Arbeitsrecht: Zur Verletzung von Mitbestimmungsrechten

bei uns veröffentlicht am11.11.2015
Zusammenfassung des Autors
Nicht jede Verletzung begründet den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Die Angelegenheit muss vielmehr derart eilbedürftig sein, dass der Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht abgewartet werden kann.
Das ArbG Köln hat in seinem Beschluss vom 01.07.2015 (Az.: 20 BVGa 14/15) folgendes entschieden:


Gründe:

Die Beteiligten streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren über die Rechtmäßigkeit einer aus Anlass einer Streikankündigung erfolgten arbeitgeberseitigen Einstellung von sogenannten Reservetagen in Dienstpläne.

Antragstellerin ist die Gesamtvertretung des …, der Antragsgegnerin, die ein weltweit agierendes Luftfahrtunternehmen mit Sitz in … betreibt.

Die Antragstellerin ist aufgrund haustarifvertraglicher Regelung im „Tarifvertrag Personalvertretung für das Bordpersonal vom 15.11.1972“ unstreitig vorliegend zuständige Betriebspartnerin der Antragsgegnerin für den Flugbetrieb.

Weiter gilt im Betrieb der Antragsgegnerin derzeit unstreitig der Manteltarifvertrag Nr. 2 für das Kabinenpersonal. Dieser enthält in seinem § 4 Regelungen zur „Arbeitszeit, Flugdienst-, Flug- und Ruhezeit“.

Der erste Abschnitt definiert in seinem ersten Absatz die „Arbeitszeit“:

„Die Arbeitszeit umfasst die Zeit, in der das Kabinenpersonal auf Anordnung der … Dienst leistet.

Zur Arbeitszeit zählt:

Reserve I-Zeit nach Maßgabe des 6. Abschnitts“.

Der 6. Abschnitt zu § 4 MTV regelt Standby- und Reservezeiten.

Als Standby-Zeit wird die Zeit definiert, in der sich der Mitarbeiter ständig bereithält, um innerhalb von 60 Minuten nach Abruf den Dienst anzutreten. Absatz 2 des 6. Abschnitts definiert alsdann die „Reserve“:

„Reserve ist die Zeit, in der ein Mitarbeiter nach Ablauf einer Karenzzeit nach Abruf für einen Flugeinsatz zur Verfügung steht. Beträgt die Karenzzeit bis zu 12 Stunden , gilt die Differenz von 13 Stunden abzüglich der Karenzzeit als Arbeitszeit. Karenzzeiten von mehr als 12 Stunden gelten nicht als Arbeitszeit.“

Wegen der Einzelheiten wird auf die tarifvertraglichen Regelungen Bezug genommen.

Aufgrund tarifvertraglicher Öffnungsklausel haben die Beteiligten des hiesigen einstweiligen Verfügungsverfahrens am 05.04.2001 eine „Betriebsvereinbarung Standby und Reserve“ geschlossen, gültig ab 01.05.2001, auf die wegen der Einzelheiten ebenfalls Bezug genommen wird. Diese Betriebsvereinbarung ist zwischenzeitlich gekündigt und die Kündigungsfrist abgelaufen. Ob diese Betriebsvereinbarung Nachwirkung entfacht, ist zwischen den Beteiligten streitig.

Am 22.06.2015 kündigte die zuständige Gewerkschaft UFO ab dem 01.07.2015 Streikmaßnahmen des Kabinenpersonals an.

