolgenentscheidung keinen Bestand haben kann.
4
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts (UA S. 5 f.) wurden dem Angeklagten mit Urteil des Amtsgerichts Deggendorf vom 20. September 2017 wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in drei tatmehrheitlichen Fällen neben einer Geldauflage von 400 Euro die Weisungen erteilt, binnen zwei Monaten Erstkontakt zum Gesundheitlichen Dienst des Landratsamts Deggendorf aufzunehmen sowie sich für die Dauer von zwölf Monaten jeglichen Konsums von Drogen nach dem BtMG zu enthalten und nach Weisung der Jugendgerichtshilfe Urin- bzw. Haarproben für ein Drogenscreening auf Staatskosten abzugeben. Zum Stand der Vollstreckung dieser Vorahndung teilt das Landgericht mit, dass die Geldauflage vom Angeklagten vollständig bezahlt, bisher drei Beratungsstunden bei der Drogenberatung wahrgenommen und drei Drogenscreenings durchgeführt wurden (UA S. 3), die unauffällig waren. Damit sind die Maßnahmen aus der früheren Entscheidung noch nicht vollständig erledigt.
5
b) Das Landgericht hatte somit nach § 105 Abs. 1 i.V.m. § 31 JGG eine Entscheidung darüber zu treffen, ob gem. § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG das frühere Urteil in die neu zu bildende Jugendstrafe einzubeziehen ist oder ob nach § 31 Abs. 3 JGG aus erzieherischen Gründen von einer Einbeziehung der schon abgeurteilten Straftaten in die neue Entscheidung abgesehen wird. Da bei der Anwendung des § 31 Abs. 2 JGG – anders als bei der Anwendung des § 55 StGB – nicht lediglich die frühere Ahndung einzubeziehen, sondern eine neue, von der früheren Beurteilung unabhängige einheitliche Rechtsfolgenbemessung für sämtliche Taten vorzunehmen ist (BGH, Beschluss vom 3. März 2004 – 1 StR71/04, BGHSt 49, 90, 91 f.), kann der Senat diese vom Tatrichter zu treffende Ermessensentscheidung nicht selbst treffen.
6
2. Einer Aufhebung der vom Landgericht getroffenen Feststellungen bedarf es nicht, da diese durch den aufgezeigten Wertungsfehler nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO).
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Referenzen - Gesetze

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 353 Aufhebung des Urteils und der Feststellungen


(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren

Strafgesetzbuch - StGB | § 55 Nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe


(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen h

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 31 Mehrere Straftaten eines Jugendlichen


(1) Auch wenn ein Jugendlicher mehrere Straftaten begangen hat, setzt das Gericht nur einheitlich Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe fest. Soweit es dieses Gesetz zuläßt (§ 8), können ungleichartige Erziehungsmaßregeln und Zuchtm

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Auch wenn ein Jugendlicher mehrere Straftaten begangen hat, setzt das Gericht nur einheitlich Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe fest. Soweit es dieses Gesetz zuläßt (§ 8), können ungleichartige Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel nebeneinander angeordnet oder Maßnahmen mit der Strafe verbunden werden. Die gesetzlichen Höchstgrenzen des Jugendarrestes und der Jugendstrafe dürfen nicht überschritten werden.

(2) Ist gegen den Jugendlichen wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig die Schuld festgestellt oder eine Erziehungsmaßregel, ein Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe festgesetzt worden, aber noch nicht vollständig ausgeführt, verbüßt oder sonst erledigt, so wird unter Einbeziehung des Urteils in gleicher Weise nur einheitlich auf Maßnahmen oder Jugendstrafe erkannt. Die Anrechnung bereits verbüßten Jugendarrestes steht im Ermessen des Gerichts, wenn es auf Jugendstrafe erkennt. § 26 Absatz 3 Satz 3 und § 30 Absatz 1 Satz 2 bleiben unberührt.

(3) Ist es aus erzieherischen Gründen zweckmäßig, so kann das Gericht davon absehen, schon abgeurteilte Straftaten in die neue Entscheidung einzubeziehen. Dabei kann es Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel für erledigt erklären, wenn es auf Jugendstrafe erkennt.

(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(2) Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden.

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.