Urteils-Kommentar zu Bundesgerichtshof Urteil, 20. März 2025 - IX ZR 141/23 von Dirk Streifler

originally published: 22.09.2025 11:02, updated: 22.09.2025 11:07
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Bundesgerichtshof Urteil, 20. März 2025 - IX ZR 141/23

Author’s summary by Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

Zeugenbeweis first: Leitplanken für Anfechtungsprozesse (BGH, IX ZR 141/23)

Aufhänger. Der IX. Zivilsenat hat am 20. 03. 2025 (IX ZR 141/23) ein Berufungsurteil aufgehoben, weil das Tatgericht einen angebotenen Zeugen nicht vernommen hatte – mit der Begründung, eine außergerichtliche schriftliche Erklärung desselben Zeugen spreche gegen die unter Beweis gestellten Tatsachen. Der BGH bekräftigt: Vorweggenommene Beweiswürdigung dieser Art verletzt die Grundsätze der ZPO‑Beweisaufnahme. Zugleich schärft der Senat materiell‑rechtlich die Maßstäbe zur Kenntnis der Nichtschuld bei Auszahlungen an stille Gesellschafter (Scheingewinne) – relevant für § 134 InsO (objektiv unentgeltliche Leistung). 

Sachverhalt (kurz)

Die Schuldnerin hatte Anleger als stille Gesellschafter beteiligt und Ausschüttungen vorgenommen; der Insolvenzverwalter focht diese u. a. als unentgeltliche Leistungen an. Das OLG wies die Klage ab, u. a. ohne die vom Verwalter benannten Zeugen zu hören. Der BGH hob auf und verwies zurück. 

Kernaussagen des Urteils

(1) Zeugenbeweis ist zu erheben – keine „Papier‑Präklusion“.
Ein Tatgericht darf ein erhebliches Zeugenangebot nicht mit der Begründung übergehen, die schriftliche (außergerichtliche) Erklärung desselben Zeugen spreche dagegen. Das wäre unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung; maßgeblich ist die mündliche Vernehmung und die danach gebotene Gesamtwürdigung nach § 286 ZPO. Der Senat knüpft hier an seine restriktive Linie zur Ablehnung von Beweisanträgen an (Bestätigung u. a. IX ZR 129/17). 

(2) Materiell‑rechtlich: „Kenntnis der Nichtschuld“ präzisiert.
Für § 814 BGB (Leistung in Kenntnis der Nichtschuld) genügtnicht die bloße Kenntnis der Tatsachen; es bedarf einer Parallelwertung in der Laiensphäre zur rechtlichen Schlussfolgerung. Bei Scheingewinnen an stille Gesellschafter kann die Kenntnis bereits daraus folgen, dass keine Gewinne erwirtschaftet wurden – selbst wenn (fehlerhafte) Jahresabschlüsse Gegenteiliges ausweisen. Diese Linie führt der Senat aus IX ZR 107/20 und IX ZR 10/23 fort. Die Konsequenz: Auszahlungen auf „Scheingewinne“ sind typischerweise § 134 InsO‑anfechtbar

Einordnung und Systematik

Prozessual stärkt der Beschluss die Beweisaufnahmepflicht: Wer – wie Insolvenzverwalter in Anfechtungsprozessen – auf interne Kenntnisse (z. B. Organe, Buchhaltung, Wirtschaftsprüfer) angewiesen ist, darf sich auf Zeugenbeweisstützen; Gerichte müssen diesen grundsätzlich erheben (Ausnahmen – etwa reine Beweisvereitelung oder offensichtliche Untauglichkeit – sind eng). Materiell‑rechtlich bestätigt der Senat die Schenkungsanfechtung rechtsgrundlos geleisteter Scheingewinn‑Ausschüttungen bei entsprechender Kenntnislage. 

Praxis‑To‑dos

  • Für Insolvenzverwalter:

    • Beweisstrategie früh planen: Wer wusste was, wann, wo (Wissenszurechnung!)? Protokolle/Emails sichern; konkrete Zeugenfragen formulieren.

    • Jahresabschlüsse kritisch „entzaubern“: Planung/Bilanzierung vs. tatsächliche Cash‑Flows; ggf. Neuabschluss als Referenz für Rechtsgrundlosigkeit. 

  • Für Beklagte/Anleger:

    • Substanziiert bestreiten und Gegenbeweis anbieten; aber bloße Schriftstücke desselben Zeugen reichen nicht, um Vernehmung zu vermeiden.

    • Vorsicht mit Einlassungen gegenüber dem Verwalter: Sie ersetzen nicht die Zeugenvernehmung

  • Für Gerichte:

    • Keine Ablehnung des Zeugenbeweises mit Verweis auf außergerichtliche Erklärungen; erst vernehmen, dann würdigen (§ 286 ZPO).

    • In der Sache: Maßstab „Kenntnis der Nichtschuld“ konsequent an den Scheingewinn‑Konstellationenschärfen.

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(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei.

Das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete kann nicht zurückgefordert werden, wenn der Leistende gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war, oder wenn die Leistung einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand z
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20.12.2024 14:25

Dieser Artikel richtet sich an Rechtsanwälte, Insolvenzverwalter, Unternehmensjuristen und Fachleute, die mit der rechtlichen Bewertung von insolvenzrechtlichen Fragestellungen betraut sind. Besonders relevant ist das Thema für die Beratung von Mandanten in der Unternehmensinsolvenz, bei der Anfechtung von Rechtshandlungen sowie in der rechtlichen Bewertung bedingter Rechtsgeschäfte. Ziel ist es, das Zusammenspiel von Bedingungen und den Vorschriften der Insolvenzordnung (InsO), insbesondere § 140 InsO, verständlich darzustellen, typische Problemfelder zu beleuchten und Lösungsansätze sowie divergierende Meinungen aufzuzeigen.
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Annotations

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

Das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete kann nicht zurückgefordert werden, wenn der Leistende gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war, oder wenn die Leistung einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprach.

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.