Daraufhin erklärte die Antragsgegnerin gegenüber ihren ca. 19.000 betroffenen Flugbegleitern unter dem 26.06.2015 :

„Angesichts der derzeitigen Tarifauseinandersetzungen ist es möglich, dass es ab 1. Juli zu Streikmaßnahmen kommt. Auf diese Situation müssen wir uns vorbereiten. Gerade zu Beginn der Ferienzeit ist es wichtig, dass wir die Auswirkungen möglicher Streiks für unsere Kunden auf ein Minimum beschränken. Es muss uns gelingen, nach Streiktagen den Flugbetrieb möglichst schnell wieder zu stabilisieren. “

Am Montag, 29.06.2015 hat die Antragstellerin daraufhin das vorliegende einstweilige Verfügungsverfahren beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main, am Sitz des Flugbetriebs der Antragsgegnerin, eingeleitet. Mit Verweisungsbeschluss vom Abend des 29.06.2015 hat das Arbeitsgericht Frankfurt am Main nach zwischenzeitlicher Anhörung der Antragsgegnerseite zur örtlichen Zuständigkeit - welche ebenfalls von der örtlichen Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main ausging -, den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Köln verwiesen, mit der Begründung, die Verweisung sei jedenfalls nicht offensichtlich rechtswidrig.

In der Nacht vom 29. auf den 30.06.2015 haben weitere Tarifgespräche zwischen der Antragsgegnerin und der Gewerkschaft UFO stattgefunden. Als Ergebnis dieser Gespräche sagte die Gewerkschaft den zunächst ab Mittwoch, 01.07.2015 geplanten Streik ab und kündigte an, man plane bis Mitte Juli keine Ausstände. Insofern wolle man zunächst den Ausgang eines Workshops mit der Geschäftsleitung der Antragsgegnerin abwarten.

Daraufhin hat die Antragsgegnerin am 30.06.2015 gegenüber den betroffenen Pursern und Flugbegleitern erklärt:

„Aufgrund der von UFO bis zum Abschluss des gemeinsamen Workshops zwischen UFO und Geschäftsleitung zurückgenommenen Streikandrohung können wir die zur Stabilisierung des Flugbetriebes im Streikfall vorgesehenen zusätzlichen Reservetage wieder auflösen. Die drei zusammenhängenden RES12-Tage ohne Stundenvorhalt und mit vorgeschalteter Rufbereitschaft werden sukzessive bis zum Workshop-Ende durch freie Tage ersetzt“.

Die Antragsgegnerin hat daraufhin eine Erledigungserklärung bezüglich des hiesigen einstweiligen Verfügungsverfahrens abgegeben.

Der Antragstellervertreter hat zunächst auf telefonische Nachfrage des Vorsitzenden am 30.06.2015 angekündigt, für die Antragstellerin voraussichtlich ebenfalls eine Erledigungserklärung abgeben zu werden. Mit Schriftsatz vom 01.07.2015 hat die Antragstellerseite dann allerdings erklärt, dass sich der Rechtsstreit ihrer Ansicht nach noch nicht erledigt hat. Daraufhin hat am 01.07.2015 Kammertermin stattgefunden. Im Kammertermin hat die Antragsgegnerin nachfolgende Erklärung abgegeben:

„In der eingehenden Erörterung der Sach- und Rechtslage erklärt die Antragsgegnerseite rechtsverbindlich zu Protokoll, dass über die Erklärung im mit Telefax vom heutigen Morgen zur Gerichtsakte gereichten Erklärung vom 30.06.2015, unterzeichnet von Frau Bergweiler sowie von Frau Brand, hinausgehend bezüglich der Auflösung der Reservetage folgende Erklärung abgegeben wird:

Die Antragsgegnerseite gibt hiermit zu Protokoll rechtsverbindlich die Erklärung ab, dass sie die derzeit noch für die zweite Julihälfte in den Dienstplänen ausgewiesenen zusammenhängenden RES12 Tage ebenfalls auflösen wird, sofern es nicht zu Streikmaßnahmen kommt und die Reservetage nur dann einsetzen wird, wenn es tatsächlich zu Streikmaßnahmen kommen wird.

- Vorgespielt und von der Antragsgegnerseite ausdrücklich genehmigt. -“

Die Antragstellerseite hält ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auch durch die abgegebenen Erklärungen der Antragsgegnerseite weiterhin für nicht erledigt. Sie begehrt primär eine generelle Klärung der Rechtsfrage, ob die Anordnung von Reservezeiten mitbestimmungspflichtig ist oder nicht. Hierbei vertritt sie die Rechtsauffassung, eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme läge vor.

