Verwaltungsgericht Regensburg Gerichtsbescheid, 17. Apr. 2014 - 9 K 14.508

bei uns veröffentlicht am17.04.2014

Gericht

Verwaltungsgericht Regensburg

Tenor

I.

Es wird festgestellt, dass der Bescheid des Beklagten vom 17. März 2014 rechtswidrig gewesen ist.

II.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

III.

Der Gerichtsbescheid ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, es sei denn, der Kläger leistet vorher Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrages.

IV.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger will geklärt wissen, ob die Auflösung einer vor dem Landratsamt D.-L. durchgeführten Versammlung (Hunger- und Durststreik von Asylbewerbern) rechtmäßig war.

Der Kläger zeigte am 14. März 2014 eine Versammlung nach dem Versammlungsgesetz mit 13 Personen auf der Grünfläche vor dem Landratsamt D.-L. an. Die Forderungen der Versammlungsteilnehmer waren asyl- und ausländerrechtlicher Natur. Mit Bescheid vom 14. März 2014, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, genehmigte das Landratsamt die Versammlung unter Auflagen. Insbesondere setzte es mangels Angabe einer geplanten Dauer in der Versammlungsanzeige eine zeitliche Beschränkung der Versammlung zunächst bis 18. März 2014, 12.00 Uhr fest.

Einige Teilnehmer der Versammlung traten in einen Hunger- und später wohl auch Durststreik. Zur Unterstützung hielten sich während der Dauer der Versammlung auch Personen aus der vom Beklagten als solcher bezeichneten „linken Szene“ auf. Diese versorgten nach Angaben des Landratsamtes die Asylbewerber mit Decken, Transparenten, Campingstühlen und zunächst auch mit Getränken. Entgegen der festgesetzten Beschränkungen seien bis zum Abend des 14. März 2014 auch zwei Pavillons aufgebaut und von allen Seiten umschlossen worden. Wegen des Wetterumschwungs und der kalten Nächte sei dies geduldet worden.

Nach den aktenkundigen Feststellungen der Polizei entwickelte sich die Teilnehmerzahl im Verlauf der Versammlung wie folgt:

14.03.2014, 13.00 Uhr

13 Asylbewerber

14.03.2014, 20.00 Uhr

12 Asylbewerber, 5 Unterstützer

15.03.2014, 13.00 Uhr

ca. 10 Personen vor Ort, nur wenige Asylbewerber

15.03.2014, 18.30 Uhr

6 Asylbewerber, 2 Aktivisten

16.03.2014, 06.00 Uhr

5 Asylbewerber, 2 Aktivisten

16.03.2014, 13.00 Uhr

11 Asylbewerber, 5 Aktivisten

16.03.2014, 13.00 Uhr

8 Asylbewerber, 5 Aktivisten

17.03.2014, 06.00 Uhr

10 Teilnehmer

17.03.2014, 17.30 Uhr

15 Asylbewerber, 5 Sympathisanten

Nach den Feststellungen im streitgegenständlichen Bescheid hätten mit Stand 17. März 2014, 14.00 Uhr, insgesamt zehn Versammlungsteilnehmer wegen gesundheitlicher Probleme mit dem Rettungsdienst ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen. Insbesondere zwei der am 17. März 2014 Eingelieferten hätten sich in einem so schlechten gesundheitlichen Zustand befunden, dass sie einer Intensivbehandlung bedurft hätten:

14.03.2014, nachmittags

1 Asylbewerber (gesundheitliche Probleme, vorsorglich zur Beobachtung ins Krankenhaus eingeliefert)

15.03.2014, nachmittags

1 Asylbewerber (Unterkühlung; Einlieferung ins Krankenhaus)

16.03.2014, vormittags

1 Teilnehmer (habe vorgegeben, zu kollabieren. Zur Prüfung des Gesundheitszustandes ins Krankenhaus mitgenommen; kein akuter Notfall)

