Arzthaftungsrecht: Keine Ablehnung des Sachverständigen wegen Vorbefassung

bei uns veröffentlicht am10.12.2010

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für Familien- und Erbrecht

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OLG Frankfurt a.M.-Beschluss vom 02.07.2010 - BSP Bierbach, Streifler & Partner PartGmbB
Das OLG Frankfurt a. M. hat mit dem Beschluss vom 02.07.2010 (Az: 8 W 28/10) folgendes entschieden:

Die Vorbefassung eines medizinischen Sachverständigen in einem Gutachten- und Schlichtungsverfahren der Landesärztekammer setzt für sich gesehen noch keinen Ablehnungsgrund dar.

Die Klägerin verlangt von der beklagten Krankenhausträgerin Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen einer vermeintlichen ärztlichen Fehlbehandlung vom Dezember 2005 in deren Klinik. Sie wirft den Ärzten der Beklagten Behandlungsfehler in Form mangelnder Befunderhebung vor, aufgrund derer ihre schwerwiegende hirnorganische Erkrankung zu spät aufgedeckt worden sei, was zu irreparablen Schäden geführt habe.

Das Landgericht hat einen Beweisbeschluss erlassen, durch den der bereits im Verfahren der Gutachter- und Schlichtungsstelle der Landesärztekammer ... tätige medizinische Sachverständige Prof. Dr. med. ..., Universitätsklinik Z. zum Gutachter bestellt worden ist. Die Beklagte hat den Sachverständigen wegen dieser Vorbefassung abgelehnt, weil sie die Besorgnis seiner Befangenheit hegt. Durch den angefochtenen Beschluss hat das Landgericht den Ablehnungsantrag der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde, mit der die Beklagte ergänzend vorträgt, das im Gutachter- und Schlichtungsverfahren erstellte Gutachten von Herrn Prof. Dr. ... sei unvollständig. Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Das Rechtsmittel ist nicht begründet. Ein gerichtlicher Sachverständiger kann aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden (§ 406 Abs. 1 S. 1 ZPO). In Betracht kommt hier lediglich eine Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit (§ 42 Abs. 2 ZPO). Dies setzt voraus, dass in den Augen einer besonnenen Partei ein Grund gegeben ist, der bei verständiger Würdigung geeignet ist, ihr Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen. Es genügt, dass die Partei aus ihrer Sicht mit einer plausiblen, gedanklich nachvollziehbaren Erklärung Zweifel an der Unbefangenheit des Sachverständigen haben kann.

Die Vorbefassung eines Sachverständigen im Gutachter- und Schlichtungsverfahren stellt für sich gesehen keinen Ablehnungsgrund dar. Die Besorgnis, der Gutachter werde von seinen bisherigen Feststellungen nicht mehr abweichen, lässt sich nicht objektivieren, weil der Sachverhalt im Rechtsstreit umfassend aufgeklärt werden kann und weil es der Beklagten unbenommen bleibt, etwaige Einwendungen gegen die Vollständigkeit und Richtigkeit der gutachterlichen Feststellungen vorzubringen.

Das Landgericht hat bereits mit Recht darauf hingewiesen, dass die Begutachtung im Gutachter- und Schlichtungsverfahren nicht mit einem Privatgutachten vergleichbar ist. Ausweislich der auf der Homepage der Landesärztekammer ... (www...de) allgemein zugänglichen Satzung ist deren Gutachter- und Schlichtungsstelle von den Weisungen der Landesärztekammer unabhängig, die Beteiligung an dem Verfahren für Patienten und Ärzte freiwillig und durch die Verfahrensausgestaltung eine weitgehende Neutralität der Begutachtung garantiert.

Vor diesem Hintergrund ist die sachverständige Begutachtung in einem Verfahren vor der Gutachter- und Schlichtungsstelle der Landesärztekammer ... am ehesten mit einer Vorbefassung in einem gerichtlichen oder staatsanwaltschaftlichen Verfahren vergleichbar. Eine derartige Vorbefassung stellt nach allgemeiner Ansicht grundsätzlich für sich allein keinen Befangenheitsgrund dar. Auch die Vorbefassung in einem Gutachter- und Schlichtungsverfahren wird daher in Literatur und Rechtsprechung nicht als Befangenheitsgrund gewertet. Die von der Beklagten vorgetragenen Ausführungen von Ulsenheimer (Bl.. 140 d. A. … unter Hinzuziehung anderer Sachverständiger durchgeführt werden kann oder muss. .) stützen die Rechtsauffassung der Beklagten nicht.