Sie hält die Erklärungen der Antragsgegnerseite für zu unbestimmt und verweist darauf, dass der zunächst angekündigte Arbeitskampf ab dem 01.07.2015 abgesagt wurde und derzeit kein konkret neuer Arbeitskampf angekündigt wurde.

Die Antragstellerseite beantragt zuletzt, der Beteiligten zu 2) aufzugeben, bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren es zu unterlassen, drei zusammenhängende RES12-Tage in den Betrieb einzuführen, anzuordnen, zu nutzen oder anzuwenden, solange hierzu nicht die Zustimmung durch die Antragstellerin, hilfsweise der Arbeitsgemeinschaft Standby/Reserve erteilt oder diese durch Spruch der Einigungsstelle ersetzt wurde.

Hilfsweise: der Beteiligten zu 2) aufzugeben, es für den Monat Juli 2015 zu unterlassen, drei zusammenhängende RES12-Tage in den Betrieb einzuführen, anzuordnen, zu nutzen oder anzuwenden, solange hierzu nicht die Zustimmung durch die Antragstellerin, hilfsweise der Arbeitsgemeinschaft Standby/Reserve erteilt oder diese durch Spruch der Einigungsstelle ersetzt wurde.

Die Antragsgegnerin und Beteiligte zu 2) beantragt, den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Sie hält die Ausweisung der Reservezeiten in den Dienstplänen nicht für mitbestimmungspflichtig. Jedenfalls sei die für ein einstweiliges Verfügungsverfahren erforderliche Eilbedürftigkeit durch die zwischenzeitlich erfolgte Rücknahme der Streikankündigung ab dem 01.07.2015 entfallen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Beteiligten und deren Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung war zurückzuweisen. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung setzt - auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren - voraus, dass ein Verfügungsanspruch und ein Verfügungsgrund gegeben ist und es nicht zu einer unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache kommt.

Hieran fehlt es vorliegend.

Jedenfalls fehlt es am erforderlichen Verfügungsgrund. Es besteht keine besondere Eilbedürftigkeit, die ein Abwarten des regulären Hauptsacheverfahrens unzumutbar erscheinen lassen würde.

Zwar war ursprünglich bei Antragstellung am 29.06.2015 ein Verfügungsgrund gegeben, da zu diesem Zeitpunkt aufgrund der Streikankündigung der Gewerkschaft UFO ab Mittwoch, 01.07.2015 ein Streik des Kabinenpersonals der Antragsgegnerin unmittelbar bevorstand und die Antragsgegnerin zunächst angekündigt hatte, als Reaktion auf den Streik zur Sicherstellung des Flugbetriebes von der Reserve gemäß dem 6. Abschnitt zu § 4 Manteltarifvertrag Gebrauch zu machen.

Dieser ursprüngliche Verfügungsgrund ist jedoch mit der am Morgen des 30.06.2015 erfolgten Ankündigung der Gewerkschaft UFO, ab dem 01.07.2015 doch nicht zu streiken und den daraus resultierenden Erklärungen der Antragsgegnerin entfallen. Die Antragsgegnerin hat bereits am 30.06.2015 erklärt, bis zur Beendigung des angekündigten Workshops zwischen UFO und der Geschäftsleitung die zunächst in den Dienstplänen ausgewiesenen Reservetage wieder aufzulösen. Zuletzt hat sie darüber hinaus im Kammertermin rechtsverbindlich zu Protokoll erklärt, auch die weiteren für die zweite Julihälfte derzeit noch in den Dienstplänen ausgewiesenen zusammenhängenden RES-12-Tage ebenfalls aufzulösen, sofern es nicht zu Streikmaßnahmen kommt. Sie hat weiter erklärt, die Reservetage nur dann einzusetzen, wenn es tatsächlich zu Streikmaßnahmen kommen wird.

