Amtsgericht Halle (Saale) Urteil, 21. Jan. 2010 - 93 C 2365/09

ECLI:ECLI:DE:AGHALLE:2010:0121.93C2365.09.0A
bei uns veröffentlicht am21.01.2010

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.199,82 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20. Juli 2009 zu bezahlen.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

1

Der Kläger verlangt eine Nutzungsentschädigung für Räume.

2

Der Kläger wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Halle (Saale) vom 14. Oktober 2008 (Az. 55 L 124/08-2) zum Zwangsverwalter des dem Beklagten gehörenden Grundstücks O…-B…-Straße … in … L… bestellt. Wegen der Einzelheiten, insbesondere der genauen Bezeichnung des Grundstücks, wird auf die Bestallungsurkunde Bl. 8 d. A. verwiesen. Am 26. November 2008 nahm der Kläger das Grundstück in Besitz.

3

Auf dem zwangsverwalteten Grundstück befindet sich ein Haus, welches der Beklagte mit seiner Ehefrau bewohnt. Weitere Personen bewohnen das Grundstück nicht, die erwachsene Tochter des Beklagten kommt nur zu Besuch zu ihren Eltern. Zudem befindet sich auf dem Grundstück eine Garage.

4

Der Kläger behauptet, das Haus habe eine Wohnfläche wie folgt: Im Erdgeschoss eine Wohnfläche von 100,52 m 2 , im Dachgeschoss eine Wohnfläche von 22,66 m 2 sowie im Souterrain eine Wohnfläche von 69,44 m 2 . Wegen der Einzelheiten des diesbezüglichen Vortrages, insbesondere der Zahl und der Größe der einzelnen Zimmer, wird verwiesen auf die Ausführungen auf Seite 3 der Klage (Bl. 3 d. A.). Der Kläger ist der Ansicht, dem Beklagten seien gemäß § 149 Abs. 1 ZVG für seinen Zweipersonenhaushalt nur Räume mit einer Wohnfläche von 70 m2 als unentbehrliche Räume zu überlassen. Für die Nutzung der anderen Räume und der Garage müsse der Beklagte an den Kläger eine Nutzungsentschädigung zahlen, die er mit 629,97 € pro Monat für angemessen hält. Hierbei geht er von einer monatlichen Nutzungsentschädigung von 5,50 € pro m 2 Wohnfläche und von 25,00 € für die Garage aus. Zudem verlangt der Kläger eine Betriebskostenvorauszahlung von 70,00 € pro Monat. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben des Klägers an den Beklagten vom 2. Dezember 2008 (Bl. 21f d. A.) verwiesen. Der Kläger ist der Ansicht, es sei unerheblich, ob die dem Beklagten nicht als unentbehrlich zu überlassenden Räume abtrennbar seien oder gesondert genutzt oder vermietet werden könnten, vielmehr gehe es um einen Vorteilsausgleich dafür, dass dem Beklagten Räume zur Verfügung stehen, die ihm nicht gemäß § 149 Abs. 1 ZVG zu überlassen seien. Es sei auch unerheblich, ob der Beklagte diese Räume tatsächlich nutze.

5

Der Kläger verlangt mit der vorliegenden Klage Nutzungsentschädigung für die Monate Dezember 2008 bis Mai 2009 einschließlich Betriebskostenvorauszahlungen in Höhe von 4.199,82 € (monatlich 699,97 € für sechs Monate).

6

Der Kläger beantragt,

7

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 4.199,82 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

8

Der Beklagte beantragt,

9

die Klage abzuweisen.

10

Der Beklagte hält für sich und seine Frau zwar ebenfalls Räume mit einer Wohnfläche von 70 m 2 für ausreichend. Er ist aber der Ansicht, dass ihm gleichwohl das gesamte Haus unentgeltlich zu überlassen sei, weil die übrigen Räume von den ihm zu überlassenden nicht trennbar seien und daher weder gesondert vermietet noch sonst gesondert genutzt werden könnten. Außerdem behauptet der Beklagte, das Haus habe eine reine Wohnfläche von nur 95,27 m 2 .

11

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14. Januar 2010 verwiesen.

Entscheidungsgründe

12

 Die Klage ist zulässig. Der Zwangsverwalter ist befugt, Ansprüche wegen unberechtigter Nutzung des der Zwangsverwaltung unterliegenden Grundstücks gegen den Schuldner gerichtlich geltend zu machen (BGH, Urteil vom 14. Mai 1992, Az. IX ZR 241/91, zitiert nach juris).

13

Die Klage ist auch begründet. Anspruchsgrundlage ist § 812 Abs. 1 Satz 1. 2. Alternative BGB. Der Beklagte hat auf Kosten des Klägers die Nutzungsmöglichkeit an den Räumen, die ihm nicht gemäß § 149 Abs. 1 ZVG zu belassen sind, ohne rechtlichen Grund erlangt. Dass die Erlangung ohne rechtlichen Grund erfolgt, ergibt sich daraus, dass die Räume dem Beklagten gemäß § 149 Abs. 1 ZVG gerade nicht zu belassen sind. Da es – wie der Kläger zutreffend ausführt – um einen Vorteilsausgleich geht, kommt es weder darauf an, ob der Beklagte die übrigen Räume tatsächlich nutzt, noch darauf, ob die Räume trennbar sind oder gesondert vermietet werden können.

