Verwaltungsgericht München Urteil, 29. Jan. 2019 - M 3 K 17.3829

bei uns veröffentlicht am29.01.2019

Gericht

Verwaltungsgericht München

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Streitgegenständlich ist die von der Städtischen ...-Realschule München (im Folgenden: die Schule) gegenüber dem Kläger verhängte Ordnungsmaßnahme der Androhung der Entlassung.

Der am … März 2003 geborene Kläger besuchte im Schuljahr … die Klasse … der Schule. Mit Schreiben vom … Februar 2017 wurde den Eltern des Klägers mitgeteilt, der Disziplinarausschuss werde am … März 2017 über die Verhängung einer Ordnungsmaßnahme aufgrund des Verhaltens des Klägers beraten. Der Kläger hätte einen Film auf seinem Handy gespeichert gehabt, der einen Klassenkameraden bei intimen Handlungen zeige. Diesen Film habe der Kläger per Handy an einen Klassenkameraden verschickt und so die Verbreitung in der Klasse bzw. in der Schule ermöglicht. Für den betroffenen Mitschüler habe dies zu einer kompromittierenden Situation an der Schule geführt; der Kläger habe damit eindeutig eine Grenze überschritten, die nicht toleriert werden könne. Des Weiteren wird auf die bereits erhaltenen Verweise sowie zwei verschärfte Verweise des Klägers in den vergangenen Schuljahren hingewiesen. Die Eltern des Klägers wurden auf ihr Äußerungsrecht sowie ihr Recht auf Antrag den Elternbeirat und eine Lehrkraft des Vertrauens zu beteiligen hingewiesen. Der Kläger und seine Eltern wurden darauf hingewiesen, sich auch persönlich in der Sitzung äußern zu können.

Im Rahmen der Sitzung des Disziplinarausschusses am … März 2017, an der auch die Schulpsychologin und die Vertrauenslehrkraft teilnahmen, äußerten sich der Kläger und seine Eltern persönlich. Der Kläger schilderte, dass sein Mitschüler V. sich selbst in einer intimen Situation gefilmt habe und diesen Clip unaufgefordert an ein Mädchen einer anderen Schule verschickt habe. Das Mädchen wiederum habe das Video unaufgefordert an ihn geschickt, woraufhin er den Vorfall einem weiteren Klassenkameraden erzählt habe. Nur unter dessen Drängen und unter vorheriger Abnahme des Versprechens, das Video nicht weiterzugeben, habe er es schließlich dem Klassenkameraden gesendet. Die Konsequenzen habe der Kläger zu diesem Zeitpunkt nicht absehen können. Die Frage des Disziplinarausschusses, ob er sich an den in der 7. Jahrgangsstufe besuchten Workshop „Whats Depp“ erinnern könne, verneinte der Kläger. Die Eltern des Klägers erklärten, der Kläger habe sich bis Anfang des Jahres 2016 in psychologischer Behandlung aufgrund einer nicht sehr stark ausgeprägten Sozialkompetenz befunden. Am Ende der Sitzung wurde die Androhung der Entlassung einstimmig durch acht stimmberechtigte Mitglieder des Disziplinarausschusses beschlossen.

Die Entscheidung des Disziplinarausschusses wurde den Eltern mit streitgegenständlichem Bescheid vom … März 2017 mitgeteilt. Unter Wiederholung des Sachverhalts, der dem Anhörungsschreiben zum Disziplinarausschuss zugrunde lag, wurde dargelegt, der Kläger habe mit seinem Verhalten in einem ungewöhnlichen Ausmaß gegen seine Verpflichtungen aus Art. 56 Abs. 4 BayEUG verstoßen. Die Schüler hätten alles zu unterlassen, was den Schulbetrieb oder die Ordnung der besuchten Schule stören könnte. Mildere Ordnungsmaßnahmen seien „keine zielführenden Maßnahmen, um dem massiven Fehlverhalten“ des Klägers entgegen zu treten. Der Kläger müsse lernen, die Regeln der Schule zu achten und seine Grenzen gegenüber seiner Mitschüler einzuhalten.

