Amtsgericht Iserlohn Beschluss, 06. Jan. 2016 - 130 F 77/14
Gericht
Tenor
Die Anträge des Antragstellers und derjenige des Jugendamtes werden zurückgewiesen.
Die Gerichtskosten tragen der Beteiligte zu 1) und der Beteilgte zu 2) zu je 1/2.
Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Der Verfahrenswert wird auf 2.000,- € festgesetzt.
1
Gründe:
2I.
3Der Beteiligte zu 2) ist gemeinsam mit N Mutter Vater von zwei Kindern. Sie unterhielten seit Februar 2006 eine Beziehung, aus der T, geb. am 19.02.2007, und U, geb. am 17.01.2011 hervorgegangen sind.
4Nach der Geburt U trennten sich die Kindesmutter und der Beteiligte zu 2), weil die Kindesmutter eine sexuelle Beziehung zum Beteiligten zu 1) aufnahm. Aus dieser Beziehung stammt N. Als die Kindesmutter mit ihr schwanger war, trennte sich der Beteiligte zu 1) von dieser. Obwohl er damals bereits erhebliche Zweifel daran hatte, der Vater N zu sein, erkannte er mit Urkunde des Jugendamtes Hemer die Vaterschaft N an. Ab dieser Zeit kümmerte sich der Beteiligte zu 2) wieder um die Kindesmutter und die Kinder, und zwar sowohl um die gemeinsamen, als auch N. Dabei lebten die Kindesmutter und der Beteiligte zu 2) –wie schon in der Zeit vor der Trennung- allerdings nicht zusammen in einer Wohnung. Der Beteiligte zu 2) hielt sich jedoch nahezu täglich, gelegentlich auch über Nacht, in der Wohnung der Kindesmutter auf und versorgte gemeinsam mit der Kindesmutter die Kinder. Er brachte die Kinder zur Schule bzw. in den Kindergarten, nahm gemeinsam mit ihnen die Mahlzeiten ein, spielte am Nachmittag mit ihnen und brachte sie abends zu Bett.
5Im Februar 2014 nahm die Kindesmutter die Beziehung zum Beteiligten zu 1) wieder auf. Auch dieser lebt allerdings nicht in der Wohnung der Kindesmutter, sondern in einer eigenen Wohnung. Seit dieser Zeit kümmert sich auch der Beteiligte zu 1) um die Kinder, in dem er mit ihnen spielt und die Mahlzeiten einnimmt.
6Auch nach der Zeit, zu der die Kindesmutter die Beziehung zum Beteiligten zu 1) wieder aufgenommen hatte, hielt sich der Beteiligte zu 2) fast täglich in der Wohnung der Kindesmutter auf und pflegte Umgang mit allen drei Kindern.
7Das Gericht hat dem Kind zu Beginn des Verfahrens das Jugendamt Hemer zum Ergänzungspfleger mit dem Aufgabenkreis „Vertretung im Vaterschaftsanfechtungsverfahren“ bestellt.
8Der Beteiligte zu 1) beantragt, festzustellen,
91.
10dass der Beteilgte zu 2) nicht der Vater des am 21.01.2013 in Menden geborenen Kindes N P ist,
112.
12dass er der Vater des Kindes ist.
13Das Jugendamt als Ergänzungspfleger des Kindes beantragt ebenfalls festzustellen,
141.
15dass der Beteilgte zu 2) nicht der Vater des am 21.01.2013 in Menden geborenen Kindes N P ist,
162.
17dass der Beteilgte zu 1) der Vater des Kindes ist.
18Der Beteiligte zu 2) beantragt,
19die Anträge zurückzuweisen.
20Er behauptet, er sei die Bezugsperson für alle drei Kinder, also auch für N. Zwischen ihm und dem Kind bestehe eine sozial-familiäre Beziehung, die eine Anfechtung der Vaterschaft ausschließe.
21Das Gericht hat die Beteiligten, den Verfahrensbeistand des Kindes sowie das Jugendamt persönlich angehört. Von einer Anhörung des Kindes hat es in Anbetracht des Alters des Kindes abgesehen. Es hat zudem Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten Bezug genommen.
22Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.
23II.
24Die Anträge des Jugendamtes für das Kind sind unzulässig.