14

Dies entspricht auch der Rechtsprechung des BGH. Der BGH hat entschieden, dass der Zwangsverwalter dem Schuldner die ihm nicht gemäß § 149 Abs. 1 ZVG als unentbehrlich zu überlassenden Räume nur gegen Entgelt überlassen darf (Urteil vom 14. Mai 1992, a.a.O.). Zwar führt der BGH in dem Beschluss vom 20. November 2008 (Az. V ZB 31/08, zitiert nach juris) aus, dass eine Zwangsverwaltung bei einem selbstgenutzten und dem Schuldner nach § 149 Abs. 1 ZVG teilweise zu überlassenden Einfamilienhaus nur dann geeignet sei, zur Befriedigung des Gläubigers zu führen, wenn die dem Schuldner nicht gemäß § 149 Abs. 1 ZVG zu überlassenden Räume selbstständig vermietbar seien. Dort ging es aber um eine andere Frage, nämlich um die Unzulässigkeit der Zwangsverwaltung wegen Rechtsmissbrauchs, wenn die Zwangsverwaltung nur dazu dienen soll, dem im Haus wohnenden Schuldner den Bezug von Sozialleistungen zu ermöglichen, damit dieser hiervon dann dem Verwalter das Nutzungsentgelt zahlt. In der gleichen Entscheidung hat der BGH auch ausgesprochen, dass es im Ausgangspunkt nicht zu beanstanden sei, wenn der Zwangsverwalter Erträge aus dem Grundstück dadurch erwirtschaften will, dass er dem Schuldner die nicht benötigten Räume des Einfamilienhauses gegen Entgelt überlässt, soweit der Schuldner in der Lage ist, das Entgelt aus eigenen Mitteln zu bezahlen. Davon, dass die nicht benötigten Räume selbstständig vermietbar sein müssen, spricht der BGH in diesem Zusammenhang nicht. Zwar bestehen vorliegend Zweifel, ob der Beklagte in der Lage ist, das Entgelt aus eigenen Mitteln zu bezahlen, da er unstreitig am 14. April 2009 die eidesstattliche Versicherung abgegeben hat. Andererseits ist vorliegend – anders als in dem vom BGH entschiedenen Fall – nicht vorgetragen, dass der Beklagte das Entgelt durch Sozialleistungen aufbringen solle. Zudem hat der Beklagte die eidesstattliche Versicherung erst nach Anordnung der Zwangsverwaltung abgegeben. Außerdem geht es vorliegend nicht um die Frage, ob die Zwangsverwaltung angeordnet werden darf oder nicht, sondern um die Frage, ob bei angeordneter Zwangsverwaltung der Beklagte für vergangene Zeiträume Nutzungsentschädigung zahlen muss. Selbst wenn die Zwangsverwaltung aus den Gründen des Beschlusses des BGH vom 20. November 2008 nicht hätte angeordnet werden dürfen oder aufgehoben werden müsste, weil die dem Beklagten nicht gemäß § 149 Abs. 1 ZVG zu überlassenden Räume nicht selbstständig vermietbar sind oder weil der Beklagte nicht zur Zahlung des Nutzungsentgelts aus eigenen Mitteln in der Lage ist, ändert dies nichts daran, dass bei gleichwohl angeordneter Zwangsverwaltung der Beklagte für vergangene Zeiträume ein Nutzungsentgelt zu zahlen hat.

15

Bei der Berechnung der zu Grunde zu legenden Wohnfläche ist von den detaillierten und substantiierten Angaben des Klägers auszugehen. Dem nicht näher begründeten Vortrag des Beklagten, die Wohnfläche betrage nur 95,27 m 2 , vermag das Gericht nicht zu folgen.

16

Die Höhe des zu zahlenden Entgelts pro m 2 ist vom Beklagten nicht angegriffen worden. Ebenfalls nicht angegriffen hat der Beklagte den geltend gemachten Anspruch hinsichtlich der Nutzungsentschädigung für die Garage.

17

Der Beklagte muss auch eine Betriebskostenvorauszahlung in angemessener Höhe von 70,00 € pro Monat bezahlen. Auch insoweit ergibt sich der Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1. 2. Alternative BGB. Der Kläger muss gemäß § 152 Abs. 1 ZVG alle Handlungen vornehmen, die erforderlich sind, um das Grundstück in seinem wirtschaftlichen Bestand zu erhalten und ordnungsgemäß zu benutzen. Dazu gehört auch die Zahlung der Betriebskosten. Es kommt dem Beklagten zu Gute, wenn der Kläger Betriebskosten für die ihm nicht gemäß § 149 Abs. 1 ZVG zu überlassenden Räume zahlt, ohne dass dafür ein rechtlicher Grund besteht. Der Beschluss des BGH vom 24. Januar 2008 (Az. V ZB 99/07, zitiert nach juris) steht dem nicht entgegen, denn dort ging es nur um die Frage, ob bei Nichtzahlung (dort für den vergleichbaren Fall des Wohngeldes) die Räumung nach § 149 Abs. 2 ZVG aufgegeben werden kann. Diese Frage ist aber zu unterscheiden von der Frage, ob eine Zahlungspflicht besteht oder nicht. Es bestehen auch keine Bedenken, dem Beklagten entsprechend den Gepflogenheiten des Wohnungsmietrechts Abschlagszahlungen aufzuerlegen, denn es ist nicht einzusehen, warum der Zwangsverwalter insoweit zu Gunsten des Beklagten in Vorausleistung treten soll. Auch soweit der BGH im Beschluss vom 20. November 2008 (a.a.O.) ohne nähere Begründung in einem die Entscheidung nicht tragenden obiter dictum „nachhaltige Bedenken, ob der Zwangsverwalter berechtigt ist, (…) einen Vorschuss auf die Nebenkosten zu verlangen“ geäußert hat, steht dies der Entscheidung nicht entgegen.

18

Der Zinsanspruch beruht auf §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.

19

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

20

Beschluss

21

Der Streitwert wird auf 4.199,82 € festgesetzt.


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(1) Wohnt der Schuldner zur Zeit der Beschlagnahme auf dem Grundstück, so sind ihm die für seinen Hausstand unentbehrlichen Räume zu belassen.

