Verwaltungsgericht Würzburg Beschluss, 30. Juni 2015 - W 2 S 15.50183

published on 30/06/2015 00:00
Verwaltungsgericht Würzburg Beschluss, 30. Juni 2015 - W 2 S 15.50183
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Gericht

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Tenor

I.

Der Antrag wird abgelehnt.

II.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Der Antragsteller, ein am ... 1993 geborener syrischer Staatsangehöriger, begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Anordnung der Abschiebung nach Ungarn im Rahmen des sogenannten Dublinverfahrens.

Der Antragsteller reiste am 30. Januar 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 19. Februar 2015 einen Asylantrag.

Am 13. April 2015 stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) aufgrund eines EURODAC-Treffers für Ungarn vom 23. Februar 2015 ein Wiederaufnahmegesuch nach der Dublin III-VO an Ungarn. Die ungarischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 24. April 2015 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags.

Mit Bescheid vom 12. Mai 2015, dem Antragsteller zugestellt am 28. Mai 2015, lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Ziffer 1) und ordnete die Abschiebung nach Ungarn an (Ziffer 2). Der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, da Ungarn aufgrund des dort bereits gestellten Asylantrags für die Behandlung zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht auszuüben, seien nicht ersichtlich. In Ungarn lägen keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union vor. Deutschland sei verpflichtet, die Überstellung nach Ungarn durchzuführen. Die Anordnung der Abschiebung nach Ungarn beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.

Mit Telefax seines Bevollmächtigten vom 3. Juni 2015, eingegangen bei Gericht am selben Tag, ließ der Antragsteller Klage erheben mit dem Ziel, die Antragsgegnerin zu verpflichten, unter Aufhebung ihres Bescheides vom 12. Mai 2015 Az.: 5916947 - 475 in ein Verfahren zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft des Klägers einzutreten (W 2 K 15.50182). Gleichzeitig ließ er einen Eilantrag stellen und beantragen,

die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids, da das Asylsystem in Ungarn erhebliche systemische Mängel aufweise. Der Antragsteller sei bei seinem Aufgriff in Ungarn grundlos von der Polizei zusammengeschlagen worden. Auch sei der Bescheid im Hinblick auf die Ablehnung des Selbsteintritts Deutschlands ermessensfehlerhaft. Dem Antragsteller sei nicht die Möglichkeit eröffnet worden, hierzu vorzutragen. Der Befragungsbogen lasse für Ausführungen zu Gründen nach Art. 17 Dublin-III-VO keinen Raum.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte, auf die Akte im Verfahren W 2 K 15.50182 und die beigezogene Bundesamtsakte verwiesen.

II.

Der Antrag ist nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG zwar zulässig, insbesondere ist die Antragsfrist von einer Woche nach Bekanntgabe der Abschiebungsanordnung gewahrt. Der Antrag ist aber unbegründet. Das öffentliche sich aus § 75 AsylVfG ergebende Vollzugsinteresse überwiegt das private Interesse des Antragstellers, vorläufig bis zur Entscheidung der Hauptsache noch im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen. Denn nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen und ausreichenden summarischen Prüfung im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) ist davon auszugehen, dass die Klage des Antragstellers aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird. Die Abschiebungsanordnung in Ziff. 2 des Bescheides vom 12. Mai 2015 begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Ausführungen dieses Bescheids verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylVfG). Das Vorbringen in der Antragsbegründung führt zu keiner anderen Beurteilung.

1. Zutreffend hat die Antragsgegnerin die Zuständigkeit Ungarns für die Entscheidung über den Asylantrag angenommen. Nach § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Das Bundesamt ordnet gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG in einem solchen Fall die Abschiebung in diesen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Vorliegend ist gemäß Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin-III-VO) vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. Nr. L 180, S. 31), Ungarn für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Die ungarischen Behörden haben dem Wiederaufnahmegesuch zugestimmt (Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin-III-VO).

