Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Aug. 2002 - 1 StR 272/02
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:
die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.
(1) Wer sexuelle Handlungen
- 1.
an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist, - 2.
an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm im Rahmen eines Ausbildungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist, unter Missbrauch einer mit dem Ausbildungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit oder - 3.
an einer Person unter achtzehn Jahren, die sein leiblicher oder rechtlicher Abkömmling ist oder der seines Ehegatten, seines Lebenspartners oder einer Person, mit der er in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft lebt,
(2) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird eine Person bestraft, der in einer dazu bestimmten Einrichtung die Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung von Personen unter achtzehn Jahren anvertraut ist, und die sexuelle Handlungen
- 1.
an einer Person unter sechzehn Jahren, die zu dieser Einrichtung in einem Rechtsverhältnis steht, das ihrer Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung dient, vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder - 2.
unter Ausnutzung ihrer Stellung an einer Person unter achtzehn Jahren, die zu dieser Einrichtung in einem Rechtsverhältnis steht, das ihrer Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung dient, vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt.
(3) Wer unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 oder 2
- 1.
sexuelle Handlungen vor dem Schutzbefohlenen vornimmt, um sich oder den Schutzbefohlenen hierdurch sexuell zu erregen, oder - 2.
den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, daß er sexuelle Handlungen vor ihm vornimmt,
(4) Der Versuch ist strafbar.
(5) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1, des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 oder des Absatzes 3 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 oder mit Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn das Unrecht der Tat gering ist.
(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer
- 1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, - 2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt, - 3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.
(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn
- 1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern, - 2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert, - 3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt, - 4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder - 5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.
(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet, - 2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder - 3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.
(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn
- 1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder - 2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.
(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, - 2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder - 3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.
(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder - 2.
das Opfer - a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder - b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.
(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagte wegen sexuellen Miûbrauchs von Kindern in elf Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Miûbrauch von Schutzbefohlenen in Tatmehrheit mit einem Fall des sexuellen Miûbrauchs von Schutzbefohlenen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Sachrüge. Die Revision führt zur Teileinstellung des Verfahrens in einem Fall, zur Änderung des Schuldspruchs in zwei Fällen, sowie zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs. Die weitergehende Revision hat keinen Erfolg. 1. Auf Antrag des Generalbundesanwalts wird die Verurteilung im Fall II. 1. der Urteilsgründe aufgehoben und das Verfahren eingestellt. Nach den bisherigen Feststellungen zu der in der Zeit zwischen 1989 und Mitte 1992 vorgeworfenen Tat liegen die Voraussetzungen des § 176 Abs. 1 StGB aF nicht vor, weil die Strafvorschrift Körperkontakt erfordert (vgl. BGH, Beschl. vom 26. August 1998 – 2 StR 357/98 - , mitgeteilt bei Pfister NStZ-RR 1999, 321, 322). Ein für diesen Zeitraum in Betracht kommendes Delikt nach § 176 Abs. 5 StGB aF könnte verjährt sein. Die Verjährungsfrist für dieses Delikt beträgt fünf Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB). Die Frist könnte ab Mitte 1989 in Lauf gesetzt worden und damit Mitte 1994 abgelaufen sein. Als früheste Unterbrechungshandlung nach § 78c Abs. 1 Nr. 1 StGB kommt der Beschluû nach § 168c Abs. 3 StPO vom 2. Mai 2000 in Betracht. Da nach den Feststellungen die zeitliche Abfolge der weit zurück liegenden Taten im einzelnen ungewiû ist – darauf deuten die Ausführungen der Strafkammer auch zu den unter Ziffer II. 6. und 7. der Urteilsgründe festgestellten Taten hin - und weitere sichere Feststellungen nicht zu erwarten sind, ist der Verjährungseintritt in diesem Fall nicht auszuschlieûen. Die Ausführungen zur Strafverfolgungsverjährung gelten ingleicher Weise für das vorgeworfene in Tateinheit stehende Delikt nach § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB. 2. Nach den Feststellungen könnten auch die in Tateinheit stehenden Tatvorwürfe nach § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB in den Fällen II. 2. und 3. der Urteilsgründe verjährt sein, und zwar selbst dann, wenn die Geschädigte bei Begehung der Taten bereits sieben Jahre alt war. Die Verurteilungen wegen sexuellen Miûbrauchs einer Schutzbefohlenen haben deshalb in diesen Fällen zu entfallen. Der jeweils rechtsfehlerfrei festgestellte sexuelle Miûbrauch eines Kindes nach § 176 Abs. 1 StGB aF ist hingegen nicht verjährt (§ 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB i. V. m. § 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB). 3. Die weitere Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat im Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Senat hat jedoch zur Klarstellung die Urteilsformel neu gefaût. 4. Dagegen kann der Strafausspruch keinen Bestand haben. Die Strafzumessungserwägungen sind nicht frei von rechtlichen Bedenken (§ 46 Abs. 3 StGB).
a) Die Jugendkammer hat zu Lasten des Angeklagten u.a. ausgeführt, dieser habe “die sexuelle Unbedarftheit und kindliche Unbekümmertheit von M. schamlos ausgenutzt”; er habe auch “ihre Zuneigung rücksichtslos zur Befriedigung seines Geschlechtstriebs ausgebeutet”. Für solche Äuûerungen bieten die bisherigen Feststellungen keine ausreichende Grundlage. Es ist zu besorgen, daû mit ihnen der Unrechts- und Schuldgehalt der Taten subjektiv stark überzeichnet worden ist. Dies gilt insbesondere für die Behauptung, der Angeklagte habe “seine Autoritätsstellung als Stiefvater gegenüber dem vaterlosen Kind” ausgenutzt. Moralisierende Erwägungen, die nicht verdeutlichen, welchen anerkannten Strafzumessungsgesichtspunkten zur Beurteilung der Tat und des Täters sie zuzuordnen sind, sind nichtssagend und überflüssig. Sie begründen gegenüber dem Angeklagten die Gefahr einer gefühlsmäûigen, auf unklaren Erwägungen beruhenden
Strafzumessung (vgl. BGH StV 1998, 76; BGH NStZ 1987, 405; G. Schäfer, Strafzumessung 3. Aufl. Rdn. 332, 335).
b) Der Senat hebt den Strafausspruch insgesamt auf. Er vermag nicht auszuschlieûen , daû die Jugendkammer angesichts des geringeren Schuldumfangs sowie ohne Verwendung der beanstandeten Strafzumessungserwägungen bei dem nicht vorbestraften und geständigen Angeklagten auf niedrigere Einzelstrafen und damit auch auf eine mildere Gesamtstrafe erkannt hätte. Der aufgezeigte Rechtsfehler berührt die dem Strafausspruch zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen nicht. Sie können bestehen bleiben; ergänzende Feststellungen sind möglich. Schäfer Wahl Boetticher Schluckebier Hebenstreit