Das Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen

published on 13/04/2011 00:50
Das Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen
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Rechtsberatung zum Internationalen Privatrecht - BSP Bierbach, Streifler & Partner PartGmbB

Geldforderungen bis 2000 Euro können in grenzüberschreitenden Fälle künftig leichter durchgesetzt werden. Die sog. Small-Claims-Verordnung tritt zum 01.01.2009 vollständig in Kraft.

I. Einführung
Am 11.Juli 2007 wurde die Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eine europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen verabschiedet. Diese Regelung fügt sich als vorerst letzte auf Grundlage der Art. 61 lit. c und Art. 67 EG ergangene Maßnahme des europäischen Verordnungsgebers in eine stetig wachsende Reihe von Neuerungen auf dem Gebiet des Europäischen Zivilprozessrechts ein. Als letztere Regelungen seien insbesondere Die Verordnung 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates  zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens1 und die Verordnung 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung Europäischen Vollstreckungstitels2 zu erwähnen. Mit dem europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen beschreitet der europäische Gesetzgeber insofern Neuland, als dass er den Gläubigern in den einzelnen Mitgliedstaaten zum ersten Male ein Instrument in die Hand legt, mit dessen Hilfe auch streitige Forderungen grenzüberschreitend vollstreckt werden können, ohne dass ein zusätzliches Anerkennungsverfahren im Vollstreckungsmitgliedstaat durchlaufen werden müsste. Da gerade in grenzüberschreitenden Fällen sich die Hindernisse für ein schnelles Urteil mit geringen Kosten verschärfen, sollen solche Streitigkeiten ab dem 1. Januar 20093 mithilfe des neuen Verfahrens vereinfacht, beschleunigt und kostengünstiger werden .   

II. Anwendbarkeit
Gemäß Art. 2 Absatz 1 der Verordnung ist das Verfahren auf grenzüberschreitende Forderungen in Zivil – und Handelssachen mit einem Streitwert bis zu 2.000 Euro anwendbar. Ausgenommen sind gerichtliche Verfahren betreffend den Personenstand, die Rechts – und Handlungsfähigkeit, die gesetzliche Vertretung natürlicher Personen, eheliche Gütestände, das Erbrecht, Insolvenz und Vergleiche, die Schiedsgerichtsbarkeit, Miete und Pacht von Immobilien sowie das Arbeits – und Sozialrecht. Der sachliche Anwendungsbereich der Verordnung stimmt somit weitgehend mit dem der Verordnung (EG) 44/2001 überein. Auch die Liste der vom Anwendungsbereich ausgenommenen Verfahrensgegenstände schließt sämtliche von der Verordnung 44/2001 nicht erfassten Streitigkeiten ein, geht aber insofern darüber hinaus, als auch unterhalts- und arbeitsrechtliche Forderungen sowie unentgeltliche Ansprüche aus Miet – und Pachtverträgen und Klagen wegen Verletzungen des Persönlichkeitsrechts ausgeklammert werden4. 

Die Definition der grenzüberschreitenden Streitigkeit entspricht dabei derjenigen des Art. 3 Absatz 2 der Verordnung (EG) 1896/2006 zur Einführung des europäischen Mahnverfahrens. Danach liegt ein grenzüberschreitende Rechtssache vor, wenn mindestens eine der Parteien ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat als dem des befassten Gerichts hat. Solange sich das Gericht und eine der Parteien in unterschiedlichen Mitgliedstaaten der Europäischen Union befinden, kann die weitere Partei auch in einem Drittstaat ansässig sein. 

 


1Siehe hierzu: Freitag, IPrax 2007, 509 ff.
2Siehe hierzu: Wagner IPRax 2002, 75 ff.; ders.  NJW 2005, 1157 ff; ders.  IPrax 2005, 189 ff; ders. IPRax 2005, 401;  Kropholler Europäisches Zivilprozessrecht 8, Aufl. (2005), Einl. EuVTVO, Rn. 3-8.; Stein  IPRax 2004, 181ff; Stadler  IPRax 2004, 2 ff; Hüßtege  in FS Jayme (2005) Bd. 1 S. 370 ff; Hess IPRax, 2004, 493; Leible/Leimann NotarBZ 2004, 453 ff; Mankowski RIW 2004, 587; Rellermayer Rpfleger 2005, 389; Nardone AD LEGENDUM 2007, 8ff; zur Umsetzung der EuVTVO in Polen: Taborowski IPrax 2007, 250 ff.
3Gemäß Art. 29 der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 tritt diese vollumfänglich am 1. Januar 2009 in Kraft. 
4vgl. Erwägungsgründe (7) und (8) zur Verordnung (EG) Nr. 861/2007. 
 