2. Die Überstellung des Antragstellers nach Ungarn ist auch nicht wegen systemischer Mängel des ungarischen Asylverfahrens und /oder der Aufnahmebedingungen nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO rechtlich unmöglich.

Das gemeinsame Europäische Asylsystem basiert auf dem „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“ (EuGH, U. v. 10.12.2013 - ... C-394/12 - juris Rn. 52 f.; U. v. 21.12.2011 - N.S., C-411/10 u. a. - NVwZ 2012, 417). Daher besteht die Vermutung, dass jeder Asylbewerber in jedem Mitgliedstaat gemäß den Anforderungen der Grundrechtecharta der Europäischen Union (GR-Charta) und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) behandelt wird. Allerdings gilt diese Vermutung als widerlegt, wenn den Mitgliedstaaten „nicht unbekannt sein kann“, d. h. ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe („wesentliche Gründe“, Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO) für die Annahme bestehen, dass dem Asylverfahren einschließlich seiner Aufnahmebedingungen in einem Mitgliedstaat derart grundlegende, systemische Mängel anhaften, dass für dorthin überstellte Asylbewerber die Gefahr besteht, einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden (EuGH, U. v. 21.12.2011 - N.S., C-411/10 u. a. - NVwZ 2012, 417; U. v. 10.12.2013 - ..., C-394/12 - juris; U. v. 14.11.2013 - Puid, C-4/11 - NVwZ 2014, 129; BVerwG, B. v. 19.3.2014 - 10 B 6.14 - juris; B. v. 6.6.2014 - 10 B 35.14 - juris; VGH BW, U. v. 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 - juris Rn. 36). In einem derartigen Fall ist der den zuständigen Mitgliedstaat bestimmende Mitgliedstaat gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO verpflichtet, den Asylbewerber nicht an den ursprünglich als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen und hat anhand des Kapitels III dieser Verordnung zu prüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann (vgl. zur Vorläufervorschrift des Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO EuGH, U. v. 14.11.2013 - ..., C-4/11 - NVwZ 2014, 129). Hierbei ist er nicht verpflichtet, den Asylantrag auf der Grundlage des Selbsteintritts nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin III-VO selbst inhaltlich zu prüfen (vgl. zur Vorläufervorschrift des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO EuGH, U. v. 14.11.2013 - ..., C-4/11 - NVwZ 2014, 129/130 Rn. 32 ff.; BayVGH, U. v. 28.2.2014 - 13a B 13.30295 - juris Rn. 33). Vielmehr hat er nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO zunächst weiter zu prüfen, ob anhand der Dublin-Regelungen ein anderer Mitgliedstaat für eine Überstellung in Frage kommt. Ist dies nicht der Fall muss er das Asylverfahren nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin-III-VO selbst durchführen, ansonsten kann er bei festgestellter Zuständigkeit eines anderen Dublin-Staates erneut einen Bescheid im Dublin-Verfahren erlassen, muss dann allerdings dem Recht des Betroffenen auf Durchführung des Verfahrens mit angemessener Dauer Rechnung tragen (vgl. zur Dublin II-VO EuGH, U. v. 14.11.2013 - ..., C-4/11 - NVwZ 2014, 129/130 Rn. 35).

Nicht jeder zufällig und im Einzelfall auftretende Verstoß eines zuständigen Mitgliedstaates gegen einzelne unionsrechtliche Bestimmungen hat zur Folge, dass der Mitgliedstaat, in dem ein (weiterer) Asylantrag eingereicht wurde, daran gehindert wäre, den Asylsuchenden an den zuständigen Staat zu überstellen (EuGH, U. v. 21.12.2011 - N.S., C-411/10 u. a. - NVwZ 2012, 417/419; BVerwG, B. v. 19.3.2014 - 10 B 6.14 - juris; B. v. 6.6.2014 - 10 B 35.14 - juris; VGH BW, U. v. 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 - juris Rn. 33). Denn eine derartige Prämisse würde den Kern und die Verwirklichung des Ziels der Dublin-Verordnungen gefährden, rasch denjenigen Mitgliedstaat zu bestimmen, der für die Entscheidung über einen Asylantrag zuständig ist (EuGH, U. v. 21.12.2011 - N.S., C-411/10 u. a. - NVwZ 2012, 417/419). Vielmehr muss im Hinblick auf die Annahme systemischer Mängel die beachtliche Wahrscheinlichkeit bestehen, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund regelhafter größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylsuchenden im konkret zu entscheidenden Fall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder entwürdigenden Behandlung droht (BVerwG, B. v. 19.3.2014 - 10 B 6.14 - juris).

