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| Der antragstellende Betriebsrat begehrt die Einsetzung einer Einigungsstelle zu den Verteilungskriterien bei Auflösung eines von dem Arbeitgeber zum Zweck der Einführung des vom Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e. V. und der IG-Metall geschlossenen Entgeltrahmen-Tarivertrag (künftig ERA-TV) im Betrieb des Arbeitgebers gebildeten Anpassungsfonds. |
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| Sämtliche Arbeitsverträge der bei dem Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer enthalten neben individuellen Regelungen eine Bezugnahme auf die Tarifverträge für die Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden. Der Arbeitgeber ist jedoch nicht Mitglied des Arbeitgeberverbands der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e. V.. Hinsichtlich der beispielhaft vom Betriebsrat vorgelegten von dem Arbeitgeber für einzelne Beschäftigtengruppen verwendeten Anstellungsverträge wird auf Abl. 11 ff. verwiesen. |
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| Im Jahre 2003 schlossen der Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e. V. und die IG-Metall Bezirk Baden-Württemberg mehrere Tarifverträge ab, auf deren Grundlage ein neues im ERA-TV geregeltes Tarifsystem eingeführt wurde. Im Jahr 2004 legten die Tarifvertragsparteien die Einführungsphase für dieses neue Tarifsystem auf die Zeit vom 01.03.2005 bis 29.02.2008 fest. Für den Übergang der Tarifsysteme vereinbarten die Tarifvertragsparteien in dem Tarifvertrag ERA-Anpassungsfonds vom 18.12.2003 den Aufbau von betrieblichen Anpassungsfonds, in die ab 01.06.2002 ein Teil der tariflich vereinbarten Entgelterhöhungen fliesen sollte. Am 10.06.2006 vereinbarten die Tarifvertragsparteien eine Regelung zum ERA-Anpassungsfonds mit folgendem Inhalt: |
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| 1. Ergänzend und in Abänderung der Regelungen in § 4 d) und e) TV ERA-Anpassungsfonds wird folgende Regelung für Sonderfälle getroffen: |
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| Steht fest, dass der Entgeltrahmentarifvertrag in einem Betrieb oder einem Betriebsteil nicht eingeführt wird (z. B. in Fällen Ausgliederung, Fusion oder Schließungen), findet eine weitere Zuführung zum ERA-Anpassungsfonds insoweit nicht statt. Stattdessen erhalten diejenigen Beschäftigten, auf Basis deren tariflicher Entgelte die Zuführung zum Anpassungsfonds berechnet werden würde, die jeweils ansonsten zu leistenden Zuführungen zum Anpassungsfonds anteilig ausgezahlt. |
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| Außerdem ist, basierend auf der aktuellen Anzahl der Beschäftigten, die zum Aufbau des Anpassungsfonds mit beigetragen haben, die anteilige Summe für den betroffenen Betrieb oder Betriebsteil zu ermitteln und an die berechtigten Beschäftigten dieses Betriebs oder Betriebsteils auszuzahlen. Ist nur ein Betriebsteil betroffen, werden die Mittel des ERA-Anpassungsfonds des Betriebs entsprechend den aktuellen Beschäftigtenzahlen aufgeteilt. Teilzeitkräfte werden entsprechend ihrer Arbeitszeit anteilig berücksichtigt. Die Einzelheiten sind in einer Betriebsvereinbarung zur regeln. |
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| 2. Diese Regelung tritt mit Unterschrift in Kraft. Sie findet keine Anwendung auf Betriebsstilllegungen, Teilübergänge oder entsprechende Vorgänge, die vor Abschluss dieser Regelung eingetreten sind. Sie endet ohne Nachwirkung zum 28.02.2013. |
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| Der Arbeitgeber ging zunächst davon aus, dass er aufgrund der arbeitsvertraglichen Inbezugnahme der Tarifverträge der Metallindustrie zur Einführung des neuen Entgeltsystems verpflichtet sei. Zum Zweck der Einführung des ERA-TV hat der Arbeitgeber daher einen Anpassungsfonds gebildet und ihm vom 01.06.2002 bis 31.12.2006 den dafür vorgesehenen Teil der Tariflohnerhöhungen zugeführt. Hierbei erreichte der Ausgleichsfonds ein Volumen von ca. 371.000,00 EUR. |
