Amtsgericht Tübingen Urteil, 07. Nov. 2005 - 12 Cs 15 Js 11522/2005

bei uns veröffentlicht am07.11.2005

Tenor

1. Der Angeklagte ... ist schuldig des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.

Er wird deswegen verwarnt.

Die Verurteilung zu einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu je 15,- EUR bleibt vorbehalten.

2. Der bei ihm am 30.04./01.05.2005 sichergestellte Anstecker (Bl. 42 der Akte) wird eingezogen.

3. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen.

Strafvorschriften: §§ 86 Abs. I, 86 a Abs. I Nr. 1, 92 b, 74 StGB.

Gründe

 
I.
Der am ... in ... geborene ... ist bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten. Er studiert in Tübingen im 5. Semester .... Von seinen Eltern erhält er ... Unterhalt monatlich.
II.
In der Nacht vom 30.04. auf den 01.05.2005 beim "Mai-Einsingen" der Landsmannschaft "Ghibellinia im CC" trug der Angeklagte, der sich zunächst in der Zuschauermenge aufhielt und schließlich im Bereich der Mühlstraße in Tübingen angetroffen wurde, an seinem Rucksack außen aufgebracht einen Anstecker mit einem Durchmesser von ca. 3,5 cm, auf dem sich ein schwarzes Hakenkreuz auf weißem Grund befindet, welches ähnlich einem Parkverbotsschild mit einem darüber verlaufenden Querstrich und roter Umrandung versehen war.
Dem Angeklagten war bewusst, dass es sich bei dem Hakenkreuz um ein Kennzeichen einer nationalsozialistischen Organisation handelt, dessen öffentliche Verwendung in der Bundesrepublik Deutschland verboten ist. Den Anstecker hatte er vor längerer Zeit bei einer Friedensdemonstration erworben und auch schon zu Schulzeiten getragen. Er ist nicht bereit, auf ihn zu verzichten. Mit dem Anstecker will der Angeklagte seinen Protest gegen den Nationalsozialismus und Rechtsradikalismus zum Ausdruck bringen und dagegen Widerstand leisten.
III.
Diese Feststellungen beruhen auf den glaubhaften Angaben des Angeklagten, der den Sachverhalt im wesentlichen eingeräumt hat, und der Vernehmung des Zeugen ..., dessen Aussage sich insoweit mit den Angaben des Angeklagten deckt. Des weiteren beruhen die Feststellungen auf der Inaugenscheinnahme des sichergestellten Ansteckers und eines von der Polizei aufgenommenes Lichtbilds (Bl. 10 der Akte).
Glaubhaft ist die Angabe des Angeklagten, dass ihm nicht bekannt war, dass das Tragen dieses Kennzeichens verboten ist.
Die Inaugenscheinnahme hat des weiteren ergeben, dass der Anstecker in seiner Gesamtheit aufgrund der roten Umrandung und des durchstreichenden Querbalkens als Äußerung im Sinne eines Protests oder Widerstands gegen den Nationalsozialismus aufgefasst werden kann. Es ist jedoch aufgrund unterschiedlicher Wahrnehmung und unterschiedlicher Betrachtungs- und Interpretationsintensität auch möglich, primär das Hakenkreuz und erst bei genauerer Betrachtung den denkbaren Sinngehalt des Ansteckers wahrzunehmen.
IV.
Der Angeklagte hat sich damit des Verwendens eines Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation gemäß § 86 a Abs. I Nr. 1 StGB in Verbindung mit § 86 Abs. I StGB schuldig gemacht.
Es ist zu seinen Gunsten von einem Verbotsirrtum auszugehen, der gemäß § 17 Satz 2 StGB zur Folge hat, dass die Strafe zu mildern ist. Denn der Irrtum über das Unrecht der Tat hätte bei rechtzeitiger gehöriger Erkundigung vermieden werden können.
Weder ein Tatbestandsirrtum noch ein Erlaubnistatbestandsirrtum liegen vor.
10 
Der Angeklagte hat willentlich den objektiven Tatbestand des § 86 a Abs. I Nr. 1 StGB verwirklicht. Er hat das Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation, das Hakenkreuz, bewusst benutzt, um seine Gesinnung zum Ausdruck zu bringen und sich gegen Bestrebungen aus dem Personenkreis, der dem rechtsradikalen oder dem nationalsozialistischen Gedankengut nahe steht, zu positionieren und Widerstand zu leisten.
11 
Die Gesinnung des Angeklagten, die sich in der Tat und in seinen Angaben äußert, lässt den objektiven Tatbestand der Vorschrift des § 86 a StGB nicht entfallen. Auf eine, mit strafrechtlichen Mitteln kaum zuverlässig festzustellende, Gesinnung im Sinne eines bekenntnishaften Gebrauchens des Kennzeichens kommt es für die Verwirklichung des objektiven Tatbestands nicht an (BGH NJW 73, 106). Vielmehr ist der Schutzzweck der Norm viel weiter und allgemeiner gefasst, so dass auch die Nutzung zum politischen Kampf und Widerstand diesem zuwiderläuft (BGH NJW 73, 106 f.).
12 
Der Schutzzweck des § 86 a StBG wurde vom Bundesgerichtshof (BGH NJW 73, 106 f.) wie folgt umschrieben:
13 
