Urteils-Kommentar zu Bundesgerichtshof Urteil, 6. Aug. 2025 - VIII ZR 161/24 von ra.de Redaktion

originally published: 25.08.2025 15:42, updated: 25.08.2025 15:46
Urteils-Kommentar zu Bundesgerichtshof Urteil, 6. Aug. 2025 - VIII ZR 161/24 von ra.de Redaktion
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Bundesgerichtshof Urteil, 6. Aug. 2025 - VIII ZR 161/24

Author’s summary by ra.de Redaktion

Die Grenze des Wortlauts: Wann beginnt die Kündigungssperrfrist nach § 577a BGB?


I. Einleitung: Mieterschutz, Umwandlung und das Gesetz hinter dem Gesetz

Das Urteil des VIII. Zivilsenats markiert einen wichtigen Wendepunkt im Mietrecht: Der BGH stellt sich ausdrücklich gegen die bislang überwiegende Auffassung in der Literatur zur Anwendung von § 577a Abs. 1a, 2a BGB und zieht eineenge Grenze für den Anwendungsbereich der Kündigungssperrfrist bei Erwerb durch juristische Personengesellschaften. Dabei reduziert er den Gesetzeswortlaut – und beruft sich auf Telos und Gesetzesmaterialien. Eine umstrittene, aber dogmatisch fundierte Entscheidung, deren Relevanz weit über den Einzelfall hinausreicht.


II. Sachverhalt und rechtliche Ausgangsfrage

Die Mieter lebten seit 2004 in einer Wohnung in München. 2012 erwarb eine GmbH & Co. KG das Mietshaus und wandelte es in Eigentumswohnungen um. Die streitgegenständliche Wohnung wurde 2016 an ein privates Ehepaar verkauft, das 2017 als Eigentümer im Grundbuch eingetragen wurde. Fünf Jahre später, 2022, kündigten die Erwerber wegen Eigenbedarfs.

Kernfrage: Beginnt die Kündigungssperrfrist nach § 577a BGB schon mit dem Erwerb des Hauses durch die GmbH & Co. KG (2012)? Oder erst mit dem Einzelverkauf der Eigentumswohnung an die privaten Erwerber (2017)? Diese Frage ist entscheidend für die Zulässigkeit der Kündigung 2022 – denn in München gilt eine zehnjährige Sperrfrist (MiSchuV).


III. Entscheidung des BGH: Die Kündigungssperrfrist begann erst 2017

Der BGH entschied:

  1. § 577a Abs. 1a und 2a BGB sind nicht auf GmbH & Co. KG anwendbar.

    • Der Begriff „Personengesellschaft“ sei teleologisch zu reduzieren.

    • Die GmbH & Co. KG könne keinen Eigenbedarf geltend machen, daher bestehe kein vorzeitiges Verdrängungsrisiko.

  2. Die Sperrfrist nach § 577a Abs. 1 BGB beginne erst mit der Veräußerung der Eigentumswohnung an die Kläger – also mit dem Grundbucheintrag im März 2017.

  3. Die Kündigung im Jahr 2022 sei somit verfrüht – die zehnjährige Sperrfrist gelte noch bis 2027.


IV. Rechtliche Analyse: Der BGH gegen den Mainstream

1. Sperrfrist nur bei realem Risiko

Der BGH argumentiert streng nach Zweck der Norm: § 577a BGB schützt Mieter vor Kündigungen,nicht vor Verkäufen. Der Schutz soll nur dort greifen, wo er gebraucht wird – also wo ein Eigenbedarf tatsächlich geltend gemacht werden könnte. Bei einer GmbH & Co. KG sei das nicht der Fall, weil sie nicht für die Wohnnutzung eines Gesellschafters kündigen dürfe (ständige BGH-Rspr.).

2. Begriff der „Personengesellschaft“ – eng auszulegen

Der Gesetzeswortlaut spricht von „Personengesellschaft“ – dies könnte auch KG und OHG umfassen. Doch der BGH sagt: Der Gesetzgeber meinte nur die GbR, weil nur bei ihr eine Eigenbedarfskündigung durch Gesellschafter möglich sei. Der Wortlaut sei daher „zu weit gefasst“. Die Auslegung orientiere sich am Gesetzeszweck und der Entstehungsgeschichte (§ 577a Abs. 1a entstand als Reaktion auf das „Münchener Modell“).