Nach den derzeitigen Erkenntnissen und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, U. v. 21.12.2011 - N.S., C-411/10 u. a. - NVwZ 2012, 417 ff.) sowie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, U. v. 3.7.2014 - .../Österreich, Nr. 71932/12 - UA Rn. 68 ff.; U. v. 6.6.2013 - .../Österreich, Nr. 2283/12 - Asylmagazin 10/2013, 342 ff.) leidet das ungarischen Asylsystem (derzeit) nicht an systemischen Mängeln, die einer Überstellung des Antragstellers entgegenstehen könnten, weil die dorthin rücküberstellten Asylsuchenden einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. d. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) bzw. des gemäß Art. 52 Abs. 3 Satz 1 GR-Charta bei der Auslegung des Art. 4 GR-Charta heranzuziehenden Art. 3 EMRK ausgesetzt wären. Das Gericht teilt vielmehr insoweit aufgrund im Folgenden noch darzulegender eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage die Einschätzung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, U. v. 3.7.2014 - .../Österreich, Nr. 71932/12 - UA Rn. 68 ff.; U. v. 6.6.2013 - .../Österreich, Nr. 2283/12 - Asylmagazin 10/2013, 342 ff.) sowie einiger anderer deutscher Verwaltungsgerichte, die systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Ungarn verneinen (z. B. VGH BW, B. v. 6.8.2013 - 12 S 675/13 - juris; OVG LSA, B. v. 31.5.2013 - 4 L 169/12 - juris; VG Gelsenkirchen, B. v. 16.6.2014 - 7a L 1208/15.A - juris; VG Düsseldorf, B. v. 11.5.2015 - 22 L 1329/15.A - juris; VG Würzburg, U. v. 29.4.2015 - W 1 K 14.30139 - juris; VG Düsseldorf, B. v. 15.4.2015 - 13 L 1259/15.A - juris; VG Minden, U. v. 15.4.2015 - 1 L 373/15.A - juris; VG Regensburg, B. v. 10.4.2015 - RO 1 S 15.50123 - juris; VG des Saarlandes, B. v. 1.4.2015 - 3 L 184/15 - juris; VG München, B. v. 30.3.2015 - M 12 S 15.50022 - juris; VG Düsseldorf, U. v. 20.3.2015 - 13 K 501/14.A - juris; VG Aachen, B. v. 26.2.2015 - 5 L 54/15.A - juris; VG Augsburg, B. v. 2.2.2015 - Au 2 S 15.50041 - juris; VG Würzburg, U. v. 23.9.2014 - W 1 K 14.50050 - UA S. 8 ff.; B. v. 25.8.2014 - W 6 S 14.50100 - juris Rn. 17 ff.; B. v. 19.5.2014 - W 3 S 14.50045 - UA S. 5 ff.; VG Stade, B. v. 14.7.2014 - 1 B 862/14 - juris Rn. 7 ff.; VG Hannover, B. v. 27.5.2014 - 5 B 634/14 - juris Rn. 8 ff.).

