Verwaltungsgericht Sigmaringen Beschluss, 19. Dez. 2014 - 4 K 5015/14

bei uns veröffentlicht am19.12.2014

Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Verfügung der L. E. vom 27. November 2014 wird angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Die am 1.1.2000 geborene Antragstellerin setzt sich gegen den Vollzug einer Schuldisziplinarverfügung zur Wehr.
Sie besuchte bis Juli 2014 die M.-B.-S. E., Grund- und Werkrealschule und wechselte dann auf eigenen Wunsch zum Beginn des Schuljahrs 2014/15 auf die L. E., Gemeinschafts- und Ganztagesschule. Dort besucht sie derzeit die Klasse 9b, in der sie gemäß § 8a Abs. 4 SchG den Hauptschulabschluss erlangen kann. Eine Teilnahme am Unterricht fand wegen den hier streitgegenständlichen Vorgängen seit dem 18.11.2014 nicht mehr statt. Die Antragstellerin ist nach ihrem Vortrag in einem schwierigen Alter, wurde bei einem Ladendiebstahl erwischt und hat in einem Abbruchhaus eine Scheibe eingeschlagen. Wegen des Vorgangs, der zum vorliegenden Eilverfahren geführt hat, ist unter dem Aktenzeichen ... ... .../... ein Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung anhängig. Die Antragstellerin ist schuldisziplinarisch, soweit vorgetragen, wie folgt aufgefallen:
1. Sie hat am 7.4.2014 trotz Ermahnung Kaugummi gekaut und deswegen einen Tagebucheintrag erhalten.
2. Sie hat am 15.7.2014 einen Mitschüler bespuckt und deswegen einen Tagebucheintrag erhalten.
Folgende schuldisziplinarische Verfahren sind noch nicht abgeschlossen:
Am 30.9.2014 erging gegen die Antragstellerin eine Disziplinarverfügung der L., in der ihr vorgeworfen wurde, am 24.9.2014 zusammen mit weiteren Mitschülern eine Schülerin einer benachbarten Schule auf üble Weise gedemütigt, bloßgestellt und bespuckt zu haben, um von dieser eine Entschuldigung einfordern zu können. Mit der Disziplinarverfügung, die keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, wurde die Antragstellerin für 2 Tage vom Unterricht ausgeschlossen und wurde ihr der Schulausschluss angedroht. Hiergegen wurde für die Antragstellerin mit Telefax vom 18.12.2014 Widerspruch erhoben, über den noch nicht entschieden wurde.
Mit mündlicher Verfügung des Schulleiters vom 19.11.2014 wurde der Antragstellerin wegen des streitgegenständlichen Vorgangs der Besuch der L. vorläufig untersagt. Mit hier der streitgegenständlichen Disziplinarverfügung vom 27.11.2014 wurde die Antragstellerin aus der L. ausgeschlossen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Antragstellerin sei beim Anbringen einer obszönen Schmiererei aktiv, mit involviert und treibende Kraft gewesen. Die Schmiererei sei auf der S. in E. angebracht worden und habe sich auf eine Kollegin der Schule bezogen, die 200 m entfernt wohne. Überdies habe die Antragstellerin das Besprühen oder Zerkratzen des Autos der Kollegin und damit eine Straftat angekündigt. Der Schulleiter habe sich zu dieser harten Maßnahme (Schulausschluss) entschieden, weil das Verhalten der Antragstellerin die Autorität der Kollegin, ihrer Klassenlehrerin, massiv untergraben und somit die Umsetzung des Erziehungs- und Bildungsauftrags bei den anderen Schülern wesentlich beeinträchtigt habe. Überdies sei der Antragstellerin der Schulausschluss erst vor kurzem angedroht worden.
Gegen diese Verfügung wurde am 4.12.2014 Widerspruch erhoben, über den noch nicht entschieden ist.
Für die Antragstellerin wurde am 1.12.2014 der vorliegende Eilantrag gestellt. Zur Begründung wird ausgeführt, die Antragstellerin sei wegen der Vorfalls vom 24.9.2014 zu Unrecht diszipliniert worden. Vorausgegangen sei ein gewalttätiger Übergriff des späteren Opfers gegen die Mitschülerin A. P., die wegen der hierbei erlittenen Körperverletzungen ambulant im Krankenhaus E. habe behandelt werden müssen. Einige Tage später hätten 6 Schülerinnen, unter ihnen die Antragstellerin, versucht, die Täterin zu einer Entschuldigung bei A. P. und ihrer Mutter zu bringen. Die Antragstellerin bestreite weiterhin, die Täterin zum Niederknien gezwungen und angespuckt zu haben. Die Antragstellerin sei von der Täterin geschubst worden und habe daraufhin zurückgeschubst. Es sei nicht glaubhaft, dass ein Mädchen mit 40 kg Gewicht ein wehrhaftes Mädchen mit 80 kg Gewicht zum minutenlangen Niederknien zwingen könne. Das Opfer sei alles andere als ein unbeschriebenes Blatt. Die obszöne Schmiererei (F. v. H. Fotze) habe die Antragstellerin nicht angebracht, von der Schmiererei auch kein Video aufgenommen und dieses auch nicht herumgezeigt. Die von der Schule benannten Zeugen seien nicht glaubwürdig; sie hielten zu ihrem Freund, dem die Antragstellerin den Laufpass gegeben habe. Außerdem seien deren Angaben widersprüchlich und deswegen nicht glaubhaft. Davon abgesehen, dass die Antragstellerin die vorgeworfene Tat nicht begangen habe, könne eine solche Schmiererei auch keinen Schulausschluss begründen. Eine Schmähkritik müssten die Lehrer ertragen. Wer Geschmiere auf der Straße persönlich nehme, sei für das Lehramt ungeeignet.
