Verkehrsrecht: Knapp über der Promillegrenze ist auch zu viel
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Wie aber ist es, wenn der Grenzwert nur ein klitzekleines bisschen überschritten ist? Kann man darauf hoffen, dass das Gericht dann ein Auge zudrückt nach dem Motto: Fast nüchtern ist so gut wie ganz nüchtern?
Keineswegs, so die Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Bamberg. In dem zu entscheidenden Fall hatte der Autofahrer 0,54 Promille Alkohol im Blut. Das nahm das zunächst entscheidende Amtsgericht zum Anlass, das im Bußgeldbescheid noch verhängte Fahrverbot gegen Erhöhung der Geldbuße wegfallen zu lassen. Zu Unrecht, wie das OLG Bamberg nunmehr befand. Das Gericht verwies darauf, dass bei Ordnungswidrigkeiten nach § 25a StVG, also beim Führen eines Kraftfahrzeugs mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,5 Promille oder mehr, regelmäßig ein Fahrverbot zu verhängen ist. Angesichts des höheren Unrechtsgehalts und der Gefährlichkeit einer derartigen Ordnungswidrigkeit verstehe sich die grundsätzliche Angemessenheit eines Fahrverbots regelmäßig von selbst, argumentierten die Richter. Da sie auch sonst keine schwerwiegenden Gründe für einen Wegfall des Fahrverbots erkennen konnten, hoben sie das Urteil des Amtsgerichts auf. Dieses muss nun neu entscheiden.
Fazit: Das Herantrinken an Promillegrenzen ist für Autofahrer gefährlich. Wer gerade zur Weihnachtszeit ganz sicher gehen will, lässt die Finger entweder vom Glühwein oder vom Autoschlüssel.
Das OLG Bamberg hat in seinem Beschluss vom 29. 10. 2012 (3 Ss OWi 1374/12) folgendes entschieden:
Ein Absehen vom gesetzlichen Regelfahrverbot nach § 25 I 2 StVG kommt unbeschadet der Gültigkeit des rechtsstaatlichen Übermaßverbotes nur in Härtefällen ganz außergewöhnlicher Art in Betracht oder wenn wegen besonderer Um-stände das Tatgeschehen ausnahmsweise aus dem Rahmen einer typischen Ordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 1 StVG derart herausfällt, dass die Verhängung des Regelfahrverbots als offensichtlich unpassend anzusehen wäre.
Eine Ausnahme von einem nach §§ 24 a I und III, 25 I 2 StVG i.V.m. § 4 III BKatV verwirkten Regelfahrverbot kann nicht damit begründet werden, dass die in § 24 a I StVG genannten Grenzwerte für die bußgeldbewehrte Atemalkohol- oder Blutalkoholkonzentration nur geringfügig überschritten wurden.
Sachverhalt:
Das AG hat den als selbständiger Messebauer sowie in den Sommermonaten bzw. während messefreier Zeiten im Innen- und Trockenbau jeweils ohne angestellte Mitarbeiter tätigen Betr. wegen einer im November 2011 als Führer eines Pkw begangenen fahrlässigen Ordnungswidrigkeit des Führens eines Kfz mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,25 mg/l oder mehr bzw. einer zu einer solchen AAK führenden Alkoholmenge im Körper gemäß § 24 a I mit III StVG zu einer Geldbuße von 1.000 Euro verurteilt. Von dem im Bußgeldbescheid neben einer Geldbuße von 500 Euro angeordneten Fahrverbot von 1 Monat nach Maßgabe des § 25 IIa StVG hat das AG demgegenüber unter gleichzeitiger Verdoppelung des als Regelsatz vorgesehenen Bußgeldes von 500 Euro abgesehen. Mit ihrer aufgrund der Einspruchsbeschränkung des Betr. nur noch den Rechtsfolgenausspruch betreffenden Rechtsbeschwerde rügt die StA die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung an das AG.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 79 I Satz 1 Nr. 3 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
Zwar hat das AG im Grundsatz nicht verkannt, dass ein Absehen von dem gesetzlich angeordneten Regelfahrverbot nach §§ 24 a I, III, 25 I 2 StVG i.V.m. § 4 III BKatV nur in Härtefällen ganz außergewöhnlicher Art in Betracht kommen kann oder wenn wegen – hier nicht gegebener – besonderer Umstände äußerer oder innerer Art das Tatgeschehen ausnahmsweise aus dem Rahmen einer typischen Ordnungswidrigkeit nach § 24 a I StVG derart herausfällt, dass die Verhängung des Regelfahrverbots als offensichtlich unpassend anzusehen wäre. Denn anders als bei den Katalogtaten nach § 4 I und II BKatV, in denen ein Fahrverbot lediglich in der Regel „in Betracht“ kommt, ist bei Ordnungswidrigkeiten nach § 24 a StVG gemäß § 25 I 2 StVG i.V.m. § 4 III BKatV in der Regel ein Fahrverbot zu verhängen. Den Gerichten ist deshalb in den Fällen des § 24 a StVG bei der Entscheidung darüber, ob von einem Fahrverbot im Einzelfall ausnahmsweise abgesehen werden kann, ein geringerer Ermessensspielraum eingeräumt. Angesichts des höheren Unrechtsgehalts und der Gefährlichkeit einer derartigen Ordnungswidrigkeit versteht sich vielmehr die grundsätzliche Angemessenheit eines Fahrverbots regelmäßig von selbst. Schon daraus folgt, dass für das hier vom AG zur Begründung des Fahrverbotswegfalls angeführte Argument, wonach „insbesondere [...] die AAK nur geringfügig über dem Grenzwert“ liege oder gar – wie die Verteidigung im Rahmen ihrer Stellungnahme zur Rechtsbeschwerdebegründung der StA meint – angesichts der festgestellten AAK von 0,27 mg/l von einer „geradezu an der Grenze zur Nüchternheit“ liegenden AAK auszugehen sei, von vornherein kein Raum ist.
