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Die erhobene Verpflichtungsklage in Form einer Bescheidungsklage ist zulässig. Insbesondere ist das erforderliche Vorverfahren (§§ 68 ff. VwGO) durchgeführt worden. Der Kläger hat spätestens mit Schreiben vom 30.05.2000 ausdrücklich beantragt, ihm die sanierungsrechtlichen Ausgleichsbeträge für die im Sanierungsgebiet gelegenen Grundstücke in Stuttgart-..., in denen er jeweils Altenwohnungen mit betreutem Wohnen sowie eine öffentliche Begegnungsstätte betreibt bzw. betrieben hat, zu erlassen. Die Beklagte hat diesen Antrag bereits vor Festsetzung der Ausgleichsbeträge (vgl. § 155 Abs. 4 S. 2 BauGB) mit Schreiben vom 05.12.2001, das keine Rechtsbehelfsbelehrung enthält, abgelehnt. Der gegen diese Ablehnung ausdrücklich erhobene Widerspruch mit Schreiben vom 21.02.2002 wurde von der Beklagten in deren Widerspruchsbescheiden vom 25.10.2002 sachlich zurückgewiesen. Der Kläger hat dagegen auch innerhalb der Monatsfrist des § 74 VwGO Klage erhoben.
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Diese Klage ist auch begründet. Denn der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte über den Antrag auf ein Absehen von der Erhebung der sanierungsrechtlichen Ausgleichsbeträge unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entscheidet (§ 113 Abs. 5 VwGO).
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Da der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses der Sanierung Eigentümer von drei bebauten Grundstücken (..., ... und ...) im Sanierungsgebiet ... war, hat er gemäß § 154 BauGB einen Ausgleichsbetrag in Höhe der durch die Sanierung bedingten Bodenwerterhöhung zu leisten. Von der Erhebung dieses Ausgleichsbetrages kann die Gemeinde nach § 155 Abs. 4 BauGB im Einzelfall ganz oder teilweise absehen, wenn dies im öffentlichen Interesse oder zur Vermeidung unbilliger Härten geboten ist. Diese Vorschrift stellt eine so genannte Kopplungsvorschrift dar, d. h. eine Vorschrift, die durch einen unbestimmten Rechtsbegriff (öffentliches Interesse bzw. unbillige Härte) und ein Rechtsfolgeermessen gekennzeichnet ist. Deshalb eröffnet erst das Vorliegen eines öffentlichen Interesses bzw. einer unbilligen Härte den Weg zu einer Ermessensentscheidung durch die Gemeinde (vgl. Berliner Kommentar zum BauGB, RdNr. 34 zu der inhaltsgleichen Vorschrift des § 135 Abs. 5). Im vorliegenden Falle liegt nach Auffassung des Gerichts ein das Absehen von der Erhebung des Ausgleichsbetrages rechtfertigendes öffentliches Interesse vor, so dass die Beklagte eine Ermessensentscheidung darüber zu treffen hat, ob sie ganz oder teilweise auf die Erhebung dieser Ausgleichsbeträge verzichtet.
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Für die Frage, wann im öffentlichen Interesse der (teilweise oder vollständige) Erlass eines Ausgleichsbetrages geboten ist, kann auf die zu § 135 Abs. 5 BauGB ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden. Denn auf die inhaltsgleiche Vorschrift des § 135 Abs. 5 BBauG ist in der Vorgängervorschrift des § 41 StBauFG verwiesen worden, bevor diese sanierungsrechtlichen Regelungen in das BauGB eingegliedert wurden. Gleichzeitig wurde zur Klarstellung die § 135 Abs. 5 BBauG bzw. BauGB entsprechende Regelung als § 155 Abs. 4 in das BauGB aufgenommen (vgl. dazu Brügelmann, BauGB, § 155 RdNr. 21). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist für das Vorliegen eines den Erlass einer Beitragsschuld rechtfertigenden öffentlichen Interesses erforderlich, dass es zum einen um die Erfüllung von öffentlichen Interessen gerade der Gemeinde geht, die den Erlass gewähren soll und zum anderen, dass der begehrte Erlass etwas zu bewirken verspricht, was wegen dieses Effektes geeignet ist, das als gesetzliches Gebot ausgestattete Interesse an der Erhebung des Beitrags zurücktreten zu lassen. So ausgestaltet kommt dem (teilweisen) Verzicht auf die Erhebung der Beiträge die Funktion eines Anreiz- und Lenkungsmittels zu, d. h. es stellt sich als eine Möglichkeit zur Einwirkung auf den Grundstückseigentümer, ein erwünschtes oder gar für erforderlich gehaltenes Vorhaben durchzuführen oder weiterzuführen, dar (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.05.1992 - 8 C 50/90 -).
