Amtsgericht Neumünster Urteil, 23. Feb. 2010 - 31 C 750/09
Gericht
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einem Reiserücktrittskosten-Versicherungsvertrag in Anspruch.
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Am 18.10.2008 buchte die Klägerin bei der Firma Expedia.de für sich, ihren Sohn und dessen Freund eine Flugreise nach Orlando für den 23.07.2009 (Hinreisetag) bzw. den 14.08.2009 (Rückreisetag). Insoweit wird Bezug genommen auf Blatt 11 ff., Blatt 54 ff. d. A..
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Zeitgleich schloss die Klägerin mit der Beklagten einen Reiserücktrittskosten-Versicherungsvertrag unter Einbeziehung der AVB RR 08 (Anlage B 1= Blatt 35-36 d. A.).
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Am 19.02.2009 stornierte die Klägerin die Reise. Die Expedia.de behielt von dem gezahlten Reisepreis als Stornogebühr 2.623,23 Euro ein.
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Mit Schreiben vom 01.03.2009 (Blatt 37 d. A.) wandte sich die Klägerin an die Beklagte. Dazu fügte sie ein Schreiben der Gesellschaft für Einzelhandels- und Tankstellengeschäfte mbH (GET) vom 12.02.2009 vom 12.02.2009 (vgl. Blatt 9 = Blatt 38 d. A.) bei. Die Klägerin führte in dem Schreiben vom 01.03.2009 aus, wie die Beklagte den Unterlagen entnehmen könne, beginne sie ab 01.07.2009 eine neue Arbeit und bekomme natürlich noch keinen Urlaub, so dass sie die Reise leider habe stornieren müssen. In dem beigefügten Schreiben der GET vom 12.02.2009 heißt es, die Stelle sei zum 01.07.2009 neu zu besetzen. Da es sich um die Haupturlaubszeit handele und die Urlaubsplanungen der Mitarbeiter für diesen Zeitraum bereits abgeschlossen seien, habe man dem Urlaubsantrag nicht entsprechen können. Es werde gebeten, kurzfristig mitzuteilen, ob die Klägerin ab 01.07.2009 als neue Mitarbeiterin zur Verfügung stehe.
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Mit Schreiben vom 05.03.2009 (Blatt 39 d, A,.) lehnte die Beklagte eine Zahlung ab: Versicherungsschutz bestehe nur, wenn die Reise infolge eines in § 2 Nr.1 AVB-RR genannten Ereignisses abgesagt werde. Hierbei handele es sich um eine abschließende Aufzählung. Die Reise sei hingegen wegen der angenommenen Stelle im Hause des Arbeitgebers storniert worden. Dies stelle kein versichertes Ereignis dar.
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Mit Schreiben ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 11.03.2009 (Blatt 13,14 = Blatt 40,41 d, A,.) wurde der Auffassung der Beklagten widersprochen: In den Angebotsbedingungen heiße es u. a., dass die Leistungspflicht auch bei einem Arbeitsplatzwechsel gegeben sei.
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Mit Schreiben vom 16.03.2009 (Blatt 42 d. A..) wies die Beklagte den Klägervertreter darauf hin, dass nicht die AVB-RR 09, sondern die AVB-RR 08 für den mit der Klägerin geschlossenen Versicherungsvertrag gültig sei.
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Mit Schreiben vom 31.03.2009 (Blatt 21= Blatt 53 d. A.) antwortete der Klägervertreter, nach Rücksprache mit der Klägerin werde mitgeteilt, dass diese im Wesentlichen von der Reise zurückgetreten sei aufgrund der Erkrankung beider Elternteile. Dies sei der entscheidende Grund für den Rücktritt von der Reise gewesen. Diesem Schreiben fügte der Klägervertreter eine ärztliche Bescheinigung des … vom 25.03.2009 (Blatt 20 d. A.) und des … vom 24.03.2009 (Blatt 19 d. A.) bei.