Unabhängig hiervon rechtfertigen aber auch die übrigen Feststellungen des AG keine Ausnahme von dem verwirkten gesetzlichen Regelfahrverbot:
Zwar hat sich das AG zu Recht mit den persönlichen, beruflichen und wirtschaftlichen Folgen eines Fahrverbots für den Betr. auseinandergesetzt. Denn der Tatrichter bleibt auch in den Fällen des § 24 a StVG verpflichtet, sich mit den möglichen Folgen eines Fahrverbots für den Betr. zu befassen; die Beschäftigung mit dieser Frage gebot vorliegend schon das mit Verfassungsrang ausgestattete rechtsstaatliche Übermaßverbot, nachdem der Betr. eine von einem Fahrverbot ausgehende unverhältnismäßige Härte vorgetragen hat.
Es entspricht andererseits ständiger obergerichtlicher Rspr., dass Angaben eines Betr., es drohe bei Verhängung eines Fahrverbots der Existenzverlust, nicht ungeprüft übernommen werden dürfen. Vielmehr ist ein derartiger Vortrag vom Tatrichter kritisch zu hinterfragen, um das missbräuchliche Behaupten eines solchen Ausnahmefalles auszuschließen. Zugleich wird das Rechtsbeschwerdegericht nur so in die Lage versetzt, die Rechtsanwendung – wenn auch eingeschränkt – nachzuprüfen.
Dies ist hier nicht mit der gebotenen Sorgfalt geschehen:
Der Senat kann anhand der Urteilsgründe nämlich schon im Ansatz nicht übersehen, ob die vom Betr. – wenn auch nach Auffassung des AG aufgrund des persönlichen Eindrucks glaubwürdig - vorgetragenen Darlegungen zum Vorliegen einer unverhältnismäßigen Härte oder zu Urlaubsmöglichkeiten auf einer hinreichenden Beweisgrund-lage beruhen, zumal insoweit schon die inhaltlich unbestimmte und letztlich unklare Einlassung des Betr., keinen „längeren Urlaub [...] aus finanziellen Gründen“ nehmen zu können, ein weiteres Hinterfragen nahe gelegt hätte.
Gravierender fällt freilich ins Gewicht, dass das AG nach den Urteilsgründen keinen erkennbaren Versuch unternommen hat, die konkrete tatsächliche Einkommens- und Vermögenslage des immerhin „in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen“ lebenden verheirateten Betr. aufzuklären, so dass völlig offen bleibt, ob und gegebenenfalls warum der Betr. unter Berücksichtigung seiner finanziellen Gesamtsituation gerade aufgrund des Fahrverbots tatsächlich eine Existenzgefährdung seines selbständigen Gewerbebetriebs zu vergegenwärtigen hätte. Vielmehr erscheint eine konkret existenzbedrohende Wirkung eines einmonatigen Fahrverbots - wie in zahlreichen vergleichbaren Fällen - eher fernliegend.
Wird wegen der drohenden Verhängung eines Fahrverbots eine existenzielle Betroffenheit geltend gemacht, ist bei Selbständigen, Handwerkern oder Freiberuflern die Vorlage hinreichend aussagekräftiger Unterlagen wie Bilanzen, Kontounterlagen, Steuerbescheide oder Gewinnermittlungen grundsätzlich unabdingbar. Offenbar hat das AG jedoch bislang insoweit, etwa durch zeugenschaftliche Einvernahme des betrieblichen Steuerberaters oder wenigstens durch Verlesung der vorgenannten oder vergleichbarer Unterlagen im Wege des Urkundenbeweises, gar keinen Beweis erhoben.
