Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Sept. 2010 - 1 StR 373/10

bei uns veröffentlicht am24.09.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 373/10
vom
24. September 2010
BGHSt: nein
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
Nachschlagewerk: ja
___________________________
Zum Spezialitätsgrundsatz bei Serienstraftaten.
BGH, Beschluss vom 24. September 2010 - 1 StR 373/10 - LG Mannheim
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. September 2010 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Mannheim vom 25. Februar 2010 wird als unbegründet verworfen,
da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend zu der von der Revision geltend gemachten Verletzung des
Grundsatzes der Spezialität (Art. 27 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses des Rates
vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren
zwischen den Mitgliedstaaten (2002/584/JI) - RB-EUHb; vgl. auch § 83h
Abs. 1 Nr. 1, § 82 IRG) bemerkt der Senat:
Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift bereits zutreffend
ausgeführt hat, ist der Grundsatz der Spezialität nicht verletzt; ein Verfahrenshindernis
hinsichtlich der in den Urteilsgründen unter B1. dargestellten Tat (Anklageschrift
der Staatsanwaltschaft Mannheim vom 21. Oktober 2009) besteht
insoweit nicht. Auch diese Tat war von der portugiesischen Auslieferungsbewilligung
erfasst. Sie liegt innerhalb des Tatzeitraums (Januar 2000 bis Oktober
/November 2008), der in dem Europäischen Haftbefehl genannt ist, welcher
der Auslieferung zugrunde liegt. Ihre Begehungsweise ist mit den weiteren in
diesem Haftbefehl im Einzelnen aufgeführten Taten identisch (jeweils Handel-
treiben mit mehreren Kilogramm Amphetamin, jeweils gleicher Wirkstoffgehalt
und Kilogrammpreis, Übergabe erfolgte überwiegend - bis auf den letzten im
Haftbefehl aufgeführten Fall - durch den Angeklagten in dessen Gartengrundstück
) und sie beruht - wie auch die übrigen Taten - auf derselben, vor der
Durchführung der ersten Tat zwischen dem Angeklagten und seinem Abnehmer
geschlossenen Vereinbarung zur fortgesetzten Begehung von Betäubungsmittelstraftaten.
Dem Europäischen Haftbefehl lässt sich zudem entnehmen, dass
der Angeklagte über die dort namentlich benannten Taten hinaus auch bei weiteren
Gelegenheiten gleichartige Betäubungsmittelgeschäfte durchgeführt hat
(vgl. die Sachverhaltsschilderung im Haftbefehl hinsichtlich der Taten Ziffern 10
- 14: "bei mehreren Gelegenheiten, mithin mindestens in fünf Fällen"). Mehr als
fünf Fälle hat das Landgericht vorliegend nicht ausgeurteilt. Die im Urteil unter
B1. dargestellte Tat ist somit ebenfalls von dem historischen Lebenssachverhalt
umfasst, wie er dem Europäischen Haftbefehl (vgl. allgemein zur Darstellung
von Serienstraftaten im Europäischen Haftbefehl
BeckOK-Inhofer, Stand 1. August 2010, RB-EUHb, Anhang Rn. 6) und der portugiesischen
Auslieferungsbewilligung zugrunde gelegen hat. Durch ihre Einbeziehung
im vorliegenden Verfahren hat sich weder die Art noch die rechtliche
Würdigung der dem Angeklagten zur Last gelegten Straftaten - jeweils Handeltreiben
mit Betäubungsmitteln in nicht geringen Mengen gemäß § 29a Abs. 1
Nr. 2 BtMG - geändert. Bei der unter B1. dargestellten Tat handelt es sich daher
nicht um eine "andere Tat" im Sinne des § 83h Abs. 1 Nr. 1 IRG bzw. um eine
"andere Handlung" im Sinne des Art. 27 Abs. 2 RB-EUHb (vgl. hierzu auch
EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2008 - C - 338/08 PPU, NJW 2009, 1057,
1059). Ihrer Einbeziehung steht der Grundsatz der Spezialität nicht entgegen,
zumal bei der vorliegenden Fallgestaltung eine Beeinträchtigung der Interessen
des ersuchten Staates - hier Portugal - nicht zu besorgen ist (vgl. BGH, Be-
schluss vom 25. April 1995 - 1 StR 18/95, nur teilweise abgedruckt in NStZ
1995, 608; BGH, Beschluss vom 22. Juli 2003 - 5 StR 22/03, NStZ 2003, 684).
Nack Wahl Elf
Graf Sander