Nach der Berichterstattung des UNHCR zum Asylland Ungarn vom Dezember 2012 hat das ungarische Parlament im November 2012 umfassende Gesetzesänderungen verabschiedet. Danach werden Asylsuchende nicht mehr ohne sachliche Prüfung ihres Asylantrags nach Serbien oder in die Ukraine zurückgeschoben und nicht inhaftiert, wenn sie den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise einreichen. Den „Dublin-Rückkehrern“ wird nunmehr in der Regel seit dem 1. Januar 2014 aufgrund von Änderungen zum Asylgesetz (Ergänzung zum Asylgesetz by Act CXCVIII of 2013) Zugang zum Asylverfahren und eine volle Untersuchung ihres Asylantrags gewährt (HHC, Informationsschrift für Asylsuchende in Gewahrsam (und) die dem Dublin-Verfahren unterliegen vom Mai 2014, S. 19 f.). Demnach ist nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller nach einer Rücküberstellung nach Ungarn unmittelbar nach Serbien weitergeschoben würde.

Zuletzt wurden mögliche systemische Mängel des ungarischen Asylsystems primär auf die zum 1. Juli 2013 in Ungarn in Kraft getretene Gesetzesnovelle (eine englische Version dieses Gesetzes findet sich in dem in englischer Sprache verfassten Bericht: UNHCR comments and recommendations on the draft modification of certain migration-related legislative acts for the purpose of legal harmonisation; abrufbar im Internet) gestützt. Danach ist die Inhaftierung von Asylsuchenden, sog. Asylum detention, für bis zu sechs Monaten möglich (vgl. hierzu etwa VG Frankfurt/Oder, B. v. 24.7.2013 - VG 1 L 213/13.A - juris; VG München, B. v. 4.10.2013 - M 23 S 13.30926 - juris). Hieraus ergeben sich jedoch nach Auffassung des Gerichts - zum gegenwärtigen Zeitpunkt - keine systemischen Mängel. Nach dem ungarischen Asylgesetz (Art. 31/A Abs. 1) ist eine Inhaftierung zulässig zur Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit, nach dem Untertauchen oder anderweitiger Behinderung des Asylverfahrens oder wenn dies aus gewichtigen Gründen zu befürchten ist, zur Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Sicherheit oder - im Falle schwerwiegender oder wiederholter Verletzung der Regelungen über den verpflichtenden Aufenthaltsort - der öffentlichen Ordnung, wenn der Antrag bei Einreise auf dem Luftweg gestellt wurde oder wenn der Asylbewerber einer Vorladung trotz Anwesenheitspflicht nicht nachgekommen ist und dadurch das (Dublin-)Verfahren behindert hat (Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Düsseldorf vom 19.11.2014, S. 2 f.). Im Rahmen einer summarischen Betrachtung entsprechen die im ungarischen Gesetz aufgeführten Haftgründe im Wesentlichen denen des Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie (RL) 2013/33/EU - Aufnahmerichtlinie - des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180, S. 96). Im Einklang mit den Vorgaben dieser Richtlinie darf nach Art. 31 A Abs. 3 des ungarischen Gesetzes eine solche Inhaftierung nur aufgrund einer Einzelfallentscheidung erfolgen (vgl. insoweit Art. 8 Abs. 2 RL 2013/33/EU). Zudem darf eine solche Inhaftierung nach Art. 31 B Abs. 1 des ungarischen Gesetzes nicht alleine deswegen erfolgen, weil die Antragsteller einen Asylantrag gestellt haben (vgl. Art. 8 Abs. 1 RL 2013/33/EU). Folglich ist nicht davon auszugehen, dass das ungarische Asylsystem allein aufgrund dieser Neuregelungen an systemischen Mängeln leidet, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der Asylsuchenden zeitigten. Auf Kritik stieß der Umstand, dass die ungarischen Regelungen zum Teil zu unbestimmt gefasst seien und damit die Gefahr einer missbräuchlichen Anwendung bestünde (so HHC, Brief Information Note, S. 2 f.; European Council on Refugees and Exiles in seinem Bericht: Hungary passes legislation allowing widespread detention of asylum seekers; zugänglich im Internet in englischer Sprache; UNHCR comments and recommendations, S. 9). Hingegen geht aus den vorliegenden Berichten keine systematische, missbräuchliche Anwendung der Inhaftierungsvorschriften hervor (vgl. hierzu nur HHC, Brief Information Note, S. 4, wo explizit darauf hingewiesen wird, dass die zukünftige Umsetzung und Anwendung dieser Gesetzesnovelle beobachtet werden muss). Gegenteiliges ist auch dem angeführten Bericht von bordermonitoring.eu, Ungarn: Flüchtlinge zwischen Haft und Obdachlosigkeit, vom Oktober 2013 nicht zu entnehmen. Auch dort wird insoweit nur kritisiert, dass die entsprechenden Normen weit gefasst seien (vgl. S. 35 des genannten Berichts). Entsprechende Erkenntnismittel, die insoweit bereits bestehende systemische Mängel festgestellt hätten, sind aber bislang weder vorgetragen noch ersichtlich. Soweit und solange sich aber keine gegenteiligen Anhaltspunkte ergeben, ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 - N.S., C-411/10 u. a. - NVwZ 2012, 417 ff.) davon auszugehen, dass auch für Ungarn die Vermutung besteht, dass Asylsuchende jedenfalls seit November 2012 (wieder) in Einklang mit den Vorgaben der Grundrechtecharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK behandelt werden.