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| Im Jahre 2008 teilte der Arbeitgeber dem Betriebsrat mit, dass eine Einführung des ERA-TV nicht erfolgen werde. Aufgrund der fehlenden Tarifbindung des Arbeitgebers fehle es an einer entsprechenden Verpflichtung. Auch habe keine Verpflichtung zum Aufbau des Anpassungsfonds bestanden. Eine Auszahlung des Ausgleichsfonds an die Mitarbeiter lehnte der Arbeitgeber zuletzt ab. |
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| Der Betriebsrat, der früher die Auffassung vertreten hatte, die Einführung des ERA-TV könne nicht alleine auf Grundlage der arbeitsvertraglichen Inbezugnahme der Tarifverträge der Metallindustrie erfolgen, sondern erfordere einen Firmenvertrag, vertritt nunmehr die Auffassung, der Arbeitgeber sei an die Tarifverträge zur Einführung des neuen Entgelttarifsystems gebunden. Aus diesem Grunde sei der Arbeitgeber verpflichtet, bei Nichteinführung dieses Tarifsystems den ERA-Anpassungsfonds an die Mitarbeiter gemäß den tarifvertraglichen Regelungen auszuzahlen. Hinsichtlich der Verteilungskriterien bei der Auszahlung bestehe ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. |
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| Der Betriebsrat beantragt: |
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| 1. Zum Vorsitzenden einer einzurichtenden Einigungsstelle im Betrieb der Antragsgegnerin wird Herr D., Richter am Arbeitsgericht M. eingesetzt zur Regelungsfrage: |
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| Abschluss einer Betriebsvereinbarung zu den Verteilungskriterien bei der Auszahlung des ERA-Anpassungsfonds an die im Zeitraum 2002 bis 2006 einschließlich einzuzahlenden Arbeitnehmer im Sinne von § 5 Abs. 1 BetrVG. |
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| 2. Die Zahl der Beisitzer wird für jede Seite auf drei Personen festgelegt. |
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| Der Arbeitgeber beantragt, |
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| den Antrag zurückzuweisen. |
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| Der Arbeitgeber meint, er sei zur Einführung des Entgeltrahmentarifvertrages aufgrund der bloßen arbeitsvertraglichen Inbezugnahme der Tarifregelungen nicht verpflichtet. Dies ergebe sich bereits aus dem Umstand, dass die Vergütung der Mitarbeiter in den Arbeitsverträgen individuell regelt sei. Hinzu komme, dass die Begründung und Ausgestaltung der Verpflichtung des Arbeitgebers zur Einführung der neuen Vergütungsstrukturen in den Tarifverträgen über die Einführung des Entgeltrahmentarifvertrags mittels Betriebsnormen beziehungsweise betriebsverfassungsrechtlichen Normen geregelt sei. Diese würden von einer arbeitsvertraglichen Inbezugnahme nicht erfasst. |
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| Der Antrag ist zulässig und überwiegend begründet. Die vom Betriebsrat angerufene Einigungsstelle ist gemäß § 76 Abs. 1 BetrVG zu bilden. Sie ist zur Regelung der Verteilungskriterien bei einer Auszahlung des ERA-Anpassungsfonds nicht offensichtlich unzuständig. |
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| 1. Wegen einer fehlenden Zuständigkeit der Einigungsstelle kann der Antrag auf deren Bildung nur verweigert werden, wenn diese offensichtlich unzuständig ist, § 98 Abs. 1 Satz 2 ArbGG. Eine solche offensichtliche Unzuständigkeit ist anzunehmen, wenn sich die beizulegende Streitigkeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat bei fachkundiger Beurteilung sofort und erkennbar keinem mitbestimmungspflichtigen Tatbestand zuordnen lässt (vgl. LAG Baden-Württemberg 13.03.2006 - 13 TaBV 15/05 - Juris). |
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| 2. Im vorliegenden Fall kommt ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG in Betracht. Daneben könnte zudem ein Mitbestimmungsrecht aufgrund der tarifvertraglichen Bestimmung der Vereinbarung vom 10.10.2006 hinzutreten, wonach die Einzelheiten der Auszahlung des ERA-Anpassungsfonds in einer Betriebsvereinbarung zu regeln sind.. |
