Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Mai 2007 - 1 StR 192/07
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
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- Der Generalbundesanwalt hat ausgeführt: "Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Mit Telefaxschreiben vom 8. März 2007, beim Landgericht eingegangen am selben Tage um 13.30 Uhr, hat der Verteidiger des Beschuldigten, Rechtsanwalt Z. , 'namens und im Auftrag des Angeklagten' Rechtsmittelverzicht erklärt (Bd. III Bl. 929 d.A.). Trotz des Rechtsmittelverzichts hat Rechtsanwalt Z. mit weiterem Schriftsatz vom 15. März 2007 gegen das Urteil des Landgerichts Revision eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision begehrt (aaO Bl. 941/943). Zur Begründung hat er ausgeführt: Der Beschuldigte habe am 7. März 2007 seinem Sekretariat mitgeteilt, dass er das Urteil akzeptiere. Nachdem er - Rechtsanwalt Z. - am 8. März 2007 gegenüber dem Landgericht die Rechtsmittelverzichtserklärung abgegeben habe, habe der Beschuldigte am Nachmittag dieses Tages mitgeteilt, dass er das Rechtsmittel durchgeführt wissen wolle. Auf den Hinweis des Sekretariats, dass der von ihm erklärte Rechtsmittelverzicht bereits dem Landgericht mitgeteilt worden sei, habe der Beschuldigte den 'Widerruf' dieser Erklärung verlangt. Am 9. März 2007 habe er das tags zuvor vorgebrachte Anliegen wiederholt. Bei einem Telefonat am 13. März 2007 habe der Beschuldigte ihm - Rechtsanwalt Z. - gegenüber erklärt, er müsse von dessen Sekretariat missverstanden worden sein, er habe niemals Rechtsmittelverzicht erklären wollen. Im Hinblick auf diese Erklärung, die in diametralem Widerspruch zu den Auskünften des zuverlässigen Sekretariats stehe, wolle 'der Unterzeichnete ein Missverständnis zu Lasten der Kanzlei nicht kategorisch ausschließen'."
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- Der Rechtsmittelverzicht durch den Pflichtverteidiger Rechtsanwalt Z. ist wirksam. Die hierzu gemäß § 302 Abs. 2 StPO erforderliche Ermächtigung lag nach der Erklärung von Rechtsanwalt Z. zum Zeitpunkt des Verzichts vor. Seinem Vortrag ist nicht zu entnehmen, dass er ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der Darstellung seiner Kanzleiangestellten hegt. Dafür , dass der Beschuldigte tatsächlich am 7. März 2007 den Auftrag erteilt hatte, Rechtsmittelverzicht zu erklären, spricht auch der Umstand, dass er sich ausweislich der Erklärung seines Verteidigers erstmals am 13. März 2007 auf ein Missverständnis berufen hat.
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- Zwar ist der Widerruf der Ermächtigung jederzeit zulässig und wird schon dann wirksam, wenn ihn der Beschuldigte mündlich oder fernmündlich dem Gericht oder dem ermächtigten Verteidiger gegenüber erklärt. Der Widerruf führt jedoch nur dann zur Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts, wenn er gegenüber dem Gericht oder dem Verteidiger erklärt worden ist, bevor die Verzichtserklärung bei dem Gericht eingegangen ist (vgl. BGHSt 10, 245, 246; BGH NStZ-RR 2005, 211, 212; NStZ 1983, 469). Das ist hier nicht der Fall.
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- Der Generalbundesanwalt hat weiter ausgeführt: "Auch im Übrigen bestehen keine Bedenken gegen die Wirksamkeit der Verzichtserklärung. Insbesondere liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beschuldigte bei Erteilung des Auftrags zur Abgabe der Rechtsmittelverzichtserklärung nicht verhandlungsfähig gewesen oder ihm deren Tragweite nicht bewusst gewesen sein könnte (vgl. BGHSt 17, 18 f; BGH NJW 1999, 2449, 2451; NStZ-RR 1997, 173). Abgesehen davon , dass der Beschwerdeführer solches selbst nicht (hilfsweise) geltend macht, ergeben sich aus der zeitnah erfolgten Stellungnahme des Psychiatrischen Zentrums N. in W. vom 9. Februar 2007 zur Frage der Verhandlungsfähigkeit des Beschuldigten (Bd. III Bl. 735 f d.A.) keine tatsächlichen Anhaltspunkte, die auf eine fehlende Verhandlungsfähigkeit des Beschuldigten hinweisen könnten. Der nach alledem wirksame Verzicht auf Rechtsmittel kann nicht widerrufen , wegen Irrtums angefochten oder sonst zurückgenommen werden (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ 1984, 181; 1999, 258, 259; 1999, 526). Er hat so- mit die Unzulässigkeit der Revision zur Folge. Für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist insofern kein Raum (vgl. BGH NStZ 1997, 611, 612; 1999, 526), so dass auch der hierauf gerichtete Antrag des Beschuldigten zu verwerfen ist. Dagegen ist der Beschluss vom 20. März 2007, mit dem das Landgericht die Revision als unzulässig verworfen hat, aufzuheben. Zu dieser Entscheidung war das Landgericht nicht befugt. Seine Befugnis zur Verwerfung der Revision ist auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen der Beschwerdeführer die für die Einlegung und Begründung des Rechtsmittels vorgeschriebenen Formen und Fristen nicht gewahrt hat (§ 346 Abs. 1 StPO). Soweit die Revision dagegen aus einem anderen Grund als unzulässig zu verwerfen ist, steht die Befugnis hierzu allein dem Revisionsgericht zu. Dies gilt auch dann, wenn ein solcher Grund mit Mängeln der Form- und Fristeinhaltung zusammentrifft, also etwa - wie hier - die Revision nach wirksamem Rechtsmittelverzicht nicht fristgerecht eingelegt worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 28. Juni 2005 - 1 StR 177/05)."