Hiergegen legte der Kläger durch seine Bevollmächtigte mit Schreiben vom … April 2017 Widerspruch ein. Die Ordnungsmaßnahme stütze sich auf einen erheblich verkürzten Sachverhalt, wodurch der Kläger als Täter eine „Cyber-Mobbing Attacke“ gegen den Schüler V. dargestellt würde und ein falsches Bild des Klägers entstünde. In den Stellungnahmen der Eltern und des Klägers vom … April 2017 schildern diese den Sachverhalt aus ihrer Sicht. Der Kläger und der betroffene Mitschüler V. seien eigentlich befreundet. Die zur Zeit des Vorfalls 13-jährigen Schüler seien beide mit einem damals 13-jährigen Mädchen J. befreundet, welche ein nahegelegenes Gymnasium besucht habe. Der Schüler V. habe mehrere Filme von sich selbst bei intimen Handlungen aufgenommen und diese an J. versandt, die sich durch die Filme belästigt gefühlt und ihn immer wieder gebeten habe, dies nicht zu tun. Das Mädchen habe sich um dem ein Ende zu bereiten an andere Klassenkameraden und auch den Kläger gewandt indem sie ihnen die Videos sandte. Sie habe dem Kläger eine Sprachnachricht hinterlassen mit den Worten: „Sieh mal, was für einen ekligen Freund du hast. Jetzt hat er es schon wieder getan, obwohl ich ihn gebeten habe, das zu lassen.“ Die Schülerin J. habe für das Versenden der Filme, die an ihrer Schule die Runde machten, keinerlei Sanktionen erhalten. Auch der Kläger sei wie J. nicht in der Lage gewesen, sich Erwachsenen anzuvertrauen und habe sich stattdessen seinem befreundeten Klassenkameraden W. anvertraut, der ihn dazu gedrängt habe, ihm die Videos zu schicken. Der dem Bescheid zu Grunde gelegte Sachverhalt erfasse jedoch in keiner Weise die einzelnen Tatbeiträge der mitwirkenden drei Schüler.

Auch sei sich der Kläger über mögliche Konsequenzen nicht bewusst gewesen. Der von der Schule angebotene Kurs WhatsDepp habe auf Nachfrage des Veranstalters des Jugendinformationszentrums schwerpunktmäßig andere Medienkompetenz-Bereiche behandelt. Auch sei die Betonung im Bescheid, der Kläger sei durch „zahlreiche Verweise“ und „Gewalt gegenüber Mitschülern“ aufgefallen, irreführend. Das Verhalten, das nun als Gewalt gegen Mitschüler dargestellt wird, werde verzerrend dargestellt. Der damals noch kleinere Kläger sei von einem größeren Schüler angegriffen worden und habe sich hiergegen (erfolglos) zu wehren versucht; damit sei der Kläger jedoch nicht als gewalttätig einzustufen; auch Lehrer hätten den Kläger nicht als derart schwierigen, auf keinen Fall als gewalttätigen Schüler wahrgenommen.

Mit Widerspruchsbescheid vom … Juli 2017, der bevollmächtigten Vertreterin des Klägers am 19. Juli 2017 zugestellt, wurde der Widerspruch aufgrund des Beschlusses der Lehrerkonferenz von ihrer Sitzung vom 18. Mai 2017, zurückgewiesen. Insbesondere wurde zur Bekräftigung der Rechtmäßigkeit des Ausgangsbescheides aufgeführt, dass die Schule viel Wert darauf lege, dass kompromittierendes Videomaterial nicht weitergeleitet werde. Da der Kläger selbst einräume, das Video weitergegeben zu haben, ergebe sich hieraus seine Mitverantwortung für die unkontrollierbare Verbreitung. Diese sei auch für einen Schüler der achten Jahrgangsstufe vorhersehbar, selbst wenn die Weitergabe an Freunde vertraulich erfolgt sei. Darüber hinaus wurde bei der Entscheidung der Lehrerkonferenz berücksichtigt, dass gegen den Kläger bereits mehrere Ordnungsmaßnahmen in Form von Verweisen und verschärften Verweisen ergangen seien.

Mit Schriftsatz seiner gesetzlichen Vertreter vom … August 2017, bei Gericht eingegangen am … August 2017, beantragte der Kläger beim Bayerischen Verwaltungsgericht München sinngemäß,

die Androhung der Entlassung gemäß Bescheid vom … März 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom … Juli 2017 aufzuheben.

Der Kläger beruft sich im Wesentlichen auf die bereits im Widerspruchsverfahren vorgetragenen Gründe. Daneben habe die Schule es versäumt, die Schülerinnen und Schüler in hinreichendem Maße bezüglich des Umgangs mit persönlichkeits-rechtsverletzenden Videomaterial zu sensibilisieren. Der Umgang mit erschreckenden Inhalten, wie der Kläger sie erhalten habe, sei im Vorfeld nicht thematisiert worden. Die Schule könne nicht davon ausgehen, dass jeder Schüler der achten Jahrgangsstufe abschätzen könne, wie mit kompromittierendem Videomaterial umgegangen werden müsse bzw. welche Konsequenzen aus einem nicht hinreichend sensiblen Umgang entstehen könnten. Der Kläger sei mit der Situation überfordert gewesen und habe sich jemanden anvertrauen wollen. Es sei nicht die Absicht des Klägers gewesen, das Video der gesamten Klasse zu zeigen.

Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 21. September 2017,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, dass sowohl alle Verfahrensvorschriften, als auch die materiell rechtlichen Regelungen hinsichtlich des Erlasses der Ordnungsmaßnahme gegenüber dem Kläger eingehalten worden seien. Hinsichtlich des Verfahrens sei ein Verstoß aufgrund einer möglichen Fehlbesetzung des Disziplinarausschusses zumindest durch das durchgeführte verfahrensrechtmäßige Widerspruchsverfahren geheilt und somit unbeachtlich. Des Weiteren sei die Schule von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen. Es sei berücksichtigt worden, dass der Kläger sich im Rahmen des Disziplinarverfahrens zu den Tatsachen glaubhaft geäußert habe, dass er selbst nicht Urheber des Videos sei und dieses ohne Aufforderung von einer Schülerin einer anderen Schule geschickt bekommen habe und dass er das Video nur unter dem Versprechen der Vertraulichkeit an seinen Klassenkameraden weitergeschickt habe. Nichtsdestotrotz folge aus diesem Verhalten eine schulische Gefährdung. Oberstes Bildungsziel der Schule sei die Beibringung von Verantwortungsgefühl und Verantwortungsfreudigkeit. Diese Erziehungsziele seien durch die Weitergabe des Videos schwer gefährdet. Die Androhung sei auch verhältnismäßig gewesen. Trotz der bereits ergangenen Ordnungsmaßnahmen habe sich das Verhalten des Klägers nicht gebessert.

Die Streitsache wurde am … … 2019 mündlich verhandelt. Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Niederschrift, wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.

Der Bescheid der Schule vom … März 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom … Juli 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die streitgegenständliche Ordnungsmaßnahme vom … März 2017 findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 86 Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen - BayEUG - i.d.F. der Bek. vom 31. Mai 2000 (GVBl S. 414), in der zum Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Ordnungsmaßnahme gültigen Fassung vom 23. Juni 2016. Gemäß Art. 86 Abs. 2 Nr. 9 i.V.m. Nr. 6 BayEUG darf die Androhung der Entlassung nur verhängt werden, wenn der Schüler durch schweres oder wiederholtes Fehlverhalten die Erfüllung der Aufgabe der Schule oder die Rechte anderer gefährdet hat (schulische Gefährdung). Die Androhung der Entlassung ist nach der Entlassung selbst die schwerwiegendste Ordnungsmaßnahme, die die Schule selbst verhängen kann. Die Wahl dieser Ordnungsmaßnahme hat sich daher daran zu orientieren, ob dem Schüler in Deutlichkeit vor Augen geführt werden muss, dass sich sein Verhalten - auch unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - ändern muss. Es handelt sich bei dieser Auswahlentscheidung der Lehrerkonferenz bzw. des Disziplinarausschusses (Art. 58 Abs. 1 Satz 3 BayEUG) um eine pädagogische Ermessensentscheidung, die vom Gericht nur eingeschränkt überprüfbar ist. Bei ihrer Entscheidung haben die Gerichte nur zu prüfen, ob die Schule die Verfahrensvorschriften eingehalten hat, ob sie ihre Entscheidung auf Tatsachen und Feststellungen gestützt hat, die einer sachlichen Überprüfung standhalten, ob die Schule frei von sachfremden Erwägungen entschieden hat und ob die pädagogische Bewertung der Schule angemessen und mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist.

Für die Rechtmäßigkeit der Auswahl einer Ordnungsmaßnahme unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit kommt es vor allem darauf an, ob und in welchem Maße die Erfüllung des Anstaltszwecks gestört oder gefährdet und die Erziehungsverantwortung der Schule beeinträchtigt wurde, wie sie in Art. 131 Bayerische Verfassung - BV, Art. 1, 2 BayEUG niedergelegt ist (vgl. BayVGH B.v. 2.9.1993 - 7 CS 93.1736 - in BayVBl 1994, 346); die Ordnungsmaßnahme der Androhung der Entlassung darf dabei zur Schwere des zu ahndenden oder zu unterbindenden Verhaltens eines Schülers nicht außer Verhältnis stehen.

Gemessen an den vorstehenden Grundsätzen erweist sich die von der Schule getroffene Ordnungsmaßnahme als rechtmäßig. Die streitgegenständliche Ordnungsmaßnahme der Androhung der Entlassung ist sowohl formell, als auch materiell fehlerfrei ergangen.