Die Antragstellerseite hat daraufhin ausdrücklich um Protokollierung ihrer Erklärung gebeten, dass der zunächst angekündigte Arbeitskampf ab 01.07.2015 abgesagt wurde und derzeit kein konkret neuer Arbeitskampf angekündigt wurde. Entsprechende Angaben wurden ausdrücklich bestätigt durch den im Kammertermin als Vertreter der Antragstellerseite anwesenden Vorsitzenden der Gewerkschaft UFO Herrn Nicoley B.

Insofern fehlt es aufgrund dieser Erklärungen derzeit ersichtlich an einem Verfügungsgrund. Eine Realisierung der Reservetage kann aufgrund der rechtsverbindlichen Erklärung der Antragsgegnerin im Kammertermin nur dann erfolgen, wenn es zu Streikmaßnahmen kommt. Ob überhaupt und ggf. wann es zu einem Streik kommt, ist zum entscheidungserheblichen derzeitigen Zeitpunkt nach übereinstimmenden Angaben beider Beteiligter völlig ungewiss.

Damit fehlt es einem konkreten Anlass für ein einstweiliges Verfügungsverfahren. Es fehlt an einer konkreten Eilbedürftigkeit, die das Abwarten des Hauptsacheverfahrens unzumutbar machen würde.

Es verbleibt allein nach Darstellung der Antragstellerseite ein möglicher Rechtsverstoß der Antragsgegnerin dadurch, dass Reservezeiten ohne Mitbestimmung der Antragstellerin in Dienstplänen ausgewiesen werden. Wenn jedoch derartige Reservezeiten ohne Streik gar nicht realisiert werden und damit faktisch lediglich „auf dem Papier stehen“, wären die hierdurch entstehenden Belastungen für die Belegschaft nicht derart gravierend, dass es einer Klärung im einstweiligen Verfügungsverfahren bedarf.

Die Antragstellerseite möchte nach eigenen Angaben die generelle Rechtsfrage geklärt haben, ob die Anordnung von Reservezeiten einseitig durch die Antragsgegnerin erfolgen kann oder der Mitbestimmung durch die Antragstellerin bedarf. Die Klärung genereller Rechtsfragen ist jedoch regelmäßig nach den Verfahrensordnungen dem Hauptsacheverfahren vorbehalten und nicht im einstweiligen Verfügungsverfahren vorzunehmen. Das einstweilige Verfügungsverfahren dient lediglich der vorläufigen Sicherung oder Regelung. Naturgemäß kann im einstweiligen Verfügungsverfahren aufgrund der diesem Verfahren immanenten Zeitknappheit nur eine kursorische Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen. Insofern wäre - unterstellt man zugunsten der Antragstellerseite eine Verletzung von Mitbestimmungsrechten der Antragstellerseite, was vorliegend ausdrücklich als entscheidungsunerheblich dahinstehen kann - eine solche Verletzung von Mitbestimmungsrechten bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens hinzunehmen. Denn nicht jede Verletzung von Mitbestimmungsrechten begründet auch den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Hierfür ist vielmehr weitere Voraussetzung, dass die Angelegenheit derart eilbedürftig ist, dass der Abschluss des regulären Hauptsacheverfahrens nicht abgewartet werden kann. Hieran fehlt es vorliegend bei einem bloßen Ausweis von Reservezeiten in Dienstplänen, deren Realisierung völlig ungewiss ist. Der bloße Ausweis entsprechender Zeiten in einem Dienstplan stellt auch noch keine „Einführung, Anordnung, Nutzung oder Anwendung“ der tarifvertraglichen Reservezeiten im Sinne der Antragstellung dar, sondern erst deren spätere tatsächliche Umsetzung.

Insofern waren sowohl der Hauptantrag als auch der Hilfsantrag abzuweisen.