16.03.2014, nachmittags/abends

3 Teilnehmer (1x kein akuter Notfall; 2x keine nennenswerte Gesundheitsgefährdung)

16.03.2014, spätabends

1 Teilnehmer (leicht apathischer Zustand)

17.03.2014, vormittags

2 Teilnehmer (1x bewusstlos, 1x Kreislaufschwäche; lt. KKH D. Lebensgefahr aufgrund starker Unterzuckerung)

17.03.2014, nachmittags

1 Teilnehmer

Mit Bescheid vom 17. März 2014 verbot das Landratsamt die Versammlung ab sofort und löste sie auf (Ziffer I.1). Im Falle der Zuwiderhandlung werde die Auflösung der Versammlung mittels unmittelbaren Zwangs angeordnet (Ziffer I.2). Nach Art. 15 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 Bayerisches Versammlungsgesetz (BayVersG) könne eine Versammlung nach Beginn aufgelöst werden, wenn die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet sei. Seit Sonntag, 16. März 2014, häuften sich Rettungsdiensteinsätze, die in Zusammenhang mit der Versammlung stünden. So seien zwischen 14.20 Uhr und 19.50 Uhr insgesamt drei protestierende Asylbewerber vom Rettungsdienst ins Krankenhaus eingeliefert worden. Gegen 21.46 Uhr habe ein Vertrauensarzt des Flüchtlingsrates bei einem weiteren Teilnehmer einen leicht apathischen Zustand festgestellt und ihn ebenfalls ins Krankenhaus einliefern lassen. Auch am 17. März 2014 seien bis 14.00 Uhr erneut drei Asylbewerber durch den Rettungsdienst ins Krankenhaus gebracht worden. Von Seiten des Krankenhauses D. sei der Polizeiinspektion D. mitgeteilt worden, dass sich die Teilnehmer der Versammlung bei den Einlieferungen mittlerweile in einem so schlechten gesundheitlichen Zustand befänden, dass sie einer Intensivbehandlung bedürften. Aufgrund dieser Erkenntnisse bestehe bei einer weiteren Fortsetzung des Hunger- und Durststreikes eine unmittelbare Gefahr für die Gesundheit und das Leben der teilnehmenden Asylbewerber. Bei einem Zuwarten bis zum Ablauf der zeitlichen Beschränkung (Dienstag, 18.3.2014, 12.00 Uhr) könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Hunger- und Durststreik zum Tod eines Teilnehmers führen könnte. Wenn auch nach obergerichtlicher Rechtsprechung ein Hungerstreik ein zulässiges Mittel sein könne, um dem Motto einer Versammlung besonderen Nachdruck zu verleihen, so habe das Grundrecht der Versammlungsfreiheit zurückzustehen, wenn die Fortsetzung der Versammlung den Tod von Teilnehmern bewirken würde. Die Versammlung sei somit zur Verhinderung dieser unmittelbar konkreten Gefahr sofort zu unterbinden gewesen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass die niedrigen Temperaturen der folgenden Nacht zu einer weiteren Verschlechterung des Gesundheitszustandes beitragen könnten. Aus diesem Grund sei das Verbot und die sofortige Auflösung der Versammlung das einzige geeignete, erforderliche und angemessene Mittel, um die Gesundheitsgefährdung der Teilnehmer zu beenden.

Die Versammlung wurde noch am gleichen Tag gegen 17.30 Uhr unter Anwendung unmittelbaren Zwanges aufgelöst. Zum Zeitpunkt der Räumung bestand die Versammlung aus 15 Asylbewerbern und fünf Unterstützern.

Der Kläger ließ am Abend des 17. März 2014 per Telefax Klage und Eilantrag (RN 9 S 14.507) gegen diesen Bescheid erheben und zugleich die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung beantragen. Die Selbstgefährdung von Versammlungsteilnehmer könne ein Verbot der Versammlung nicht rechtfertigen. Denn die Gefährdung gehe nicht von der Versammlung aus, sondern unterliege der Entscheidung einzelner Versammlungsteilnehmer. Im Übrigen habe sich ein Vertrauensarzt des Bayerischen Flüchtlingsrates vor Ort befunden, der die Einlieferung von Versammlungsteilnehmern in das Krankenhaus veranlasst habe. Die erforderliche medizinische Betreuung sei also offensichtlich sichergestellt gewesen. Darüber hinaus verweise Art. 15 BayVersG gerade nicht auf Art. 12 Abs. 2 BayVersG. Eine Störung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit liege allein aufgrund der Protestform der hungerstreikenden Teilnehmer nicht vor.

Mit Schriftsatz vom 19. März 2014 ließ der Kläger wegen Erledigung des Bescheides durch Zeitablauf die Klage umstellen. Er habe ein Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheides. Zum einen wolle er auch in Zukunft vom Versammlungsrecht Gebrauch machen, ohne durch rechtswidrige Entscheidungen wie der angegriffenen Entscheidung in seinen Rechten verletzt zu werden. Es bestehe daher Wiederholungsgefahr. Zum anderen sei er bei der Räumung des Protestcamps durch unmittelbaren Zwang betroffen gewesen und erscheine auch durch die Berichterstattung über die Räumung als Gesetzesbrecher. Er habe daher ein Rehabilitationsinteresse.