10 
Die Antragstellerin beantragt (sachdienlich gefasst),
11 
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Verfügung der L. E. vom 27. November 2014 anzuordnen.
12 
Der Antragsgegner beantragt,
13 
den Antrag abzulehnen.
14 
Zur Begründung wird ausgeführt, nach Ansicht des Schulleiters seien die Zeugen Da. Jo., Klasse 9a, De. Je., Klasse 9a, und A. R., Klasse 9b, absolut glaubhaft. Es bestehe keinerlei Grund, an ihren Aussagen auch nur im Ansatz zu zweifeln. Die Einwände der Antragstellerin seien alles Schutzbehauptungen. Aus der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung des Zeugen De. Je. und aus dem Ergebnis der Anhörung der drei Zeugen durch den Schulleiter ergebe sich der Nachweis der Tat. Danach stehe entgegen ihrer eidesstattlichen Versicherung fest, dass die Antragstellerin mit Schaum auf der S. in der Nähe der Wohnung ihrer Klassenlehrerin in großen Buchstaben über die halbe Straßenbreite den Schriftzug „F. v. H. du Fotze“ aufgebracht habe.
15 
Dem Gericht wurde eine eidesstattliche Versicherung der Antragstellerin vom 5.12.2014 vorgelegt, mit der diese versichert, dass sie die Beleidigung der Klassenlehrerin nicht auf die Straße geschmiert habe und auch kein Video von der Schmiererei aufgenommen und herumgezeigt habe. Weiter wurde dem Gericht eine eidesstattliche Versicherung der Mutter der Antragstellerin vom 11.12.2014 vorgelegt, nach der es sich beim Belastungszeugen A. R. um den ehemaligen Freund der Antragstellerin handelt, von dem sie sich am 11.10.2014 getrennt habe. Weiter wird versichert, am 31.10.2014 sei sie ab 22:30 Uhr bis zum Folgetag mit der Antragstellerin, K. R., N. W., K. H. und D. O. in der elterlichen Wohnung gewesen. Und am 20.11.2014 sei sie um 12:20 Uhr ebenfalls mit der Antragstellerin in der elterlichen Wohnung gewesen.
16 
Die gerichtlichen Bemühungen um eine vergleichsweise Beilegung des Rechtsstreits blieben ohne Erfolg.
17 
Dem Gericht haben verschiedene Unterlagen der L. und der M.-B.-S. und eine Kopie der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten vorgelegen; bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Unterlagen und auf die Ausführungen der Beteiligten in ihren Schriftsätzen verwiesen.
II.
18 
Der nach §§ 90 Abs. 3 Satz 4 SchG, 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 Satz 1 VwGO statthafte und auch ansonsten zulässige Anordnungsantrag ist begründet. Der Ausgang des Widerspruchverfahrens stellt sich momentan als offen dar, weil bisher die notwendigen Feststellungen nicht getroffen wurden und weil für die erforderliche Beweisaufnahme im Eilverfahren kein Raum ist. Die im Wege der Interessenabwägung zu treffende Entscheidung fällt zugunsten der Antragstellerin aus, nachdem eine vorläufige Vollstreckung der Maßnahme aus rechtsstaatlichen Gründen ausscheidet und die öffentlichen Interessen weitgehend dadurch gewahrt sind, dass sich die getroffene oder eine andere angemessene Maßnahme ohne weiteres nachholen lassen.
19 
Bei der vom Gericht zu treffenden eigenen Entscheidung über die Frage der Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs sind die privaten Interessen der Antragstellerin an der Verschonung vom Vollzug des Verwaltungsakts bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das eingelegte Rechtsmittel und das Interesse der Allgemeinheit am sofortigen Vollzug gegeneinander abzuwägen. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs, dessen aufschiebende Wirkung angeordnet werden soll, ein wesentliches Kriterium. Erweist sich der Rechtsbehelf als wahrscheinlich erfolglos, so dürfte regelmäßig dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Vorrang zukommen. Erweist sich der Rechtsbehelf als voraussichtlich begründet, dürfte dagegen regelmäßig das private Aussetzungsinteresse überwiegen. Sind dagegen die Erfolgsaussichten offen, hat das Gericht die Entscheidung im Wege einer Abwägung der öffentlichen Vollzugsinteressen und der privaten Aussetzungsinteressen zu treffen.
20 
1. Der Ausgang des gegen die streitgegenständliche Verfügung vom 27.11.2014 eingeleiteten Widerspruchsverfahrens stellt sich gegenwärtig als offen dar.
21 
Rechtsgrundlage des Schulausschlusses ist § 90 Abs. 2 Sätze 1 und 2, Abs. 3 Nr. 2 g, Abs. 6 Satz 2 und 3 SchG. Danach kommen Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen nur in Betracht, soweit pädagogische Erziehungsmaßnahmen nicht ausreichen; hierzu gehören auch Vereinbarungen über Verhaltensänderungen des Schülers mit diesem und seinen Erziehungsberechtigten. Bei allen Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (§ 90 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SchG). Durch den Schulleiter kann als Erziehungs- und Ordnungsmaßnahme ein Ausschluss aus der Schule getroffen werden (§ 90 Abs. 3 Nr. 2 g SchG). Ein Ausschluss aus der Schule ist zulässig, wenn es einer Lehrkraft wegen Art und Schwere der Beeinträchtigungen und deren Folgen nicht zumutbar ist, den Schüler weiter zu unterrichten; dem Schutz des Opfers gebührt Vorrang vor dem Interesse dieses Schülers am Weiterbesuch einer bestimmten Schule. Im Übrigen ist ein Ausschluss aus der Schule nur zulässig, wenn neben den Voraussetzungen des Satzes 1 das Verbleiben des Schülers in der Schule eine Gefahr für die Erziehung und Unterrichtung, die sittliche Entwicklung, Gesundheit oder Sicherheit der Mitschüler befürchten lässt (§ 90 Abs. 6 SchG).