Der Bescheid ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden.

Die Auswahlentscheidung wurde vom Disziplinarausschuss der Schule getroffen, der gemäß Art. 58 Abs. 1 Satz 3 BayEUG insoweit die Aufgaben der nach Art. 86 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 BayEUG zuständigen Lehrerkonferenz wahrnahm. Über den Widerspruch wurde ordnungsgemäß von der Lehrerkonferenz entschieden, § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwGO, Art. 58 Abs. 4 BayEUG i.V.m. § 3 BaySchO.

Der Kläger und seine Eltern wurden auch ordnungsgemäß im Verfahren bezüglich der verhängten Ordnungsmaßnahme beteiligt. Mit Schreiben vom 24. Februar 2017 wurden der Kläger und seine Eltern vor Erlass der Maßnahme auf ihre Rechte gemäß Art. 88 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2, Satz 2, Satz 3 BayEUG hingewiesen und im Rahmen der Sitzung des Disziplinarausschuss am … März 2017 im gebotenen Umfang angehört. Wie dem Sitzungsprotokoll (Bl. 19 d.A.) zu entnehmen ist, konnten sich der Kläger und seine Eltern zu dem Vorwurf äußern. Auch wurde die Schulpsychologin sowie eine Lehrkraft des Vertrauens am Verfahren beteiligt (Art. 88 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, 2 BayEUG). Ein Antrag auf Teilnahme des Elternbeirates wurde durch den Kläger oder seine Eltern nicht gestellt.

Soweit im Disziplinarausschuss nur acht, statt der nach § 7 Abs. 6 Satz 2 BaySchO i.V.m. § 7 Abs. 5 BaySchO vorgeschriebenen neun Mitglieder entschieden haben, wird dieser Verfahrensfehler zumindest im Rahmen des Widerspruchsverfahren geheilt (Art. 45 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 BayVwVfG). Hiernach ist eine Verletzung von Verfahrens- und Formfehlern unbeachtlich, wenn der Beschluss eines Ausschusses, dessen Mitwirkung für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderlich ist, nachträglich gefasst wird; diese Nachholung ist gemäß Art. 45 Abs. 2 BayVwVfG bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens möglich. Aufgrund der Einheit von Ausgangsverfahren und Widerspruchsverfahren (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) ist das Verfahren in seiner Gesamtheit folglich erst fehlerhaft, soweit beide Abschnitte nicht den formellen Anforderungen entsprechen. Die Lehrerkonferenz hat am 18. Mai 2017 in ordnungsgemäßer Besetzung erneut durch Prüfung und Erörterung des Sachverhalts entschieden und den Ausgangsbescheid bestätigt. Die verfahrensfehlerhafte Besetzung des Disziplinarausschusses wurde damit gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 BayVwVfG geheilt.

Die getroffene Ordnungsmaßnahme ist ferner auch in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.

Die Schule ist von einem zutreffend ermittelten Sachverhalt ausgegangen. Sie hat ihre Entscheidung auf Tatsachen und Feststellungen gestützt, die einer sachlichen Überprüfung standhalten. Die Androhung der Entlassung stützt die Schule maßgeblich auf die Weiterleitung eines einen Mitschüler kompromittierenden Videos durch den Kläger an einen anderen Mitschüler. Die dieses Verhalten begleitenden Umstände wurden sowohl vom Disziplinarausschuss als auch von der Lehrerkonferenz im Widerspruchsverfahren zur Kenntnis genommen, sodass die Schule von einem zutreffend ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist.

So hatte der Kläger vor dem Disziplinarausschuss vorgetragen, dass er das Video überraschend und unaufgefordert von einer befreundeten Schülerin einer anderen Schule geschickt bekommen habe, dieses dann nur auf Drängen des Klassenkameraden und auch nur unter der Voraussetzung weitergab, dass dieser es auch vertraulich behandeln werde. Die Einstellung des Videos in den Klassenchat der Klasse … auf „WhatsApp“ erfolgte alleine durch den Klassenkameraden. Der Kläger habe hiervon weder Kenntnis gehabt noch sei es Ziel seines Handelns gewesen. Mit diesem Sachverhalt kannte das entscheidende Gremium alle maßgeblichen Tatsachengrundlagen.

Gleiches gilt für die Lehrerkonferenz. Ausweislich des Protokolls verlas der stellvertretende Schulleiter den Widerspruch der von der im Widerspruchsverfahren vom Kläger beauftragten Rechtsanwältin. Hierin war der gesamte Sachverhalt mitsamt den vom Kläger und seinen Eltern begleitend vorgetragenen Umständen enthalten. Hierin wurden darüber hinaus auch die Reue des Klägers für sein Handeln und sein Versuch, sich fortan an die Regeln der Schule zu halten, dargestellt. Die zu entscheidenden Gremien kannten daher den gesamten Sachverhalt und damit auch die zugunsten des Klägers sprechenden Umstände.