(2) Gefährdet der Schuldner oder ein Mitglied seines Hausstandes das Grundstück oder die Verwaltung, so hat auf Antrag das Gericht dem Schuldner die Räumung des Grundstücks aufzugeben.

(3) Bei der Zwangsverwaltung eines landwirtschaftlichen, forstwirtschaftlichen oder gärtnerischen Grundstücks hat der Zwangsverwalter aus den Erträgnissen des Grundstücks oder aus deren Erlös dem Schuldner die Mittel zur Verfügung zu stellen, die zur Befriedigung seiner und seiner Familie notwendigen Bedürfnisse erforderlich sind. Im Streitfall entscheidet das Vollstreckungsgericht nach Anhörung des Gläubigers, des Schuldners und des Zwangsverwalters. Der Beschluß unterliegt der sofortigen Beschwerde.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 31/08
vom
20. November 2008
in dem Zwangsverwaltungsverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Die Zwangsverwaltung eines mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks ist
unzulässig, wenn sie nur dazu dient, dem im Haus wohnenden Schuldner den Bezug
von Sozialleistungen zu ermöglichen, damit er an den Zwangsverwalter ein Entgelt
für die Nutzung der Räume entrichten kann, die ihm nicht nach § 149 Abs. 1 ZVG zu
belassen sind.
BGH, Beschluss vom 20. November 2008 - V ZB 31/08 - LG Görlitz
AG Görlitz
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 20. November 2008 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, den Richter Dr. Klein, die Richterin
Dr. Stresemann und die Richter Dr. Czub und Dr. Roth

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz vom 23. Januar 2008 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen. Der Schuldnerin wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren mit Wirkung vom 3. März 2008 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. Geisler bewilligt. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 2.042,80 €.

Gründe:

I.

1
Auf Antrag des Gläubigers ordnete das Vollstreckungsgericht die Zwangsverwaltung des Grundstücks der Schuldnerin an. Das darauf befindliche Einfamilienhaus wird von der Schuldnerin und ihrem Ehemann bewohnt.
2
In dem Inbesitznahmebericht des Zwangsverwalters sind als Einnahmen Betriebs- und Nebenkostenerstattungen der Schuldnerin von 50 € und als Ausgaben Kosten für Grundsteuer und Versicherungen in Höhe von 45 € angesetzt.
3
Mit der Begründung, die Zwangsverwaltung sei rechtsmissbräuchlich und im Hinblick auf ihren schlechten Gesundheitszustand, welcher bereits zur Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens geführt habe, sittenwidrig, hat die Schuldnerin die Aufhebung der Zwangsverwaltung beantragt.
4
Das Vollstreckungsgericht hat das Zwangsverwaltungsverfahren aufgehoben und ausgeführt: Das Vorgehen des Gläubigers sei zwar nicht rechtsmissbräuchlich. Es ergebe sich ein Überschuss von monatlich 5 €. Nach den Vorstellungen des Gläubigers könne die Schuldnerin außerdem Wohngeld beantragen ; dies solle im Rahmen der Zwangsverwaltung an den Gläubiger abgeführt werden. In Anbetracht der akuten Suizidgefahr der Schuldnerin stelle die Fortsetzung des Verfahrens jedoch eine sittenwidrige Härte im Sinne von § 765a ZPO dar.
5
Auf die sofortige Beschwerde des Gläubigers hat das Landgericht den Beschluss des Vollstreckungsgerichts aufgehoben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung der Gläubiger beantragt, erstrebt die Schuldnerin weiterhin die Aufhebung der Zwangsverwaltung.

II.

6
Das Beschwerdegericht hält, die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Zwangsvollstreckung nach § 765a ZPO für nicht gegeben. Die von dem gerichtlich bestellten Sachverständigen bestätigte Suizidgefahr der Schuldnerin gründe sich in erheblichem Maße auf den möglichen Verlust ihres Eigenheims.
Ein solcher sei bei der Zwangsverwaltung aber nicht zu besorgen. Dem Schuldner , der zur Zeit der Beschlagnahme auf dem Grundstück wohne, seien die für seinen Hausstand unentbehrlichen Räume zu belassen. Nur hinsichtlich der nicht benötigten Räume müsse der Schuldner eine Nutzung durch den Zwangsverwalter dulden mit der Folge, dass er bei Nutzung dieser Räume ein angemessenes Entgelt an den Zwangsverwalter zu entrichten habe. Auf diese Besonderheiten des Zwangsverwaltungsverfahrens hingewiesen, habe der Sachverständige ergänzend ausgeführt, ein wesentlicher Faktor für die bei der Schuldnerin bestehende Suizidgefahr entfalle, wenn sie in ihrem Haus bleiben könne. Bei Abwägung der Interessen der Beteiligten überwiege deshalb dasjenige des Gläubigers an der Fortführung der Zwangsverwaltung.

III.