22 
In formeller Hinsicht sind Einwände gegen das Vorgehen des Schulleiters nicht vorgebracht und auch nicht ersichtlich. Die Anhörung der Antragstellerin und ihrer Eltern zum vorgesehenen Schulausschluss gemäß § 90 Abs. 7 Satz 2 SchG dürfte am 19.11.2014 ordnungsgemäß erfolgt sein. Die Klassenkonferenz und, auf Antrag der Eltern, die Schulkonferenz wurden gemäß § 90 Abs. 3 und § 90 Abs. 4 Satz 1 SchG am 24. und 25.11.2014 und damit vor Erlass der Verfügung angehört.
23 
In materieller Hinsicht ist zweifelhaft, ob die vorgeworfene Tat die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 90 Abs. 6 Sätze 2 und 3 SchG erfüllt (a.). Weiter ist zweifelhaft, ob die Ermessensausübung in der streitgegenständlichen Entscheidung, soweit eine solche zu erkennen ist, fehlerfrei erfolgte (b.). Schließlich hat der Antragsgegner den Nachweis, dass die Antragstellerin die vorgeworfene Tat begangen hat, bisher nicht erbracht (c.).
24 
Maßgeblich für die Beurteilung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts über den Eilantrag, nachdem ein Widerspruchsbescheid bislang nicht erlassen wurde.
25 
a. (1) Nach § 90 Abs. 6 Satz 2 SchG ist ein Ausschluss aus der Schule zulässig, wenn es einer Lehrkraft wegen Art und Schwere der Beeinträchtigungen und deren Folgen nicht zumutbar ist, den Schüler weiter zu unterrichten. Beleidigende Äußerungen und Verhaltensweisen rechtfertigen einen Schulausschluss nicht in jedem Falle, vielmehr sind zur Einordnung des Gewichts der jeweiligen Verfehlung die konkreten Einzelfallumstände heranzuziehen (vgl. zum Unterrichtsausschluss: VGH Mannheim, Beschluss vom 2.1.2008 - 9 S 2908/07 -, Juris). Insoweit sind etwa das Alter des betroffenen Schülers, der allgemeine Sprachgebrauch unter seiner Altersgenossen und Schulkameraden sowie Anlass und Kontext der Äußerungen in den Blick zu nehmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5.12.2008 - 1 BvR 1318/07 -, Juris). Vorgeworfen ist hier die öffentliche Beleidigung und Herabwürdigung der Klassenlehrerin (F. v. H. du Fotze). Die verwendete, auf das Geschlecht bezogene Bezeichnung ist primitiv und ordinär und erreicht mit der gleichzeitigen Nennung des Namens der Klassenlehrerin eine öffentlich anprangernde Wirkung. Die herabsetzende Schmiererei wurde, wie sich aus der polizeilichen Vernehmung des Zeugen U. vom 8.12.2014 ergibt, mit hoher Wahrscheinlichkeit am Abend des 31.10.2014 (Halloween), und zwar vor 21:00 Uhr auf die S. geschmiert. Die Schmiererei wurde nach den unbestrittenen Angaben der Schule etwa 200 m von der Wohnung der Klassenlehrerin entfernt angebracht. Die Annahmen des Schulleiters als wahr unterstellt, hätte sich die 14-jährige Antragstellerin mit einer Gruppe von Begleiterinnen auf einer abendlichen Halloween-Tour befunden und hätte dabei an der gegen die Klassenlehrerin gerichteten Schmiererei mitgewirkt. Der Rahmen, in dem in der Halloweennacht harmlose Streiche zunehmend gesellschaftlich akzeptiert werden, wäre mit der obszönen und anprangernden Beleidigung bei weitem verlassen worden. Werden zum einen das Alter und die angebliche pubertäre Persönlichkeitskrise und zum anderen die schwere Persönlichkeitsverletzung und die weiteren belastenden Umstände berücksichtigt, dürfte die Beleidigung nach vorläufiger Bewertung im summarischen Verfahren hier wohl noch nicht dazu führen, dass es der Klassenlehrerin wegen Art und Schwere der Beeinträchtigungen und deren Folgen, ausgehend von der Robustheit einer gestandenen Pädagogin, nicht mehr zumutbar sein könnte, die Antragstellerin weiter zu unterrichten. Damit wären die tatsächlichen Voraussetzungen für den Schulausschluss bereits im Hinblick auf § 90 Abs. 6 Satz 2 SchG wohl eher nicht erfüllt.
