Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Juli 2018 - 1 StR 321/18

bei uns veröffentlicht am18.07.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 321/18
vom
18. Juli 2018
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:180718B1STR321.18.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 4. auf dessen Antrag – am 18. Juli 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 16. März 2018 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte. Damit ist der Beschluss des Landgerichts Landshut vom 15. Mai 2018, mit dem die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen worden ist, gegenstandslos. 2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen. 4. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jah- ren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten erzielt mit der allgemeinen Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Überprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
3
2. Der Strafausspruch hält hingegen rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil die Schwurgerichtskammer eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen hat.
4
a) Nach den Urteilsfeststellungen trank der Angeklagte in seiner Wohnung zusammen mit einer Bekannten, dem späteren Tatopfer, seit dem Vormittag des 23. Mai 2017 erhebliche Mengen Alkohol. Nachdem die Geschädigte den Angeklagten vor dessen Mitbewohner bloßgestellt hatte, indem sie ihn des Diebstahls einer geringen Menge Marihuanas bezichtigte und ihn veranlasste, dies einzuräumen, kam es zwischen 15.00 Uhr und 16.00 Uhr zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten im Wohnzimmer zu einer kurzen verbalen Auseinandersetzung. Der Angeklagte saß anschließend mehrere Minuten ruhig auf der Couch. Als die Geschädigte ihn fragte, ob alles in Ordnung sei, bejahte er dies und stand auf. Er begab sich zur angrenzenden Küchenzeile, entnahm aus einer Schublade ein Fleischermesser mit 15 cm Klingenlänge und fügte seiner Bekannten unvermittelt eine fünf Zentimeter lange und eineinhalb Zentimeter tiefe Schnittverletzung an der rechten seitlichen Halspartie zu. Als die Geschädigte zu schreien begann, versuchte der Angeklagte diese mit einer Hand an ihren Haaren zu fixieren. Bevor er weitere Verletzungshandlungen vornehmen konnte, eilte sein Mitbewohner, der vor dem Streit in sein Zimmer gegangen war, hinzu und stieß den Angeklagten weg. Anschließend brachte der Mitbewohner sich und die Geschädigte in Sicherheit.
5
b) Das sachverständig beratene Landgericht hat die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten zur Tatzeit aufgrund einer ihm um 19.40 Uhr entnommenen Blutprobe (1,31 Promille) zutreffend mit maximal 2,4 Promille berechnet und angenommen, dass er „durchaus erheblich alkoholisiert“ gewesen sei. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten erheblich eingeschränkt gewesen sei, hat es maßgeblich auf die konkrete Vorgehensweise des Angeklagten abgestellt und eine verminderte Schuldfähigkeit verneint. Hierbei hat die Strafkammer berücksichtigt, dass er die Geschädigte nicht im unmittelbaren Anschluss an seine durch sie erfolgte Bloßstellung angegriffen habe, sondern es zunächst nur zu einem verbalen Streit gekommen sei, ohne dass er Angriffshandlungen vorgenommen habe. Als er „mehrere Minuten ganz ruhig auf der Couch“ gesessen habe, sei er sodann aufgestanden, habe sich „zielgerichtet zu der Küchenzeile“ begeben und habe mit der Tatwaffe die Geschädigte angegriffen. Dieses Vorgehen stelle sich „als durchaus planvoll bzw. durchdacht dar“ und spreche dafür, dass die Hemmungsfähigkeit allenfalls leicht vermindert gewesen sei. Darüber hinaus habe keiner der Zeugen, insbe- sondere die den Angeklagten festnehmenden Polizeibeamten „auch nur die geringsten alkohol- und/oder drogenbedingten Ausfallerscheinungen“ geschildert. Solche ergäben sich auch nicht aufgrund des ärztlichen Untersuchungsberichts anlässlich der Blutentnahme.