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- Den zitierten Ausführungen des Generalbundesanwalts schließt sich der Senat an. Nack Wahl Kolz Elf Graf
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(1) Die Zurücknahme eines Rechtsmittels sowie der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels können auch vor Ablauf der Frist zu seiner Einlegung wirksam erfolgen. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist ein Verzicht ausgeschlossen. Ein von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten eingelegtes Rechtsmittel kann ohne dessen Zustimmung nicht zurückgenommen werden.
(2) Der Verteidiger bedarf zur Zurücknahme einer ausdrücklichen Ermächtigung.
(1) Ist die Revision verspätet eingelegt oder sind die Revisionsanträge nicht rechtzeitig oder nicht in der in § 345 Abs. 2 vorgeschriebenen Form angebracht worden, so hat das Gericht, dessen Urteil angefochten wird, das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig zu verwerfen.
(2) Der Beschwerdeführer kann binnen einer Woche nach Zustellung des Beschlusses auf die Entscheidung des Revisionsgerichts antragen. In diesem Falle sind die Akten an das Revisionsgericht einzusenden; die Vollstreckung des Urteils wird jedoch hierdurch nicht gehemmt. Die Vorschrift des § 35a gilt entsprechend.
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten am 1. Dezember 2004 wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in 42 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Nach der Urteilsverkündung und der Erteilung der Rechtsmittelbelehrung haben der Angeklagte und seine beiden Verteidiger auf Rechtsmittel gegen das Urteil verzichtet. Diese Erklärungen wurden vorgelesen , übersetzt und genehmigt (SA Bd. II Bl. 711).
Trotz des Rechtsmittelverzichts hat der Angeklagte mit beim Landgericht am 3. Dezember 2004 eingegangenem Schreiben "Einspruch" gegen das Urteil eingelegt. Mit Beschluß vom 2. März 2005, dem Angeklagten zugestellt am 7. März 2005, hat das Landgericht die Revision als unzulässig verworfen, weil der Angeklagte - unabhängig von dem erklärten Rechtsmittelverzicht - die Form des § 345 Abs. 2 StPO nicht beachtet habe. Gegen diesen Beschluß wendet sich der Angeklagte mit seinem am 8. März 2005 beim Landgericht eingegangenen "Einspruch", der als Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 346 Abs. 2 StPO) auszulegen ist. Der Antrag des Angeklagten ist statthaft und fristgerecht gestellt, hat aber im Ergebnis keinen Erfolg. Allerdings führt er zur Aufhebung des Beschlusses , mit dem das Landgericht die Revision als unzulässig verworfen hat. Zu dieser Entscheidung war das Landgericht nicht befugt. Seine Befugnis zur Verwerfung der Revision ist auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen der Beschwerdeführer die für die Einlegung und Begründung des Rechtsmittels vorgeschriebenen Formen und Fristen nicht gewahrt hat (§ 346 Abs. 1 StPO). Soweit die Revision dagegen aus einem anderen Grund als unzulässig zu verwerfen ist, steht die Befugnis hierzu allein dem Revisionsgericht zu (BGH, Beschlüsse vom 14. Januar 2005 - 2 StR 512/04 - und vom 15. März 2005 - 4 StR 17/05). Dies gilt auch dann, wenn ein solcher Grund mit Mängeln der Formund Fristeinhaltung zusammentrifft, also etwa - wie hier - die Revision nach wirksamem Rechtsmittelverzicht zwar fristgerecht eingelegt worden ist, aber nicht formgerecht begründet wurde (§ 345 Abs. 2 StPO; vgl. BGH NStZ 1999, 526; 2000, 217; BGH, Beschlüsse vom 7. Juni 2001 - 4 StR 149/01 - und vom 14. Januar 2005 - 2 StR 512/04).
Demgemäß obliegt es hier dem Revisionsgericht, die Revision zu verwerfen (§ 349 Abs. 1 StPO). Sie ist unzulässig, weil der Angeklagte wirksam auf Rechtsmittel gegen das Urteil verzichtet hat (§ 302 Abs. 1 Satz 1 StPO). An die Verzichtserklärung ist der Angeklagte gebunden; sie kann grundsätzlich weder angefochten noch zurückgenommen oder widerrufen werden. Gründe, die ausnahmsweise zur Unwirksamkeit der Verzichtserklärung führen könnten, sind nicht ersichtlich. Auch sein Vortrag, er sei in der Hauptverhandlung infolge des Einflusses seiner Rechtsanwälte, welche ihm im Hinblick auf eine mildere Strafe zu einem falschen Geständnis geraten hätten, und der "dadurch ausgelösten Panik für die dann fortlaufende Verhandlung geistig nicht mehr aufnahmefähig gewesen" und habe unbewußt nur das nachgesprochen, was ihm die Anwälte vorgesagt hätten, ändert hieran nichts; denn weder sind der Strafkammer Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten erwachsen, noch sind aus dem eigenen Vortrag des Angeklagten Anhaltspunkte ersichtlich, welche auf eine Drohung, Täuschung oder sonstige unzulässige Willensbeeinflussung hindeuten. Nack Wahl Kolz Elf Graf