26 
Die vorgetragene Ansicht der Eltern der Antragstellerin, dass sich „solche Schmierereien“ hunderttausendfach in jeder Schule finden und dass ein Lehrer solche Schmähkritik, die ihm nicht direkt zugeht, ertragen müsse, teilt das Gericht nicht. Wörtlich führt der Vater der Antragstellerin dazu auf der Seite 2 seines Schreibens vom 9.12.2014 an das Gericht aus: „Zuletzt sei noch angemerkt, dass bezüglich der Schmiererei kein Ehrdelikt vorliegt, keine strafbare Handlung, keine Sachbeschädigung. F. v. H. hat sich an ihren Vorgesetzten gewendet und eine Ehrverletzung angezeigt, die möglichen Täterinnen genannt. Herr W. hätte F. v. H. darüber aufklären müssen, dass solche Schmierereien hunderttausendfach in jeder Schule vorkommen. Wie ein Politiker steht auch ein Lehrer in der Öffentlichkeit und muss Schmähkritik, die nicht direkt empfangen wird, ertragen. Wer Geschmiere auf der Straße persönlich nimmt, ist für das Lehramt ungeeignet.“ Diese, die geschädigte Klassenlehrerin zusätzlich abqualifizierenden Ausführungen, sind nicht nur in strafrechtlicher und beamtenrechtlicher, sondern auch in schulrechtlicher Hinsicht falsch. Lehrkräfte geben ihre Persönlichkeitsrechte nicht mit der Aufnahme ihrer beruflichen Tätigkeit auf. Sie haben wie Eltern und Schüler einen Anspruch auf einen respektvollen, den jeweils anderen wertschätzenden Umgang. Lehrkräfte sind nicht dazu da, dass sich fehlgeleitete Kinder überforderter Eltern an ihnen ungestraft abreagieren dürfen. Schule darf bezüglich ernsthafter Persönlichkeitsverletzungen nicht passiv bleiben und Fehler der Schüler einfach hinnehmen. Erziehung in Schule und Familie funktioniert nicht wie ein virtuelles Computerspiel, welches nach einem Fehlverhalten unverändert weiterläuft. Die Erfüllung des gesetzlichen Erziehungsauftrags (§ 1 SchG) erfordert vielmehr eine angemessene Reaktion und Korrektur, auch wenn dies in der Schule ebenso wie in der Familie nicht immer leicht fällt.
27 
(2) Nach § 90 Abs. 6 Satz 3 SchG ist ein Ausschluss aus der Schule im Übrigen nur zulässig, wenn neben den Voraussetzungen des Satzes 1 das Verbleiben des Schülers in der Schule eine Gefahr für die Erziehung und Unterrichtung, die sittliche Entwicklung, Gesundheit oder Sicherheit der Mitschüler befürchten lässt (§ 90 Abs. 6 SchG). Auch insofern ist zweifelhaft, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen durch die vorgeworfene beleidigende Schmiererei erfüllt sind. Die Tat hat zwar einen eindeutigen schulischen Bezug. Ihre Auswirkungen auf die Schule dürften jedoch begrenzt sein. Die Annahme, dass durch die Beleidigung die Autorität der Klassenlehrerin, auch nach angemessener disziplinarer Ahndung, wesentlich und auf Dauer untergraben sein könnte, teilt das Gericht wegen des einmaligen und punktuellen Charakters des Verstoßes nicht.
28 
b. Weiter ist zweifelhaft, ob die Ermessensausübung in der streitgegenständlichen Entscheidung, soweit eine solche zu erkennen ist, fehlerfrei erfolgte. Im Wesentlichen wurde dazu in der streitgegenständlichen Verfügung ausgeführt, der Schulleiter habe sich zu der harten Maßnahme entschieden, weil durch das Verhalten der Antragstellerin die Autorität der Klassenlehrerin massiv untergraben und somit die Umsetzung des Erziehungs- und Bildungsauftrags bei den anderen Schülern wesentlich beeinträchtigt worden sei. Überdies sei der Antragstellerin vor kurzem erst der Schulausschluss angedroht worden. Soweit diese Ausführungen auch im Hinblick auf die Folgen für die Antragstellerin zu knapp und lückenhaft erscheinen, ist eine Ergänzung und Vervollständigung im Widerspruchsbescheid nicht nur möglich, sondern auch zu erwarten. Fehlerhaft dürfte jedoch der Hinweis auf die erfolgte Androhung des Schulausschlusses sein, nachdem die am 30.9.2014 getroffene Entscheidung nicht bestandskräftig ist und inzwischen mit Widerspruch angegriffen wurde. Ausgehend von den Angaben des Antragsgegners wurden die Unterlagen der Schule zum Schulverhältnis der Antragstellerin vollständig vorgelegt. Darin befindet sich jedoch weder ein Nachweis für die angeblich am 24.9.2014 von der Antragstellerin begangene Tat noch irgendeine Vernehmung oder Anhörung. Außerdem ist der Antragsgegner den Ausführungen der Antragstellerin, mit denen diese die Tat zum einen substantiiert bestreitet und zum anderen in einem ganz anderen Licht darstellt, nicht entgegen getreten. Danach erscheint es unwahrscheinlich, dass der Antragsgegner jetzt noch den notwendigen Nachweis führen kann, so dass der Widerspruch nach jetzigem Sachstand mit einiger Wahrscheinlichkeit zur Aufhebung der Verfügung vom 30.9.2014 führen wird. Damit erscheint zweifelhaft, ob der Schulleiter seine Ermessenentscheidung zurecht auf den vorangegangenen Unterrichtsausschluss und die Androhung des Schulausschlusses vom 30.9.2014 gestützt und darauf seine Ermessenserwägung aufgebaut hat.