6
c) Diese Begründung hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht konnte zu den Alkoholkonsumgewohnheiten des Angeklagten von diesem selbst keine „konkreten belastbaren Hinweise“ bekommen, dader Angeklagte sich teilweise mehrfach widersprochen hat (UA 34). Es hat daher zu Recht auf die errechnete maximale Blutalkoholkonzentration und auf eine Würdigung psychodiagnostischer Beweisanzeichen abgestellt (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 – 1 StR 59/12, BGHSt 57, 247, 252 Rn. 22 f. mwN), die grundsätzlich einen Rückschluss auf das Vorliegen einer alkoholbedingten Einschränkung der Steuerungsfähigkeit ermöglichen. Die vom Landgericht vorgenommene Wertung erweist sich aber als nicht tragfähig.
7
aa) Das vom Angeklagten vor und bei der Tatbegehung gezeigte Leistungsverhalten eröffnet angesichts des einfach gelagerten Geschehens kaum eine Beurteilungsmöglichkeit, dass ausreichend aussagekräftige psychodiagnostische Beweisanzeichen vorliegen, die für eine voll erhaltene Steuerungsfähigkeit sprechen. Allein aus dem Umstand, dass der Angeklagte nach dem verbalen Streit mit der Geschädigten mehrere Minuten auf der Couch saß, bevor er zur Küchenzeile ging, das Messer aus einer Schublade ergriff und die Geschädigte damit unvermittelt angriff und verletzte, lässt auf ein zielgerichtetes und planvoll durchdachtes Handeln, bei der sich die Alkoholisierung des Angeklagten nicht auf die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat, keine Rückschlüsse zu. Hierbei hat das Landgericht zudem nicht erörtert, inwieweit die kurz zuvor erfolgte Interaktion zwischen ihm und der Geschädigten für das Handeln des Angeklagten von Bedeutung war.
8
bb) Soweit das Landgericht bei der Würdigung psychodiagnostischer Kriterien auf das Fehlen von Ausfallerscheinungen abstellt, hat es verkannt, dass dieser Umstand nicht unbedingt einer Verminderung der Steuerungsfähigkeit entgegensteht. Gerade bei alkoholgewöhnten Tätern – wofür beim Angeklagten angesichts seiner Vorstrafen vieles spricht – können äußeres Leistungsverhalten und innere Steuerungsfähigkeit weit auseinander fallen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juni 2007 – 4 StR 187/07, NStZ 2007, 696 mwN). Zudem ist das von der Strafkammer bewertete Ergebnis des ärztlichen Untersuchungsberichts anlässlich der Blutentnahme vorliegend für die Beurteilung des Leistungsverhaltens des Angeklagten zur Tatzeit allenfalls von geringer Bedeutung, weil die Blutentnahme erst viereinhalb Stunden nach Tatbegehung erfolgte. Unklar ist auch, zu welchem Zeitpunkt die vom Krankenhaus verständigten Polizeibeamten den Angeklagten festgenommen haben, um beurteilen zu können, ob ihre Wahrnehmungen zu dessen Leistungsverhalten eine hinreichende Grundlage für die Schuldfähigkeitsprüfung bieten.
9
3. Die Nichtanordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hat ebenfalls keinen Bestand.
10
a) Nach den Urteilsfeststellungen konsumierte der Angeklagte zur Tatzeit an zwei bis drei Tagen in der Woche vier bis fünf Bier „über den ganzen Tag verteilt“.Seinen eigenen Angaben zufolge bestanden bei ihm weder ein Alkohol - noch ein Drogenproblem. Das Bundeszentralregister weist seit 1986 drei Verkehrsstraftaten und eine Beziehungstat unter Alkoholeinfluss (1,70 bis 2,26 Promille) aus. Seit 2005 geht der Angeklagte bis auf einen kurzen Zeitraum im Jahr 2016 keiner Arbeit mehr nach.