Der Kläger lässt zuletzt beantragen,

festzustellen, dass der Bescheid des Landratsamtes D.-L. vom 17.03.2014 rechtswidrig war.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es bestünden bereits Zweifel an der Zulässigkeit der Klage, da sich der Kläger im Zeitpunkt der Auflösung nicht am Versammlungsort, sondern in medizinischer Behandlung befunden habe. Er sei aufgrund seines geschwächten körperlichen Zustandes an einer aktiven Ausübung der Versammlungsfreiheit gehindert gewesen. Mit seiner Beteiligung sei auch bis zum Ende der regulären zeitlichen Beschränkung nicht zu rechnen gewesen. Auch ein qualifiziertes Feststellungsinteresse sei nicht hinreichend dargelegt. Aber auch in der Sache bliebe die Klage ohne Erfolg. So sei das Landratsamt zuständige Versammlungsbehörde zum Erlass des Auflösungsbescheides gewesen. Gemäß IMS vom 27. Juni 2013 (IE4-1204) solle für längerfristige, insbesondere mehrtägige Versammlungen für auf Dauer wirkende Maßnahmen keine Zuständigkeit der Polizei begründet werden, sondern es bei der Zuständigkeit der Kreisverwaltungsbehörde bleiben. Im Übrigen sei eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in jedem Fall gegeben gewesen. Aufgrund der Mitteilung des D. Klinikums D. gegenüber der Polizei, wonach sich zwei Teilnehmer der Versammlung wegen lebensbedrohlicher Unterzuckerung auf der Intensivstation befänden und aus ärztlicher Sicht bei einer Fortdauer des Durst- und Hungerstreiks weitere lebensbedrohliche Zustände für die verbleibenden Hungerstreikenden nicht ausgeschlossen werden könnten, habe eine konkrete unmittelbare Gefahrenlage bestanden. Diese habe kein Zuwarten bis zum vorläufigen Ende der Versammlung am nächsten Tag gerechtfertigt, zumal die Versammlung laut Antrag der Veranstalter bis zum 26. März 2014 verlängert werden sollte. In der Nacht vom 17. auf den 18. März 2014 habe mit niedrigen Temperaturen gerechnet werden müssen, die eine weitere Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Teilnehmer hätten befürchten lassen. Entgegen der Angabe des Klägers sei eine dauerhafte und eine Gefährdung der Teilnehmer ausschließende medizinische Betreuung durch einen Vertrauensarzt des Flüchtlingsrates nicht gewährleistet gewesen. Dieser sei nur einmal und zwar am Abend des 16. März 2014 kurzzeitig vor Ort gewesen. Die Tatsache, dass die Versammlungsteilnehmer noch am Vormittag des 17. März 2014 das Angebot einer ärztlichen Untersuchung ablehnten, kurz darauf aber zwei Asylbewerber mit einer lebensbedrohlichen Unterzuckerung ins Krankenhaus hätten eingeliefert werden müssen, zeige einerseits, dass die medizinische Betreuung der Teilnehmer nicht sichergestellt gewesen sei und andererseits einzelne Teilnehmer nicht mehr selbst entscheiden hätten können, die Versammlung freiwillig zu verlassen. Die eingeschränkte freie Entscheidungsfähigkeit der Asylbewerber habe ein Einschreiten erforderlich gemacht. Zudem sei der Pavillon nicht komplett einsehbar gewesen, so dass es für die Behörden nicht möglich gewesen sei, den Gesundheitszustand der Teilnehmer zumindest augenscheinlich zu beurteilen. Diesem Umstand hätte auch nicht mehr durch eine nachträgliche Anordnung begegnet werden können. Angesichts der konkreten Gefährdung für Leib und Leben wären die Durchsetzung der geltenden Beschränkungen oder weitere Anordnungen nicht geeignet gewesen, dem gebotenen Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit gerecht zu werden. Ein milderes Mittel sei deshalb nicht zur Verfügung gestanden. Die Auflösung der gesamten Versammlung stehe daher mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Einklang. Dass von der Auflösung auch die nicht im Hungerstreik befindlichen Teilnehmer aus dem Unterstützerkreis betroffen gewesen seien, stehe dem nicht entgegen. Deren konfrontatives Verhalten habe im erheblichen Maße zur weiteren Entwicklung beigetragen, etwa der mangelnde Zugang der Sicherheitsbehörden zur Versammlungsörtlichkeit. Die Möglichkeit einer laufenden, zumindest aber regelmäßigen medizinischen Betreuung der durst- und hungerstreikenden Versammlungsteilnehmer habe vor diesem Hintergrund als nicht erfolgversprechend angesehen werden müssen. Als Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sei auch nicht der Hungerstreik selbst, sondern dessen konkrete Auswirkungen auf die Teilnehmer angesehen worden, zumal es sich um einen sog. trockenen Hungerstreik gehandelt habe. Laut ärztlicher Auskunft bestehe für einen gesunden Menschen ab dem dritten oder vierten Tag ohne Trinken akute Lebensgefahr. Die vorliegend sehr zeitnah zu beobachtenden gesundheitlichen Ausfallerscheinungen der Versammlungsteilnehmer belegten eine spezifische Gefahrensituation. Weitere Beschränkungen wie Mitarbeitern des Rettungsdienstes und Ärzten den Zugang zum Pavillon zu gewähren, um die Durst- und Hungerstreikenden in Augenschein zu nehmen oder den Ausschluss einzelner Versammlungsteilnehmer wegen zunehmender gesundheitlicher Gefährdung seien zum Zeitpunkt der Anordnung nicht mehr in Betracht gekommen. Im weiteren Verlauf der Versammlung seit 13. März 2014 sei es immer mehr zu Unklarheiten gekommen, wie viele Asylbewerber tatsächlich am Streik teilnähmen. Die Anzahl der Teilnehmer habe ständig variiert. Zum Teil seien sie nach ihrer Einlieferung ins Krankenhaus wieder zurück zum Versammlungsort gekommen. Nachdem der Aufforderung zur Öffnung des Pavillons auf der dem Landratsamt zugewandten Seite nicht nachgekommen worden und somit ein Teil des Pavillons nicht einsehbar gewesen sei, habe von außen nicht mehr beurteilt werden können, in welchem Zustand sich die Streikenden befunden hätten. Angebotene ärztliche Hilfe sei nicht angenommen, eine Inaugenscheinnahme durch die Amtsärztin nicht gestattet worden. Es sei zu befürchten gewesen, dass bei der Herausnahme einzelner Teilnehmer die Situation eskalieren würde. Deshalb sei die Auflösung der Versammlung als einziges Mittel gesehen worden, um die unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erfolgversprechend zu begegnen.

