Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Jan. 2001 - 1 StR 568/00

published on 30/01/2001 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Jan. 2001 - 1 StR 568/00
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 568/00
vom
30. Januar 2001
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Januar 2001 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 9. Juni 2000, soweit es ihn betrifft, im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die weitergehende Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird als unbegründet verworfen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Weiter hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, daß zwei Jahre der Freiheitsstrafe vor der Unterbringung zu vollziehen sind. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Sie hat zum Maßregelausspruch Erfolg, ist im übrigen aber unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift ausgeführt:
"Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB wird von den Feststellungen nicht getragen. Zur Begründung der Unterbringungsanordnung hat die Strafkammer lediglich ausgeführt, dass bei dem Angeklagten eine alkoholtypische Hangtat vorliege (UA S. 22). Mit diesen Ausführungen sind die Voraussetzungen des § 64 StGB nicht dargetan; sie lassen sich auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen.
Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt setzt nach § 64 StGB voraus, dass der Täter den Hang hat, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, er wegen einer auf seinen Hang zurückzuführenden rechtswidrigen Tat verurteilt wird und die Gefahr besteht, dass er infolge seines Hanges mit Wahrscheinlichkeit erhebliche rechtswidrige Straftaten begehen wird (BGHR StGB § 64 Abs. 1 Gefährlichkeit 1, 3; st. Rspr.).
Mit den Urteilsausführungen sind schon die Voraussetzungen eines 'Hanges' nicht belegt; sie lassen auch nicht erkennen, ob den Überlegungen der Kammer ein zutreffendes Verständnis des Begriffes 'Hang' zu Grunde liegt. Darunter ist zwar nicht nur eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit zu verstehen; es genügt vielmehr eine eingewurzelte, aufgrund psychischer Disposition bestehende oder durch Übung erworbe-
ne intensive Neigung, immer wieder Alkohol im Übermaß zu sich zu nehmen (BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 4). Erforderlich ist aber jedenfalls ein Missbrauch, der den Grad psychischer Abhängigkeit erreicht hat (BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 1). Dies ist nicht dargetan. Genaue Tatsachenfeststellungen zu der Entwicklung des Angeklagten in Bezug auf seinen Umgang mit Alkohol sowie zu seinen Trinkgewohnheiten und -mengen fehlen. Es wird lediglich mitgeteilt, dass der Angeklagte ab dem Jahr 1998 'vermehrt dem Alkohol zusprach', morgens schon Bier trank, zwischendurch auch Schnaps (UA S. 8). Während der Arbeitszeit konsumierte der Angeklagte allerdings keinen Alkohol (UA S. 8), was belegt, dass er durchaus in der Lage ist, seinen Alkoholkonsum zu steuern, und was gegen eine psychische Abhängigkeit spricht. Der Umstand, dass der Angeklagte bei Tatbegehung aufgrund vorangegangenen Genusses von Wodka und Bier (UA S. 13, 15) eine Blutalkoholkonzentration von etwa 2,00 %o aufwies (UA S. 19), rechtfertigt für sich allein nicht die Annahme, der Angeklagte habe eine Neigung, immer wieder Alkohol im Übermaß zu konsumieren.
Im übrigen lässt sich den Urteilsausführungen weder entnehmen , dass zwischen den Taten und der Alkoholabhängigkeit der erforderliche ursächliche Zusammenhang (vgl. BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 2)" besteht, noch daß die hangbedingte Gefahr weiterer erheblicher rechtswidriger Taten gegeben ist. "Allein aus dem Umstand, dass der Angeklagte die Taten nach übermäßiger Alkoholaufnahme im Zustand erheblich verminderter
Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB begangen hat, kann nicht der Schluss gezogen werden, die Taten seien auf einen Hang, alkoholische Getränke zu sich zu nehmen, zurückzuführen. Eine Wahrscheinlichkeit weiterer hangbedingter erheblicher rechtswidriger Taten des Angeklagten kann mit den hier abgeurteilten Taten, die - soweit sie sich gegen die Geschädigte B. richteten - Beziehungstaten sind, nicht begründet werden. Auch die drei Vorstrafen des Angeklagten, davon zwei wegen Straßenverkehrsdelikten , tragen keine entsprechende Gefährlichkeitsprognose."
Dem tritt der Senat bei. Er weist vorsorglich weiter darauf hin, daß der neue Tatrichter - sollte er wiederum die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anordnen - die besonderen Anforderungen zu beachten hätte, die bei einem Abweichen von der gesetzlich vorgesehenen Vollstrekkungsreihenfolge gelten (§ 67 Abs. 1, Abs. 2 StGB; vgl. nur BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser 4, 10 bis 13; Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 67 Rdn. 3, 4).
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb
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published on 01/03/2001 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 36/01 vom 1. März 2001 in der Strafsache gegen wegen versuchten schweren Raubes u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 1. März 2001 ge
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen.

(2) Das Gericht bestimmt jedoch, daß die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn der Zweck der Maßregel dadurch leichter erreicht wird. Bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren soll das Gericht bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Dieser Teil der Strafe ist so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung nach Absatz 5 Satz 1 möglich ist. Das Gericht soll ferner bestimmen, dass die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn die verurteilte Person vollziehbar zur Ausreise verpflichtet und zu erwarten ist, dass ihr Aufenthalt im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe beendet wird.

(3) Das Gericht kann eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 nachträglich treffen, ändern oder aufheben, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen. Eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 kann das Gericht auch nachträglich treffen. Hat es eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 getroffen, so hebt es diese auf, wenn eine Beendigung des Aufenthalts der verurteilten Person im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe nicht mehr zu erwarten ist.

(4) Wird die Maßregel ganz oder zum Teil vor der Strafe vollzogen, so wird die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind.

(5) Wird die Maßregel vor der Strafe oder vor einem Rest der Strafe vollzogen, so kann das Gericht die Vollstreckung des Strafrestes unter den Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 zur Bewährung aussetzen, wenn die Hälfte der Strafe erledigt ist. Wird der Strafrest nicht ausgesetzt, so wird der Vollzug der Maßregel fortgesetzt; das Gericht kann jedoch den Vollzug der Strafe anordnen, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen.

(6) Das Gericht bestimmt, dass eine Anrechnung nach Absatz 4 auch auf eine verfahrensfremde Strafe erfolgt, wenn deren Vollzug für die verurteilte Person eine unbillige Härte wäre. Bei dieser Entscheidung sind insbesondere das Verhältnis der Dauer des bisherigen Freiheitsentzugs zur Dauer der verhängten Strafen, der erzielte Therapieerfolg und seine konkrete Gefährdung sowie das Verhalten der verurteilten Person im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen. Die Anrechnung ist in der Regel ausgeschlossen, wenn die der verfahrensfremden Strafe zugrunde liegende Tat nach der Anordnung der Maßregel begangen worden ist. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.