Der Hauptantrag, so wie er in der Antragschrift angekündigt wurde, ist auf eine generelle Klärung der Behandlung von Reservetagen /RES-12-Tagen ausgerichtet und würde letztlich auf ein unzulässiges gerichtliches Rechtsgutachten zu diesen Fragen hinauslaufen. Hieran ändert auch die bei der Antragstellung im Kammertermin erfolgte Einschränkung „bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens“ nichts. Im einstweiligen Verfügungsverfahren kann nicht geklärt werden, ob die Antragsgegnerin generell berechtigt ist, zusammenhängende RES-12-Tage „in den Betrieb einzuführen, anzuordnen zu nutzen oder anzuwenden“, sondern es kann lediglich eine Entscheidung für einen konkret begrenzten Lebenssachverhalt getroffen werden. Diesen hat die Antragstellerin mit ihrem Hilfsantrag, bezogen auf die Dienstpläne für Juli 2015, dargestellt. Da jedoch völlig ungewiss ist, ob es im Juli 2015 überhaupt zu Arbeitskampfmaßnahmen und damit zu einer Realisierung der Reservetage kommen wird, fehlt es auch insoweit am erforderlichen Verfügungsgrund für den Hilfsantrag.

Selbst wenn man vorliegend einen Verfügungsgrund annehmen würde, weil man einen Streik des Kabinenpersonals auch nach den abgegebenen Erklärungen als konkret zeitnah bevorstehend ansieht, würde es jedenfalls auch am weiter erforderlichen Verfügungsanspruch fehlen. Es kann auch insofern ausdrücklich dahin stehen, ob die Anordnung der durch Manteltarifvertrag vorgesehenen Reservetage generell mitbestimmungspflichtig ist oder nicht.

Entscheidend ist, dass die Antragstellerseite den Einsatz der Reservetage ausschließlich als - erstmalige, gegenüber früheren Arbeitskämpfen neue - Reaktion des Arbeitgebers auf gewerkschaftlich organisierte Streikmaßnahmen des Kabinenpersonals angekündigt hat. Der Einsatz der Reservetage soll der Stabilisierung des - durch den Streik destabilisierten - Flugbetriebs dienen. Damit stellt der konkret streikbezogene Einsatz von Reservetagen eine arbeitgeberseitige Reaktion auf einen Arbeitskampf dar.

Nach ständiger Rechtsprechung des BAG sind zwar betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmungsrechte grundsätzlich auch während eines Arbeitskampfes anzuwenden und etwaige Einschränkungen der Mitbestimmungsrechte bedürfen einer konkreten arbeitskampfrechtlichen Begründung. Allerdings sind die Organe der betrieblichen Mitbestimmung nach ständiger Rechtsprechung des BAG daran gehindert, einzelne Mitbestimmungsrechte, die durch das Streikgeschehen bedingt sind, auszuüben, wenn hierdurch die Arbeitskampffreiheit des Arbeitgebers ernsthaft beeinträchtigt wird.

Das BAG führt hierzu in seiner o. g. Entscheidung vom 13.12.2011 aus:

„Eine Einschränkung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats während eines Arbeitskampfs hat zu erfolgen, wenn bei deren uneingeschränkter Aufrechterhaltung die ernsthafte Gefahr besteht, dass der Betriebsrat eine dem Arbeitgeber sonst mögliche Arbeitskampfmaßnahme verhindert und dadurch zwangsläufig zu dessen Nachteil in das Kampfgeschehen eingreift. Die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie und der aus ihr abzuleitende Grundsatz der Chancengleichheit verlangen in diesen Fällen eine arbeitskampfkonforme Auslegung und damit Einschränkung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats. Hierdurch wird sichergestellt, dass nicht eine der Tarifvertragsparteien der anderen von vorneherein ihren Willen aufzwingen kann, sondern annähernd gleiche Verhandlungschancen bestehen. Allerdings haben Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechte des Betriebsrats nur insoweit zurückzustehen, wie deren Ausübung die Kampffähigkeit des Arbeitgebers ernsthaft beeinträchtigt.

