Urteils-Kommentar zu Oberlandesgericht München Urteil, 11. Nov. 2024 - 19 U 200/24 e von ra.de Redaktion

originally published: 28/01/2025 10:48, updated: 28/01/2025 11:12
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Oberlandesgericht München Urteil, 11. Nov. 2024 - 19 U 200/24 e

Author’s summary by ra.de Redaktion

A. Einleitung

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) München, Az. 19 U 200/24 e, vom 11. November 2024 beleuchtet eine zunehmend relevante Frage im digitalen Zeitalter: Unter welchen Voraussetzungen können WhatsApp-Nachrichten die rechtsgeschäftlich vereinbarte Schriftform gemäß § 127 Abs. 2 Satz 1 BGB wahren? Das Urteil klärt zudem, wie Emojis in rechtlichen Kontexten interpretiert werden können und welche Bedeutung der Auslegung digitaler Kommunikation zukommt.

Der Fall betraf die Lieferverzögerung eines hochpreisigen Neuwagens und eine anschließende Streitigkeit über die Wirksamkeit von Erklärungen, die im Rahmen von WhatsApp-Nachrichten ausgetauscht wurden. Der Beitrag analysiert die rechtlichen Erwägungen des Gerichts, ordnet sie in den Kontext bisheriger Rechtsprechung ein und gibt Hinweise für die Praxis.

B. Sachverhalt und Entscheidung des OLG München

Der Kaufvertrag zwischen den Parteien betraf einen Ferrari SF90 Stradale mit einem unverbindlichen Liefertermin im 2./3. Quartal 2021. Der Vertrag enthielt die Klausel, dass der Käufer den Verkäufer erst nach Überschreiten des Liefertermins um zwei Quartale mahnen dürfe. Nachdem der Liefertermin mehrfach verschoben wurde, erklärte der Käufer im Juni 2022 seinen Rücktritt.

In der WhatsApp-Kommunikation hatten die Parteien unter anderem über den Liefertermin gesprochen. Der Verkäufer argumentierte, der Käufer habe durch die Verwendung des „Grimassen schneidenden Emojis“ und anderer Nachrichten stillschweigend einer Verlängerung der Lieferfrist zugestimmt. Das OLG München wies diese Argumentation zurück und bejahte die Wirksamkeit des Rücktritts. Das Gericht stellte fest:

  1. WhatsApp-Nachrichten können die Schriftform nach § 127 Abs. 2 Satz 1 BGB wahren, sofern die Nachrichten dauerhaft speicherbar und reproduzierbar sind.

  2. Emojis können als Willenserklärungen ausgelegt werden, jedoch kommt es auf den objektiven Erklärungsinhalt an. Das Grimassen-Emoji und der Ausruf „Ups“ sind keine Zustimmung zu einer Lieferfristverlängerung.


C. WhatsApp-Nachrichten und die Wahrung der Schriftform

Das OLG München ordnet WhatsApp-Nachrichten als telekommunikative Übermittlungen ein, die unter bestimmten Voraussetzungen die rechtsgeschäftlich vereinbarte Schriftform gemäß § 127 Abs. 2 Satz 1 BGB erfüllen können. Der Begriff der „telekommunikativen Übermittlung“ ist entwicklungsoffen und umfasst alle digitalen Kommunikationsformen, die dauerhaft speicherbare und lesbare Inhalte erzeugen. Das Gericht differenziert jedoch nach den technischen Möglichkeiten der jeweiligen Kommunikationsform.

I. Anforderungen an die Schriftform nach § 127 Abs. 2 Satz 1 BGB

Nach § 127 Abs. 2 Satz 1 BGB kann die Schriftform durch telekommunikative Übermittlung gewahrt werden, sofern dies rechtsgeschäftlich vereinbart wurde. Das OLG München betont:

  • Dauerhaftigkeit und Reproduzierbarkeit: Nachrichten müssen so übermittelt werden, dass sie dauerhaft gespeichert und bei Bedarf reproduziert werden können. WhatsApp bietet diese Funktion durch Chat-Backups und die Möglichkeit, Nachrichten zu exportieren.

  • Identifizierbarkeit des Erklärenden: Der Absender der Nachricht muss eindeutig identifiziert werden können. Dies kann durch das Gerät, die Rufnummer und den Kontext der Kommunikation gewährleistet werden.