25Die Zulässigkeit des Anfechtungsantrags des minderjährigen Kindes setzt die Entscheidung des Inhabers der elterlichen Sorge voraus, dass das Kind ihn erheben soll. Bestellt das Gericht einen Ergänzungspfleger für das Kind mit dem Wirkungskreis der Vertretung in einem Anfechtungsverfahren des Kindes, ist darin bei gemeinsamem Sorgerecht der Eltern regelmäßig nicht zugleich auch die konkludente Entscheidung zu sehen, dem anfechtungsunwilligen Elternteil oder gar beiden Eltern insoweit das Sorgerecht zu entziehen und dem Ergänzungspfleger auch die Entscheidung über das "ob" der Anfechtung zu übertragen (BGH FamRZ 2009, 861 ff.). Vorliegend hat die allein sorgeberechtigte Mutter in der mündlichen Verhandlung vom 06.01.2016 eindeutig erklärt, dass sie eine Anfechtung der rechtlichen Vaterschaft des Beteiligten zu 2) ausdrücklich nicht wünscht.
26Die Anträge des Beteiligten zu 1) sind unbegründet.
27Zwar steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest, dass nicht der Beteiligte zu 2), sondern der Beteiligte zu 1) der biologische Vater N ist. Allerdings ist die Anfechtung des Vaterschaftsanerkenntnisses durch den Beteiligten zu 1) wegen § 1600 Abs. 2 BGB ausgeschlossen. Denn zwischen dem Beteiligten zu 2) und N besteht eine sozial-familiäre Beziehung i.S.v. § 1600 Abs. 2 und 4 BGB. Nach den Ermittlungen des Gerichts lässt sich feststellen, dass der Beteiligte zu 2) auch im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung noch die tatsächliche Verantwortung für N trägt. Nach dem letzten Bericht des Verfahrensbeistandes von Mitte November 2015 war es nach wie vor so, dass der Beteiligte zu 2) sich um N kümmerte. Nach ihren Feststellungen, die sie mit tatsächlichen Umständen belegt hat, ist der Beteiligte zu 2) auch heute noch N sozialer Vater und war dies in der Vergangenheit durchgängig. Auch nach den Schilderungen der Kindesmutter hat der Beteiligte zu 2) in der Vergangenheit die Vaterrolle für N eingenommen und durch ihre Betreuung und Versorgung die tatsächliche Verantwortung für sie getragen. Nach deren Schilderung ändert auch eine größere persönliche Distanz zwischen ihr und dem Beteiligten zu 2) nichts an dessen tatsächlicher Fürsorge für N.
28An dem Ausschluss der Anfechtung im Hinblick auf die sozial-familiäre Beziehung zwischen N und dem Beteiligten zu 2) ändert auch der Umstand nichts, dass ein solches wohl auch zwischen N und dem Beteiligten zu 1) besteht. Dabei war sich das Gericht bewusst, dass eine enge Bindung des Kindes auch zu seinem leiblichen Vater die sozial-familiäre Bindung zum rechtlichen Vater so überlagern kann, dass eine Anfechtung der Vaterschaft dennoch möglich ist (vgl. AG Herford FamRZ 2008, 1270 ff.). Eine Gesamtschau aller Umstände gebietet es vorliegend allerdings, die Anfechtungssperre des § 1600 Abs. 2 BGB zu beachten.
29In jedem Fall soll durch sie im Rahmen der Abwägung der Interessen der Beteiligten die ebenfalls von Art. 6 Abs. 1 GG geschützte soziale Elternschaft den Vorrang erhalten. Vorliegend ist aufgrund aller Umstände davon auszugehen, dass der Beteiligte zu 2) eindeutig der soziale Vater N ist. Dies folgt aus der Tatsache, dass er sich seit der Geburt des Kindes um sie gekümmert hat, sie gemeinsam mit der Mutter versorgt und betreut hat. Im Rahmen der letzten mündlichen Verhandlung, in der N anwesend war, ließ sich eindeutig beobachten, dass sie eine gute und gefestigte Beziehung zum Beteiligten zu 2) hat. Sie rief in mit „Papa“ an und suchte seine Nähe.
30Demgegenüber hat sich der Beteiligte zu 1) im Laufe der Zeit als nicht so verlässliche Bezugsperson N gezeigt. So hat er sich bereits während der Schwangerschaft und insbesondere während der ersten 14 Lebensmonate ganz von N ferngehalten. Nach Auskunft der Kindesmutter gegenüber dem Verfahrensbeistand zieht er sich auch von N zurück, wenn er Probleme in der Beziehung zur Kindesmutter hat, wovon aufgrund der persönlichen Lebensumstände, besonders der wechselnd intensiven Beziehungen der Kindesmutter zu beiden Männern, im Laufe der Zeit einige gab und auch in der Zukunft geben dürfte.