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen - IRG | § 83h Spezialität


(1) Von einem Mitgliedstaat aufgrund eines Europäischen Haftbefehls übergebene Personen dürfen 1. wegen einer vor der Übergabe begangenen anderen Tat als derjenigen, die der Übergabe zugrunde liegt, weder verfolgt noch verurteilt noch einer freiheits

Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen - IRG | § 82 Nichtanwendung von Vorschriften


Die §§ 5, 6 Abs. 1, § 7 und, soweit ein Europäischer Haftbefehl vorliegt, § 11 finden keine Anwendung.

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(1) Von einem Mitgliedstaat aufgrund eines Europäischen Haftbefehls übergebene Personen dürfen

1.
wegen einer vor der Übergabe begangenen anderen Tat als derjenigen, die der Übergabe zugrunde liegt, weder verfolgt noch verurteilt noch einer freiheitsentziehenden Maßnahme unterworfen werden und
2.
nicht an einen dritten Staat weitergeliefert, überstellt oder in einen dritten Staat abgeschoben werden.

(2) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn

1.
die übergebene Person den räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes innerhalb von 45 Tagen nach ihrer endgültigen Freilassung nicht verlassen hat, obwohl sie dazu die Möglichkeit hatte, oder nach Verlassen in ihn zurückgekehrt ist,
2.
die Straftat nicht mit einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung bedroht ist,
3.
die Strafverfolgung nicht zur Anwendung einer die persönliche Freiheit beschränkenden Maßnahme führt,
4.
die übergebene Person der Vollstreckung einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung ohne Freiheitsentzug unterzogen wird, selbst wenn diese Strafe oder Maßnahme die persönliche Freiheit einschränken kann, oder
5.
der ersuchte Mitgliedstaat oder die übergebene Person darauf verzichtet hat.

(3) Der nach Übergabe erfolgte Verzicht der übergebenen Person ist zu Protokoll eines Richters oder Staatsanwalts zu erklären. Die Verzichtserklärung ist unwiderruflich. Die übergebene Person ist hierüber zu belehren.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Von einem Mitgliedstaat aufgrund eines Europäischen Haftbefehls übergebene Personen dürfen

1.
wegen einer vor der Übergabe begangenen anderen Tat als derjenigen, die der Übergabe zugrunde liegt, weder verfolgt noch verurteilt noch einer freiheitsentziehenden Maßnahme unterworfen werden und
2.
nicht an einen dritten Staat weitergeliefert, überstellt oder in einen dritten Staat abgeschoben werden.

(2) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn

1.
die übergebene Person den räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes innerhalb von 45 Tagen nach ihrer endgültigen Freilassung nicht verlassen hat, obwohl sie dazu die Möglichkeit hatte, oder nach Verlassen in ihn zurückgekehrt ist,
2.
die Straftat nicht mit einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung bedroht ist,
3.
die Strafverfolgung nicht zur Anwendung einer die persönliche Freiheit beschränkenden Maßnahme führt,
4.
die übergebene Person der Vollstreckung einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung ohne Freiheitsentzug unterzogen wird, selbst wenn diese Strafe oder Maßnahme die persönliche Freiheit einschränken kann, oder
5.
der ersuchte Mitgliedstaat oder die übergebene Person darauf verzichtet hat.

