Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Apr. 2008 - 1 StR 167/08
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs sachlich zusammentreffenden Fällen, davon in drei Fällen zugleich mit Anstiftung zur vorsätzlichen unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zur Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und acht Monaten verurteilt. Zugleich hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und den teilweisen Vorwegvollzug von drei Jahren und sechs Monaten angeordnet. Das Rechtsmittel, das auf die Anordnung des teilweisen Vorwegvollzugs beschränkt worden ist, führt zum Wegfall der Unterbringungsanordnung (§ 349 Abs. 4 StPO).
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- I. Die Beschränkung des Rechtsmittels allein auf die Anordnung des teilweisen Vorwegvollzugs der neben der Maßregel verhängten Freiheitsstrafe ist hier unwirksam; es erfasst den gesamten Maßregelausspruch. Die Frage des Vorwegvollzugs kann hier nicht losgelöst von der Frage der Anordnung der Maßregel beurteilt werden, da die Dauer des Vollzugs auch von der Einschätzung der Behandlungsbedürftigkeit abhängt (vgl. BGH, Beschl. vom 18. Dezember 2007 - 3 StR 516/07).
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- II. Die Unterbringungsanordnung kann nicht bestehen bleiben.
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- 1. Auch nach Umgestaltung des § 64 Abs. 1 StGB durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl I 1327) in eine „SollVorschrift“ hat der Tatrichter zunächst festzustellen, ob beim Angeklagten ein Hang vorliegt, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Von einem Hang ist auszugehen, wenn eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung besteht, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad physischer Abhängigkeit erreicht haben muss (vgl. nur BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 5; Hanack in LK-StGB 11. Aufl. § 64 Rdn. 40). „Im Übermaß“ bedeutet, dass der Täter berauschende Mittel in einem solchen Umfang zu sich nimmt, dass seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt wird (BGH NStZ-RR 2004, 39, 40). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat die sachverständig beratene Strafkammer in den Urteilsgründen nicht darzulegen vermocht.
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- Nach den Feststellungen ist der Angeklagte „polytoxikoman“. Seit seinem 14. Lebensjahr soll er Alkohol konsumiert haben und „in Kontakt mit Be- täubungsmitteln“ gewesen sein. Aus „gelegentlichem Haschischkonsum“ habe sich „ein regelmäßiger Konsum dieser Droge“ entwickelt. Mit 18 Jahren habe er „regelmäßig Amphetamine“ konsumiert. „Gelegentlich“ seien auch andere Drogen , „etwa Heroin“, hinzugekommen. Bei seiner Inhaftierung habe er „unter Entzugserscheinungen wie Schweißausbrüchen und Schlafstörungen“ gelitten. Darüber hinaus habe der Angeklagte eine ausgeprägte Leidenschaft zum Spielen an Automaten, die sich als „unmittelbare Folgeerscheinung der Suchtmittelabhängigkeit“ darstelle. Nähere Einzelheiten über das Bestehen des Hangs bei Begehung der einzelnen Taten teilen die Urteilsgründe nicht mit.
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- 2. Unabhängig davon ist nicht erkennbar, dass die abgeurteilten Taten Symptomwert für einen Hang des Angeklagten zum Missbrauch berauschender Mittel haben, sich also in ihnen seine hangbedingte Gefährlichkeit äußert, wie dies etwa bei Beschaffungskriminalität typisch ist. Eine solche Annahme liegt hier schon deshalb fern, weil der Angeklagte mit seinem Vater und seinem Bruder eine Vielzahl von gut organisierten Einkaufsfahrten nach V. -- in den Niederlanden getätigt, zur Reduzierung des eigenen Risikos teilweise professionell das Rauschgift über einen Kurier nach Deutschland eingeführt hat, um es dann hier gewinnbringend zu veräußern.
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- 3. Der Senat kann ausschließen, dass eine neue Verhandlung Feststellungen ergeben könnte, die eine den Angeklagten beschwerende Unterbringungsanordnung (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO) rechtfertigen. Er erkennt daher entsprechend § 354 Abs. 1 StPO auf deren Wegfall (vgl. Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl. § 354 Rdn. 26f m.w.N.). Nack Boetticher Kolz Elf Sander
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.
(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.
(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.
(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.
(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.
(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.