7
Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO i.V.m. § 793 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts konnte der Vollstreckungsschutzantrag der Schuldnerin (§ 765a ZPO) nicht zurückgewiesen werden.
8
Die Vorschrift des § 765a ZPO ermöglicht den Schutz gegen Vollstreckungsmaßnahmen , die wegen ganz besonderer Umstände eine mit den guten Sitten nicht zu vereinbarende Härte für den Schuldner bedeuten. Sie kommt zur Anwendung, wenn im Einzelfall die Zwangsvollstreckungsmaßnahme nach Abwägung der beiderseitigen Belange zu einem untragbaren Ergebnis führen würde (vgl. BGHZ 161, 371, 374 m.w.N.). Bei der Feststellung der abzuwägenden Belange der Beteiligten sind dem Beschwerdegericht Rechtsfehler unterlaufen.
9
1. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass die Feststellungen des Beschwerdegerichts zu der Gefahr eines Suizids der Schuldnerin bei Fortsetzung der Zwangsverwaltung unzureichend sind.
10
Wie das Beschwerdegericht im Ausgangspunkt nicht verkennt, sind die Gerichte verpflichtet, bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 765a ZPO die Wertentscheidungen des Grundgesetzes und die dem Schuldner in der Zwangsvollstreckung gewährleisteten Grundrechte, insbesondere das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), zu berücksichtigen. Die Zwangsvollstreckung ist deshalb einstweilen einzustellen, wenn sich eine konkrete Suizidgefahr des Schuldners oder eines nahe Angehörigen anders nicht abwenden lässt. Bei ihrer Verfahrensgestaltung haben die Gerichte die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, um Verfassungsverletzungen tunlichst auszuschließen. Dies kann es insbesondere erfordern, Beweisangeboten des Schuldners hinsichtlich seines Vorbringens, ihm drohten schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigungen, besonders sorgfältig nachzugehen (vgl. BVerfGK 6, 5, 10 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt das Verfahren des Beschwerdegerichts nicht.
11
a) Die Gefahr eines Suizids der Schuldnerin ist von dem gerichtlich bestellten Sachverständigen in seinem Gutachten vom 11. Oktober 2007 zunächst als „hoch“ eingeschätzt worden. Auf Nachfrage des Gerichts, ob die Beurteilung anders ausfalle, wenn davon auszugehen sei, dass die Schuldnerin und ihre Familie Haus und Grundstück nicht verlassen müssten, hat er dies in seiner Stellungnahme vom 19. Dezember 2007 zwar dahin eingeschränkt, dass in diesem Fall ein wesentlicher Faktor der Suizidgefahr entfalle. Dem durfte das Beschwerdegericht aber nicht entnehmen, dass mit der Fortsetzung der Zwangsverwaltung keine Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Schuldnerin verbunden ist.
12
Schon weil die Annahme einer hohen Suizidgefahr ausweislich des Gutachtens vom 11. Oktober 2007 auf mehrere Risikofaktoren gestützt war, also nicht nur auf der Befürchtung der Schuldnerin beruhte, ihr Haus zu verlieren, konnte das Beschwerdegericht zunächst nur davon ausgehen, dass der Sachverständige die Gefahr eines Suizids nunmehr geringer einstufte, nicht aber, dass sie vollständig entfallen war. Hinzu kommt, dass der neuen Beurteilung kein weiteres Gespräch des Sachverständigen mit der Schuldnerin vorausgegangen ist, und dass die Schuldnerin der Einschätzung im Schriftsatz vom 11. Januar 2008 widersprochen und die erneute Befragung des Sachverständigen beantragt hat. Bei dieser Sachlage erforderte eine zuverlässige Beurteilung der von der Fortführung der Vollstreckungsmaßnahme ausgehenden Bedrohung für Leben und körperliche Unversehrtheit der Schuldnerin weitere Feststellungen.
13
Das gilt auch, soweit die Suizidgefahr auf falschen Vorstellungen der Schuldnerin über die Auswirkungen einer Zwangsverwaltung beruht. Die Erwägung des Beschwerdegerichts, solchen Vorstellungen könne durch eine Aufklärung der Schuldnerin über Zweck, Umfang und Rechtsfolgen der Zwangsverwaltung begegnet werden, lässt die Gefahr für das Leben der Schuldnerin nicht entfallen. Sind begleitende Maßnahmen bei der Vollstreckung geeignet, der Suizidgefahr entgegenzuwirken, darf das Gericht sie bei der Abwägung nach § 765a ZPO vielmehr nur berücksichtigen, wenn ihre Vornahme weitestgehend sichergestellt ist (vgl. BVerfGK 6, 5, 11 f.; Senat, Beschl. v. 24. November 2005, V ZB 24/05, NJW 2006, 508; Beschl. v. 14. Juni 2007, V ZB 28/07, NJW 2007, 3719, 3720). Daran fehlt es hier. Das Beschwerdegericht geht nur von der Möglichkeit aus, dass die Schuldnerin durch irgendjemanden über die Auswirkungen der Zwangsverwaltung aufgeklärt werden kann und soll, nicht aber davon, dass dies sichergestellt ist.
14
b) Darüber hinaus gibt der Vortrag der Schuldnerin im Schriftsatz vom 11. Januar 2008, wonach bereits der Gedanke, dass nicht mehr sie, sondern der Zwangsverwalter das Sagen im Hause habe, sie „an den Rand des Abgrunds“ treibe, Anlass zur Prüfung, inwieweit andere mit der Fortsetzung der Zwangsverwaltung einhergehende Umstände eine Suizidgefahr begründen. Hiervon durfte das Beschwerdegericht wiederum nicht aufgrund des - angesichts des § 149 Abs. 2 ZVG im Übrigen nicht uneingeschränkt zutreffenden - Hinweises absehen, dass die Zwangsverwaltung nicht zu einer Zwangsräumung führen werde. Eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung kommt auch in Betracht, wenn sonstige mit der Zwangsverwaltung einhergehende , möglicherweise nur subjektiv als schwerwiegend empfundene, Belastungen allein oder in Verbindung mit weiteren Faktoren zu einer anders nicht beherrschbaren Suizidgefahr bei der Schuldnerin führen.
15
2. Für das Beschwerdegericht bestand ferner Anlass näher zu prüfen, welche schützenswerte Belange an der Fortsetzung der Zwangsverwaltung auf Seiten des Gläubigers in die nach § 756a ZPO vorzunehmende Abwägung einzustellen sind.
16
a) Ziel der Zwangsverwaltung ist es grundsätzlich, dem Gläubiger die Erträge aus der Vermietung oder Verpachtung des zwangsverwalteten Grundstücks zukommen zu lassen. Ist - wie hier - ein selbstgenutztes Einfamilienhaus Gegenstand der Zwangsverwaltung, scheidet eine Vermietung aus, soweit das Haus gemäß § 149 Abs. 1 ZVG dem Schuldner zu belassen ist. Eine dennoch erwirkte Zwangsverwaltung ist nur dann geeignet, zur Befriedigung des Gläubigers zu führen, wenn die verbleibenden Räume oder andere auf dem Grundstück befindliche, für den Hausstand des Schuldners nicht erforderliche, Gebäude selbständig vermietbar sind (vgl. Senat, Beschl. v. 14. April 2005, V ZB 5/05, NJW 2005, 2460, 2462; Beschl. v. 24. Januar 2008, V ZB 99/07, NJW-RR 2008, 679, 680). Dass es sich hier so verhält, ist von dem Beschwerdegericht nicht festgestellt worden.
17
b) Andere schutzwürdige Ziele der Zwangsverwaltung sind auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht erkennbar.
18
aa) Der von dem Zwangsverwalter in seinem Inbesitznahmebericht ausgewiesene Überschuss von 5 € im Monat ist nicht geeignet, ein legitimes Interesse des Gläubigers an der Fortsetzung der Zwangsverwaltung zu begründen. Es bestehen bereits nachhaltige Bedenken, ob der Zwangsverwalter berechtigt ist, von der Schuldnerin einen monatlichen Vorschuss auf die Nebenkosten zu verlangen (ablehnend: LG Duisburg, Rpfleger 2008, 323; a.A: LG Zwickau, Rpfleger 2006, 426; ZMR 2007, 656; AG Heilbronn, Rpflger 2004, 236; vgl. auch Senat, Beschl. v. 24. Januar 2008, V ZB 99/07, NJW-RR 2008, 679). Jedenfalls handelt es sich bei dem „Überschuss“ von 5 € monatlich nicht um einen Mietertrag, sondern um den nicht verbrauchten Teil eines von der Schuldnerin geleisteten und damit an sie zurück zu zahlenden Vorschusses.
19
bb) Soweit der Zwangsverwalter beabsichtigen sollte, Erträge aus dem Grundstück zu erwirtschaften, indem er der Schuldnerin die im Sinne von § 149 Abs. 1 ZVG nicht benötigten Räume des Einfamilienhauses gegen Entgelt überlässt, wäre dies im Ausgangspunkt zwar nicht zu beanstanden (vgl. BGH; Urt. v. 14. Mai 1992, IX ZR 241/91, NJW 1992, 2487). Ein solches Vorgehen verspricht aber nur Erfolg, wenn die Schuldnerin in der Lage ist, das Entgelt aus eigenen Mitteln zu bezahlen.
20
Kein schutzwürdiges Interesse an der Fortsetzung der Zwangsvollstreckung begründet dagegen die von dem Gläubiger aufgezeigte Möglichkeit, die Schuldnerin könne das Entgelt durch Inanspruchnahme von Wohngeld oder anderen Sozialleistungen aufbringen, weil sie infolge der Zwangsverwaltung sozialhilferechtlich so behandelt würde, als lebten sie und ihr Ehemann zur Mie- te. Es ist schon zweifelhaft, ob der Schuldnerin ein Anspruch auf Wohngeld für die Anmietung von Räumen zustehen kann, die über den durch § 149 Abs. 1 ZVG berücksichtigten Bedarf hinausgehen. Jedenfalls wird das Institut der Zwangsverwaltung rechtsmissbräuchlich genutzt, wenn es dazu dient, Ansprüche des Schuldners auf Sozialleistungen zu begründen, damit er für die von ihm nach § 149 Abs. 1 ZVG nicht zum Wohnen benötigten Räume ein Entgelt an den Zwangsverwalter zahlen kann. Es wird dann nämlich nicht dazu eingesetzt, um Erträge aus dem Grundstück zu erwirtschaften, sondern dazu, eine Notlage des Schuldners zu schaffen, die ohne die Zwangsverwaltung nicht bestünde, und die Verbindlichkeiten des Schuldners dann mithilfe von Sozialleistungen, also auf Kosten der Allgemeinheit, zu tilgen.

