Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Aug. 2003 - 1 StR 272/03
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
I. Das Landgericht München I hat den Angeklagten am 4. Oktober 1999 wegen Untreue zur Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Nach Verkündung des Urteils erklärten der Angeklagte und der Staatsanwalt Rechtsmittelverzicht; das Urteil wurde am selben Tage rechtskräftig. Nunmehr hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 3. Februar 2003 beim Landgericht Revision gegen das vorbezeichnete Urteil eingelegt und beantragt, ihm hierfür Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zur Begründung trägt er im wesentlichen vor, das gegen ihn ergangene Urteil beruhe auf einer Absprache. Bedingung für dieses sei gewesen, daß er das Urteil nach seiner Verkündung sofort rechtskräftig werden lasse undRechtsmittelverzicht erkläre. Diese Absprache sei indessen nicht protokolliert worden. Das seinerzeit von ihm abgelegte Geständnis sei falsch gewesen. Aufgrund des von ihm erklärten Rechtsmittelverzichts habe er keine Revision einlegen können. Keiner seiner Verteidiger habe ihn jemals darauf hingewiesen , daß dies jedoch sehr wohl möglich gewesen wäre. Erst am Sonntag, dem 26. Januar 2003 habe ihm ein Rechtsanwalt aus München mitgeteilt, daß in solchen Fällen Wiedereinsetzung zu gewähren sei. Dies sei ihm, dem Angeklagten , wie auch diesem Rechtsanwalt bis dahin unbekannt gewesen; der Rechtsanwalt habe das erst bei einer Fortbildungsveranstaltung an dem besagten Wochenende erfahren. II. Die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Einlegung der Revision gegen das bezeichnete Urteil liegen nicht vor. Der Antragsteller hat die Revisionseinlegungsfrist nicht unverschuldet versäumt (vgl. § 44 StPO). Vielmehr hat er durch den erklärten Rechtsmittelverzicht die Rechtskraft des ihn verurteilenden Erkenntnisses herbeigeführt. Dieser Rechtsmittelverzicht ist wirksam. Die dahingehende Verzichtserklärung ist grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar (vgl. nur Senat StV 2000, 542, 543 m.w.N.). Ein Fall der unzulässigen Willensbeeinflussung des Erklärenden, die ausnahmsweise anderes bewirken kann (vgl. BGH aaO), liegt nach dem Vortrag des Antragstellers nicht vor und ist auch sonst nicht erkennbar. Der Angeklagte hat seinerzeit den Rechtsmittelverzicht ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung „nach Rücksprache mit seinen Verteidigern“ erklärt. Das Bekanntwerden neuerer gerichtlicher Entscheidungen - etwa zu den Anforderungen an eine verfahrensbeendende Absprache - wie auch eine andere rechtliche Bewertung kann eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht begründen (BGH, Beschl. vom 27. Juni 2001 - 1 StR 210/01; siehe auch Wendisch in Löwe/Rosenberg, 25. Aufl. § 44 Rdn. 27, 54). Der verteidigte Ange-
klagte war damals nicht gehindert, Revision einzulegen und die Frist dafür zu wahren. Seine Beweggründe, hiervon abzusehen, sind für die Frage der Wiedereinsetzung grundsätzlich unerheblich. III. Die Revision des Angeklagten ist danach als unzulässig zu verwerfen (§ 349 Abs. 1 StPO). Das - erst jetzt - angefochtene Urteil des Landgerichts ist mit dem Rechtsmittelverzicht des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft am Tage seiner Verkündung in Rechtskraft erwachsen und deshalb der Revision nicht mehr zugänglich. Nack Wahl Schluckebier Kolz Elf
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War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1 und 2, § 319 Abs. 2 Satz 3 oder nach § 346 Abs. 2 Satz 3 unterblieben ist.