Eine ernsthafte Beeinträchtigung der Kampffähigkeit des Arbeitgebers besteht, wenn die Wahrung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats dazu führt, dass der Arbeitgeber an der Durchführung einer beabsichtigten kampfbedingten Maßnahme zumindest vorübergehend gehindert ist und auf diese Weise zusätzlich Druck auf ihn ausgeübt wird. Diese Anforderungen sind nach der Senatsrechtsprechung erfüllt, wenn die Mitbestimmungsrechte die Rechtmäßigkeit des vom Arbeitgeber beabsichtigten Handelns an die Einhaltung einer Frist oder ein positives Votum des Betriebsrats und ggf. dessen Ersetzung durch die Einigungsstelle knüpfen. Einer Einschränkung von Beteiligungsrechten des Betriebsrats bei Maßnahmen des Arbeitgebers, die zwar während des Kampfgeschehens getroffen werden, mit der Kampfabwehr aber in keinem Zusammenhang stehen und sich auf das Kampfgeschehen auch nicht auswirken, bedarf es dagegen nicht.

Nach diesen Grundsätzen ist eine Einschränkung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats aus § 99 BetrVG bei streikbedingten Versetzungen geboten. Die mit dem gesetzlichen Zustimmungserfordernis und dem darauf bezogenen Anhörungsverfahren verbundenen Erschwernisse beschränken ernsthaft die Kampffreiheit des Arbeitgebers.

Der Einsatz arbeitswilliger Arbeitnehmer auf Arbeitsplätzen streikender Beschäftigter ist eine Arbeitskampfmaßnahme des Arbeitgebers. Damit versucht er, den Betrieb fortzuführen, die wirtschaftlichen Folgen des Streiks zu verringern und gleichzeitig seine Stellung in der Tarifauseinandersetzung zu verbessern.

Die Durchführung des Mitbestimmungsverfahrens nach § 99 BetrVG bei streikbedingten Versetzungen eigener arbeitswilliger Arbeitnehmer hindert den Arbeitgeber ernsthaft an einer wirksamen Kampfführung.

Ausgehend von diesen Grundsätzen kann auch vorliegend der ausschließlich konkret streikbezogene Einsatz von Reservetagen nicht der vorherigen Mitbestimmung der Antragstellerin unterliegen. Denn die Antragstellerin als Organ der betrieblichen Mitbestimmung ist nicht Teil der tariflichen Auseinandersetzung, die für die Arbeitnehmerseite über die Gewerkschaft UFO geführt wird. Die Antragstellerin als Organ der betrieblichen Mitbestimmung hat sich in dem Arbeitskampf neutral zu verhalten. Die Anordnung von Reservezeiten stellt sich vorliegend - vergleichbar mit der Versetzung arbeitswilliger Arbeitnehmer auf die Arbeitsplätze streikender Arbeitnehmer in dem Sachverhalt, welcher der zitierten Entscheidung des BAG vom 13.12.2011 zugrunde lag - als Arbeitskampfmaßnahme der Antragsgegnerin dar. Die hiesige Arbeitgeberin will dieses Mittel einsetzen, um den Betrieb fortzuführen, die wirtschaftlichen Folgen des Streiks zu verringern und gleichzeitig ihre Stellung in den Tarifauseinandersetzungen zu verbessern.

Auch insofern würde die Durchführung der von der Antragstellerin begehrten Mitbestimmung die Antragsgegnerin konkret an einer wirksamen Kampfführung hindern. Denn wie auch im Kammertermin von den Beteiligten selbst angesprochen, bestünde natürlich grundsätzlich die Möglichkeit der Betriebsparteien, den Abschluss eines etwaigen Einigungsstellenverfahrens zeitlich zu verzögern. Insofern wäre dem Arbeitgeber die Möglichkeit genommen, zeitnah auf einen Streik durch Anordnung von Reservetagen zu reagieren, wenn er hierfür erst ein positives Votum des Betriebsrats bzw. dessen Ersetzung durch die Einigungsstelle benötigen würde.