IV.

21
Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben. Die Sache wird an das Beschwerdegericht zurückverwiesen, damit es ergänzende Feststellungen zu den aus einer Fortsetzung des Verfahrens folgenden Gefahren für Leben und Gesundheit der Schuldnerin und den schutzwürdigen Interesse des Gläubigers an der Fortsetzung der Zwangsverwaltung treffen kann. Im Hinblick darauf , dass zweifelhaft erscheint, ob die Zwangsverwaltung des Grundstücks (echte) Erträge aus einer Vermietung erwarten lässt, wird dabei zu berücksichtigen sein, dass eine sittenwidrige Härte im Sinne des § 765a ZPO auch in der Fortführung einer aussichtslosen Vollstreckung liegen kann (vgl. Keller, DZWIR 2006, 315, 319). Krüger Klein Stresemann Roth Czub
Vorinstanzen:
AG Görlitz, Entscheidung vom 30.04.2007 - 8 L 72/07 -
LG Görlitz, Entscheidung vom 23.01.2008 - 2 T 103/07 -

(1) Wohnt der Schuldner zur Zeit der Beschlagnahme auf dem Grundstück, so sind ihm die für seinen Hausstand unentbehrlichen Räume zu belassen.

(2) Gefährdet der Schuldner oder ein Mitglied seines Hausstandes das Grundstück oder die Verwaltung, so hat auf Antrag das Gericht dem Schuldner die Räumung des Grundstücks aufzugeben.