III. Ablauf des Verfahrens für geringfügige Forderungen
Der Ablauf des Verfahrens für geringfügige Forderungen gliedert sich in Einleitung (Art.4), Durchführung (Art. 5) und Abschluss (Art. 7).
Es wird nach Maßgabe des Art. 4 durch Einreichung des im Anhang der Verordnung befindlichen Klageformblattes A nebst beweistauglicher Schriftstücke beim zuständigen Gericht eingeleitet. Dabei soll dem Kläger laut Verordnung auch die Klageerhebung auf anderem als dem Postwege, etwa per Telefax oder e-Mail möglich sein.
Sollte die erhobene Klage nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen, so weißt das Gericht den Kläger darauf hin. Nimmt der Kläger sie dennoch nicht zurück, setzt das Gericht das Verfahren unter Anwendung des Prozessrechtes des jeweiligen Mitgliedstaates fort.

Gemäß Art. 5 Absatz 1 ist das Verfahren grundsätzlich schriftlich durchzuführen. Nur wenn dies erforderlich erscheint oder von einer der Parteien beantragt wird, kann das Gericht eine mündliche Verhandlung anberaumen. Diese kann gemäß Art. 8 dann auch in Form einer Video- Konferenz oder unter Zuhilfenahme anderer Kommunikationstechnologien abgehalten werden.

Im Interesse einer zügigen Abwicklung des Rechtstreits hat das Gericht gemäß Art 5 Absatz 2 dafür zu sorgen, dass die Klage nebst Unterlagen innerhalb von 14 Tagen an den Beklagten versandt werden. Dem Beklagten verbleiben sodann ab Zustellung 30 Tage, um auf die Klage unter Verwendung des der Verordnung beigefügten Formblattes C zu antworten. Sollte der Beklagte Widerklage einlegen, so hat diesmal der Kläger gerechnet vom Zeitpunkt der Zustellung 30 Tage, um auf diese einzugehen. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass für den Fall, dass die Widerklage die Streitwertgrenze von 2.000 Euro überschreitet, beide Klagen nicht mehr nach dem europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen sondern nach dem nationalen Verfahrensrecht durchgeführt werden.

Gemäß Art. 7 hat schließlich das Gericht wiederum 30 Tage nach Eintreffen der jeweiligen Erwiderungen Zeit, das Verfahren entweder durch Urteil zum Abschluss zu bringen bzw. weitere Beweismittel anzufordern oder eine mündliche Verhandlung anzuberaumen. Eine mündliche Verhandlung hat 30 Tage nach Vorladung stattzufinden, woraufhin das Gericht innerhalb einer weiteren 30 –Tage – Frist beginnend mit Vorliegen der angeforderten Beweisunterlagen oder Abschluss der mündlichen Verhandlung zu einem abschließenden Urteil kommen muss.

Im Interesse eines schnellen und vereinfachten Ablaufs bietet das europäische Verfahren für geringfügige Forderungen dem Anwender einige erwähnenswerte Besonderheiten. Eine Beweisaufnahme kann gemäß Art. 9 grundsätzlich auch schriftlich bzw. im Wege einer Videokonferenz durchgeführt werden. Gemäß der selben Vorschrift hat das Gericht bei der Wahl der Beweiserhebung ausdrücklich dem Zeit – und Kostenaufwand Rechnung zu tragen. Das Verfahren soll demgemäss möglichst zeit- und kostengünstig für beide Parteien durchgeführt werden. Auch soll – so zumindest die Vorgabe des europäischen Gesetzgebers – gemäß Art. 10 die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes nicht erforderlich sein. Gemäß Art. 11 ist den Parteien überdies bei der Ausfüllung der Formblätter praktische Hilfestellung zu gewähren. Passend zu der Vorgabe des Art. 10 sind die Parteien nicht verpflichtet, eine rechtliche Würdigung zur Sachlage abzugeben. Das Gericht nimmt ähnlich wie im deutschen Amtsgerichtsprozess eine leitende Funktion wahr und unterrichtet die Parteien erforderlichenfalls über Verfahrensfragen. Daneben hat das Gericht, soweit angemessen auf eine gütliche Beendigung des Rechtstreits hinzuwirken.