Auch aus den vorliegenden jüngeren Erkenntnismitteln, insbesondere dem Bericht des Hungarian Helsinki Committee vom Mai 2014, den Auskünften des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014 und vom 30. September 2014, dem Bericht von PRO ASYL vom 11. Juli 2014 sowie der neueren Rechtsprechung ergibt sich nichts Gegenteiliges. Der UNHCR hat bislang keine systemischen Mängel des Asylverfahrens oder Aufnahmebedingungen in Ungarn explizit festgestellt und keine generelle Empfehlung ausgesprochen hat, im Rahmen des Dublin-Verfahrens Asylbewerber nicht nach Ungarn zu überstellen. Dem Fehlen einer solchen generellen Empfehlung des UNHCR kommt insoweit besondere Bedeutung zu. Denn die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente sind im Rahmen der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in einem Mitgliedstaat angesichts der Rolle, die dem UNHCR durch die - bei der Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrensrechts zu beachtende - Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, besonders relevant (vgl. EuGH, U. v. 30.5.2013 - Halaf, C-528/11 - NVwZ-RR 2013, 660).

Das Gericht folgt nicht der Rechtsprechung, die das Vorliegen systemischer Mängel im Hinblick auf die Inhaftierungspraxis nunmehr für gegeben bzw. für überprüfungsbedürftig hält (so VG Berlin, B. v. 15.1.2015 - 23 L 899.14 A - juris; VG München, U. v. 20.2.2015 - M 24 S 15.50091 - juris), sondern schließt sich vielmehr der gegensätzlichen Auffassung an (VG Würzburg, U. v. 29.4.2015 - W 1 K 14.30139; U. v. 23.9.2014 - W 1 K 14.50050 - UA S. 12; VG München, B. v. 30.3.2015 - M 12 S 15.50022 - juris; VG Hamburg, B. v. 18.2.1015 - 2 AE 354/15 - juris VG Regensburg, U. v. 20.2.2015 - RN 3RN 3 K 14.50264 - juris). Nach den Feststellungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der Sache ... versus Österreich begründet die veränderte Rechtslage kein reales und individuelles Risiko, bei einer Rücküberstellung einer Verletzung von Art. 3 EMRK ausgesetzt zu sein (EGMR, U. v. 3.7.2014 - .../Österreich, Nr. 71932/12 - UA Rn. 70). Zwar werden nach Auskunft des UNHCR praktisch alle „Dublin-Rückkehrer“ inhaftiert (Auskunft des UNHCR vom 30.9.2014 an das VG Düsseldorf in englischer Sprache, S. 2); PRO ASYL geht von regelmäßigen Inhaftierungen aus (Auskunft von PRO ASYL an das VG Düsseldorf vom 31.10.2014). Jedoch begründet dieser Umstand für sich genommen noch keinen Anhaltspunkt für das Bestehen systemischer Mängel des ungarischen Asylsystems. Schließlich haben „Dublin-Rückkehrer“ durch die illegale Weiterreise in einen anderen Mitgliedstaat belegt, dass sie nicht in Ungarn verbleiben wollten. Aus den vorliegenden Erkenntnissen ergibt sich außerdem, dass im Einzelfall auch von einer Asylhaft abgesehen werden kann und auch abgesehen wird, mithin die tatsächlichen Umstände des Einzelfalles bei einer Haftanordnung berücksichtigt werden. Auch die Dauer der Asylhaft ist nach dem ungarischen System an das Fortbestehen eines Haftgrundes gekoppelt. Des Weiteren hat die Asylbehörde vor der Anordnung von Asylhaft zu prüfen, ob der Zweck durch andere Maßnahmen (Sicherungsmaßnahmen) sichergestellt werden kann, die die Verfügbarkeit des Asylsuchenden sichern (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 19.11.2014 an das VG Düsseldorf zu Frage 9). Zwar ist gegen die Anordnung der Asylhaft kein Rechtsmittel statthaft. Allerdings besteht die Möglichkeit der Beschwerde („objection“), wenn das ungarische Büro für