11
b) Nach den Wertungen des Landgerichts, das den Ausführungen des Sachverständigen folgt, sei das Vorliegen eines Hangs bei dem Angeklagten nur „äußerst schwierig“ festzustellen. In der Untersuchungshaft seien keine kör- perlichen Probleme oder Entzugserscheinungen festgestellt worden. Einen Suchtdruck und einen Kontrollverlust bei dem Konsum alkoholischer Getränke habe der Angeklagte verneint. Laborbefunde wiesen aus, dass die Leberwerte des Angeklagten zwei Monate vor der Tat völlig unauffällig gewesen seien. Auch sonst würden sich keine Hinweise für einen chronifizierten und gesund- heitsschädlichen Alkoholkonsum feststellen lassen. Im Ergebnis konsumiere der Angeklagte „zwar durchaus regelmäßig“ Alkohol – auch schon seit vielen Jahren – und sei somit alkoholgewöhnt. Dieser Umstand reiche jedoch nicht aus, um einen Hang im Sinne des § 64 StGB sicher festzustellen. Weder könne eine physische Abhängigkeit beim Angeklagten festgestellt werden, noch bestehe bei ihm eine psychische Abhängigkeit aufgrund derer der Angeklagte sozial gefährdet oder gefährlich erscheine. Des Weiteren gebe es keine Aussichten auf einen Erfolg einer etwaigen Therapie, weil beim Angeklagten keinerlei Krankheitsgefühl oder Krankheitseinsicht vorliege.
12
c) Die Erwägungen des Landgerichts, mit denen es das Vorliegen der Voraussetzungen eines Hangs verneint, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich nehmen, sind nicht hinreichend beweiswürdigend unterlegt bzw. ausreichend erörtert.
13
aa) Schon das festgestellte allgemeine Alkoholkonsumverhalten des Angeklagten ist nicht belegt. Nach den Ausführungen des Sachverständigen hat sich der Angeklagte hinsichtlich seines allgemeinen Konsums teilweise mehr- fach widersprochen, so dass es insoweit „keine belastbaren Hinweise“ gibt. Es bleibt unklar, wie das Landgericht die Feststellungen zu den aktuellen Trinkgewohnheiten des Angeklagten getroffen hat. Die zum Tatzeitpunkt festgestellte maximale Blutalkoholkonzentration spricht eher für eine wesentlich höhere Alkoholaufnahme.
14
bb) Auch der Umstand, dass der Angeklagte seit 2005 – bis auf einen kurzen Zeitraum im Jahr 2016 – keiner Arbeit mehr nachgegangen ist und dies nach seinen Angaben und der Ansicht des Sachverständigen „keinesfalls auf seinen Alkoholkonsum zurückzuführen“ sei, wird von der Strafkammer mit Blick auf eine mögliche soziale Gefährdung des Angeklagten nicht hinterfragt und auch nicht näher erörtert.
15
cc) Ferner berücksichtigt das Landgericht die Aussage der Geschädigten , dass der Angeklagte teilweise aggressiv werden könne und zwar unabhängig davon, ob er zuvor Alkohol getrunken habe oder nicht (UA S. 13), nicht bei der Bewertung, ob der Angeklagte sozial gefährdet erscheint oder gefährlich ist.
16
dd) Soweit das Landgericht ergänzend darauf hinweist, dass beim Angeklagten keine Therapiebereitschaft bestehe und diese fehlende Motivation nicht korrigierbar sei, so führt dieser Umstand allein nicht dazu, dass eine hinreichend konkrete Aussicht im Sinne des § 64 Satz 2 StGB nicht besteht. Das Landgericht hat insoweit nicht geprüft und erörtert, ob gegebenenfalls eine Therapiebereitschaft für eine erfolgversprechende Behandlung geweckt werden könne (vgl. Fischer, StGB, 65. Aufl., § 64 Rn. 20).
17
4. Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs mit den getroffenen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO). Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert eine Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO). Er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 – 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362 ff.).