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Hiervon ausgehend ist zunächst festzustellen, dass - wie der Vertreter des Klägers in der mündlichen Verhandlung ausführlich geschildert hat - auf allen drei Grundstücken im Sanierungsgebiet, für die Ausgleichsbeträge festgesetzt wurden, Einrichtungen der Altenhilfe bzw. -pflege durch den Kläger unterhalten wurden. So hat der Kläger das inzwischen veräußerte Gebäude ... für Altenwohnungen mit betreutem Wohnen genutzt. Die Gebäude ... und ... enthalten - neben 5 Mitarbeiterwohnungen - insgesamt 31 Altenwohnungen für betreutes Wohnen, einen Begegnungsraum und eine öffentliche Begegnungsstätte. Mit dem Betrieb dieser Alteneinrichtungen nimmt der - als gemeinnütziger Verein anerkannte - Kläger eine Aufgabe wahr, die ansonsten im Rahmen der Daseinsvorsorge der Beklagten obliegen würde. Damit „entlastet' der Kläger durch den Betrieb dieser Einrichtungen die Beklagte, die ansonsten vergleichbare Einrichtungen schaffen oder deren Schaffung durch andere Träger fördern müsste. Die „Entlastung" der Beklagten erfolgt nicht zuletzt auch dadurch, dass der Kläger für diese Einrichtungen der Altenhilfe die Beiträge seiner etwa 450 Mitglieder einsetzt. Dass der Kläger insoweit auch eine öffentliche Aufgabe wahrnimmt, wird auch daran deutlich, dass er - wie sein Vertreter in der mündlichen Verhandlung anhand eines aktuellen Falles eines Obdachlosen geschildert hat - Personen in dem Gebäude ... und ... aufnimmt, die ihm von der Beklagten - mangels eigener Unterbringungsmöglichkeiten - „zugewiesen” werden. Nach Auffassung der Kammer bestehen demnach keine Zweifel daran, dass der Kläger durch den Betrieb der genannten Alteneinrichtungen die Beklagte von eigenen Aufgaben freistellt (vgl. hierzu auch BVerwG, Urt. vom 04.05.1979 - 4 C 25.76 -, BRS 37 Nr. 160).
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Des Weiteren verspricht der begehrte Erlass der Ausgleichsbeträge etwas zu bewirken, was geeignet ist, das vom Gesetz gebotene Interesse (vgl. § 154 Abs. 1 BauGB) an der Erhebung des Ausgleichsbetrages zurücktreten zu lassen. Mit der in § 154 BauGB geregelten Verpflichtung zur Erhebung eines Ausgleichsbetrages verfolgt der Gesetzgeber den Zweck, den Grundstückseigentümer an den Kosten der Sanierung in der Höhe zu beteiligen die der durch die Sanierung bedingten Bodenwerterhöhung entspricht (vgl. Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 08. Aufl., § 154 RdNr. 1). Bei einer strikten Anwendung dieser Vorschrift würde der Kläger mit Kosten belastet, die die von ihm betriebenen Einrichtungen der Altenhilfe im Sanierungsgebiet gefährden würde. Der Klägervertreter hat hierzu in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargelegt, dass der Kläger nicht in der Lage ist, die angeforderten Ausgleichsbeträge aus eigenen Mitteln zu begleichen. Er hat bereits das Gebäude ... veräußert, um mit dem Erlös seine Alteneinrichtungen finanzieren zu können. Deshalb verbleibt ihm lediglich die Möglichkeit, die angeforderten Ausgleichsbeträge auf die Mieter bzw. Nutzer der Alteneinrichtung abzuwälzen mit der Folge, dass die Bewohner diese Alteneinrichtung aus finanziellen Gründen u. U. nicht mehr in Anspruch nehmen können oder dass gegebenenfalls auch öffentliche Mittel im Wege der Sozialhilfe (von der Beklagten) eingesetzt werden müssen, um diese Alteneinrichtung weiter betreiben zu können. Bei dieser Sachlage ist ein Absehen von der Erhebung der Ausgleichsbeträge zweifellos geeignet, die Weiterführung der im öffentlichen Interesse der Beklagten liegenden und diese entlastenden Altenbetreuung durch den Kläger auf der bisherigen Grundlage zu fördern, mit der Folge, dass einem solchen Erlass auch die von der Rechtsprechung (vgl. BVerwG , Urt. vom 22.05.1992 - 8 C 44/90) geforderte Funktion eines „Anreiz- und Lenkungsmittels” zukommt.
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Das (vollständige oder teilweise) Absehen von der Erhebung der von dem Kläger angeforderten Sanierungsbeträge ist im vorliegenden Falle auch geboten. Hierfür genügt es nach der Rechtsprechung, dass es einleuchtende Gründe für einen (gegebenenfalls teilweisen) Verzicht auf die Anforderung der Ausgleichsbeträge gibt, die dies auch als angemessene Lösung erscheinen lassen (vgl. dazu BVerwG, Uff. v. 22.05.1992 - 8 C 50/90). Dies ist vorliegend ohne Weiteres der Fall, so dass es im pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten steht, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob sie ganz oder teilweise von der Erhebung der hier angeforderten Ausgleichsbeträge absieht. Da die Beklagte eine solche Ermessensentscheidung noch nicht getroffen hat, war der Klage in dem sich aus dem Tenor er-sichtlichen Umfang stattzugeben.
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