31Deshalb erscheint es trotz der feststehenden biologischen Vaterschaft des Beteiligten zu 1) geboten, eine Anfechtung der rechtlichen Vaterschaft des Beteiligten zu 2) auszuschließen.
32Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG.
33Rechtsbehelfsbelehrung:
34Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben. Beschwerdeberechtigt ist derjenige, dessen Rechte durch den Beschluss beeinträchtigt sind. Die Beschwerde ist bei dem Amtsgericht - Familiengericht - Iserlohn, Friedrichstr. 108-110 schriftlich in deutscher Sprache durch einen Rechtsanwalt einzulegen.
35Die Beschwerde muss spätestens innerhalb eines Monats nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses bei dem Amtsgericht - Familiengericht - Iserlohn Friedrichstr. 108-110 eingegangen sein. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses. Fällt das Ende der Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages.
36Die Beschwerde muss die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Sie ist zu unterzeichnen.
37Darüber hinaus muss der Beschwerdeführer einen bestimmten Sachantrag stellen und diesen begründen. Die Frist hierfür beträgt zwei Monate und beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses. Innerhalb dieser Frist müssen der Sachantrag sowie die Begründung unmittelbar bei dem Beschwerdegericht - Oberlandesgericht Hamm, Heßlerstr. 53 - eingegangen sein.
38Dem Anwaltszwang unterliegen nicht Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie Beteiligte, die durch das Jugendamt als Beistand vertreten sind.
Annotations
(1) Berechtigt, die Vaterschaft anzufechten, sind:
- 1.
der Mann, dessen Vaterschaft nach § 1592 Nr. 1 und 2, § 1593 besteht, - 2.
der Mann, der an Eides statt versichert, der Mutter des Kindes während der Empfängniszeit beigewohnt zu haben, - 3.
die Mutter und - 4.
das Kind.
(2) Die Anfechtung nach Absatz 1 Nr. 2 setzt voraus, dass zwischen dem Kind und seinem Vater im Sinne von Absatz 1 Nr. 1 keine sozial-familiäre Beziehung besteht oder im Zeitpunkt seines Todes bestanden hat und dass der Anfechtende leiblicher Vater des Kindes ist.
(3) Eine sozial-familiäre Beziehung nach Absatz 2 besteht, wenn der Vater im Sinne von Absatz 1 Nr. 1 zum maßgeblichen Zeitpunkt für das Kind tatsächliche Verantwortung trägt oder getragen hat. Eine Übernahme tatsächlicher Verantwortung liegt in der Regel vor, wenn der Vater im Sinne von Absatz 1 Nr. 1 mit der Mutter des Kindes verheiratet ist oder mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat.
(4) Ist das Kind mit Einwilligung des Mannes und der Mutter durch künstliche Befruchtung mittels Samenspende eines Dritten gezeugt worden, so ist die Anfechtung der Vaterschaft durch den Mann oder die Mutter ausgeschlossen.
(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.
(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.
(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.
(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.
(1) Das Gericht kann die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen. Es kann auch anordnen, dass von der Erhebung der Kosten abzusehen ist. In Familiensachen ist stets über die Kosten zu entscheiden.
(2) Das Gericht soll die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise einem Beteiligten auferlegen, wenn
- 1.
der Beteiligte durch grobes Verschulden Anlass für das Verfahren gegeben hat; - 2.
der Antrag des Beteiligten von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatte und der Beteiligte dies erkennen musste; - 3.
der Beteiligte zu einer wesentlichen Tatsache schuldhaft unwahre Angaben gemacht hat; - 4.
der Beteiligte durch schuldhaftes Verletzen seiner Mitwirkungspflichten das Verfahren erheblich verzögert hat; - 5.
der Beteiligte einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einem kostenfreien Informationsgespräch über Mediation oder über eine sonstige Möglichkeit der außergerichtlichen Konfliktbeilegung nach § 156 Absatz 1 Satz 3 oder einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einer Beratung nach § 156 Absatz 1 Satz 4 nicht nachgekommen ist, sofern der Beteiligte dies nicht genügend entschuldigt hat.
(3) Einem minderjährigen Beteiligten können Kosten in Kindschaftssachen, die seine Person betreffen, nicht auferlegt werden.
(4) Einem Dritten können Kosten des Verfahrens nur auferlegt werden, soweit die Tätigkeit des Gerichts durch ihn veranlasst wurde und ihn ein grobes Verschulden trifft.
(5) Bundesrechtliche Vorschriften, die die Kostenpflicht abweichend regeln, bleiben unberührt.