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| Ob ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrat tatsächlich besteht, hängt hier von der Frage ab, ob der Arbeitgeber infolge der arbeitsvertraglichen Inbezugnahme der Tarifverträge für die Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden, namentlich an die tarifvertraglichen Regelungen zum ERA-Anpassungsfonds und der tariflichen Vereinbarung vom 10.10.2006 gebunden ist. Dies wiederum bestimmt sich nach der Beantwortung der in der Literatur streitigen und von der Rechtsprechung bislang nicht beantworteten Rechtsfrage, ob bzw. inwieweit Betriebsnormen und betriebsverfassungsrechtliche Normen von der arbeitsvertraglichen Inbezugnahme eines Tarifvertrags erfasst werden. Angesichts der ungeklärten und streitigen Rechtsfrage besteht keine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle. |
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| 3. Bei der vom Betriebsrat angestrebten Regelung der Verteilungskriterien der Auszahlung des ERA-Anpassungsfonds würde es sich um eine Frage der Lohngestaltung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG handeln. Allerdings wäre die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig, wenn feststehen würde, dass der beim Arbeitgeber gebildete ERA-Anpassungsfonds nicht ausbezahlt wird. |
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| a) Die Vereinbarung von Verteilungskriterien für eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers scheidet hier aus, denn dieser hat klargestellt, dass er sich entschieden hat, freiwillig kein Auszahlungsvolumen zur Verfügung zu stellen. |
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| b) Es ist aber nicht evident ausgeschlossen, dass der Arbeitgeber durch die arbeitsvertragliche Inbezugnahme der Tarifverträge dazu verpflichtet ist, entsprechend der am 10.10.2006 von den Tarifvertragsparteien geschlossenen Regelung zum ERA-Anpassungsfonds in Verbindung mit § 4 e) TV ERA-Anpassungsfonds die dort angesammelten Mittel an die Beschäftigten auszubezahlen. Voraussetzung für eine solche Verpflichtung des Arbeitgebers wäre, dass durch die arbeitsvertragliche Inbezugnahme der Tarifverträge der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden die Regelungen des Tarifvertrags ERA-Anpassungsfonds und die tarifliche Vereinbarung vom 10.10.2006 erfasst wurden. |
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| Die tarifvertragliche Regelung zur Bildung des Anpassungsfonds stellt eine Betriebsnorm im Sinne von § 1 Abs. 1 TVG dar. Betriebsnormen betreffen Regelungen, die über das einzelne Arbeitsverhältnis hinaus reichen. Immer dann, wenn eine Regelung nicht Inhalt eines Individualarbeitsvertrages sein kann, handeln es sich um Betriebsnormen und nicht um Inhalts- oder Abschlussnormen (vgl. BAG 26.04.1990 -1 ABR 84/87 - NZA 1990,850; 07.11.1995 - 3 AZR 676/94 - NZA 1996, 1214). |
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| Bei der tarifvertraglichen Regelung der Vereinbarung vom 10.10.2006, mit der bestimmt wird, dass die Einzelheiten der Auszahlung des Anpassungsfonds in einer Betriebsvereinbarung zu regeln sind, dürfte es sich um eine betriebsverfassungsrechtliche Norm im Sinne von § 1 Abs. 1 TVG handeln. |
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| Ob bzw. inwieweit individualvertragliche Inbezugnahmen lediglich Inhaltsnormen oder auch Betriebsnormen und betriebsverfassungsrechtliche Normen erfassen, ist in der Rechtsprechung soweit ersichtlich, bislang nicht geklärt und in der Literatur umstritten. Teilweise wird zwar vertreten, dass eine arbeitsvertragliche Inbezugnahme von Tarifverträgen ausschließlich Inhaltsnormen erfasse, (so Löwisch/Rieble, TVG, 2. Auflage, § 3 Rnr. 175 und 253; Oetker in: Wiedemann, TVG, 7. Auflage, § 3 Rn. 246 m. w. N.). Die Gegenansicht vertritt jedenfalls hinsichtlich der Reichweite der nach § 613 a Abs. 1 BGB im Falle des Betriebsübergangs erfolgenden Transformation tarifvertraglicher