3. Fristbeginn: Erwerb von Wohnungseigentum maßgeblich

Der BGH hält am Grundsatz fest: Die Sperrfrist beginnt mit dem Erwerb der einzelnen Eigentumswohnung. Nur in Ausnahmefällen – bei Erwerb durch GbR oder Mehrere – soll die Frist früher beginnen (§ 577a Abs. 2a). Diese Ausnahme greift aber nur bei Eigenbedarfspotential, nicht bei rein kapitalorientierten Erwerbern wie der GmbH & Co. KG.


V. Kritik und alternative Auffassungen

1. Wortlaut contra Telos: Ein juristischer Grenzgang

Die Entscheidung verstößt bewusst gegen den Gesetzeswortlaut – aber im Namen des Sinns. Dies ist juristisch vertretbar, aber nicht unumstritten. Die herrschende Literatur versteht „Personengesellschaft“ weit und will auch die KG und GmbH & Co. KG einbeziehen – vor allem, weil sie Verwertungskündigungen nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB aussprechen können. Dies könne ein Umgehungsrisiko darstellen, meinen viele Autoren.

Der BGH erkennt dieses Argument, weist es aber mit dem Hinweis zurück, dass der Gesetzgeber vor allem Eigenbedarf verhindern wollte – und nicht jede Form von Verwertung.

2. Rechtsunsicherheit für Investoren und Mieter

Die Entscheidung bringt zwar Rechtsklarheit für diesen Fall, wirft aber neue Fragen auf:

  • Was ist mit der OHG? Gilt Gleiches wie für die KG?

  • Was gilt bei atypischen Beteiligungen an einer GbR?

  • Wie grenzt man Kapitalgesellschaften mit persönlich haftenden Gesellschaftern (z. B. GmbH & Co. KG) zu echten Personengesellschaften ab?

Der BGH bietet hierzu keine systematische Lösung, sondern trifft eine Einzelfallentscheidung mit politischer Wirkung.


VI. Fazit: Richtige Entscheidung mit Konsequenz

Ist das Urteil richtig?

Ja – dogmatisch vertretbar, aber politisch brisant.
Der BGH schützt den Mieter – und das ist gut so. Aber er schränkt das Gesetz aus sich heraus ein, weil der Gesetzgeber den Begriff „Personengesellschaft“ nicht sorgfältig genug gefasst hat. Die Entscheidung wahrt den Mieterschutz, stellt sich aber offen gegen die Mehrheit der Literatur.

Was lernen wir daraus?

  • Der Wortlaut ist nicht alles – Gesetzeszweck und Entstehungsgeschichte zählen.

  • GmbH & Co. KG kann nicht „Eigenbedarf light“ konstruieren.

  • Die Sperrfrist beginnt mit Erwerb der Eigentumswohnung, nicht schon mit dem Erwerb durch Investoren.

Offene Baustellen:

  • Gilt das Urteil auch für andere Formen (OHG, atypische stille Gesellschaft)?

  • Was passiert, wenn sich die GmbH & Co. KG später auflöst und Wohnungen an Gesellschafter verteilt?

  • Wird der Gesetzgeber die Norm nun klarer fassen?


VII. Praxishinweise für Anwälte und Investoren

  • Mieter: Der Kündigungsschutz bleibt stark – auch nach Umwandlung. Eigenbedarf ist erst Jahre später durchsetzbar.

  • Käufer: Wer eine vermietete Eigentumswohnung erwirbt, muss mit Sperrfristen bis zu zehn Jahren rechnen – unabhängig vom Vorbesitzer.

  • Verkäufer und Investoren: Die Konstruktion über GmbH & Co. KG bringt keinen Fristvorteil – das „Münchener Modell 2.0“ funktioniert nicht.


VIII. Ausblick: Gesetzgeber und Rechtsprechung gefordert

Der BGH hat entschieden, was der Gesetzgeber versäumt hat: klare Differenzierung der Rechtsformen. Die Entscheidung schützt Mieter, bremst Spekulanten – und zwingt die Praxis zu mehr Klarheit. Nun ist es an der Zeit, die gesetzlichen Definitionen zu präzisieren, um zukünftige Streitfälle zu vermeiden.

Leitsatz für die Praxis:
Die Kündigungssperrfrist nach § 577a BGB beginnt nur dann vor dem Einzelverkauf, wenn Eigenbedarf objektiv droht – und das ist bei einer GmbH & Co. KG nicht der Fall.

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(1) Der Vermieter kann nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Die Kündigung zum Zwecke der Mieterhöhung ist ausgeschlossen. (2) Ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des