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Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Juli 2018 - 1 StR 321/18 zitiert 6 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafprozeßordnung - StPO | § 353 Aufhebung des Urteils und der Feststellungen


(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren

Strafprozeßordnung - StPO | § 358 Bindung des Tatgerichts; Verbot der Schlechterstellung


(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen. (2) Das angefochtene Urte

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

22
(3) Für die Beurteilung der Schuldfähigkeit maßgeblich ist demnach eine Gesamtschau aller wesentlichen objektiven und subjektiven Umstände, die sich auf das Erscheinungsbild des Täters vor, während und nach der Tat beziehen (grundlegend Senatsentscheidung vom 29. April 1997 - 1 StR 511/95, BGHSt 43, 66 ff.; auch BGH, Beschluss vom 5. April 2000 - 3 StR 114/00; BGH, Urteil vom 22. Januar 1997 - 3 StR 516/96). Dabei kann die - regelmäßig deshalb zu bestimmende (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2012 - 5 StR 49/12; BGH, Beschluss vom 8. Oktober 1997 - 2 StR 478/97) - Blutalkoholkonzentration ein je nach den Umständen des Einzelfalls sogar gewichtiges, aber keinesfalls allein maßgebliches Beweisanzeichen (Indiz) sein (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2004 - 1 StR 248/04; BGH, Urteil vom 6. Juni 2002 - 1 StR 14/02; BGH, Urteil vom 3. Dezember 2002 - 1 StR 378/02; vgl. auch BGH, Urteil vom 11. September 2003 - 4 StR 139/03; BGH, Urteil vom 22. April 1998 - 3 StR 15/98).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 187/07
vom
12. Juni 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 12. Juni 2007 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 7. Dezember 2006 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen, einschließlich derjenigen zu den Trinkmengen, aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Nach den Feststellungen tötete der Angeklagte, der alkoholabhängig ist und zur Tatzeit eine Blutalkoholkonzentration von 2,87 ‰ aufwies, seine Lebensgefährtin durch mindestens zehn gegen den Kopf gerichtete Schläge mit einem Baseballschläger. Die Schläge waren so heftig, dass Teile der Schädeldecke vom Kopf gelöst wurden und der Schläger schließlich zerbrach. Vor der Tat war der Angeklagte nie durch Tätlichkeiten oder aggressives Verhalten aufgefallen , sondern führte trotz vergleichsweise hoher Intelligenz ein eher passives und beruflich perspektivloses Leben. In der Beziehung zwischen dem Angeklagten und seiner Lebensgefährtin war es mehrfach zu zeitweiligen Trennungen gekommen. Der Tat vorangegangen war ein erneuter heftiger Streit, in dessen Verlauf das spätere Opfer dem Angeklagten erklärte, er habe am folgenden Tag die gemeinsame Wohnung zu verlassen. Nach der Tat verschloss der Angeklagte die Türen zum Tatzimmer und zum Kinderzimmer, zog sich um und fuhr mit dem Kraftfahrzeug der Geschädigten nach Polen.
3
Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, er könne sich an das eigentliche Tatgeschehen "ganz überwiegend nicht erinnern", ebenso wenig an das unmittelbare Nachtatgeschehen. Seine Erinnerung setze erst wieder ein, als er die deutsch-polnische Grenze passiert habe.
4
Das sachverständig beratene Landgericht hat im Anschluss an den Sachverständigen eine Aufhebung oder erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit ausgeschlossen. Eine solche habe weder auf Grund der akuten Alkoholintoxikation allein noch im Zusammenspiel mit einer möglicherweise affektiv hoch aufgeladenen Streitsituation vorgelegen. Auch das Maß der aufgewendeten Gewalt spreche hier nicht für das Vorliegen eines Affekts als Ausdruck einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung, da der Tatablauf Hinweise auf stimmige Handlungsschritte enthalte. Im Nachtatverhalten lägen ebenfalls Umstände vor, die gegen eine vorangegangene Affekttat sprächen.
5
2. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 21 StGB verneint hat, halten rechtlicher Prüfung nicht stand.
6
a) Soweit das Landgericht - dem Sachverständigen folgend - meint, die festgestellte hohe Alkoholisierung des Angeklagten könne deswegen für sich allein eine Einschränkung der Steuerungsfähigkeit nicht begründen, weil der Angeklagte eine hohe Alkoholtoleranz entwickelt habe und nach der Tat ohne Schwierigkeiten nach Polen gefahren sei, hat es nicht bedacht, dass äußeres Leistungsverhalten und innere Steuerungsfähigkeit bei hoher Alkoholgewöhnung durchaus weit auseinander fallen können (BGHR StGB § 20 Blutalkoholkonzentration 10, 18). Gerade bei Alkoholikern zeigt sich oft eine durch "Übung" erworbene erstaunliche Kompensationsfähigkeit im Bereich grobmotorischer Auffälligkeiten (vgl. Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl. § 20 Rdn. 23). Dem Verhalten nach der Tat kommt in diesem Zusammenhang nur eine geringe Aussagekraft zu, weil, was das Landgericht nicht erkennbar bedacht hat, bei dem Angeklagten durch die Tat eine wesentliche Ernüchterung eingetreten sein kann. Zudem ergibt sich aus dem Urteil nicht, dass der Angeklagte unmittelbar nach der Tat die Fahrt nach Polen angetreten hat.