Daher ist auch in der vorliegenden Konstellation der als unmittelbare Reaktion auf Streikmaßnahmen erfolgenden arbeitgeberseitigen Anordnung von Reservetagen eine teleologische Reduktion der betrieblichen Mitbestimmung durch das richterrechtliche Arbeitskampfrecht geboten.
 

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Lastenausgleichsgesetz - LAG

Betriebsverfassungsgesetz - BetrVG | § 99 Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen


(1) In Unternehmen mit in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern hat der Arbeitgeber den Betriebsrat vor jeder Einstellung, Eingruppierung, Umgruppierung und Versetzung zu unterrichten, ihm die erforderlichen Bewerbungsunterlagen v

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 9


(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden. (2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverstä

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Arbeitsgericht Köln Beschluss, 01. Juli 2015 - 20 BVGa 14/15

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Tenor

Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.


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(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.

(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.

(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.

(1) In Unternehmen mit in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern hat der Arbeitgeber den Betriebsrat vor jeder Einstellung, Eingruppierung, Umgruppierung und Versetzung zu unterrichten, ihm die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorzulegen und Auskunft über die Person der Beteiligten zu geben; er hat dem Betriebsrat unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen Auskunft über die Auswirkungen der geplanten Maßnahme zu geben und die Zustimmung des Betriebsrats zu der geplanten Maßnahme einzuholen. Bei Einstellungen und Versetzungen hat der Arbeitgeber insbesondere den in Aussicht genommenen Arbeitsplatz und die vorgesehene Eingruppierung mitzuteilen. Die Mitglieder des Betriebsrats sind verpflichtet, über die ihnen im Rahmen der personellen Maßnahmen nach den Sätzen 1 und 2 bekanntgewordenen persönlichen Verhältnisse und Angelegenheiten der Arbeitnehmer, die ihrer Bedeutung oder ihrem Inhalt nach einer vertraulichen Behandlung bedürfen, Stillschweigen zu bewahren; § 79 Abs. 1 Satz 2 bis 4 gilt entsprechend.

(2) Der Betriebsrat kann die Zustimmung verweigern, wenn

1.
die personelle Maßnahme gegen ein Gesetz, eine Verordnung, eine Unfallverhütungsvorschrift oder gegen eine Bestimmung in einem Tarifvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung oder gegen eine gerichtliche Entscheidung oder eine behördliche Anordnung verstoßen würde,
2.
die personelle Maßnahme gegen eine Richtlinie nach § 95 verstoßen würde,
3.
die durch Tatsachen begründete Besorgnis besteht, dass infolge der personellen Maßnahme im Betrieb beschäftigte Arbeitnehmer gekündigt werden oder sonstige Nachteile erleiden, ohne dass dies aus betrieblichen oder persönlichen Gründen gerechtfertigt ist; als Nachteil gilt bei unbefristeter Einstellung auch die Nichtberücksichtigung eines gleich geeigneten befristet Beschäftigten,
4.
der betroffene Arbeitnehmer durch die personelle Maßnahme benachteiligt wird, ohne dass dies aus betrieblichen oder in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen gerechtfertigt ist,
5.
eine nach § 93 erforderliche Ausschreibung im Betrieb unterblieben ist oder
6.
die durch Tatsachen begründete Besorgnis besteht, dass der für die personelle Maßnahme in Aussicht genommene Bewerber oder Arbeitnehmer den Betriebsfrieden durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 enthaltenen Grundsätze, insbesondere durch rassistische oder fremdenfeindliche Betätigung, stören werde.

(3) Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so hat er dies unter Angabe von Gründen innerhalb einer Woche nach Unterrichtung durch den Arbeitgeber diesem schriftlich mitzuteilen. Teilt der Betriebsrat dem Arbeitgeber die Verweigerung seiner Zustimmung nicht innerhalb der Frist schriftlich mit, so gilt die Zustimmung als erteilt.

(4) Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht beantragen, die Zustimmung zu ersetzen.