Hinzu kommt, dass sich das AG unzureichend damit auseinander gesetzt hat, wes-halb es dem Betr. auch wegen des nach Sachlage zu gewährenden Vollstreckungsaufschubs nach § 25 IIa 1 StVG tatsächlich nicht möglich und zumutbar sein sollte, den Beginn des Fahrverbots innerhalb des zeitlichen Rahmens von vier Monaten zumindest teilweise auf einen ihm günstigeren Zeitpunkt, z.B. in einen „messefreien“ Zeitraum bzw. während einer über längere Zeit am selben Ort auszuübenden Tätigkeit im Innen- und Trockenbau zu legen und dadurch sowie durch weitere und dann durchaus zumutbare Ausgleichs- und innerbetriebliche Reorganisationsmaßnahmen, etwa der vorübergehen-den Einstellung eines notfalls über einen Kredit zu finanzierenden Fahrers, die Folgen des Fahrverbotes wenigstens so weit abzumildern, dass die Gefahr einer Existenzvernichtung abzuwenden wäre. Mit dem ausschließlich auf die Angaben des Betr. gestützten Hinweis, dass dem Betr. nicht nur „Verdienstausfall sondern auch das Ab-springen seiner Kunden“ drohe, durften all diese Fragen nicht unbeantwortet bleiben.
Dass der Betr. schließlich angibt, zur Gewerbeausübung gerade im Messebau nicht zuletzt wegen der notwendigen Mitführung seiner kompletten Werkzeugausrüstung – im Ergebnis nicht anders wie jeder abhängig beschäftigte Berufskraftfahrer – auf höchst-mögliche Mobilität und Flexibilität angewiesen zu sein, könnte ein Abweichen vom Fahrverbot im Übrigen selbst dann nicht rechtfertigen, wenn dem Betr. aufgrund eines uneingeschränkten und Schuldeinsicht belegenden Tatgeständnisses oder seines konkreten Verteidigungsverhaltens oder eines in der Hauptverhandlung hinterlassenen positiven „persönlichen Eindrucks“ eine günstige Prognose hinsichtlich seines künftigen Verkehrsverhaltens mit guten Gründen zugebilligt werden könnte.
Nach alledem muss der Senat davon ausgehen, dass das AG seinen Feststellungen einseitig die Angaben des Betr. und diese im Ergebnis ohne hinreichende Ausschöpfung sonstiger Beweismittel nur einer an der Oberfläche verhafteten Plausibilitätsprüfung unterzogen hat. Dies genügt den aus § 267 III StPO in Verbindung mit § 71 I OWiG resultierenden sachlich-rechtlichen Anforderungen an die Abfassung der Urteilsgründe regelmäßig nicht.
Aufgrund des aufgezeigten sachlich-rechtlichen Mangels ist auf die Rechtsbeschwerde der StA das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch sowie in der Kostenentscheidung aufzuheben. Wegen der Wechselwirkung zwischen Fahrverbot und Geldbuße betrifft die Aufhebung nicht nur die Fahrverbotsanordnung, sondern den gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das AG München zurückverwiesen.
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(1) Kann in einem Bußgeldverfahren wegen eines Halt- oder Parkverstoßes der Führer des Kraftfahrzeugs, der den Verstoß begangen hat, nicht vor Eintritt der Verfolgungsverjährung ermittelt werden oder würde seine Ermittlung einen unangemessenen Aufwand erfordern, so werden dem Halter des Kraftfahrzeugs oder seinem Beauftragten die Kosten des Verfahrens auferlegt; er hat dann auch seine Auslagen zu tragen. Entsprechendes gilt für den Halter eines Kraftfahrzeuganhängers, wenn mit diesem Kraftfahrzeuganhänger, ohne dass dieser an ein Kraftfahrzeug angehängt ist, ein Halt- oder Parkverstoß begangen wurde und derjenige, der den Verstoß begangen hat, nicht vor Eintritt der Verfolgungsverjährung ermittelt werden kann oder seine Ermittlung einen unangemessenen Aufwand erfordern würde. Von einer Entscheidung nach Satz 1 oder 2 wird abgesehen, wenn es unbillig wäre, den Halter oder seinen Beauftragten mit den Kosten zu belasten.
(2) Die Kostenentscheidung ergeht mit der Entscheidung, die das Verfahren abschließt; vor der Entscheidung ist derjenige zu hören, dem die Kosten auferlegt werden sollen.
(3) Gegen die Kostenentscheidung der Verwaltungsbehörde und der Staatsanwaltschaft kann innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung gerichtliche Entscheidung beantragt werden. § 62 Abs. 2 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten gilt entsprechend; für die Kostenentscheidung der Staatsanwaltschaft gelten auch § 50 Abs. 2 und § 52 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten entsprechend. Die Kostenentscheidung des Gerichts ist nicht anfechtbar.