29 
c. Schließlich hat der Antragsgegner auch den Nachweis, dass die Antragstellerin die vorgeworfene Tat begangen hat, bisher nicht erbracht. Insofern setzt die Anordnung eines Schulausschlusses die hinreichende Aufklärung des tatsächlichen Geschehens voraus. Besteht das Fehlverhalten in einer Beleidigung, sind die abgegebenen Äußerungen sowie der Kontext, in dem die Bemerkungen gefallen sind, zu ermitteln. Grundsätzlich ist es Aufgabe der Schulverwaltung, die Voraussetzungen der in Anspruch genommenen Eingriffsermächtigung - und damit das dem Schüler zur Last gelegte Fehlverhalten - zu belegen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 23.6.2009 - 9 S 938/09, Juris). Im vorliegenden Fall widersprechen sich die Aussagen der Antragstellerin und ihrer Freundin N. W. auf der einen Seite und die Aussagen der Zeugen De. Je., Da. Jo. und A. R. auf der anderen Seite. Entgegen der Annahmen des Schulleiters stellt sich dabei die Verteidigung der Antragstellerin nicht von vornherein als Schutzbehauptung dar. Folgte man den Aussagen der Antragstellerin und der N. W., wäre eine Mittäterschaft der Antragstellerin ausgeschlossen, da sich beide angeblich am 31.10.2014 ab 13:00 Uhr bis zum Folgetag in der elterlichen Wohnung der Antragstellerin aufgehalten haben. Weitere Zeugen sind hierfür benannt. Die Tatzeit dürfte nach der polizeilichen Aussage des Zeugen U. der Abend des 31.10.2014 und zwar vor 21:00 Uhr gewesen sein. In den vorgelegten Unterlagen der Schule finden sich keine Vernehmungen der Antragstellerin und der Zeugin N. W.. Insofern ist die Schule bisher ihrer Pflicht, den Sachverhalt vollständig aufzuklären, nicht nachgekommen. Dass auf der Seite 2 im Satz 2 der Verfügung vom 27.11.2014 ein Hinweis auf „Aussagen von N.“ auftaucht, ist für das Gericht aufgrund der vorgelegten und angeblich vollständigen Unterlagen der Schule nicht nachvollziehbar. In den vorgelegten Schulunterlagen ist keine Aussage der Zeugin N. W. enthalten.
30 
Die belastenden Aussagen reichen für einen Nachweis der Tat auch nicht aus. Ihnen stehen bisher das substantiierte Bestreiten der Antragstellerin, die Aussagen der Zeugin N. W. und die Aussage der Mutter entgegen.
31 
Nach den Aussagen der betroffenen Lehrerin bei der polizeilichen Anhörung wurde sie durch die Schüler S. und Da. Jo. sowie A. R. am 5.11.2014 darüber informiert, dass die Antragstellerin oder N. W. in der Mainacht 2015 an ihrem PKW eine Beleidigung anbringen wollen. Außerdem hätten die drei ihr berichtet, dass ihnen die Antragstellerin ein Foto mit dem Schriftzug „F. v. H., du Fotze“ gezeigt habe. Da. Jo. gab dazu in seiner polizeilichen Vernehmung an, dass die Antragstellerin oder N. W. ihm am 4.11.2014 ein Bild mit der Beleidigung gezeigt habe. Dagegen hat Da. Jo. gegenüber dem Schulleiter angegeben, nur die Antragstellerin habe ihm und einer Gruppe Jungs das Bild von der Beleidigung gezeigt und dazu auf Nachfrage noch angegeben, die Täterin gewesen zu sein. Wer alles zu der „Gruppe Jungs“ gehörte blieb bisher ungeklärt. Auch die Angaben des Zeugen Je. sind nicht gleichbleibend. Zunächst gab er gegenüber dem Schulleiter an, er habe auf dem von ihm angeblich angeschauten Video lautes Rufen mit dem Wortlaut „Fr. H., du Fotze“ gehört. Tags darauf gab er dazu an, er habe lediglich lautes Gelächter gehört und dabei das Lachen der Antragstellerin herausgehört. Bei seiner polizeilichen Vernehmung gab er dazu an, er habe auf dem Video mehrere Stimmen in lachender Weise gehört, darunter auch die Stimme der Antragstellerin. Die Antragstellerin habe zu ihm gesagt, es handele sich um ein Video, wo man eben das über F. v. H. gesprayt habe. Zu seiner Einschätzung gab De. Je. bei der polizeilichen Vernehmung an, es stehe für ihn fest, dass die Antragstellerin die Beleidigung aufgesprüht habe. Das habe sie ihm gegenüber eingestanden. Dagegen bestreite N. W. die Tat. Die Antragstellerin habe ihm gegenüber die Tat am 20.11.2014 gegen 12:20 Uhr beim Stromkasten nahe der Schule eingeräumt. Dagegen gibt die Mutter der Antragstellerin an und versichert dies, an diesem Tag und zu dieser Zeit sei die Antragstellerin bei ihr zuhause gewesen. Beim Zeugen A. R. ist völlig ungeklärt, ob er überhaupt glaubwürdig ist, nachdem er bei seiner polizeilichen Vernehmung eingeräumt hat, die Antragstellerin über eine angebliche bei ihm durchgeführte polizeiliche Hausdurchsuchung belogen zu haben, „um sie zu verarschen“, und nachdem es sich bei ihm um den ehemaligen Freund der Antragstellerin handeln soll, von dem sie sich am 11.10.2014 getrennt hat.
32 
Von den Abweichungen und Ungenauigkeiten bei den Zeugenaussagen, die durchaus zu Zweifeln Anlass geben, abgesehen, ergibt die Auswertung, dass keiner der Zeugen gesehen hat, wie die Antragstellerin den beleidigenden Schriftzug „aktiv mit involviert und als treibende Kraft“ angebracht hat. Das angebliche Video und das angebliche Foto wurden nicht vorgelegt und damit konnte auch nicht festgestellt werden, ob Video und Foto tatsächlich existieren und aus welcher Quelle sie stammen. Für die Behauptung, dass die Antragstellerin und/oder N. W. angekündigt haben, in der Mainacht 2015 das Auto der Klassenlehrerin beschädigen zu wollen, gibt es anscheinend keine weiteren Zeugen.