II. Abweichende Rechtsprechung

Nicht alle Gerichte teilen diese Einschätzung. Das OLG Frankfurt (Urteil vom 21. Dezember 2023 – Az. 15 U 211/21) und das AG Kassel (Urteil vom 15. März 2022 – Az. 410 C 1583/22) verneinten die Eignung von WhatsApp zur Wahrung der Schriftform. Die Argumentation stützt sich auf:

  • Fehlende Sicherheit der Archivierung: Die Speicherung von WhatsApp-Nachrichten sei nicht hinreichend sicher.

  • Gefahr von Manipulationen: Die Identität des Absenders sei nicht immer zweifelsfrei feststellbar.

  • Warnfunktion der Schriftform: Die Nutzung von WhatsApp stehe im Widerspruch zur Warnfunktion der Schriftform, da die Kommunikation oft informell und emotional geprägt sei.

Das OLG München hat sich bewusst gegen diese restriktive Ansicht gestellt und die zunehmende Bedeutung digitaler Kommunikationsformen im Rechts- und Geschäftsverkehr betont.


D. Auslegung von Emojis als Willenserklärungen

Ein zentraler Aspekt der Entscheidung war die Auslegung des Grimassen-Emojis („😬“) im Kontext der WhatsApp-Nachrichten.

I. Grundsätze der Auslegung

Das OLG München stellte fest, dass Emojis als Ausdruck von Willenserklärungen geeignet sein können, jedoch deren Bedeutung stets im jeweiligen Kontext zu bestimmen ist. Maßgeblich ist, wie ein verständiger Empfänger die Erklärung nach den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB verstehen durfte.

Das Grimassen-Emoji wurde im Urteil mithilfe von Lexika wie Emojipedia analysiert und als Ausdruck von Nervosität, Verlegenheit oder Unbehagen interpretiert. Es sei nicht geeignet, einen Rechtsbindungswillen auszudrücken.

II. Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung zeigt, dass digitale Zeichen wie Emojis eine rechtliche Bedeutung haben können, ihre Interpretation jedoch problematisch bleibt. Faktoren wie:

  • Kontext der Nachricht

  • Begleittext oder vorheriger Austausch

  • Allgemeine Verkehrsauffassung

müssen stets berücksichtigt werden. Das Urteil betont die Gefahr von Missverständnissen, insbesondere bei der Nutzung von Emojis mit ambivalenter Bedeutung.


E. Bedeutung des Urteils und rechtliche Einordnung

I. Stellung in der Rechtsprechung

Die Entscheidung des OLG München steht auf der Linie der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) und der häufig vertretenen Meinung in der Literatur. Der BGH hat in vergleichbaren Entscheidungen (z. B. Urteil vom 27.09.2000 – VIII ZR 155/99) die Offenheit des Rechts für technische Entwicklungen betont.

II. Auswirkungen auf die Praxis

Die Entscheidung bestätigt, dass WhatsApp und ähnliche Plattformen für die Abgabe rechtsverbindlicher Erklärungen genutzt werden können, sofern deren technische und inhaltliche Anforderungen erfüllt sind. Dennoch besteht Handlungsbedarf für die Praxis:

  • Unternehmen sollten klare Richtlinien für die Nutzung von Messengerdiensten in geschäftlichen Kontexten festlegen.

  • Verträge sollten ausdrücklich regeln, ob und in welcher Form digitale Kommunikationsmittel genutzt werden können.

III. Kritische Betrachtung

Trotz der Fortschrittlichkeit des Urteils bleibt die Anwendung auf künftige Fälle herausfordernd. Die Abgrenzung zwischen formgerechten und informellen Erklärungen wird in der Praxis weiterhin eine Quelle von Streitigkeiten sein.


F. Fazit

Das Urteil des OLG München vom 11. November 2024 betont die Flexibilität des Rechts und die Bedeutung einer kontextbezogenen Auslegung von Erklärungen in digitalen Medien. Für die Praxis zeigt sich jedoch, dass klare Regelungen und ein bewusster Umgang mit Messengerdiensten unabdingbar sind, um Rechtsunsicherheiten zu vermeiden.

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Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

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