(3) Bei der Zwangsverwaltung eines landwirtschaftlichen, forstwirtschaftlichen oder gärtnerischen Grundstücks hat der Zwangsverwalter aus den Erträgnissen des Grundstücks oder aus deren Erlös dem Schuldner die Mittel zur Verfügung zu stellen, die zur Befriedigung seiner und seiner Familie notwendigen Bedürfnisse erforderlich sind. Im Streitfall entscheidet das Vollstreckungsgericht nach Anhörung des Gläubigers, des Schuldners und des Zwangsverwalters. Der Beschluß unterliegt der sofortigen Beschwerde.

(1) Der Verwalter hat das Recht und die Pflicht, alle Handlungen vorzunehmen, die erforderlich sind, um das Grundstück in seinem wirtschaftlichen Bestand zu erhalten und ordnungsmäßig zu benutzen; er hat die Ansprüche, auf welche sich die Beschlagnahme erstreckt, geltend zu machen und die für die Verwaltung entbehrlichen Nutzungen in Geld umzusetzen.

(2) Ist das Grundstück vor der Beschlagnahme einem Mieter oder Pächter überlassen, so ist der Miet- oder Pachtvertrag auch dem Verwalter gegenüber wirksam.

(1) Wohnt der Schuldner zur Zeit der Beschlagnahme auf dem Grundstück, so sind ihm die für seinen Hausstand unentbehrlichen Räume zu belassen.

(2) Gefährdet der Schuldner oder ein Mitglied seines Hausstandes das Grundstück oder die Verwaltung, so hat auf Antrag das Gericht dem Schuldner die Räumung des Grundstücks aufzugeben.

(3) Bei der Zwangsverwaltung eines landwirtschaftlichen, forstwirtschaftlichen oder gärtnerischen Grundstücks hat der Zwangsverwalter aus den Erträgnissen des Grundstücks oder aus deren Erlös dem Schuldner die Mittel zur Verfügung zu stellen, die zur Befriedigung seiner und seiner Familie notwendigen Bedürfnisse erforderlich sind. Im Streitfall entscheidet das Vollstreckungsgericht nach Anhörung des Gläubigers, des Schuldners und des Zwangsverwalters. Der Beschluß unterliegt der sofortigen Beschwerde.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 99/07
vom
24. Januar 2008
in dem Zwangsverwaltungsverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Einem Schuldner, dem gemäß § 149 Abs. 1 ZVG eine Eigentumswohnung belassen
wurde, kann von dem Vollstreckungsgericht nicht deshalb nach § 149 Abs. 2 ZVG die
Räumung aufgegeben werden, weil der Schuldner das auf sein Wohnungseigentum
entfallende laufende Wohngeld nicht bezahlt.
BGH, Beschl. v. 24. Januar 2008 - V ZB 99/07 - LG Wiesbaden
AG Idstein
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 24. Januar 2008 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger und die Richter Dr. Klein, Dr. Lemke,
Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Roth

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 1. August 2007 wird zurückgewiesen. Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 2.360,20 €.

Gründe:

I.

1
Das Grundstück L. Straße 53 in I. ist nach dem Wohnungseigentumsgesetz geteilt. 2004 erwarb der Schuldner das im Eingang bezeichnete Wohnungseigentum und bezog die mit dem Miteigentumsanteil an dem Grundstück verbundene Wohnung. Wohngeld bezahlte er nicht. Die Gläubigerin , die Eigentümergemeinschaft, erwirkte wegen der Wohngeldrückstände im Juli 2004 und April 2005 Vollstreckungsbescheide gegen den Schuldner über 861,20 € bzw. 1.850 € zuzüglich Zinsen und Kosten. Auf Antrag der Gläubigerin ordnete das Amtsgericht am 30. September 2005 die Zwangsverwaltung des Wohnungseigentums des Schuldners an und bestellte den Beteiligten zu 3 zum Zwangsverwalter. Dieser beließ die Wohnung dem Schuldner. Wohngeld zahlt der Schuldner weiterhin nicht.
2
Die Gläubigerin hat beantragt, dem Schuldner gemäß § 149 Abs. 2 ZVG aufzugeben, die Wohnung zu räumen und an den Beteiligten zu 3 herauszuge- ben. Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt sie ihren Antrag weiter.

II.

3
Das Beschwerdegericht verneint eine Verpflichtung des Schuldners zur Herausgabe der Wohnung. Es meint, dass der Schuldner das laufende Wohngeld nicht entrichte, führe weder zu einer Gefährdung des Grundstücks oder des Gebäudes noch der Zwangsverwaltung des Wohnungseigentums im Sinne von § 149 Abs. 2 ZVG.

III.