Immigration und Nationalität bestimmte Pflichten verletzt hat. Hierüber hat das zuständige Wohnsitzgericht binnen acht Tagen zu entscheiden. Die Rechtmäßigkeit der Haft wird durch regelmäßige richterliche Kontrollen überprüft: erstmals nach 3 Tagen und in der Folgezeit in 60-Tages-Intervallen (zu den Einzelheiten Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Düsseldorf vom 19. November 2014 zu Frage 11; (österreichisches) Bundesverwaltungsgericht, B. v. 4.12.2014 - W 192 2014566-1/3 E (B) - Asylrechtliche Haft, abrufbar unter: http://www.ris.bka.gv.at - Datenbank RIS).

Des Weiteren sind nach den vorliegenden Erkenntnissen auch die Haftbedingungen für Asylbewerber nicht als unmenschlich oder erniedrigend i. S. d. Art. 3 EMRK zu erachten. Die Mitgliedstaaten sind gemäß Art. 3 EMRK verpflichtet, sich zu vergewissern, dass die Haftbedingungen mit der Menschwürde vereinbar sind und dass Art und Methode des Vollzugs der Maßnahme den Gefangenen nicht Leid oder Härten unterwirft, die das mit einer Haft unvermeidbar verbundene Maß an Leiden überstiegt, und dass seine Gesundheit und sein Wohlbefinden unter Berücksichtigung der praktischen Bedürfnisse der Haft angemessen sichergestellt sind (EGMR, U. v. 21.1.2011 - ..../Belgien u. Griechenland, Nr. 30696/09 - juris Rn. 221; U. v. 15.7.2002 - .../Russland, Nr. 47095/99 - juris Rn. 95). Die elementaren Grundbedürfnisse können im Hinblick auf die Hygiene noch in einer zumutbaren Weise erfüllt werden, wenngleich Mängel im Hinblick auf die Wohnverhältnisse, die Wasserqualität und die Versorgung mit Reinigungsmitteln auszumachen sind (vgl. zu diesen Mängeln Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014, S. 3 ff.). Gewährleistet ist zudem eine ärztliche Grundversorgung (Auskunft des UNHCR an das VG Düsseldorf vom 30.9.2014, S. 3 f.). Das Gericht verkennt nicht, dass diesbezüglich Defizite festzustellen sind. Allerdings sind sie für die Annahme eines systemischen Mangels unzureichend. Auch ist dem neuen Bericht „aida - Country-Report Hungary“ für das Jahr 2014 keine Verschlechterung der Haftbedingungen zu entnehmen (Asylum Information Database, aida Country-Report Hungary vom 17.2.2015, S. 53-56, 58-61). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Antragsteller angibt, bei seinem Aufgreifen in Ungarn von Polizeibeamten misshandelt worden zu sein. Es bestehen keine Anhaltspunkte für systematische Misshandlungen. Beachtliche systemische Mängel würden nur vorliegen, wenn Misshandlungen regelhaft von staatlicher Seite vorgenommen, geduldet oder gefördert würden (VG Würzburg, U. v. 23.9.2014 - W 1 K 14.50050 - juris Rn. 39). Dies ist vorliegend nicht der Fall. So gab das Hungarian Helsinki Committee an, kein allgemeines Muster körperlicher Misshandlungen im Asylgewahrsam vorgefunden zu haben; berichtet wird lediglich über Einzelfälle (HHC, Informationsschrift für Asylsuchende in Gewahrsam (und) die dem Dublin-Verfahren unterliegen vom Mai 2014, S. 18). Auch wird im Bericht des UNHCR vom 9. Mai 2014 von einer diesbezüglichen Verbesserung ausgegangen (UNHCR, Auskunft vom 9.5.2014 an das VG Düsseldorf, S. 5). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Angaben von PRO ASYL, in denen auf Übergriffe der sogenannten „armed security guards“ in der Asylhaft hingewiesen wird (PRO ASYL, Auskunft vom 31.10.2014 an das VG Düsseldorf, S. 7), denn es wird nicht über Vorkommnisse berichtet, die als Anhaltspunkte für systemische Misshandlungen zu erachten sind.