Das Eilverfahren RN 9 S 14.507 endete nach beiderseitiger Erledigungserklärung mit Einstellungsbeschluss vom 1. April 2014. Mit Beschluss vom gleichen Tage gewährte das Gericht Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Prozessbevollmächtigten. Mit Schreiben vom 4. April 2014 hörte es die Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid an; die Klägerseite stimmte zu. Mit Schriftsatz vom 15. April 2014 verweigerte die Beklagtenseite ihr Einverständnis und vertiefte ihr Vorbringen.

Zur Ergänzung der Sachverhaltswiedergabe wird auf den weiteren Inhalt der vorgelegten Behördenakte sowie der Gerichtsakte von Eil- und Hauptsache Bezug genommen.

Gründe

I.

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Der Umstand, dass die aufgeworfene Zuständigkeitsproblematik - mit jeweiliger Argumentation - von der Beklagtenseite anders gesehen wird als von der Kammer, lässt nicht den Schluss zu, diese Rechtsfrage deshalb als besonders schwierig in obigem Sinn zu bewerten. Vielmehr ist das Gericht der Überzeugung, dass diese Thematik keine überdurchschnittliche, das normale Maß erheblich übersteigende Schwierigkeit aufwirft. Auch der Sachverhalt ist jedenfalls insoweit unstreitig geklärt, als es entscheidungserheblich darauf ankommt. Bescheidserlassende Behörde war das Landratsamt, nicht die Polizei.

Die Zustimmung des Beklagten zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid war nicht erforderlich (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 18. Auflage 2012, Rn. 18 zu § 84 m. w. N.).

II.

Die Klage hat Erfolg. Das Gericht hält auch im Lichte der Ausführungen aus dem Schriftsatz des Beklagten vom 15. April 2014 an seiner im Prozesskostenhilfebeschluss vom 1. April 2014 zum Ausdruck gebrachten Rechtsauffassung fest, dass der streitgegenständliche Bescheid bereits formell rechtswidrig war, weil er vom sachlich unzuständigen Landratsamt D.-L. erlassen worden ist.