Regelungen in eine Individualvereinbarung die Auffassung, dass auch Betriebsnormen erfasst werden, soweit diese zugleich den Inhalt der Arbeitsverhältnisse gestalten (Preis in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 8. Auflage, § 613 a Rn. 117 m. w. N.), beziehungsweise betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Normen erfasst werden, deren Inhalt auch durch vertragliche Einheitsbedingungen regelbar wäre (Kempen in: Kempen/Zachert, TVG, 4. Auflage, § 3 Rn. 102; Lorenz in: Däubler, TVG, 2. Auflage, § 3 Rn. 196 m. w. N.). Möglicherweise hängt die Reichweite einer arbeitsvertraglichen Inbezugnahme davon ab, ob die betriebliche oder betriebsverfassungsrechtliche Regelung die Rechte (gegebenenfalls auch erst künftiger) Arbeitnehmer berühren würde, deren Arbeitsvertrag keine entsprechende tarifvertragliche Inbezugnahme enthält (vgl. Däubler a. a. O.). Eine solche rechtliche Betroffenheit unbeteiligter Arbeitnehmer liegt bei kollektiven Regelungen der Betriebsparteien, die alleine ein in Bezug genommenes Tarifentgelt betreffen, nicht von vornherein nahe. |
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| Wie unsicher die Beantwortung der aufgezeigten Rechtsfrage ist, zeigt sich auch darin, dass beide Betriebsparteien und die sie beratenden Verbände in der Beurteilung der Bindung an die Tarifverträge zur Einführung des Entgeltrahmen-Tarifvertrags wegen der mit der Einführung des neuen Entgeltsystems verbundenen Betriebsnormen und betriebsverfassungsrechtlichen Normen geschwankt und ihren Standpunkt im Laufe der Einführungsphase jeweils wechselseitig ins Gegenteil verändert haben. |
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| 4. Eine evidente Unzuständigkeit der Einigungsstelle ergibt sich auch nicht daraus, dass die arbeitsvertragliche Inbezugnahme der Tarifverträge der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden sich von vornherein nicht auf das tarifvertragliche Entgeltsystem beziehen würde. Zwar verweisen die beim Arbeitgeber verwandten Arbeitsverträge unstreitig lediglich auf die Tarifverträge, soweit keine andere individuelle Regelung getroffen wird. In den vom Betriebsrat beispielhaft vorgelegten Arbeitsverträgen des Arbeitgebers wird aber bei der Vergütung ausdrücklich ein tarifliches Entgelt ausgewiesen. Dies ist als deklaratorische Mitteilung der derzeitigen Vergütung zur werten, die die Inbezugnahme des jeweiligen tariflichen Entgeltsystems nicht einschränkt. |
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| 5. Nach dem von Seiten des Arbeitgebers gegen den vom Betriebsrat vorgeschlagenen Einigungsstellenvorsitzenden und gegen die Zahl der Beisitzer keine Einwendungen erhoben wurden, konnte insoweit dem Antrag des Betriebsrats gefolgt werden. Bei dem vom Betriebsrat vorgeschlagenen Vorsitzenden handelt es sich um einen erfahrenen Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit, der auch über umfassende Erfahrungen als Einigungsstellenvorsitzender verfügt. Im Hinblick auf die Schwierigkeit der zu beantwortenden Frage erscheint auch die vorgeschlagene Anzahl der Beisitzer als angemessen. |
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| 6. Vornehmlich aus Klarstellungsgründen wurde die Formulierung der Regelungsfrage der Einigungsstelle gegenüber dem Antrag des Betriebsrats neu gefasst. Im Rahmen des Beschlussverfahrens über die Besetzung der Einigungsstelle können nicht bereits Vorgaben für die von den Betriebsparteien beziehungsweise der Einigungsstelle zu bestimmenden Verteilungskriterien gemacht werden. Ob eine Auszahlung an die im Zeitraum 2002 bis 2006 einzahlenden Arbeitnehmer erfolgt oder sich aus den den Betriebsparteien übertragenen Ermessen auch unter Berücksichtigung der tarifvertraglichen Regelungen eine andere Definition der Gruppe der Begünstigten ergibt, kann erst die Einigungsstelle selbst klären. Soweit hiermit eine Einschränkung des Antrages des Betriebsrats verbunden ist, war der Antrag zurückzuweisen. |
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