Ein Urteil hat gemäß Art. 15 grundsätzlich ohne Sicherheitsleistung zu ergehen. Lediglich für den Fall, dass eine Partei Rechtsmittel gegen die Entscheidung eingelegt haben sollte, steht es ihr gemäß Art. 23 frei, die Aussetzung der Vollstreckung zu beantragen.

Das somit im europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen ergangene Urteil ist in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckbar, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedürfe und die Anerkennung angefochten werden könnte. Das im europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen ergangene Urteil soll gemäß Art. 21 unter den gleichen Bedingungen wie ein im Vollstreckungsstaat ergangenes Urteil vollstreckt werden können. Selbige Vorschrift legt fest, dass für das Vollstreckungsverfahren das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaat zu gelten hat.  Dies bedeutet aber, dass dem Schuldner im Prinzip alle im Vollstreckungsmitgliedstaat vorhandenen Vollstreckungsabwehrmittel zur Verfügung stehen. Insbesondere folgt daraus im Falle einer Vollstreckung in Deutschland, dass der Schuldner gemäß § 767 Abs. 1 grundsätzlich solche Einwendungen, die den im Urteil bereits festgestellten Anspruch selbst betreffen, geltend machen könnte. Wie dies mit dem ausdrücklichen in Art. 22 Absatz 2 normierten Verbot einer Nachprüfung der Sache nach vereinbar sein soll, wird sich zeigen müssen5. Im Zweifel ist eine im Wege des europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen ergangenes Urteil gerade eben nicht „nach den gleichen Bedingungen wie ein im Vollstreckungsmitgliedstaat ergangenes Urteil zu vollstrecken“.

Schließlich sollte erwähnt werden, dass gemäß Art. 19 das Gericht für den Fall, dass die Verordnung nichts anderes bestimmt auf das nationale Prozessrecht zurückgreifen kann.

IV. Kritik
Die zunehmende Vielfalt nationaler und europäischer Verfahren auf dem Gebiet des europäischen Zivilprozessrechts führen nicht notwendig zu einer Erleichterung der Rechtsanwendung im Binnenmarkt6. Die neuen Verordnungen zum europäischen Mahnverfahren und zum europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen tragen zunächst einmal zu diesem Übernormierungsprozess bei. Diese fortschreitende Zerfahrenheit des europäischen Zivilprozessrechtes mag gegenwärtig noch einer Politik der vorsichtigen Annäherung geschuldet sein und dürfte aus diesem Grunde noch hinzunehmen sein. Mittelfristig wäre jedoch eine praktikablere Fassung dieser Rechtsmaterie höchst wünschenswert.  

Neben dieser eher generellen Kritik birgt jedoch auch die Verordnung (EG) Nr. 861/2007 selbst einige Punkte, welche einer näheren – kritischen – Betrachtung unterzogen werden sollten.  

 
 


5Siehe zur identischen Problematik bei der Anwendung der Vollstreckungsabwehrklage auf den europäischen Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen gemäß VO (EG) 805/2004: Hess „Europäischer Vollstreckungstitel und nationale Vollstreckungsgegenklage“ IPRax, 2004, 493 (494); Wagner „Das Gesetz zur Durchführung der VO zum Europäischen Vollstreckungstitel“ IPRax 2005, 401 (405); Nardone a.a.O.
6Freitag a.a.O. S. 514.
 


 

Ins Auge sticht die bereits oben angedeutete Verteidigungsmöglichkeit des Beklagten, das Bagatellverfahren durch Einreichung einer Widerklage zu unterbinden. Art. 5 Abs. 7 EuBagVVO normiert hierzu, dass im Falle der Überschreitung der in Art. 2 Abs. 2 EuBagVVO festgelegten Wertgrenze durch Einlegung einer Widerklage beide Klagen fortan nach Maßgabe des Verfahrensrecht des Mitgliedstaats, in dem das Verfahren durchgeführt wird, zu behandeln sind. Mit Einlegung einer Widerklage mit einem Streitwert über 2.000 EUR würde also das Verfahren nach nationalem Recht weitergeführt, mit der logischen Folge, dass das auf dieses Verfahren hin ergehende Urteil als rein nationales Urteil im EU-Ausland nicht automatisch anerkannt und vollstreckt werden könnte. Dies vorausgesetzt, stellt sich die Frage, was dann im Falle einer Abweisung der streitwertübersteigenden Widerklage mit der ursprünglich im Wege des Bagatellverfahrens eingereichten Klage geschehen soll. Aufgrund der Regelung des Art. 5 Abs. 7 EuBagVVO wäre auch ein solches Urteil ohne Anerkennungsverfahren im Vollstreckungsstaat nicht vollstreckbar. Angesichts dieses Ergebnisses wäre der Beklagte regelmäßig gut damit beraten, im Falle einer Europäischen Bagatellklage eine Widerklage einzulegen, welche zusammen mit der Klage die Wertgrenze des Art. 2 EuBagVVO übersteigt, um auf diese Weise der drohenden Folge einer grenzübergreifenden Vollstreckbarkeit zu entgehen.