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
Der Angeklagte wurde am 6. Oktober 1999 wegen Betrugs zu drei Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Unmittelbar nach der Urteilsverkündung erklärte er nach Rücksprache mit seinem Verteidiger Rechtsmittelverzicht. Nunmehr legt er Revision ein. Er macht Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts geltend und beantragt, ihm gegen die Versäumung der Rechtsmittelfrist - vorsorglich auch gegen die Versäumung weiterer Fristen - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. 1.) Die Revision ist schon deshalb unzulässig (§ 349 Abs. 1 StPO), weil die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vorliegen.Der Angeklagte trägt vor, dem Verteidiger sei bis zu dessen "Lektüre des Karlsruher Kommentars zur StPO, Auflage 1999" am 24. Februar 2001 "die sich abzeichnende neue Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur möglichen Unwirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts bei Willensmängeln des Angeklagten , insbesondere bei einer vorherigen Absprache zur einvernehmlichen Verfahrensbeendigung, nicht bekannt" gewesen. Danach habe ihn der Verteidiger hiervon unverzüglich unterrichtet. Das Bekanntwerden neuerer gerichtlicher Entscheidungen kann jedoch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht begründen (vgl. Wendisch in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 44 Rdn. 27, 54). 2.) Im übrigen könnte aber auch das weitere Vorbringen des Angeklagten die Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts nicht belegen. Die Niederschrift der Hauptverhandlung vom 6. Oktober 1999 ergibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß auch ein Rechtsmittelverzicht Gegenstand der Erörterung mit der Strafkammer gewesen wäre (für diesen Fall vgl. BGHSt 45, 227, 230 f), oder daß sonst ein unzulässiger Druck auf den Angeklagten ausgeübt worden wäre. Zwar kann, unbeschadet der nur begrenzten Überprüfbarkeit der Niederschrift (§§ 273, 274 StPO; vgl. hierzu BGHSt aaO, 228) auch frei-beweislich ein rechtlich unzulässiges Geschehen festgestellt werden, gleichgültig, ob es sich in oder außerhalb der Hauptverhandlung ereignet hat (BGHSt aaO). Das entsprechende Vorbringen steht jedoch in Widerspruch zu der (vom Angeklagten auch selbst vorgetragenen) dienstlichen Ä ußerung des Vorsitzenden vom 20. April 2001. Danach war in den Erörterungen mit der Strafkammer von einem Rechtsmittelverzicht nicht die Rede. Verfahrensverstöße müssen jedoch erwiesen sein und können nicht lediglich nach dem Grundsatz "im Zweifel für den Angeklagten" unterstellt werden (vgl. speziell für den
Ablauf von Gesprächen über eine einvernehmliche Verfahrensbeendigung BGH NStZ 1997, 561, NStZ 1993, 196 m.w.Nachw.). Soweit sich der Beschwerdeführer auf die Stellungnahme des Vorsitzenden vom 8. Dezember 1999 beruft, mit der dieser den Antrag des (bestellten) Verteidigers Rechtsanwalt B. auf Zuerkennung einer Pauschgebühr (§ 99 BRAGO) befürwortet, ergibt sich nichts anderes. Hier heißt es, daß der Angeklagte "eine typische Betrügerpersönlichkeit (sei), die zunächst sich nicht zu dem erhobenen Tatvorwurf bekannte, dann aber aufgrund des erdrückenden Ergebnisses der Beweisaufnahme schließlich die Tat doch einräumte", es sei "aber durchaus nachzuvollziehen, daß es Schwierigkeiten machte, beim Angeklagten als einzig sinnvolle Konsequenz das Ablegen eines Geständnisses durchzusehen". Ein unzulässiger Druck des Gerichts auf den Angeklagten ist daraus nicht erkennbar (vgl. auch BGH StV 1999, 407). Ohne daß es darauf ankäme, inwieweit Verhalten des Verteidigers überhaupt gerichtlicher Überprüfung unterliegt (vgl. hierzu BGH b. Holtz, MDR 1996, 120), kann der Senat dieser Erklärung des Vorsitzenden aber auch keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, daß der Verteidiger den Angeklagten nicht nur pflichtgemäß über das auf Grund der bisher durchgeführten Hauptverhandlung zu erwartende Ergebnis beraten habe, sondern ihm in unzulässiger Weise zum Ablegen eines Geständnisses (und der Abgabe eines Rechtsmittelverzichts ) gedrängt habe. Bestätigt wird dies im übrigen auch durch den weiteren Verfahrensgang. Wie sich aus einer vom Angeklagten vorgelegten Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 22. März 2001 und einem Schreiben von Rechtsanwalt B. an Rechtsanwalt T. v om 2. April 2001 ergibt, hat Rechtsanwalt B. im Auftrag des Angeklagten intensive Verhandlungen mit der Staatsanwaltschaft
über Fragen der Strafvollstreckung geführt und einen zeitweiligen Strafaufschub erwirkt. Es ist ausgeschlossen, daß der Angeklagte Rechtsanwalt B. derartige Aufträge erteilt hätte, wenn ihn Rechtsanwalt B. im Rahmen des Erkenntnisverfahrens unter Druck gesetzt und ihn so zu ihm nachteiligen Prozeßverhalten veranlaßt hätte. 3. Auch der Antrag gemäß § 47 Abs. 2 StPO ist damit gegenstandslos. Schäfer Nack Wahl Boetticher Schluckebier
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.