Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Juni 2015 - 1 StR 207/15
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Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Ergänzend bemerkt der Senat: Die von der Verteidigung begehrte "Zwischenentscheidung" war nicht zu erlassen. Es liegt auf der Hand, dass die Urteilszustellung wirksam war. Die Anordnung der Zustellung durch den Vorsitzenden ist an eine besondere Form nicht gebunden; sie kann sowohl schriftlich als auch mündlich getroffen werden. In Anbetracht ihrer Bedeutung für die Wirksamkeit der Zustellung muss sie im Zeitpunkt der Zustellung aktenkundig, im Falle einer mündlichen Anweisung in einem Vermerk der Geschäftsstelle festgehalten sein (BGH, Beschluss vom 6. März 2014 - 4 StR 553/13). Dies ist hier offensichtlich der Fall. Ausweislich der Akten (Bl. 654) wurde durch den Vorsitzenden am 2. Februar 2015 die Zustellung des Urteils angeordnet und die begehrte Akten- einsicht (Bl. 634) verfügt. Die Akten gingen am 13. Februar 2015 wieder bei Gericht ein (Bl. 668). Die Akteneinsicht ging bis Blatt 653 (Bl. 687). Es wurde anschließend Akteneinsicht bis Blatt 687 gewährt (Bl. 688). Die Zustellungsanordnung des Vorsitzenden (Bl. 654 d.A.) war und ist aktenkundig. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass Aktenbestandteile auch dann aktenkundig sind, wenn sie nicht bei der Akteneinsicht mit übersandt wurden. Aus der Stellungnahme der Geschäftsstellenbeamtin (Bl. 714 d.A.) ergibt sich, dass Blatt 654 der Akten beim Landgericht im Kontrollbogen als Nachweis für die Versendung verblieb, was durchaus üblich ist und keineswegs dazu führt, dass dieses Blatt nicht mehr Aktenbestandteil ist. Der Verteidiger hat durch die weitere Akteneinsicht die Zustellungsanordnung des Vorsitzenden zur Kenntnis genommen, die Stellungnahme der Geschäftsstellenbeamtin ist ihm bekannt und der Generalbundesanwalt hat ihn in seiner Zuschrift darauf hingewiesen, dass die Zustellung wirksam war und nicht dadurch in Frage gestellt wird, dass die entsprechende Anordnung des Vorsitzenden zunächst von der Akteneinsicht ausgenommen war. Danach bestand für einen verteidigten Angeklagten kein Anspruch auf eine förmliche Feststellung der eindeutigen Rechtslage.
Auch auf den lediglich angedeuteten Wiedereinsetzungsantrag, der die Voraussetzungen der §§ 44 ff. StPO ohnehin nicht erfüllt, war nicht näher einzugehen. Raum Rothfuß Jäger Radtke Fischer
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
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2. Es wird festgestellt, dass die Revision der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 13. August 2013 zulässig ist.
3. Der Antrag der Nebenklägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision gegen das vorgenannte Urteil ist gegenstandslos.
4. Mit Zustellung dieses Beschlusses wird die Frist zur Begründung der Revision in Lauf gesetzt.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat die Angeklagte am 13. August 2013 wegen Unterschlagung sowie wegen schweren Raubes in zwei Fällen zu einer Gesamtfrei- heitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Nachdem der Urteilstenor der Nebenklägerin am 21. August 2013 zugestellt worden war, legte sie mit am 2. September 2013 beim Landgericht eingegangenem Schreiben gegen das Urteil Revision ein und beantragte zugleich Wiedereinsetzung in die Revisionseinlegungsfrist. Mit Beschluss vom 10. September 2013 hat das Landgericht die Revision der Nebenklägerin gemäß § 346 Abs. 1 StPO als verspätet und deshalb unzulässig verworfen und das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen. Gegen den am 13. September 2013 zugestellten Beschluss hat die Nebenklägerin mit noch am selben Tag beim Landgericht eingegangenem Schreiben eine Entscheidung des Revisionsgerichts nach § 346 Abs. 2 StPO beantragt.
- 2
- 1. Der in zulässiger Weise angebrachte Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses vom 10. September 2013, da das Landgericht die Revision der Nebenklägerin zu Unrecht als unzulässig verworfen hat.
- 3
- a) Das Landgericht war für eine Entscheidung gemäß § 346 Abs. 1 StPO über die Zulässigkeit des Rechtsmittels wegen des mit der Revisionseinlegung verbundenen Wiedereinsetzungsantrages bereits nicht zuständig (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2012 – 3 StR 461/12 [juris Rn. 2]; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 346 Rn. 16).
- 4
- b) Zudem lagen die Voraussetzungen für eine Verwerfung der Revision gemäß § 346 Abs. 1 StPO nicht vor. Vielmehr hat die in der Hauptverhandlung weder anwesende noch vertretene Nebenklägerin mit dem am 2. September 2013 beim Landgericht eingegangenen Schreiben form- und fristgerecht gegen das Urteil des Landgerichts Revision eingelegt. Denn die hierfür maßgebliche Wochenfrist (§ 341 Abs. 1 Satz 1 StPO) ist erst mit Zustellung des (vollständigen ) Urteils an die Nebenklägerin am 3. September 2013 in Lauf gesetzt worden (vgl. KK-StPO/Gericke, 7. Aufl., § 341 Rn. 19, 20).