 Beispiel hierzu:

A mit Sitz in Frankreich klagt gegen B mit Sitz in Deutschland am örtlich zuständigen Gericht in Paris auf Zahlung einer Forderung in Höhe von 1.800 EUR. B hat gegen A hingegen eine Forderung in Höhe von 2.100 EUR. Obwohl ein Obsiegen des B in Höhe dieses Betrages als eher „unsicher“ eingestuft wird, erhebt er Widerklage. Das Gericht führt das Verfahren gemäß Art. 5 Abs. 7 EuBagVVO wegen Überschreitens des Höchststreitwertes durch die Widerklage des B nach französischem Zivilprozessrecht fort. Der Klage des A wird in vollem Umfang stattgegeben. Die Widerklage des B wird hingegen –beinahe erwartungsgemäß- abgewiesen. A müsste nun, um gegen B vollstrecken zu können, sein Urteil im Wege des Exequaturs in Deutschland für vollstreckbar erklären lassen.

Bedenkt man, dass gerade in laufenden Geschäftsbeziehungen regelmäßig Forderungen auf beiden Seiten bestehen, ist die oben skizzierte Situation der Erhebung einer Widerklage im Bagatellverfahren nicht unwahrscheinlich. Angesichts des recht niedrig gehaltenen Höchststreitwerts von jeweils 2.000 Euro liegt eine Überschreitung des Wertes durch die Widerklage ebenfalls nicht fern. Das Ziel einer vereinfachten Durchsetzung geringfügiger Forderungen im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr wäre auf diese Weise prozesstaktisch leicht zu umgehen.

Auch die Reglung des Art. 12 Absatz 3 erscheint jedenfalls bei wertender Betrachtung als nicht sonderlich geglückt. Demnach soll sich das Gericht, soweit angemessen, um eine gütliche Einigung der Parteien bemühen. Das Gericht soll also auf eine vergleichsweise Beilegung des Rechtsstreit hinwirken, was in vielen Fälle auch durchaus empfehlenswert sein wird. Dieser Vergleich käme jedoch aufgrund des klaren Wortlauts von Art. 20 Abs. 1 per se nicht mehr in den Genuss einer grenzüberschreitenden Vollstreckbarkeit. Art. 20 Abs. 1 legt unmissverständlich fest, dass allein ein im europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen ergangenes Urteil in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt und vollstreckt werden kann, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedarf. Dies widerspricht jedoch grundsätzlich dem den bisher ergangenen Verordnungen zugrundeliegenden Wertesystem, nämlich dass unbestrittenen Forderungen der Weg zur grenzüberschreitenden Vollstreckung offen stehen soll.  Ein Vergleich ist als sogenannte unbestrittene Forderung7 im Sinne der EuVTVO insofern privilegiert. Er kann als Europäischer Vollstreckungstitel8 bestätigt werden. Dazu wäre aber seitens der vollstreckenden Partei, also in der Regel seitens des Kläger, ein gesonderter Antrag erforderlich, was wiederum eine gewisse Kenntnis der Rechtsmaterie voraussetzt und wohl kaum einem Privatkläger zugemutet werden dürfte. Entgegen der Regelung in Art. 10 wären die Parteien spätestens an dieser Stelle gehalten, anwaltlichen Rat einzuholen. Der Kläger, der sich somit auf eine gütliche Einigung eingelassen hatte, würde somit mit der Verpflichtung, einen weiteren Antrag zu stellen „bestraft“. Ohne die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel muss der Kläger letztlich dann doch das Exequaturverfahren im Vollstreckungsmitgliedstaat durchlaufen. Das Ziel der Verordnung - Vereinfachung der Durchsetzung geringfügiger Forderungen – würde auf diese Weise nicht erreicht.