Die Erwägungen des Landgerichts lassen sich ferner mit dem Stellenwert vereinbaren, den der Bundesgerichtshof derartigen Gutachten beimisst. Medizinische Gutachten aus vorangegangenen Verfahren ärztlicher Schlichtungsstellen sind wie beispielsweise Gutachten aus vorangegangenen Prozesskostenhilfeverfahren oder Gutachten aus Ermittlungsverfahren grundsätzlich urkundsbeweislich verwertbar.

Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass der Sachverständige Prof. Dr. ... durch eine eklatant unzureichende Auswertung des Sachverhalts die Besorgnis erweckt hätte, er stünde den Parteien nicht mehr unvoreingenommen gegenüber. Es stellt sich bereits die Frage, ob dieser Vortrag im Hinblick auf die Fristbeschränkung des Ablehnungsrechts noch beachtet werden muss (§ 406 Abs. 2 S. 1 ZPO). Das spielt aber keine Rolle, weil sich auch hieraus kein Ablehnungsgrund ergibt. Der Sachverständige ... hat die ihm von den Parteien übermittelten Unterlagen wiedergegeben und sich mit ihnen auseinandergesetzt. Die von der Beklagten aufgeworfene Fragestellung war im Gutachter- und Schlichtungsverfahren nicht ausdrücklich an ihn herangetragen worden und kann nun im Rahmen des Rechtsstreits vorgetragen werden.

Weitere Gründe für eine Befangenheit des Sachverständigen sind nicht vorgebracht worden, weswegen die Beschwerde kostenpflichtig zurückzuweisen ist (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Der Beschwerdewert entspricht dem Hauptsacheinteresse.

Gründe für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht ersichtlich. Die Entscheidung entspricht der obergerichtlichen Rechtsprechung und behandelt keine Rechtsfragen, die einer grundsätzlichen Klärung durch den Bundesgerichtshof bedürften.



Gesetze

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3 Gesetze werden in diesem Text zitiert

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Zivilprozessordnung - ZPO | § 42 Ablehnung eines Richters


(1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. (2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt

Zivilprozessordnung - ZPO | § 406 Ablehnung eines Sachverständigen


(1) Ein Sachverständiger kann aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Ein Ablehnungsgrund kann jedoch nicht daraus entnommen werden, dass der Sachverständige als Zeuge vernommen worden ist. (2) Der A

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(1) Ein Sachverständiger kann aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Ein Ablehnungsgrund kann jedoch nicht daraus entnommen werden, dass der Sachverständige als Zeuge vernommen worden ist.

(2) Der Ablehnungsantrag ist bei dem Gericht oder Richter, von dem der Sachverständige ernannt ist, vor seiner Vernehmung zu stellen, spätestens jedoch binnen zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung. Zu einem späteren Zeitpunkt ist die Ablehnung nur zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen. Der Antrag kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden.

(3) Der Ablehnungsgrund ist glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides statt darf die Partei nicht zugelassen werden.

(4) Die Entscheidung ergeht von dem im zweiten Absatz bezeichneten Gericht oder Richter durch Beschluss.

(5) Gegen den Beschluss, durch den die Ablehnung für begründet erklärt wird, findet kein Rechtsmittel, gegen den Beschluss, durch den sie für unbegründet erklärt wird, findet sofortige Beschwerde statt.

(1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.

(2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.

(3) Das Ablehnungsrecht steht in jedem Fall beiden Parteien zu.

(1) Ein Sachverständiger kann aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Ein Ablehnungsgrund kann jedoch nicht daraus entnommen werden, dass der Sachverständige als Zeuge vernommen worden ist.

(2) Der Ablehnungsantrag ist bei dem Gericht oder Richter, von dem der Sachverständige ernannt ist, vor seiner Vernehmung zu stellen, spätestens jedoch binnen zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung. Zu einem späteren Zeitpunkt ist die Ablehnung nur zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen. Der Antrag kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden.

(3) Der Ablehnungsgrund ist glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides statt darf die Partei nicht zugelassen werden.

(4) Die Entscheidung ergeht von dem im zweiten Absatz bezeichneten Gericht oder Richter durch Beschluss.

(5) Gegen den Beschluss, durch den die Ablehnung für begründet erklärt wird, findet kein Rechtsmittel, gegen den Beschluss, durch den sie für unbegründet erklärt wird, findet sofortige Beschwerde statt.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)