- 5
- Dem steht nicht entgegen, dass ihr der Urteilstenor nebst Rechtsmittelbelehrung bereits am 21. August 2013 förmlich zugestellt worden ist (§ 401 Abs. 2 Satz 2 StPO). Diese Zustellung ist unwirksam.
- 6
- Die Wirksamkeit einer förmlichen Zustellung setzt voraus, dass sie auf einer (wirksamen) Zustellungsanordnung des Vorsitzenden beruht, § 36 Abs. 1 Satz 1 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 1955 – 1 StR 45/55, bei Holtz, MDR 1976, 814; Urteil vom 18. Dezember 1985 – 2 StR 619/85, NStZ 1986, 230 jeweils mwN; Beschluss vom 14. Dezember 2010 – 1 StR 420/10, NStZ 2011, 591, 592). Die Anordnung ist zwar nicht an eine besondere Form gebunden und kann folglich sowohl schriftlich als auch mündlich getroffen werden. In Anbetracht ihrer Bedeutung für die Wirksamkeit der Zustellung muss sie aber im Zeitpunkt der Zustellung aktenkundig, im Falle einer mündlichen Anweisung daher jedenfalls in einem Vermerk der Geschäftsstelle festgehalten sein. Denn die Rechtssicherheit gebietet es, dass von vornherein auch für Dritte erkennbar ist, ob im Zeitpunkt der Zustellung eine dem § 36 Abs. 1 StPO entsprechende Anordnung vorlag. Anderenfalls ließe sich – wenn überhaupt – unter Umständen erst nach längeren Nachforschungen klären, ob der Zustellung eine wirksame Anordnung zugrunde lag, die Rechtsmittelfrist demnach in Laufgesetzt worden ist. Die hiermit verbundene Rechtsunsicherheit kann aber nicht hingenommen werden (OLG Zweibrücken, MDR 1986, 1047; LG Zweibrücken, NStZ-RR 2013, 49; vgl. LR-StPO/Graalmann-Scheerer, 26. Aufl., § 36 Rn. 7; SK-StPO/Weßlau, § 36 Rn. 4; KK-StPO/Maul, aaO, § 36 Rn. 2; Pollähne in HK-StPO, 5. Aufl., § 36 Rn. 5; Pfeiffer, StPO, 5. Aufl., § 36 Rn. 1; KMR-StPO/ Ziegler, 69. EL (Stand: Okt. 2013), § 36 Rn. 4; vgl. auch Meyer-Goßner, aaO, § 36 Rn. 3: stets schriftlich; aA SSW-StPO/Mosbacher, § 36 Rn. 5, wonach die Dokumentation im Zeitpunkt der Zustellung keine Wirksamkeitsvoraussetzung darstellt).
- 7
- Hieran fehlt es vorliegend. Den Verfahrensakten ist eine den Urteilstenor betreffende Zustellungsanordnung des Vorsitzenden nicht zu entnehmen. Der Zustellungsmangel ist auch nicht gemäß § 37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 189 ZPO durch den tatsächlichen Zugang geheilt worden. Dies würde voraussetzen, dass eine förmliche Zustellung von dem für das Verfahren zuständigenOrgan – im Fall des § 36 Abs. 1 StPO also vom Vorsitzenden – beabsichtigt war (MüKoZPO/Häublein, 4. Aufl., § 189 Rn. 3; LR-StPO/Graalmann-Scheerer, aaO, § 37 Rn. 95). Ist ein solcher Zustellungswille des zuständigen Organs – wie hier – mangels Zustellungsanordnung nicht feststellbar, so tritt keine Hei- lung gemäß § 37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 189 ZPO ein (OLG Celle, Beschluss vom 15. September 2010 – 1 Ws 398/10, NStZ-RR 2011, 45 [Leitsatz]).
- 8
- c) Einer Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Revisionseinlegungsfrist bedarf es folglich nicht. Dieser ist vielmehr gegenstandslos.
- 9
- 2. Nachdem der Nebenklägerin das vollständige Urteil am 3. September 2013 wirksam zugestellt worden ist, wird die Frist zur Begründung der Revision (§ 345 Abs. 1 Satz 1 StPO) mit Zustellung des Beschlusses nach § 346 Abs. 2 StPO an sie in Lauf gesetzt (BayObLG, bei Bär, DAR 1987, 316; StraFo 1997, 248 f.; LR-StPO/Franke, aaO, § 345 Rn. 11; KK-StPO/Gericke, aaO, § 345 Rn. 3).
RiBGH Dr. Franke ist urlaubsbedingt abwesend und deshalb an der Unterschrift gehindert. Sost-Scheible Bender