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Mit Schreiben vom 03.04.2009 (Blatt 22 d. A.) wiederholte die Beklagte ihre ablehnende Haltung: Aus den bislang vorgelegten Unterlagen gehe eindeutig hervor, dass die Stornierung der Reise aufgrund eines Arbeitsplatzwechsels erfolgt sei. Die jetzt genannten Erkrankungen der Eltern der Klägerin halte man für vorgeschoben.
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Unter Bezugnahme auf den Versicherungsvertrag verlangt die Klägerin 80 % der ihr entstandenen Stornokosten.
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Die Klägerin trägt vor, sie habe die Reise aus mehreren Gründen storniert. Der Hauptgrund seien die schweren Erkrankungen beider Elternteile gewesen. Ihre Mutter sei mit einer Endoprothesenversorgung des rechten Schultergelenkes am 19.01.2009 erkrankt. Dann habe sich herausgestellt, dass auch das linke Schultergelenk im Mai 2009 mit einer Endoprothese versorgt werden müsse. Bei dem Vater sei am 18.01.2009 eine Hüftendoprothese angelegt worden, wobei es im weiteren Verlauf der Behandlung zu massiven Komplikationen gekommen sei, so dass er notfallmäßig am 21.01.2009 in die Klinik Damp habe verlegt werden müssen. Bei dem Vater sei ein Lungenkarzinom festgestellt worden. Beide Elternteile seien daher extrem hilfebedürftig gewesen. Da sie sich die Versicherungsbedingungen 2009 ausgedruckt und danach angenommen habe, dass der Arbeitsplatzantritt zur Darlegung des Versicherungsfalles genüge, habe sie die Erkrankung der Eltern zunächst nicht erwähnt. Sie habe ihre Eltern in diese Angelegenheit nicht einbeziehen, sondern schonen wollen. Letztlich habe sie ihre Arbeitsstelle aufgrund der schweren Erkrankung ihrer Eltern nicht antreten können.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.098,58 Euro nebst 5 Prozent Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte erwidert, die Voraussetzungen der §§ 1,2 AVB-RR 08, die für diesen Vertrag allein maßgeblich seien, seien nicht gegeben. Storniert worden seien die Flüge, weil die Klägerin ab dem 01.07.2009 eine neue Arbeitsstelle habe antreten wollen und von ihrem Arbeitgeber keine Urlaubsgenehmigung erhalten habe. Dies sei kein versichertes Ereignis. Eine Erkrankung der Angehörigen sei unstreitig nicht erwähnt worden. Hierauf habe die Stornierung auch nicht beruht. Anderenfalls ließe sich nicht erklären, aus welchem Grunde die Klägerin noch Anfang Februar 2009 einen Urlaubsantrag gestellt habe. Im Übrigen wäre die Beklagte auch deshalb leistungsfrei, weil die Klägerin in ihrem Schreiben vom 01.03.2009 vorsätzlich falsche Angaben gemacht habe.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird ergänzend Bezug genommen auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Zahlungsanspruch aus dem Versicherungsvertrag.
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Es liegt kein Versicherungsfall vor.
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Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die AVB-RR 08 für die Leistungspflicht der Beklagten maßgebend sind.
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Nach § 2 AVB-RR 08 besteht Versicherungsschutz nur, wenn die planmäßige Durchführung der Reise nicht zumutbar ist, weil die versicherte Person selbst oder eine Risikoperson während der Dauer des Versicherungsschutzes von einem der nach-stehenden Ereignisse betroffen wird:
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- unerwartete schwere Erkrankung
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- Verlust des Arbeitsplatzes der versicherten Person .... aufgrund einer unerwarteten betriebsbedingten Kündigung des Arbeitsplatzes durch den Arbeitgeber;
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- unerwartete Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses durch die versicherte Person oder eine mitreisende Risikoperson, sofern diese Person bei der Reisebuchung arbeitslos gemeldet war;
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Zu den Risikopersonen zählen nach § 2 Ziff. 2 AVB-RR 08 u. a. die Eltern der versicherten Person.
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Zur Begründung ihrer Klage führt die Klägerin allein die unerwartete schwere Erkrankung ihrer Eltern an. Dass ein weiteres versichertes Ereignis i. S. d. § 2 AVB-RR 08 gegeben gewesen wäre, lässt sich dem Vortrag der Klägerin nicht entnehmen.