33 
Werden die vorliegenden Aussagen und Umstände einer im summarischen Verfahren nur möglichen vorläufigen Bewertung unterzogen, so ergibt sich gegenwärtig kein Nachweis für die vorgeworfenen und der Disziplinarverfügung zugrunde gelegten Taten. Wesentliche, zur Aufklärung zwingend notwendige Maßnahmen sind im vorliegenden Fall unterblieben. So wurden die Hauptentlastungszeuginnen N. W. und die Mutter nach den vorgelegten Unterlagen noch nicht einmal zu Sache vernommen. Wenn die Behauptungen der Zeuginnen zuträfen, dass sich die Antragstellerin zur Tatzeit und zur Zeit des angeblichen Geständnisses zu Hause aufgehalten hat, wären die Vorwürfe sogar widerlegt.
34 
Nach alldem stellt sich der Ausgang des Verfahrens gegenwärtig als offen dar.
35 
2. Danach ist im Wege der Interessensabwägung über den Eilantrag zu entscheiden. Das private Interesse der Antragstellerin an der vorläufigen Aussetzung des Vollzugs überwiegt. Eine vorläufige Vollstreckung der Disziplinarmaßnahme kommt aus rechtsstaatlichen Gründen nicht in Betracht. Die damit bewirkten Nachteile ließen sich bezüglich der durch den erzwungenen Schulwechsel bewirkten Beendigung des Schulverhältnisses und der Stigmatisierung bzw. Ansehensbeeinträchtigung nicht rückgängig machen. Dagegen wiegt das öffentliche Vollzugsinteresse weniger schwer. Der Vollzug der Maßnahme lässt sich bei zügiger Durchführung der erforderlichen Aufklärungsmaßnahmen und der beiden anhängigen Widerspruchsverfahren zu einem Zeitpunkt nachholen, in dem ein zeitlicher Bezug zur Anlasstat noch gegeben und ein pädagogisches Einwirken daher noch sinnvoll ist. Außerdem trifft den Antragsgegner die Nachweislast, so dass zu seinen Lasten berücksichtigt werden muss, dass vor Erlass der sofort vollziehbaren schulischen Disziplinarverfügung die erforderlichen Aufklärungsmaßnahmen und die Beschaffung der notwendigen Nachweise unterblieben sind. Insbesondere war bereits bei der Anhörung erkennbar, dass sämtliche Vorwürfe dezidiert bestritten werden. Eine weitere Aufklärung musste sich danach aufdrängen.
36 
Nach alldem ist der Eilantrag begründet.
37 
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens, weil er unterliegt (vgl. § 154 Abs. 1 VwGO).
38 
Bezüglich der Streitwertfestsetzung wird von einem Hauptsachestreitwert in Höhe von 5.000,- EUR ausgegangen. Im Eilverfahren erfolgt eine Reduktion auf die Hälfte dieses Werts gemäß Nr. 1.5 Streitwertkatalog 2013, nachdem mit der Entscheidung die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorweggenommen wird.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Sigmaringen Beschluss, 19. Dez. 2014 - 4 K 5015/14

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Sigmaringen Beschluss, 19. Dez. 2014 - 4 K 5015/14

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgericht Sigmaringen Beschluss, 19. Dez. 2014 - 4 K 5015/14 zitiert 2 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Verwaltungsgericht Sigmaringen Beschluss, 19. Dez. 2014 - 4 K 5015/14 zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).

Verwaltungsgericht Sigmaringen Beschluss, 19. Dez. 2014 - 4 K 5015/14 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 23. Juni 2009 - 9 S 938/09

bei uns veröffentlicht am 23.06.2009

Tenor Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 9. April 2009 - 6 K 672/09 - geändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 19. März 2009 gegen den vom Schulleiter des T.-Gymn

Referenzen

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 9. April 2009 - 6 K 672/09 - geändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 19. März 2009 gegen den vom Schulleiter des T.-Gymnasiums Rastatt am 16. März 2009 verfügten Unterrichtsausschluss wird angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die Beschwerde des 1995 geborenen Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem die begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die kraft Gesetzes sofort vollziehbare Erziehungs- und Ordnungsmaßnahme (vgl. § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 90 Abs. 3 Satz 3 des Schulgesetzes für Baden-Württemberg in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 11.12.2002, GBl. S. 476 - SchG -) abgelehnt wurde, ist gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch begründet, weil an der Rechtmäßigkeit des angeordneten Ausschlusses vom Unterricht für fünf Unterrichtstage derzeit ernstliche Zweifel bestehen und das Suspensivinteresse des Antragstellers daher überwiegt (vgl. § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO analog).
Schulische Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen dienen der Verwirklichung des Erziehungs- und Bildungsauftrags der Schule, der Erfüllung der Schulbesuchspflicht, der Einhaltung der Schulordnung und dem Schutz von Personen und Sachen innerhalb der Schule (§ 90 Abs. 1 SchG). Der zeitweilige Ausschluss vom Unterricht ist nur zulässig, wenn ein Schüler durch schweres oder wiederholtes Fehlverhalten seine Pflichten verletzt und dadurch die Erfüllung der Aufgabe der Schule oder die Rechte anderer gefährdet (§ 90 Abs. 6 Satz 1 SchG). Angesichts der vom Antragsgegner vorgelegten Unterlagen bestehen ernstliche Zweifel daran, dass ausreichende Tatsachenermittlungen für eine ordnungsgemäße Ermessensentscheidung vorgelegen haben.
Soweit sich dies im summarischen Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO und im Hinblick auf die ausgesprochen dürftige Dokumentation des Sachverhalts feststellen lässt, haben Antragsgegner und Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt, dass das Verhalten des Antragstellers vom 12.03.2009 ein Fehlverhalten darstellt. Die gegenüber der Mitschülerin aus der 5. Klasse abgegebenen Äußerungen besaßen beleidigenden und ehrverletzenden Charakter. Dies stellt auch der Antragsteller nicht in Zweifel; er hat sich für sein Verhalten auch entschuldigt.