3. Außergewöhnliche Umstände, die möglicherweise für eine Selbsteintrittspflicht der Antragsgegnerin nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO bzw. für Ermessensfehler bei der Entscheidung der Antragsgegnerin über den Verzicht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts und deshalb für ein Recht des Antragstellers (zumindest) auf ermessensfehlerfreie Entscheidung sprechen könnten, sind vorliegend nicht glaubhaft gemacht. Die Einwand des Bevollmächtigten des Antragstellers, es liege ein Ermessenfehler vor, da der Befragungsbogen zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft keinen Raum für Ausführungen zu Art. 17 Dublin-III-VO lasse, dringt nicht durch. Am 25. März 2015 fand ein persönliches Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens mit dem Antragsteller statt. In diesem Zusammenhang wurde der Antragsteller auch nach Gründen befragt, die dagegen sprechen, dass sein Antrag auf internationalen Schutz nicht in Deutschland, sondern in einem anderen Dublin Mitgliedstaat geprüft werde. Folglich hatte der Antragsteller die Möglichkeit, Ausführungen zu Art. 17 Dublin-III-VO zu tätigen. Die Angaben des Antragstellers, er wolle aufgrund der Menschenrechte, Demokratie und Freiheit in Deutschland bleiben, sind für einen Selbsteintritt Deutschlands unzureichend, wie die Antragsgegnerin ermessensfehlerfrei im streitgegenständlichen Bescheid festgestellt hat.

Weiter sind in der Person des Antragstellers keine Gründe ersichtlich, die den streitgegenständlichen Bescheid rechtswidrig erscheinen lassen.

Somit ist der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG abzulehnen.

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Gründe Bayerisches Verwaltungsgericht München Aktenzeichen: M 12 K 15.50477 Im Namen des Volkes Urteil vom 3. September 2015 12. Kammer Sachgebiets-Nr. 710 Hauptpunkte: Afghane; Ungarn;
published on 20/08/2015 00:00

Gründe Bayerisches Verwaltungsgericht München Aktenzeichen: M 12 K 15.50039 Im Namen des Volkes Urteil vom 20. August 2015 12. Kammer Sachgebiets-Nr. 710 Hauptpunkte: Staatsangehöriger von Sierra-L
published on 21/07/2015 00:00

Gründe Bayerisches Verwaltungsgericht München Aktenzeichen: M 12 K 15.50023 Im Namen des Volkes Urteil vom 21. Juli 2015 12. Kammer Sachgebiets-Nr. 710 Hauptpunkte: Ungarn; Syrischer Staatsang
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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.