Strafrecht: Kurzzeitiges Festhalten mit zeitlich nur unerheblicher Beeinträchtigung
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Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des LG Bielefeld vom 23. 5. 2002
hinsichtlich des Schuldspruchs im Fall B II der Urteilsgründe dahin geändert, dass der Angeklagte insoweit nur der Nötigung schuldig ist; in den übrigen Schuldsprüchen (B I der Urteilsgründe) und im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des LG zurückverwiesen.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das LG hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in vier Fällen, davon in einem Fall in nicht geringer Menge, sowie wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
Das Rechtsmittel hat - wie auch der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt hat - mit der auf einen Verstoß gegen § 258 StPO gestützten Verfahrensrüge insoweit Erfolg, als es die Schuldsprüche hinsichtlich der Betäubungsmitteldelikte (B I der Urteilsgründe) und den gesamten Strafausspruch betrifft.
Das LG ist nach dem letzten Wort des Angeklagten erneut in die Beweisaufnahme eingetreten und hat dessen persönliche Verhältnisse erörtert. Danach haben der Staatsanwalt und der Verteidiger Bezug auf ihre bereits gestellten Anträge genommen. Dem Angeklagten ist entgegen § 258 II und 3 StPO das letzte Wort nicht nochmals erteilt worden. Dies rügt die Revision zu Recht. Ein Fall, in dem die erneute Einräumung der Gelegenheit zum letzten Wort ausnahmsweise entbehrlich sein oder in dem das Urteil auf dem Verfahrensfehler nicht beruhen kann (vgl. BGHR StPO § 258 III Wiedereintritt 8 m.w. Nachw.), liegt hier, soweit es um die Schuldsprüche wegen der vom Angeklagten bestrittenen Betäubungsmitteldelikte und den gesamten Rechtsfolgenausspruch geht, nicht vor.
Hinsichtlich der Verurteilung im Fall B II der Urteilsgründe führt der Verfahrensverstoß allerdings nur zur Aufhebung des Strafausspruchs, weil der Schuldspruch auf ihm nicht beruhen kann. Der Angeklagte hat den insoweit festgestellten Sachverhalt glaubhaft eingestanden [UA 16]; sein Geständnis ist zudem durch die Angaben des früheren Mitangeklagten und die Bekundungen des Geschädigten bestätigt worden.
Allerdings bedarf es bezüglich dieser Tat einer Schuldspruchänderung, da der festgestellte Sachverhalt die Verurteilung wegen tateinheitlich mit der Nötigung begangener Freiheitsberaubung nicht trägt.
Nach den Urteilsfeststellungen wollte der Angeklagte den Zeugen Ö. , der bei der Polizei belastende Angaben zu seinen Betäubungsmittelgeschäften gemacht hatte, zum Widerruf dieser Aussage veranlassen. Er erreichte, dass Ö. freiwillig mit ihm und dem früheren Mitangeklagten eine Autofahrt zu einem Waldgebiet unternahm. Im Wald, in den ihm Ö. ebenfalls freiwillig gefolgt war, warf er ihn zu Boden, kniete sich auf dessen Oberkörper, fixierte dessen Hände mit seinen Knien und schlug dessen Kopf dreimal auf den Waldboden; dabei fragte er schreiend, warum Ö. ihn “verpfiffen“ habe [UA 10]. Nach einem kurzen Wortwechsel erhoben sich beide und gingen zum Fahrzeug zurück, wo sich Ö. nach Vorhalt der Vernehmungsniederschrift bereit erklärte, seine Aussage zurückzunehmen, was er am folgenden Tag zunächst auch tat.
Dieses Verhalten des Angeklagten erfüllt den Tatbestand der Freiheitsberaubung nicht. Zwar setzt dieser keine bestimmte Dauer der Entziehung der persönlichen Bewegungsfreiheit voraus; es reicht vielmehr grundsätzlich auch eine nur vorübergehende Einschränkung aus. Andererseits stellt nicht jedes auch nur kurzzeitige Festhalten des Gegners im Verlauf einer körperlichen Auseinandersetzung, das - wie hier - zu einer zeitlich nur unerheblichen Beeinträchtigung der Fortbewegungsfreiheit führt, eine Freiheitsberaubung i.S. des § 239 StGB dar. Der Senat ändert, da in der erneuten Hauptverhandlung weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind, den Schuldspruch entsprechend ab.
Im übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufgedeckt.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass die Bestimmung der Tagessatzhöhe auch dann erforderlich ist, wenn gem. § 53 II Satz 1 StGB aus einer oder mehreren Einzelfreiheitsstrafen und einer Einzelgeldstrafe eine Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden ist (vgl. BGHSt 30, 93, 96).
Annotations
(1) Nach dem Schluß der Beweisaufnahme erhalten der Staatsanwalt und sodann der Angeklagte zu ihren Ausführungen und Anträgen das Wort.
(2) Dem Staatsanwalt steht das Recht der Erwiderung zu; dem Angeklagten gebührt das letzte Wort.
(3) Der Angeklagte ist, auch wenn ein Verteidiger für ihn gesprochen hat, zu befragen, ob er selbst noch etwas zu seiner Verteidigung anzuführen habe.
(1) Wer einen Menschen einsperrt oder auf andere Weise der Freiheit beraubt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.
(3) Auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
das Opfer länger als eine Woche der Freiheit beraubt oder - 2.
durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung eine schwere Gesundheitsschädigung des Opfers verursacht.
(4) Verursacht der Täter durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung den Tod des Opfers, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
(5) In minder schweren Fällen des Absatzes 3 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 4 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.