1. Der Beklagte räumt selbst ein, dass seine Auslegung des Art. 24 Abs. 2 Satz 1 BayVersG im Gegensatz zum Wortlaut des Gesetzes steht. Der Sinn und Zweck der Norm bietet mit Blick auf die ebenfalls eindeutige Regelung des Art. 7 Abs. 2 AGVersammlG a. F. und die einschlägigen Ausführungen in den Gesetzesmaterialien zu Art. 24 BayVersG-E keinen Anlass, jedenfalls für die hier inmitten stehende Thematik „Auflösung einer Versammlung“ eine solche dem Wortlaut der Norm widersprechende Auslegung vornehmen zu müssen. Denn für Auflösungen von Versammlungen war - wie der Beklagte selbst feststellt - die Polizei bereits nach früherem Recht ausschließlich zuständig. Ob die Polizei mit Inkrafttreten des BayVersG nach Versammlungsbeginn ebenfalls - subsidiär oder ausschließlich - sachlich zuständig für die Anpassung von Versammlungsbeschränkungen wäre, welche noch die Kreisverwaltungsbehörde vor Versammlungsbeginn verfügt hatte, kann hier letztlich offen bleiben. Denn vorliegend geht es nicht um Versammlungsbeschränkungen, sondern um eine Versammlungsauflösung.

Ungeachtet dessen ist aus Sicht des Gerichts keine auslegungsbedürftige Regelungslücke in Art. 24 Abs. 2 Satz 1 BayVersG zu erkennen. Das Gesetz regelt die sachliche Zuständigkeit der Polizei nach Versammlungsbeginn ja ausdrücklich - unabhängig von der Dauer einer Versammlung. Eine noch offene, durch Auslegung zu schließende Zuständigkeitslücke besteht also nicht. Vielmehr geht es letztlich um vom Beklagten in Zusammenhang mit der Durchführung von sog. „Dauerversammlungen“ angestellte Zweckmäßigkeitserwägungen. Diesen kann aber im praktischen Vollzug durch informelle Abstimmung der nach Versammlungsbeginn „federführenden“ Polizei mit der Kreisverwaltungsbehörde gleichermaßen Rechnung getragen werden, ohne sich im Rahmen der gesetzlich geregelten sachlichen Vollzugzuständigkeit in Widerspruch zum Gesetzeswortlaut setzen zu müssen. So hebt der Beklagte selbst hervor, dass das Landratsamt vorliegend in regelmäßigem Kontakt mit der Polizei gestanden habe und Maßnahmen nach gegenseitiger Bewertung der Sachlage stets im Einvernehmen getroffen worden seien. Die Einbeziehung des bei den Kreisverwaltungsbehörden vorhandenen versammlungsrechtlichen Sachverstandes ist also auch auf diese Weise möglich und kann - sofern nicht bereits geschehen - ggf. durch Weisung des StMI „institutionalisiert“ werden. Eine Auslegungsnotwendigkeit im Sinne des Beklagten kann damit folglich nicht begründet werden. Im Übrigen verfügt die Polizei ebenso wie die Kreisverwaltungsbehörden über die notwendige Fachkompetenz auf dem Gebiet des Versammlungsrechts als auch über langjährige Erfahrung in dessen praktischer Anwendung. Angesichts der an die Polizei gerichteten Regelung in Art. 7 Abs. 2 AGVersammlG a. F. dürfte diese mit der Thematik „Versammlungsauflösung“ sogar besonders vertraut sein.

2. Nach dem Wortlaut des Art. 24 Abs. 2 Satz 1 BayVersG handelt es sich bei der sachlichen Zuständigkeit der Polizei nach Versammlungsbeginn nicht um eine reine Auffangzuständigkeit für die Anordnung von Sofortmaßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Vielmehr knüpft die Vorschrift die Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit ausdrücklich an eine zeitliche Zäsur, nämlich den Beginn einer Versammlung, und grenzt so die sachliche Zuständigkeit von Kreisverwaltungsbehörde und Polizei voneinander ab. Hätte der Gesetzgeber „nur“ eine Auffangzuständigkeit der Polizei begründen wollen, hätte er dies entsprechend im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck gebracht, so wie er es in Art. 3 PAG, Art. 9 Abs. 2 POG oder Art. 10 Satz 1 LStVG getan hat. Soweit der Beklagte in seine diesbezügliche Betrachtung Art. 24 Abs. 2 Satz 2 BayVersG einbezieht, welcher in unaufschiebbaren Fällen der Polizei gestattet, auch an Stelle der Kreisverwaltungsbehörde Maßnahmen zu treffen, bezieht sich diese Bestimmung auf die Zeit vor Versammlungsbeginn. Für die Zeit danach ergibt sich die sachliche Zuständigkeit der Polizei ohnehin aus Art. 24 Abs. 2 Satz 1 BayVersG. Demgemäß führt die Gesetzesbegründung aus, dass Art. 24 Abs. 2 Satz 2 BayVersG die Regelung des Art. 24 Abs. 2 Satz 1 BayVersG um eine Auffangzuständigkeit der Polizei für unaufschiebbare Fälle ergänze. In diesen Fällen könne die Polizei an Stelle der Kreisverwaltungsbehörde Maßnahmen bereits vor Versammlungsbeginn treffen (vgl. LT-Drs. 15/10181, Seite 26). Angesichts dessen kann aus Art. 24 Abs. 2 Satz 2 BayVersG kein genereller Grundsatz abgeleitet werden, wonach der Polizei stets nur eine Auffangzuständigkeit zukomme. Dies gilt nach Wortlaut und Gesetzesbegründung nur für die Zeit bis zum Versammlungsbeginn.