(3) Der nach Übergabe erfolgte Verzicht der übergebenen Person ist zu Protokoll eines Richters oder Staatsanwalts zu erklären. Die Verzichtserklärung ist unwiderruflich. Die übergebene Person ist hierüber zu belehren.

5 StR 22/03

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 22. Juli 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Juli 2003

beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 16. Oktober 2002 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat: Es kann dahinstehen, ob der Spezialitätsgrundsatz nach dem EU-Übereinkommen über das vereinfachte Auslieferungsverfahren vom 10. März 1995 hier schon deshalb nicht anwendbar ist, weil der Angeklagte der vereinfachten Auslieferung zugestimmt hat (Art. 9 des genannten Übereinkommens ), obwohl er ausdrücklich nicht auf den Schutz des Grundsatzes der Spezialität verzichtet hat. Eine Verletzung des Spezialitätsgrundsatzes (vgl. § 72 IRG) ist nämlich schon deshalb nicht gegeben, weil die als einheitliches Delikt ausgeurteilte strafbare Handlung des Angeklagten nicht einen anderen Lebenssachverhalt erfaßt als die dem internationalen Haftbefehl vom 28. November 2000 zugrundeliegenden Taten im Sinne des Art. 51 lit. a SDÜ, Art. 10 des Übereinkommens über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 27. September 1996.
Die Gerichte des ersuchenden Staates sind nicht gehindert, innerhalb des historischen Lebenssachverhaltes die Tat abweichend rechtlich oder tatsächlich zu beurteilen, soweit insofern ebenfalls Auslieferungsfähigkeit besteht (BGH NStZ 1986, 557; Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen 2003 Rdn. 94). Da im vorliegenden Fall die strafrechtliche Bewertung der Vorgänge als Betrug unverändert geblieben ist, liegt ein Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz nicht vor. Der nationale Tatrichter des ersuchenden Staates ist nicht gehindert, einzelne Teilakte der Verurteilung zugrunde zu legen, auch wenn diese in dem Auslieferungshaftbefehl nicht enthalten sind (BGH NStZ 1995, 608; Schomburg in Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen 3. Aufl. § 72 IRG Rdn. 21). Durch die rechtsfehlerfreie Annahme einer einheitlichen Handlung, die alle durch den Angeklagten oder seine Helfer begangenen Betrugshandlungen zu einer einheitlichen Tat verklammert, stellen sich die einzelnen durch Täuschung bewirkten Schädigungen einzelner Kunden als unselbständige Bestandteile einer einheitlichen prozessualen Tat im Sinne des § 264 StPO dar, auf die sich die Auslieferungsbewilligung insgesamt erstreckt (BGH NStZ-RR 2000, 333,

334).


Bei der hier vorliegenden Fallgestaltung ist nicht zu besorgen, daß dem ersuchten Staat Prüfungsbefugnisse abgeschnitten sein könnten, die eine einschränkende Auslegung des prozessualen Tatbegriffes nach § 264 StPO erfordern könnten. Ob solche Fallgestaltungen überhaupt denkbar sind, braucht der Senat hier nicht zu entscheiden. Im vorliegenden Fall sind sowohl der zeitliche Rahmen (von Oktober 1994 bis September 1996) der im Haftbefehl genannten und später ausgeurteilten Taten als auch ihre Begehungsweise identisch. Allein der Umstand, daß zusätzliche, wiederum gleichartige Einzeltaten in der Hauptverhandlung einbezogen wurden, läßt – auch wenn sie den schon nach Haftbefehl und Auslieferungsbewilligung beträchtlichen Gesamtschuldumfang noch verdoppelt haben mögen – keine Anhaltspunkte erkennen, die für die Auslieferungsbewilligung des ersuchten
Staates von Bedeutung sein könnten. Bei dieser Sachlage sieht der Senat auch keinen Raum für denkbare Zweifel bei der Auslegung (vgl. BGHSt 48, 52, 65 f.), die eine Vorlage nach § 1 Abs. 2 des EuGH-Gesetzes erforderlich machen könnten (BGHSt 47, 326, 333 ff.).
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