4
Das hält rechtlicher Nachprüfung stand. Dass ein Wohnungseigentümer eine zwangsverwaltete Eigentumswohnung weiterhin nutzt, ohne Wohngeld zu bezahlen, bedeutet keine Gefährdung des Wohnungseigentums oder der Zwangsverwaltung, wegen derer das Vollstreckungsgericht dem Schuldner die Räumung der Wohnung aufgeben kann.
5
Durch die Anordnung der Zwangsverwaltung eines Grundstücks wird dem Schuldner dessen Verwaltung und Benutzung entzogen, § 148 Abs. 2 ZVG. Wohnungseigentum steht einem Grundstück dabei gleich, § 864 Abs. 2 ZPO. Die Verwaltung des Wohnungseigentums im Sinne des Zwangsversteigerungsgesetzes wird durch die Anordnung der Zwangsverwaltung dem Zwangsverwalter übertragen, § 152 Abs. 1 ZVG. Grundsätzlich hat der Verwalter die Wohnung in Besitz zu nehmen.
6
Hiervon macht § 149 Abs. 1 ZVG eine Ausnahme. Der Verwalter hat den Besitz an den von dem Schuldner als Wohnung genutzten Räumen diesem zu belassen, soweit der Besitz für den Schuldner und dessen Angehörige unent- behrlich ist. Sinn der Regelung ist es, die Obdachlosigkeit des Schuldners und seiner Familienangehörigen durch die Anordnung der Zwangsverwaltung zu verhindern (vgl. Stöber, Zwangsversteigerungsgesetz, 18. Aufl., § 149 Rdn. 1 Anm. 1.1). Das Vollstreckungsgericht kann dem Schuldner jedoch die Räumung aufgeben, wenn er durch sein Verhalten das Grundstück oder die Zwangsverwaltung gefährdet, § 149 Abs. 2 ZVG. So verhält es sich nicht, wenn der Schuldner die Forderungen der Eigentümergemeinschaft auf das laufende Wohngeld nicht erfüllt.
7
1. a) Die aus § 16 Abs. 2 WEG folgende Verpflichtung des Schuldners gegenüber der Eigentümergemeinschaft, das auf sein Wohnungseigentum entfallende Wohngeld zu bezahlen, wird von der Anordnung der Zwangsverwaltung grundsätzlich nicht berührt (vgl. Stöber, aaO, § 152 ZVG Anm. 19.3). Soweit der Schuldner seine Zahlungsverpflichtung gegenüber der Eigentümergemeinschaft nicht erfüllt, hat der Zwangsverwalter die Zahlungen zu erbringen (Stöber, aaO, § 155 ZVG Rdn. 4 Anm. 4.2; Hintzen/Wolf, Zwangsvollstreckung, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung, Rdn. 13.19). Ist der Zwangsverwalter aus den Erträgen der Verwaltung hierzu nicht in der Lage, hat der Gläubiger, der die Anordnung der Zwangsverwaltung erwirkt hat, dem Zwangsverwalter die notwendigen Beträge als Vorschuss bereit zu stellen (Stöber, aaO, § 152 ZVG Rdn. 18 Anm. 18.1). So verhält es sich auch im vorliegenden Fall: Nach den Jahresberichten über die Verwaltung bezahlt der Beteiligte zu 3 seit Oktober 2005 aus Vorschüssen, die ihm die Gläubigerin zur Verfügung stellt, das auf die Wohnung des Schuldners entfallende Wohngeld. Damit ist für die Feststellung kein Raum, das Ausbleiben der von dem Schuldner zu erbringenden Zahlungen gefährde das von dem Beteiligten zu 3 verwaltete Wohnungseigentum.
8
Soweit in Rechtsprechung und Literatur ausgeführt wird, die beharrliche Nichtzahlung des Wohngelds durch den Schuldner gefährde den Bestand des Grundstücks oder Gebäudes, da die Eigentümergemeinschaft ohne das auf das Wohnungseigentum des Schuldners entfallende Wohngeld die Unterhaltung und Instandhaltung von Grundstück und Gebäude auf Dauer nicht möglich sei (so AG Heilbronn Rpfleger 2004, 236 f. mit zust. Anm. Schmidberger; LG Zwickau Rpfleger 2004, 646 [LS]; AG Schwäbisch Hall NZM 2006, 600; LG Dresden NZM 2006, 665; Böttcher, ZVG, 4. Aufl., § 149 Rdn. 7; Haarmeyer /Wutzke/Förster/Hintzen, Zwangsverwaltung, 4. Aufl., § 149 Rdn. 5; a.M. Drasdo, NZM 2006, 765 f.), wird nicht berücksichtigt, dass die von dem Zwangsverwalter zu erbringenden Zahlungen dazu führen, eine Gefährdung des Wohnungseigentums des Schuldners und des Grundstücks zu vermeiden.
9
Dass die Eigentümergemeinschaft als Gläubigerin die Zwangsverwaltung des Wohnungseigentums erwirkt hat, ändert hieran nichts. Soweit es zur Zahlung von Vorschüssen an den Zwangsverwalter der Umlage auf die Wohnungseigentümer bedarf, ist dies Folge der Finanzausrüstung und -struktur der Gemeinschaft als betreibender Gläubigerin, für die der Schuldner grundsätzlich nicht verantwortlich ist.
10
b) Der zur Begründung der abweichenden Meinung teilweise herangezogene Vergleich zu § 543 BGB geht fehl. Die Miete ist Gegenleistung für die aufgrund eines Mietvertrags von dem Vermieter dem Mieter geschuldete Gewährung des Gebrauchs. Kommt der Mieter seiner Zahlungsverpflichtung nicht nach, ist das Gegenleistungsverhältnis gestört. Die Störung berechtigt den Vermieter zur fristlosen Kündigung des Vertrags. Damit hat das Rechtsverhältnis zwischen dem Zwangsverwalter und dem Schuldner, dem seine Wohnung belassen wurde, nichts zu tun. Das von dem Schuldner der Eigentümergemeinschaft geschuldete Wohngeld bildet, auch wenn es von dem Zwangsverwalter gezahlt wird, nicht die Gegenleistung oder einen Teil einer Gegenleistung für die Belassung des Besitzes.
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c) Für eine andere Beurteilung besteht auch kein Grund. Kommt ein Wohnungseigentümer seiner Verpflichtung zur Zahlung des Wohngelds nicht nach, kann die Gemeinschaft unter den Voraussetzungen von § 18 WEG von dem zahlungsunfähigen oder zahlungsunwilligen Eigentümer die Veräußerung von dessen Wohnungseigentum verlangen und so dessen Ausscheiden aus der Eigentümergemeinschaft herbeiführen (Senat, BGHZ 170, 369 ff.). Darüber hinaus ist die Forderung der Gemeinschaft auf Wohngeld in der Zwangsversteigerung des Wohnungseigentums - nunmehr - gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG grundsätzlich im Rang vor den Ansprüchen aus Grundpfandrechten zu befriedigen. Die Titulierung der Wohngeldforderung eröffnet gemäß § 10 Abs. 3 ZVG der Gemeinschaft das Zwangsversteigerungsverfahren mit dem Recht zur vorrangigen Befriedigung gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG.
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2. Dass der Schuldner seiner Verpflichtung zur Zahlung des laufenden Wohngelds nicht nachkommt, verteuert die Zwangsverwaltung für den betreibenden Gläubiger, gefährdet sie jedoch nicht.
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Ziel der Zwangsverwaltung ist es grundsätzlich, dem Gläubiger die Erträge aus der Vermietung oder Verpachtung des zwangsverwalteten Grundstücks zukommen zu lassen. Ist eine Eigentumswohnung Gegenstand der Zwangsverwaltung , scheidet eine Vermietung aus, wenn die Wohnung gemäß § 149 Abs. 1 ZVG dem Schuldner zu belassen ist. Eine dennoch erwirkte Zwangsverwaltung ist unabhängig von der Frage, ob der Schuldner seiner Verpflichtung zur Zahlung von Wohngeld gegenüber der Eigentümergemeinschaft nachkommt , nicht geeignet, zur Befriedigung des Gläubigers zu führen (Senat, Beschl. v. 14. April 2005, V ZB 5/05, NJW 2005, 2460, 2462). Insoweit gibt es nichts, das der Schuldner gefährden könnte. Die abweichende Auffassung der Rechtsbeschwerde hätte zur Folge, dass einem Schuldner, der nicht nur die titulierte Forderung, sondern auch das laufende auf die von ihm genutzte Wohnung entfallende Wohngeld nicht bezahlen kann, der von § 149 Abs. 1 ZVG beabsichtigte Schutz nicht zugute käme und sich die besonders bedrängte Situation des Schuldners zum Vorteil des Gläubigers auswirkte.