Ferner wurde bereits im Vorfeld der Verabschiedung der Verordnung kritisiert, dass im Small-Claims Verfahren grundsätzlich Zahlungsbefehle ohne Übersetzung in die Amtssprache des Empfängerlandes zugestellt werden könnten. Der Empfänger könne zwar gemäß Art. 8 der Verordnung (EG) 1348/2000 die Annahme verweigern, falls der ihm zugestellte Antrag nicht in der Amtssprache seines Sitzlandes verfasst sein sollte. Dennoch sei die Gefahr, dass ein solches Schriftstück schlichtweg übersehen werden könnte einfach zu groß. Verschärft wird diese Situation dadurch, dass laut Erwägungsgrund (19) der Small-Claims-Verordnung der Empfänger des prozesseinleitenden Schriftstücks lediglich eine Woche Zeit haben soll, die Zustellung durch Rücksendung des Schriftstückes zu verweigern. Diese Vorgabe wurde übrigens bereits im Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Durchführung der Verordnung (EG) 861/2007 umgesetzt (vgl. § 1098 Satz 2 ZPO-E). Die Gefahr, dass der das Schriftstück zunächst annehmende Schuldner sein Recht auf Annahmeverweigerung letztlich verliert und damit gezwungen ist, auf eine Klage zu erwidern, deren Sprache er nicht beherrscht, ist augenscheinlich gegeben. Aus diesem Grunde wurde gefordert, dem Empfänger einen Anspruch auf Übersetzung des Forderungsantrages in die Amtssprache des Empfängerlandes zu geben.

Zugegebenerweise kann dieser Punkt die gewünschte Effizienz und verbraucherfreundliche Handhabe des Verfahrens für geringfügige Forderungen gefährden. Auch in diesem Zusammenhang erscheint die Vorgabe des Art. 10, dass dieses Verfahren ohne anwaltlichen Beistand durchgeführt werden könne völlig unrealistisch. Gerade auf Empfängerseite besteht immenser juristischer Beratungsbedarf, welcher im Zweifel auch nur von einem dahingehend spezialisierten Rechtsbeistand zu bewerkstelligen sein dürfte. Der Gang zum Rechtsanwalt wird
 
 


7vgl. Art. 3 Abs. 1 EuVTVO ( VO 805/2004).
8vgl. dazu die Nachweise oben Fn. 2.



wohl unumgänglich sein, mit der Folge dass der Empfang dieser Schriftstücke auf die Intervention des beratenden Rechtsanwaltes hin unter Berufung auf Art. 8 VO (EG) 1348/2000 regelmäßig verweigert werden wird. Die damit einhergehende Verzögerung könnte die Akzeptanz dieses Verfahrend wiederum in Frage stellen.  

Gemäß Art. 1 Absatz 1 findet das Small-Claims- Verfahren nur auf grenzüberschreitende Sachverhalte Anwendung. Dies war jedoch nicht immer so. Noch der ursprüngliche Vorschlag der Kommission aus dem Jahre 20059 erlaubte im Prinzip auch eine Anwendung auf rein innerstaatliche Sachverhalte. Dem wurde entgegengehalten, dass dies dem im Protokoll zum EG-Vertrag niedergelegten Subsidiaritätsprinzip widerspräche. Für rein innerstaatliche Sachverhalte böten die nationalen Rechtsordnungen in den jeweiligen Mitgliedstaaten einen ausreichenden Rechtschutz. Die Kommission hatte in ihrer Subsidiaritätsbegründung auf den „fakultativen Charakter des europäischen Bagatelleverfahrens gegenüber vergleichbaren einzelstaatlichen Verfahren“ verwiesen. Die Mitgliedstaaten seien schließlich nicht gezwungen ihre weiterhin fortbestehenden Verfahren abzuschaffen10. Dieser Argumentation der Kommission wurde entgegengehalten, dass sich dies wohl auf weitgehend alle Sachverhalte des Wirtschaftsgeschehens anwenden ließe und man damit letztlich zugunsten der EU eine uneingeschränkte Regelungskompetenz schaffen würde. Offenbar hatte diese letztere Argumentation Erfolg, schließlich wurde die Anwendbarkeit der des europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen gemäß Art. 1 auf grenzüberschreitende Angelegenheiten beschränkt, was mittlerweile von anderer Seite wiederum bedauert wurde11. Zumindest aus praktischer Sicht könnte eine Anwendbarkeit dieses Verfahrens auf rein innerstaatliche Sachverhalte durchaus Sinn machen. Neben den Vorzügen, die der Anwender aufgrund der einfachen Handhabe dieses Verfahrens hätte, sei an den konkreten Fall zu denken, in dem ein Beklagter einen beträchtlichen Teil seines Vermögens im EU-Ausland hat. In diesem Falle könnte der Kläger auch in einem ansonsten rein innerstaatlichen Sachverhalt die Vollstreckung des erstrittenen Urteil ohne größeren Aufwand auch auf diesen Mitgliedstaat ausdehnen. 
 