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Zwar wird - wohl auch nach dem unstreitigen Sachverhalt - für den Zeitpunkt der Stornierung der Reise von einer schweren Erkrankung der Eltern der Klägerin (i. S. d. § 2 AVB-RR 08) auszugehen sein. Fraglich dürfte insoweit allein sein, ob von einer „unerwarteten" Erkrankung die Rede sein kann. Eine unerwartete schwere Erkrankung kann auch vorliegen, wenn eine versicherte Person zwar an einer dauernden Beeinträchtigung oder an einer dauernden Krankheit leidet, die aber der Durchführung der Reise nicht entgegensteht und plötzlich ein gesundheitlicher Einbruch auftritt, der die Reisefähigkeit ausschließt. Andererseits sind bestehende Dauererkrankungen nicht mitreisender Risikopersonen auch dann nicht als unerwartete schwere Erkrankung zu bewerten, wenn eine Wendung im Befinden ein-tritt und Pflegebedürftigkeit entsteht. Nach allgemeiner Lebenserfahrung muss bei schweren Krankheiten mit dem Auftreten von Komplikationen und mit verzögertem Heilverlauf gerechnet werden (vgl. hierzu van Bühren/Nies, Reiseversicherung, 2. Auflage, § 1 ABRV Rn 94 ff. m. w. N.).
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Es kann dahingestellt bleiben, wie in diesem Zusammenhang die Krankheitsverläufe der Eltern der Klägerin zu bewerten sind.
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Denn nach allgemeiner Auffassung setzt ein Anspruch aus der Reiserücktritts-kostenversicherung voraus, dass das versicherte Ereignis für den Nichtantritt der Reise oder deren Abbruch bestimmend, also kausal war; dies ist zu verneinen, wenn das versicherte Ereignis zwar objektiv gegeben, für den Entschluss des Versicherungs-nehmers aber nicht maßgebend war (vgl. Prölss VVG, 27. Auflage, § 2 ABRV Rn 23; van Bühren/Nies a.a.O. § 1 ABRV Rn 67).
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Die Klägerin ist für den Beweis der Kausalität beweisfällig geblieben. Ihre Ausführungen sind nicht geeignet, dem Gericht die Überzeugung von dem Vorliegen dieser Anspruchsvoraussetzung zu vermitteln. Durchgreifende Zweifel daran, dass für die am 29.02.2009 getroffene Entscheidung, die Reise zu stornieren, der Gesundheitszustand der Eltern maßgebend gewesen sei, ergeben sich aus dem Gesamtverhalten der Klägerin. Die Klägerin hat den Gesundheitszustand ihrer Eltern vor der ablehnenden Entscheidung der Beklagten in keiner Weise zur Begründung angeführt und sogar noch Anfang Februar 2009 versucht, bei der GET Urlaub für die bereits gebuchte Reise zu bekommen.
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Selbst in dem anwaltlichen Schreiben vom 11.03.2009 wird der Gesundheitszustand der Eltern mit keinem Wort zur Begründung angeführt. In dem Schreiben vom 31.03.2009 heißt es, dass nach Rücksprache mit der Klägerin mitgeteilt werde, dass diese im Wesentlichen von der Reise auch zurückgetreten sei aufgrund der Erkrankung beider Elternteile. Schon diese Formulierung stützt die Zweifel der Beklagten an der behaupteten Kausalität. Es ist kaum nachzuvollziehen, aus welchem Grunde die Klägerin nicht jedenfalls ihrem Anwalt gegenüber die Erkrankung ihrer Eltern sogleich angegeben hat, wenn gerade diese der für die Stornierung entscheidende Umstand gewesen sein soll.
Annotations
(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.
(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.
(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.
(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.
(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.
In den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 hat das Gericht auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 709 Satz 2 gilt entsprechend, für den Schuldner jedoch mit der Maßgabe, dass Sicherheit in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages zu leisten ist. Für den Gläubiger gilt § 710 entsprechend.