Das Gericht unterstreicht nochmals ausdrücklich, dass im Hinblick auf die Bedeutung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit und die durch das BayVersG eröffneten behördlichen Eingriffsbefugnisse in dieses Grundrecht eine klare und eindeutige gesetzgeberische Bestimmung der Vollzugskompetenz erforderlich ist (Grundsatz des Gesetzesvorbehalts, vgl. LT-Drs. 15/10181, S. 12). Etwaige Änderungen müssen demgemäß - so zweckmäßig sie aus behördlicher Sicht auch erscheinen mögen - durch förmliches Gesetz erfolgen. Ein Rundschreiben des Bayerischen Staatsministeriums des Innern an die nachgeordneten Behörden, dessen Inhalt noch dazu bereits nach eigener Aussage im Gegensatz zum Wortlaut der Norm steht, genügt hierfür angesichts der klaren gesetzlichen Regelung nicht.

Im Übrigen vertrat das StMI in Ziffer 2 seiner Anwendungshinweise zum BayVersG vom 29. September 2008 (ID5-1204.2-18 - juris) noch eine andere Rechtsauffassung zur Zuständigkeitsverteilung als heute, wenn es dort ausführt:

„Die Zuständigkeitsbestimmungen des Gesetzes zur Ausführung des Versammlungsgesetzes (AGVersammlG) sind im Wesentlichen unverändert in das Bayerische Versammlungsgesetz übernommen. Zuständige Behörden sind nach Art. 24 Abs. 2 die Kreisverwaltungsbehörden, ab Beginn der Versammlung jedoch ausschließlich die Polizei. Zudem kann die Polizei in unaufschiebbaren Fällen auch vor Versammlungsbeginn an Stelle der Kreisverwaltungsbehörde Maßnahmen treffen.“

(Hervorhebung wie IMS)

In einem IMS vom 8. Juni 2010 (ID5-1204.13-36 - juris) heißt es dazu unter Ziffer 6:

Mit der Novellierung wird ein Teil der Straftatbestände in Art. 20 zu Ordnungswidrigkeiten nach Art. 21 BayVersG herabgestuft; teilweise wird gänzlich auf eine Bewehrung verzichtet. In diesem Zusammenhang wird nochmals auf das IMS vom 29. Juli 2009 (ID5-1204.2-18) hingewiesen. Dementsprechend liegt die Zuständigkeit für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nach dem BayVersG stets bei den Kreisverwaltungsbehörden: Zwar liegt nach Art. 24 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 BayVersG die Zuständigkeit für den Vollzug ab Beginn der Versammlung bei der Polizei, jedoch gilt dies aufgrund § 6 Abs. 4 ZuVOWiG nicht hinsichtlich der Ordnungswidrigkeiten. Die Zuständigkeit liegt daher gemäß § 3 Abs. 2 ZuVOWiG auch nach Veranstaltungsbeginn bei der Kreisverwaltungsbehörde (vor Versammlungsbeginn nach § 1 Satz 1 ZuVOWiG); unberührt bleibt die Ermächtigung der Polizei zur Erteilung von Verwarnungen bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten nach § 6 Abs. 4 Satz 2 ZuVOWiG in Verbindung mit § 57 Abs. 2, § 56 OWiG.“

(Hervorhebung durch Gericht)