Nach gegenwärtiger Erkenntnislage können die Äußerungen indes nicht als „schweres“ Fehlverhalten im Sinne des § 90 Abs. 6 Satz 1 SchG bewertet werden. Denn auch beleidigende Äußerungen und Verhaltensweisen rechtfertigen einen Unterrichtsauschluss nicht in jedem Falle, vielmehr sind zur Einordnung des Gewichts der jeweiligen Verfehlung die konkreten Einzelfallumstände heranzuziehen (vgl. zuletzt Senatsbeschluss vom 02.01.2008 - 9 S 2908/07 -). Insoweit sind etwa das Alter des betroffenen Schülers, der allgemeine Sprachgebrauch unter seiner Altersgenossen und Schulkameraden sowie Anlass und Kontext der Äußerungen in den Blick zu nehmen (vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 05.12.2008 - 1 BvR 1318/07 -, NJW 2009, 749).
Diesen Anforderungen genügen weder die Verfügung des Schulleiters vom 16.03.2009 noch der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichts. Dies ergibt sich bereits daraus, dass eine Aufklärung des vom Antragsteller tatsächlich Gesagten und des Kontextes, in dem die Äußerungen gefallen sind, nur in rudimentärer Weise stattgefunden hat (vgl. zu den Aufklärungsanforderungen Senatsbeschluss vom 24.04.2009 - 9 S 901/09 - sowie BVerfG, Beschluss vom 08.12.2004 - 2 BvR 52/02 -, BVerfGK 4, 243 [252 ff.] für das Disziplinarverfahren).
Der Schulleiter selbst hat vor Erlass des Unterrichtsauschlusses lediglich zwei DIN-A 5 Blätter angefertigt, auf denen sich einige, angeblich vom Antragsteller abgegebene Behauptungen finden. Dabei ist nur hinsichtlich weniger Äußerungen erkennbar, auf wessen Zeugnis die Beschuldigung zurückgeht. Für die Mehrzahl der auf den Blättern aufgelisteten Beleidigungen ist keine Bestätigung durch einen der angehörten Mitschüler vermerkt. In der Verfügung des Schulleiters vom 16.03.2009 schließlich ist eine konkrete Äußerung nicht benannt, vielmehr rekurriert die Begründung auf Beleidigungen, „die ich hier nicht wiedergeben möchte“. Damit sind ausreichende (und nachvollziehbare) Anhaltspunkte für die Erforderlichkeit der verfügten Erziehungs- und Ordnungsmaßnahme nicht dargelegt.
Unklar ist damit bereits, welche Aussagen dem Antragsteller vorgehalten werden. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts nimmt ausschließlich auf den auch vom Antragsteller eingeräumten Satz: „Dein Vater lässt abends das Fenster offen, dass der Wind besser blasen kann“ Bezug. Warum hierin eine „äußerst herabwürdigende“ Beleidigung „übelster Art und Weise“ liegen soll, bleibt indes offen. Die Einschätzung erhellt sich erst bei Hinzuziehung der (im Beschluss indes nicht ausgeführten) Stellungnahme des Schulleiters vom 20.03.2009. In dieser werden die dem Antragsteller konkret vorgeworfenen Beleidigungen benannt, u.a. auch der Satz: „Dein Vater kann es nicht mehr, deswegen macht deine Mutter das Fenster auf, damit der Wind ihr einen bläst“.
Diese Aussage ist vom Antragsteller indes - auch durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung - bestritten worden. Schriftliche Aussagen der betroffenen Mädchen oder von unbeteiligten Mitschülern liegen nicht vor, so dass keinerlei nachprüfbare Belege für die weitergehenden Belastungen vorhanden sind. Dokumentiert ist allein die Aussage des Schulleiters, der naturgemäß aber nur mittelbare Angaben über die ihm gegenüber abgegebenen Zeugenaussagen machen kann. Insoweit fällt überdies auf, dass der Umfang der in der Stellungnahme vom 20.03.2009 behaupteten Bestätigung durch einen Schüler der Parallelklasse mit den unmittelbar angefertigten Vermerken nicht in Übereinstimmung steht. Denn ausweislich der handschriftlichen Blätter vom 13.03.2009 ist diese Äußerung von dem befragten Schüler nicht bestätigt worden; dieser gab - dem Vermerk zufolge - vielmehr nur den Satz: „Du kannst mir einen im Stehen blasen“ an.
Ein Aufklärungsdefizit liegt damit bereits hinsichtlich der konkreten Äußerung vor, die dem Antragsteller als Fehlverhalten vorgeworfen wird. Dies wirkt umso schwerer, als der Antragsteller in seiner eidesstattlichen Versicherung angegeben hatte, auch das von ihm beleidigte Mädchen habe ihm gegenüber eingestanden, dass die Beschuldigungen nicht zuträfen. Im Rahmen des Entschuldigungsgesprächs vom 13.03.2009 habe das Mädchen auf seine Vorhaltungen ausgeführt:
10 
„Ja, ich habe ein paar Beleidigungen von anderen gehört, die Du gesagt hättest. Die hast Du nicht an dem Tag gesagt, aber ich habe Herrn B. einfach alles gesagt, was ich von anderen gehört habe, also was Du insgesamt gesagt haben sollst“.