V. Der Referentenentwurf der Bundesregierung zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 861/2007
Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der grenzüberschreitenden Forderungsdurchsetzung und Zustellung hat die Bundesregierung neben der oben genannten Verordnung auch die Umsetzung der Verordnungen 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens und der Verordnung 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil – und Handelssachen in Angriff genommen. Im 11. Buch der ZPO ist die Einführung eines neuen Abschnitt 6 für das Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen vorgesehen. Der neue Abschnitt gliedert sich in einen ersten Titel für das Erkenntnisverfahren ( §§ 1097 – 1104 ZPO-E) einen zweiten Titel für die Zwangsvollstreckung ( §§ 1105 – 1109 ZPO-E).  

Dem Problem der Sprachenregelung wurde im Referentenentwurf wie folgt begegnet: § 1098 ZPO-E übernimmt die Regelung des Art. 6 III VO, wonach der Empfänger eines Schriftstückes das Recht haben soll, dieses abzulehnen, da es nicht in der Amtssprache seines Wohnsitzstaates verfasst worden ist. § 1098 ZPO – E stellt nun klar, dass dieses Ablehnungsrecht innerhalb einer Notfrist von einer Woche auszuüben ist. § 1098 Satz 3 ZPO – E regelt, dass der Empfänger über die Folgen der Fristversäumnis zu belehren ist. Dass diese Belehrung in der jeweiligen Sprache des Empfängerstaates geschieht, stellt daneben die Verordnung (EG) 1348/2000 sicher. Gemäß Art. 8 dieser Vorordnung ist der Schuldner von der
 
 


9s. Art. 1 Vorschlag KOM (2005) 87.
10s. Vorschlag KOM (2005) 87, 2.2.2. Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit.
11Haibach „Zur Einführung des ersten europäischen Zivilprozessverfahrens: Verordnung (EG) Nr. 861/2007“ EuZW 2008, 137, 140.



jeweiligen Empfangsstelle des Mitgliedstaates zu belehren. Die Empfangsstelle wird gemäß Art. 2 Absatz 2 VO 1348/2000 vom Empfängermitgliedstaat bestimmt.
Um trotzdem daneben sicherzustellen, dass der Empfänger sein Recht auf Empfangsverweigerung nicht schuldlos verliert, ist die Frist zur Annahmeverweigerung im Gesetzentwurf der Bundesregierung als Notfrist ausgestaltet. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß Art. 19 der Verordnung in Verbindung mit §§ 233 ff ZPO ist daher möglich. Die Bundesregierung hat sich somit zumindest mit der oben genannten Kritik auseinander gesetzt und versucht diesen Umstand, durch das Instrumentarium der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auszugleichen.   

VI. Abschließende Bewertung
Das europäische Verfahren für geringfügige Forderungen wird wie seine Vorgänger die EuVTVO und die EuMahnVO die Zahl der ohne sachlichen Grund säumigen Schuldner bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen reduzieren. Es ist zu wünschen, dass dies die Rechtssicherheit im Binnenmarkt und damit die Bereitschaft zum Abschluss grenzüberschreitenden Geschäfte erhöht und damit den Außenhandel begünstigt. Eine damit einhergehende ökonomische Effizienzsteigerung kann zu einer Steigerung der Arbeitsproduktivität führen und schließlich positive Beschäftigungs- und Wachstumseffekte haben.

Juristisch gesehen markiert das europäische Verfahren für geringfügig Forderungen einen historischen Punkt: zum ersten Mal wird den Bürgern Europas ein einheitliches Verfahren für zivilrechtliche Streitigkeiten zur Verfügung gestellt. Als ein weiterer Schritt hin zu einer Vereinheitlichung des europäischen Zivilprozessrechts ist diese Maßnahme zu begrüßen. Es bleibt letztlich zu hoffen, dass das europäische Verfahren für geringfügige Forderungen trotz der hier aufgezeigten Kritikpunkte schließlich vom europäischen Rechtsanwender akzeptiert werden wird.

 

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