3. Der angeführte Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 12. April 2012 (10 CS 12.767 - juris; siehe auch B. v. 20.4.2012 - 10 CS 12.845 - juris) veranlasst keine anderweitige Bewertung der Rechtslage. In dieser Entscheidung finden sich keinerlei Ausführungen zum vorliegend maßgeblichen Rechtsproblem. Soweit die Beklagte sinngemäß darauf verweist, dass der BayVGH in diesem Beschluss die sachliche Zuständigkeit der dortigen Antragsgegnerin zum Erlass des versammlungsrechtlichen Bescheids jedenfalls nicht beanstandet habe, ist zu bemerken, dass Sachgegenstand des Bescheides und der nachfolgenden gerichtlichen Entscheidungen weitere Versammlungsbeschränkungen waren, nicht eine Versammlungsauflösung. Hinzu tritt, dass der BayVGH gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die Prüfung des Sachvortrags der Antragsteller im Beschwerdeverfahren beschränkt war.

4. Dem Beklagten mag zuzugeben sein, dass die bei wörtlichem Verständnis des Art. 24 Abs. 2 Satz 1 BayVersG zuständige Behörde im Sinne des Art. 13 BayVersG für die Anzeige der Verlängerung einer bereits begonnenen Versammlung die Polizei sein dürfte. Dieses „Kompetenzproblem“ wird allerdings von untergeordneter Bedeutung sein, ist doch die Kreisverwaltungsbehörde in der Lage, den Anzeigenden an die Polizei zu verweisen bzw. die Anzeige an die Polizei weiterzuleiten. Aus Sicht des Gerichts erscheinen die Kompetenzprobleme bei Auslegung im Sinne des Beklagten weit gravierender. So ist völlig unklar, ab welcher Dauer aus einer „normalen“ Versammlung mit „regulärer“ Zuständigkeitsfolge eine „Dauerversammlung“ mit „ausgelegter“ Zuständigkeitsfolge wird. So findet sich im maßgeblichen IMS vom 27. Juni 2013 keine konkrete Bestimmung des Begriffs „Dauerversammlung“. Es ist also offen, ob eine solche Dauerversammlung bereits ab einer angezeigten Versammlungsdauer von mehr als 24 Stunden anzunehmen ist oder ob unter Heranziehung des im IMS ebenfalls in diesem Zusammenhang verwandten Begriffes „längerfristig“ ein längerer Mindestzeitraum hierfür anzusetzen ist. Wie sich die Zuständigkeitslage verhält, wenn die Versammlung weniger als 24 Stunden dauern soll, aber sich über zwei Kalendertage erstreckt, ist ebenfalls unklar. Das IMS führt also im Ergebnis nicht zu einer Präzisierung der Rechtslage, sondern schafft neuen Interpretations- und Auslegungsspielraum zum behördlich eingeführten Begriff der „Dauerversammlung“.

5. Es ist nochmals zu betonen, dass die Auflösung der Versammlung in inhaltlicher Übereinstimmung mit der Polizei nichts an dem Umstand ändert, dass bescheidserlassende Behörde eben nicht die Polizei, sondern das Landratsamt war.

6. Da der inmitten stehende Bescheid bereits formell rechtswidrig ist, kommt es auf die zur materiellen Rechtslage angestellten Erwägungen nicht mehr entscheidungserheblich an.

III.

Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO.

Vorläufige Vollstreckbarkeit und Abwendungsbefugnis: §§ 84 Abs. 1 Satz 3, 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 ff ZPO.

IV.

Die Berufung wird gem. § 124a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Die Entscheidung hat über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung für den Vollzug des BayVersG, nachdem das Vollzugsverständnis der Kreisverwaltungsbehörden und der Polizei durch das nach Meinung der Kammer im Widerspruch zur Gesetzeslage stehende IMS vom 27. Juni 2013 (IE4-1204) vorgeprägt ist.

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Verwaltungsgericht Regensburg Gerichtsbescheid, 17. Apr. 2014 - 9 K 14.508 zitiert 9 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124


(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird. (2) Die B

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 146


(1) Gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an das Oberverwaltun

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 84


(1) Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Die

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten - OWiG 1968 | § 56 Verwarnung durch die Verwaltungsbehörde


(1) Bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten kann die Verwaltungsbehörde den Betroffenen verwarnen und ein Verwarnungsgeld von fünf bis fünfundfünfzig Euro erheben. Sie kann eine Verwarnung ohne Verwarnungsgeld erteilen. (2) Die Verwarnung nach Absatz

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten - OWiG 1968 | § 57 Verwarnung durch Beamte des Außen- und Polizeidienstes


(1) Personen, die ermächtigt sind, die Befugnis nach § 56 für die Verwaltungsbehörde im Außendienst wahrzunehmen, haben sich entsprechend auszuweisen. (2) Die Befugnis nach § 56 steht auch den hierzu ermächtigten Beamten des Polizeidienstes zu, die

Referenzen

(1) Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Die Vorschriften über Urteile gelten entsprechend.