IV.

14
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Verpflichtung der Beteiligten zu 1, die Gerichtsgebühren zu tragen, ergibt sich aus dem Gesetz. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet bei Beschwerden in Zwangsverwaltungsverfahren grundsätzlich nicht statt, weil sich die Beteiligten des Verfahrens nicht im Sinne von Parteien gegenüber stehen (Senat, Beschl. v. 25. Januar 2007, V ZB 125/05, NJW 2007, 2993 f., zur Veröffentlichung in BGHZ 170, 378 ff. bestimmt; Beschl. v. 15. März 2007, V ZB 117/06, NJW-RR 2007, 1150; Beschl. v. 29. November 2007, V ZB 179/06, Rdn. 10, zur Veröffentlichung vorgesehen ). Der Wert der Rechtsbeschwerde wird gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1, § 43 Abs. 1 GKG von dem Betrag der Forderungen bestimmt, wegen derer die Gläubigerin die Zwangsverwaltung des Wohnungseigentums des Schuldners erwirkt hat. Krüger Klein Lemke Schmidt-Räntsch Roth
Vorinstanzen:
AG Idstein, Entscheidung vom 05.06.2007 - 41 L 14/05 -
LG Wiesbaden, Entscheidung vom 01.08.2007 - 4 T 402/07 -

(1) Wohnt der Schuldner zur Zeit der Beschlagnahme auf dem Grundstück, so sind ihm die für seinen Hausstand unentbehrlichen Räume zu belassen.

(2) Gefährdet der Schuldner oder ein Mitglied seines Hausstandes das Grundstück oder die Verwaltung, so hat auf Antrag das Gericht dem Schuldner die Räumung des Grundstücks aufzugeben.

(3) Bei der Zwangsverwaltung eines landwirtschaftlichen, forstwirtschaftlichen oder gärtnerischen Grundstücks hat der Zwangsverwalter aus den Erträgnissen des Grundstücks oder aus deren Erlös dem Schuldner die Mittel zur Verfügung zu stellen, die zur Befriedigung seiner und seiner Familie notwendigen Bedürfnisse erforderlich sind. Im Streitfall entscheidet das Vollstreckungsgericht nach Anhörung des Gläubigers, des Schuldners und des Zwangsverwalters. Der Beschluß unterliegt der sofortigen Beschwerde.

*

(1) Eine Geldschuld ist während des Verzugs zu verzinsen. Der Verzugszinssatz beträgt für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.

(2) Bei Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, beträgt der Zinssatz für Entgeltforderungen neun Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.

(3) Der Gläubiger kann aus einem anderen Rechtsgrund höhere Zinsen verlangen.

(4) Die Geltendmachung eines weiteren Schadens ist nicht ausgeschlossen.

(5) Der Gläubiger einer Entgeltforderung hat bei Verzug des Schuldners, wenn dieser kein Verbraucher ist, außerdem einen Anspruch auf Zahlung einer Pauschale in Höhe von 40 Euro. Dies gilt auch, wenn es sich bei der Entgeltforderung um eine Abschlagszahlung oder sonstige Ratenzahlung handelt. Die Pauschale nach Satz 1 ist auf einen geschuldeten Schadensersatz anzurechnen, soweit der Schaden in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist.

(6) Eine im Voraus getroffene Vereinbarung, die den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf Verzugszinsen ausschließt, ist unwirksam. Gleiches gilt für eine Vereinbarung, die diesen Anspruch beschränkt oder den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf die Pauschale nach Absatz 5 oder auf Ersatz des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ausschließt oder beschränkt, wenn sie im Hinblick auf die Belange des Gläubigers grob unbillig ist. Eine Vereinbarung über den Ausschluss der Pauschale nach Absatz 5 oder des Ersatzes des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ist im Zweifel als grob unbillig anzusehen. Die Sätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden, wenn sich der Anspruch gegen einen Verbraucher richtet.

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.

Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.