"Als Schutzzweck der Strafvorschrift ist dabei im einzelnen nicht nur die Abwehr einer Wiederbelebung der verbotenen Organisation oder der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Bestrebungen, auf die das Kennzeichen symbolhaft hinweist, zu verstehen. Die Vorschrift dient auch der Wahrung des politischen Friedens dadurch, dass jeglicher Anschein einer solchen Wiederbelebung sowie der Eindruck bei in- und ausländischen Beobachtern des politischen Geschehens in der Bundesrepublik Deutschland vermieden wird, in ihr gebe es eine rechtsstaatswidrige innenpolitische Entwicklung, die dadurch gekennzeichnet sei, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen der durch das Kennzeichen angezeigten Richtung geduldet würden. Auch ein solcher Eindruck und die sich daran knüpfenden Reaktionen können den politischen Frieden empfindlich stören. § 86 a StGB will auch verhindern, dass die Verwendung von Kennzeichen verbotener verfassungsfeindlicher Organisationen - ungeachtet der damit verbundenen Absichten - sich wieder derart einbürgert, dass das Ziel, solche Kennzeichen aus dem Bild des politischen Lebens in der Bundesrepublik grundsätzlich zu verbannen, nicht erreicht wird, mit der Folge, dass sie schließlich auch wieder von den Verfechtern der politischen Ziele, für die das Kennzeichen steht, gefahrlos gebraucht werden können."
14 
Diesen von § 86 a StGB verfolgten Zielen entspricht es, jegliche Nutzung eines Hakenkreuzes als eindeutiges Kennzeichen einer verfassungsfeindlichen Organisation zu verbieten, sofern nicht gesetzliche Ausnahmen vorliegen oder das Verwenden dieses Kennzeichens dem Schutzzweck erkennbar nicht zuwider läuft. Solche Ausnahmen sind vorliegend nicht gegeben.
15 
Da das Zeichen unterschiedlich wahrgenommen werden kann und möglicherweise in seiner Intention nur bei gründlicher Betrachtung und reflektierter Interpretation verstanden wird, ist darüber hinaus auch sein Missverständnis und der Anschein, in der Bundesrepublik würden wieder diese Kennzeichen benutzt, nicht ausgeschlossen.
16 
Im Unterschied zu den Entscheidungen des BGH (NJW 73, 766 und 768) liegt vorliegend kein Zeichen vor, dass nur entfernt möglicherweise an das Hakenkreuz erinnern würde bzw. dieses entstellt wiedergibt und karikaturistisch verzerrt, sondern es liegt das allgemein bekannte früher von der NSDAP verwandte Zeichen in der dort gebräuchlichen Art und Weise vor. Der einzige Unterschied ist die rote Umrandung und der rote Querbalken, die den Protest signalisieren sollen.
17 
Der Tatbestandsmäßigkeit des § 86 a Abs. I Nr. 1 StGB steht auch nicht entgegen, dass die Anwendung des Tatbestands den Angeklagten in seinen Grundrechten der Meinungsäußerungsfreiheit und der allgemeinen Handlungsfreiheit beschränkt. Dies ist dem Tatbestand des § 86 a Abs. I Nr. 1 StGB, der ein formales Tabu über derartige Kennzeichen verhängt, immanent und vom Gesetzgeber so gewollt. Der Eingriff in die Grundrechte ist auch verhältnismäßig, da es einem jeden Bürger ohne weiteres möglich ist, eine antifaschistische Gesinnung und Widerstand gegen politische Bestrebungen von rechts auch ohne die Nutzung eines Hakenkreuzes zu äußern.
18 
Einen Rechtfertigungsgrund für sein Tun kann der Angeklagte nicht heranziehen, sich daher auch über das Vorliegen eines solchen nicht geirrt haben.
19 
Nachvollziehbar ist es, insbesondere nachdem auch der ihn feststellende Polizeibeamte Unsicherheiten über die Rechtslage geäußert hatte, dass der Angeklagte sich darüber geirrt hat, dass das Verwenden des Hakenkreuzes auf einem solchermaßen gestalteten Anstecker verboten ist. Damit liegt ein Verbotsirrtum im Sinne des § 17 StGB vor, der aber hätte durch entsprechende Information vermieden werden können.
V.
20 
Bei der Strafzumessung ist vom Strafrahmen des § 86 a Abs. I StGB, der Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder Geldstrafe vorsieht, auszugehen. Gemäß § 40 Abs. I Satz 1 StGB sind als Geldstrafe mindestens 5 Tagessätze zu verhängen.
21 
Zugunsten des Angeklagten wirkt sich aus, dass er bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist. Für ihn spricht darüber hinaus seine Absicht, sich politisch kritisch mit dem Problem des Rechtsradikalismus auseinanderzusetzen und nationalsozialistischem Gedankengut etwas entgegenzusetzen. Des weiteren ist die Strafe im Hinblick auf den festgestellten vermeidbaren Verbotsirrtum gemäß §§ 17 Satz 2, 49 Abs. 1 StGB zu mildern.
22 
Unter Berücksichtigung all dieser für den Angeklagten sprechenden Umstände und bei einer Gesamtwürdigung der Tat und der Persönlichkeit des Täters ist es angezeigt, den Angeklagten vorerst von der Verurteilung zu verschonen, ihn zu verwarnen und die Verurteilung zu der tat- und schuldangemessenen Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu je 15,00 EUR vorzubehalten, wobei sich die Tagessatzhöhe an seinen derzeitigen finanziellen Verhältnissen orientiert. Die Verteidigung der Rechtsordnung gebietet die Verurteilung zur Strafe aufgrund der vorliegenden Umstände nicht.
23 
Da der Angeklagte nicht bereit war, auf den Sticker zu verzichten, ist dieser gemäß § 92 b StGB einzuziehen.
VI.
24 
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 464, 465 Abs. I StPO.

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Strafgesetzbuch - StGB | § 17 Verbotsirrtum


Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Konnte der Täter den Irrtum vermeiden, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

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