(2) Die Beteiligten können innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids,

1.
Berufung einlegen, wenn sie zugelassen worden ist (§ 124a),
2.
Zulassung der Berufung oder mündliche Verhandlung beantragen; wird von beiden Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht, findet mündliche Verhandlung statt,
3.
Revision einlegen, wenn sie zugelassen worden ist,
4.
Nichtzulassungsbeschwerde einlegen oder mündliche Verhandlung beantragen, wenn die Revision nicht zugelassen worden ist; wird von beiden Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht, findet mündliche Verhandlung statt,
5.
mündliche Verhandlung beantragen, wenn ein Rechtsmittel nicht gegeben ist.

(3) Der Gerichtsbescheid wirkt als Urteil; wird rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt, gilt er als nicht ergangen.

(4) Wird mündliche Verhandlung beantragt, kann das Gericht in dem Urteil von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Gerichtsbescheides folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.

(1) Personen, die ermächtigt sind, die Befugnis nach § 56 für die Verwaltungsbehörde im Außendienst wahrzunehmen, haben sich entsprechend auszuweisen.

(2) Die Befugnis nach § 56 steht auch den hierzu ermächtigten Beamten des Polizeidienstes zu, die eine Ordnungswidrigkeit entdecken oder im ersten Zugriff verfolgen und sich durch ihre Dienstkleidung oder in anderer Weise ausweisen.

(1) Bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten kann die Verwaltungsbehörde den Betroffenen verwarnen und ein Verwarnungsgeld von fünf bis fünfundfünfzig Euro erheben. Sie kann eine Verwarnung ohne Verwarnungsgeld erteilen.

(2) Die Verwarnung nach Absatz 1 Satz 1 ist nur wirksam, wenn der Betroffene nach Belehrung über sein Weigerungsrecht mit ihr einverstanden ist und das Verwarnungsgeld entsprechend der Bestimmung der Verwaltungsbehörde entweder sofort zahlt oder innerhalb einer Frist, die eine Woche betragen soll, bei der hierfür bezeichneten Stelle oder bei der Post zur Überweisung an diese Stelle einzahlt. Eine solche Frist soll bewilligt werden, wenn der Betroffene das Verwarnungsgeld nicht sofort zahlen kann oder wenn es höher ist als zehn Euro.

(3) Über die Verwarnung nach Absatz 1 Satz 1, die Höhe des Verwarnungsgeldes und die Zahlung oder die etwa bestimmte Zahlungsfrist wird eine Bescheinigung erteilt. Kosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.

(4) Ist die Verwarnung nach Absatz 1 Satz 1 wirksam, so kann die Tat nicht mehr unter den tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten verfolgt werden, unter denen die Verwarnung erteilt worden ist.

(1) Gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht zu, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.

(2) Prozeßleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Beschlüsse über eine Vertagung oder die Bestimmung einer Frist, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse über Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen sowie Beschlüsse über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe verneint, können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

(3) Außerdem ist vorbehaltlich einer gesetzlich vorgesehenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision die Beschwerde nicht gegeben in Streitigkeiten über Kosten, Gebühren und Auslagen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands zweihundert Euro nicht übersteigt.

(4) Die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80a und 123) ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Das Verwaltungsgericht legt die Beschwerde unverzüglich vor; § 148 Abs. 1 findet keine Anwendung. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.

(5) u. (6) (weggefallen)

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Die Vorschriften über Urteile gelten entsprechend.

(2) Die Beteiligten können innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids,

1.
Berufung einlegen, wenn sie zugelassen worden ist (§ 124a),
2.
Zulassung der Berufung oder mündliche Verhandlung beantragen; wird von beiden Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht, findet mündliche Verhandlung statt,
3.
Revision einlegen, wenn sie zugelassen worden ist,
4.
Nichtzulassungsbeschwerde einlegen oder mündliche Verhandlung beantragen, wenn die Revision nicht zugelassen worden ist; wird von beiden Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht, findet mündliche Verhandlung statt,
5.
mündliche Verhandlung beantragen, wenn ein Rechtsmittel nicht gegeben ist.

(3) Der Gerichtsbescheid wirkt als Urteil; wird rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt, gilt er als nicht ergangen.

(4) Wird mündliche Verhandlung beantragt, kann das Gericht in dem Urteil von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Gerichtsbescheides folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.