7
b) Die Ablehnung eines Affekts begegnet ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
8
Die Ausführungen der Strafkammer sind schon im Ansatz nicht frei von Widersprüchen. Einerseits meint sie in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen , die völlig fehlende Gewalt in der Beziehung im Vorfeld würde grundsätzlich für die Annahme einer plötzlichen affektiven "Zerreißung der Sinnzusammenhänge" und damit, befördert durch die Alkoholintoxikation, für die Annahme einer tiefgreifenden Bewusststeinsstörung zum Tatzeitpunkt sprechen. Andererseits soll gerade gegen eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung sprechen, dass aggressive Durchsetzungsstrategien für den Angeklagten nicht typisch seien.
9
Vor allem aber hat die Strafkammer den Tatablauf nicht hinreichend in ihre Erwägungen zum Affekt einbezogen. Zwar hat sie gesehen, dass das außergewöhnlich hohe Maß der aufgewendeten Gewalt ein Umstand ist, der für das Vorliegen eines Affekts als Ausdruck einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung sprechen könne. Letztlich hat sie aber eine Affekttat vor allem deswegen verneint , weil der Angeklagte das Tatwerkzeug erst aus einem anderen Raum geholt und weil er damit überwiegend zielgerichtet auf den Kopf des Opfers geschlagen habe. Beide Argumente tragen das Ergebnis nicht. Bei dem Herbeiholen des Tatwerkzeugs handelt es sich um eine einfache Tätigkeit, die vom Angeklagten keine intensiven Entscheidungs- und Steuerungselemente erfordert und deswegen nicht gegen einen Affekt spricht (BGHR StGB § 21 Bewusstseinsstörung 1). Ebenso wenig spricht ein gezieltes Zuschlagen gegen einen Affekt, denn auch ein Täter, der in einem hochgradigen affektiven Ausnahmezustand handelt, kann gemessen an der Verfolgung seines deliktischen Ziels durchaus folgerichtig und zielgerichtet handeln und insbesondere in der Lage sein, sein Opfer mit allen Schlägen am Kopf zu treffen (vgl. BGHR StGB § 20 Bewusststeinsstörung 6; § 21 Affekt 10).
10
3. Die aufgezeigten Mängel führen zur Aufhebung des Strafausspruchs, da der Senat nicht auszuschließen vermag, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Bewertung des psychischen Zustands des Angeklagten zur Tatzeit zur Annahme einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit gekommen wäre, von der Milderungsmöglichkeit nach §§ 21, 49 StGB Gebrauch gemacht und auf eine niedrigere Strafe erkannt hätte. Eine Schuldunfähigkeit des Angeklagten kann der Senat dagegen auf Grund der getroffenen Feststellungen zum Tatund Nachtatgeschehen ausschließen. Der Senat hebt auch die Feststellungen zu den Trinkmengen auf, um dem neuen Tatrichter eine umfassende Prüfung der Voraussetzungen des § 21 StGB zu ermöglichen. Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass Trinkmengenangaben des Angeklagten bei Errechnung der Blutalkoholkonzentration nicht ungeprüft zu Grunde gelegt werden müssen.
11
Die neu entscheidende Strafkammer wird ferner den Anrechnungsmaßstab für die vom Angeklagten in Polen erlittene Freiheitsentziehung in der Urteilsformel festzusetzen haben (vgl. Tröndle/Fischer aaO § 51 Rdn. 18, 19).
Tepperwien Kuckein Athing
Solin-Stojanović Ernemann

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.