Urteils-Kommentar zu Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Urteil, 18. Aug. 2022 - 4 U 198/21 von Dirk Streifler

published on 22/08/2024 15:05
Urteils-Kommentar zu Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Urteil, 18. Aug. 2022 - 4 U 198/21 von Dirk Streifler
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Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Urteil, 18. Aug. 2022 - 4 U 198/21

Sachverhalt und Hintergrund

Das Urteil des Pfälzischen Oberlandesgerichts (OLG) Zweibrücken vom 18. August 2022 befasst sich mit der Frage, ob ein Geschäftsführer einer GmbH für Schäden haftet, die durch die fehlerhafte Überweisung von Geldern aufgrund einer Phishing-Attacke entstanden sind. Im vorliegenden Fall hatte die Geschäftsführerin einer GmbH auf betrügerische Phishing-E-Mails reagiert, die auf den ersten Blick von einem langjährigen Geschäftspartner der Gesellschaft zu stammen schienen. Aufgrund eines minimalen Buchstabendrehers in der E-Mail-Adresse übersah die Geschäftsführerin den Betrug und veranlasste die Überweisung eines erheblichen Geldbetrags auf ein betrügerisches Konto.

Die GmbH, deren Interessen durch die Geschäftsführerin vertreten wurden, machte anschließend Schadensersatzansprüche gegen die Geschäftsführerin geltend. Das Landgericht Frankenthal wies die Klage ab, woraufhin die GmbH in Berufung ging.

 

Entscheidungsgründe des Gerichts

Das OLG Zweibrücken bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz und lehnte die Haftung der Geschäftsführerin ab. Das Gericht stellte klar, dass die organschaftliche Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG nur bei der Verletzung spezifischer Pflichten greift, die sich aus der Organstellung des Geschäftsführers ergeben. Im vorliegenden Fall sah das Gericht keine Verletzung einer solchen spezifischen Pflicht, da die Überweisungstätigkeit eher dem Bereich der Buchhaltung als der eigentlichen Geschäftsführertätigkeit zuzurechnen sei.

Zudem betonte das OLG, dass die Geschäftsführerin im Rahmen der allgemeinen zivilrechtlichen Sorgfaltspflichten nach § 280 Abs. 1 BGB und § 823 Abs. 1 BGB nur leicht fahrlässig gehandelt habe. Aufgrund des geringen Maßes an Fahrlässigkeit und unter Anwendung der Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs, wie sie im Arbeitsrecht anerkannt sind, sei eine Haftung der Geschäftsführerin abzulehnen. Diese Prinzipien der Haftungsmilderung würden auch in Fällen wie dem vorliegenden gelten, wo die Fehlleistung nicht auf einer typischen Geschäftsführerpflicht, sondern auf einer Tätigkeit im Rahmen der täglichen Geschäftsabläufe beruhte.

 

Rechtliche Einordnung

Das Urteil des OLG Zweibrücken ist von erheblicher Bedeutung für die Praxis der Geschäftsführerhaftung, insbesondere im Zusammenhang mit der Zurechnung von Fahrlässigkeit bei Fehlern, die im Rahmen des normalen Geschäftsablaufs auftreten. Das Gericht stellte klar, dass für eine Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG mehr als nur ein einfacher Fehler erforderlich ist; es muss sich um die Verletzung einer spezifischen organschaftlichen Pflicht handeln.

Im Fall der Phishing-Attacke sah das Gericht die Überweisung von Geldern auf ein betrügerisches Konto als eine Handlung an, die nicht spezifisch in den organschaftlichen Pflichtenkreis der Geschäftsführerin fiel. Die Fehlleistung war eher als eine betriebliche Unachtsamkeit zu werten, die im Rahmen der allgemeinen zivilrechtlichen Haftung zu beurteilen ist. Da das Verhalten der Geschäftsführerin nur als leicht fahrlässig eingestuft wurde, kam eine Haftung nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs nicht in Betracht.

 

Bedeutung für die Praxis

Das Urteil hat weitreichende Implikationen für die Bewertung der Haftung von Geschäftsführern in Fällen, in denen Fehler im Rahmen alltäglicher betrieblicher Vorgänge auftreten. Es verdeutlicht die Abgrenzung zwischen der spezifischen organschaftlichen Haftung und der allgemeinen zivilrechtlichen Haftung, was insbesondere für die Geschäftsführung von GmbHs von Bedeutung ist.

Insbesondere zeigt das Urteil, dass eine Haftung von Geschäftsführern nicht leichtfertig angenommen werden kann, wenn es sich um Fehler handelt, die in einem Bereich passieren, der nicht unmittelbar in den spezifischen Pflichtenkreis des Geschäftsführers fällt. Diese differenzierte Betrachtung schützt Geschäftsführer vor übermäßiger Haftung für betriebliche Fehlentscheidungen, die zwar ärgerlich, aber nicht schwerwiegend fahrlässig oder grob sorgfaltswidrig sind.

 

Fazit

Das Urteil des OLG Zweibrücken vom 18. August 2022 bringt Klarheit in die Abgrenzung zwischen organschaftlicher Haftung und allgemeiner zivilrechtlicher Haftung. Es unterstreicht die Bedeutung einer genauen Prüfung, ob eine Handlung in den spezifischen Pflichtenkreis eines Geschäftsführers fällt, bevor eine persönliche Haftung in Betracht gezogen wird. Für die Praxis bedeutet dies, dass Geschäftsführer zwar sorgfältig agieren müssen, aber auch geschützt sind vor einer Haftung für Fehlleistungen, die im normalen betrieblichen Ablauf passieren und nur als leicht fahrlässig eingestuft werden können.

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(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. (2) Schadensersatz weg

(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. (2) Di
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15/08/2024 16:22

Im folgenden Artikel geht es um die Haftung des GmbH-Geschäftsführers bei fehlendem Compliance-Management-System. Es soll ein Überblick über die komplizierte Thematik entstehen und insbesondere anhand des Urteil des Oberlandesgericht Nürnberg die aktuelle Rechtslage verständlich gemacht werden. Das OLG Nürnberg hat in seinem Urteil vom 30. März 2022 (12 U 1520/19) die Sorgfaltspflichten von GmbH-Geschäftsführern hinsichtlich der Implementierung eines Compliance-Management-Systems (CMS) näher beleuchtet. Die Entscheidung verdeutlicht die weitreichenden Konsequenzen, die aus der Verletzung dieser Pflichten resultieren können, insbesondere in Form einer persönlichen Haftung des Geschäftsführers.
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(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286 verlangen.

(3) Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281, des § 282 oder des § 283 verlangen.

(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.