11 
Unverständlich ist insoweit auch, warum die Klassenkameraden des Antragstellers, die bei dem Vorfall anwesend waren, nie zu den tatsächlich geäußerten Bemerkungen oder zum Hergang befragt worden sind. Soweit das Verwaltungsgericht insofern meint, es sei Sache des Antragstellers, schriftliche Erklärungen der Schülerinnen vorzulegen, wird die bestehende Beweislast verkannt. Denn es ist Aufgabe der Schulverwaltung, die Voraussetzungen der in Anspruch genommenen Eingriffsermächtigung - und damit das dem Antragsteller zur Last gelegte Fehlverhalten - zu belegen (vgl. auch Niehues/Rux, Schul- und Prüfungsrecht, Band 1, 4. Aufl. 2006, Rn. 388; Lambert/Müller/Sutor, Schulrecht Baden-Württemberg, Stand: 11/08, § 90 Rn. 1.2.2).
12 
Insbesondere aber ist eine Aufklärung des Kontexts der getätigten Äußerungen unterblieben. Hierzu hätte schon deshalb Anlass bestanden, weil der Schulleiter selbst in der Verfügung ausgeführt hat: „Offenbar provoziert durch zwei Schülerinnen der Klasse 5 beleidigte er diese und deren Eltern in einer Art und Weise, die ich hier nicht wiedergeben möchte“. Wenn aber der Umstand einer Provokation als zutreffend oder jedenfalls möglich erkannt worden ist, sind weitere Ermittlungen unabdingbar, um den Bedeutungsgehalt der Äußerungen einschätzen und insbesondere das Gewicht des Fehlverhaltens zutreffend einordnen zu können. Der Antragsteller hat hierzu in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 22.03.2009 ausgeführt:
13 
„Ich saß in der Mittagspause am 12.03.2009 gemeinsam mit meinen Klassenkameraden J., H. und S. auf den Bänken im T.-...-Gymnasium. 5 Meter von uns entfernt saßen Mädchen aus der 5. Klasse auf einer Couch. Sie waren ziemlich laut. Der Schüler H. rief den Mädchen deshalb zu: 'Könnt Ihr bitte mal leiser sein, wir wollen lernen'. Nach 5 min. wurde dann eine der 3 Couchen frei. Wir gingen dorthin und setzten uns auf die freie Couch. Als wir Platz genommen hatten, kam eines der Mädchen aus der 5. Klasse zu uns und sagte: 'Verpisst Euch, das ist unsere Couch!' und trat mir gegen das Schienbein. Ich ließ mir das nicht gefallen und sagte: ’Dein Vater lässt abends das Fenster offen, dass der Wind besser blasen kann’. Mehr Beleidigungen habe ich nicht gesagt, was alle Anwesenden bestätigen können. Etwa 5 min. später kam dasselbe Mädchen dann wieder zu mir und schüttete eine volle Tüte Chips über mich aus. Sodann schmiss sie mir die Tüte ins Gesicht.“
14 
Eine Stellungnahme oder Einschätzung hierzu findet sich in den Verwaltungsakten nicht. Geht man aber davon aus, dass das Vorgeschehen jedenfalls ungefähr in der beschriebenen Weise stattgefunden hat, kann die eingeräumte Äußerung bei Berücksichtigung des Gesamtgeschehens nicht als schweres Fehlverhalten bewertet werden, das den Schulleiter dazu ermächtigt hätte, mit einem fünftägigen Unterrichtsausschluss den Rahmen der ihm in alleiniger Kompetenz zustehenden Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen voll auszuschöpfen (vgl. § 90 Abs. 3 Nr. 2d SchG). Einer derartig schweren Sanktion stünde jedenfalls der im Schulgesetz für alle Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen ausdrücklich angeordnete Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entgegen (§ 90 Abs. 2 Satz 2 SchG).
15 
Ob der Unterrichtsausschluss unter dem Gesichtspunkt eines „wiederholten Fehlverhaltens“ gerechtfertigt werden könnte - wofür angesichts des schulischen Fehlverhaltens des Antragstellers in der zurückliegenden Zeit einiges spricht -, kann offenbleiben. Denn jedenfalls die mit dem Widerspruch angegriffene Verfügung vom 16.03.2009 stellt eine ausreichende Grundlage hierfür nicht dar. Dies ergibt sich zunächst bereits daraus, dass dort ausschließlich auf das konkrete Geschehen vom 12.03.2009 Bezug genommen wird und andere Verfehlungen, die insgesamt den Schluss zulassen würden, dass der Antragsteller „seine Pflichten verletzt und dadurch die Erfüllung der Aufgabe der Schule oder die Rechte anderer gefährdet“ (§ 90 Abs. 6 Satz 1 SchG), nicht benannt sind. Insbesondere aber leidet die Entscheidung des Schulleiters auch insoweit an einem Fehlgebrauch des in § 90 Abs. 3 Satz 1 SchG eingeräumten Ermessens, weil die Umstände des konkreten Einzelfalls und damit das Gewicht des dem Antragsteller zur Last gelegten Fehlverhaltens nicht zutreffend ermittelt und gewürdigt worden ist. Dieser Mangel ist im bisherigen Widerspruchsverfahren nicht behoben worden; vielmehr hat das Regierungspräsidium im Rahmen der Beschwerdeerwiderung ausdrücklich die Auffassung vertreten, die Maßnahme sei auf ausreichende Ermittlungen gestützt.
16 
Insgesamt überwiegt daher bei der im Anordnungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO allein möglichen vorläufigen Betrachtung der Sach- und Rechtslage das Suspensivinteresse des Antragstellers, so dass die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs anzuordnen und der Beschluss des Verwaltungsgerichts abzuändern ist.
17 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG, wobei nach ständiger Rechtsprechung des Senats für Verfahren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen einen Unterrichtsausschluss nur die Hälfte des Auffangwertes festzusetzen ist (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 23.01.2004 - 9 S 95/04 -, NJW 2004, 1058).
18 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (vgl. § 152 Abs. 1 VwGO sowie § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG hinsichtlich der Streitwertfestsetzung).

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.