Die unrichtige Aussage im Protokoll der Lehrerkonferenz vom … Mai 2017, wonach der Kläger den Film „an weitere Schüler“ versandt habe, wurde laut Aussage der Schule in der mündlichen Verhandlung als fehlerhafte Protokollierung dargestellt. Der stellvertretende Schulleiter gab an, den Sachverhalt in der korrekten Form dargestellt zu haben, nämlich der Weitergabe des Films durch den Kläger an nur eine weitere Person und entschuldigte sich für das Protokollversehen. Anhaltspunkte warum dies nicht der Wahrheit entsprechen sollte sind nicht ersichtlich, sodass die Schule bei ihrer Entscheidung betreffend der Weitergabe des Videos von einem zutreffend ermittelten Sachverhalts ausgegangen ist. Die Mitglieder des Disziplinarausschusses waren somit nach der Anhörung des Klägers und seiner Eltern in der Lage, den Sachverhalt eigenständig einzuschätzen und zu beurteilen.

Die vom Disziplinarausschuss und der Lehrerkonferenz getroffene pädagogische Ermessensentscheidung ist nicht zu beanstanden. Die Schule hat ihre Entscheidung bezogen auf den konkreten Einzelfall nachvollziehbar dargestellt und begründet. In die Entscheidung wurden alle entscheidungsrelevanten und auch die für den Kläger günstigen Umstände einbezogen. So wurde vom Disziplinarausschuss wie auch im Widerspruchsbescheid zur Kenntnis genommen, dass der Kläger sein Handeln zugegeben und sich dafür entschuldigt hat. Auch war der Schule bei ihrer Entscheidung bewusst, dass der Kläger das Video nur an einen Mitschüler und nicht an den Klassenchat weitergegeben hat und ihm selbst das Video unaufgefordert zugesandt wurde, das der betroffene Schüler letztlich selbst gefilmt und weitergegeben hatte. Die Entscheidung der Schule, allein in der Weitergabe solch kompromittierender Videos - unabhängig von der Zahl der Empfänger und dem Motiv des Absenders - ein schweres Fehlverhalten zu sehen, bewegt sich dennoch im Rahmen der nur beschränkt gerichtlich überprüfbaren pädagogischen Ermessensentscheidung der Schule. Maßgeblich für die Ermessensentscheidung der Schule war die Überlegung, dass durch die Weitergabe des Videos an den Klassenkameraden sich die Wahrscheinlichkeit erhöhte, dass das Video in den Klassenchat eingestellt wird oder sich anderweitig verbreitet. Auch ist das einmalige Versenden eines Videos nicht mehr rückgängig zu machen.

Gemessen daran wurde das Verhalten des Klägers, mitverantwortlich dafür zu sein, dass ein den Mitschüler kompromittierendes Video in den Klassenchat eingestellt wurde und damit die weitere Verbreitung des Videos nahezu unkontrollierbar wurde, von der Schule in berechtigter Weise als schweres Fehlverhalten i.S.d. Art. 86 Abs. 2 Nr. 6 BayEUG eingestuft und mit dem Mittel der Androhung der Entlassung geahndet. Das Filmen sexueller Handlungen Minderjähriger sowie auch die Verbreitung solcher kompromittierenden Videos widerspricht dem Erziehungsauftrag der Beklagten in ihren Grundsätzen. Auch wenn der Kläger selbst das Video nur an „einen“ Mitschüler weiterleitete, so hätte er damit zumindest erkennen können, dass sich eine weitere Verbreitung des Videos seiner Kontrolle entzieht. Für den betroffenen Mitschüler auf dem Video bedeutet dies, dass das Video einer erheblichen Zahl an Personen innerhalb und außerhalb der Schule bekannt werden kann und eine weitere Verwendung des Videos nicht mehr gestoppt werden kann. Abgesehen von für den betroffenen Mitschüler nicht genauer abschätzbaren psychischen Folgen, ist seine unbefangene Teilnahme am Unterricht und Alltag der Schule aufgrund des erheblich bloßstellenden Charakters des Videos mit intimem Inhalt nicht mehr in gleichem Maße wie zuvor möglich. Zu Recht konnte die Schule daher bei ihrer Entscheidung maßgeblich darauf abstellen, dass der Kläger als Schüler der 8. Jahrgangsstufe über die nötige Einsichtsfähigkeit verfügen muss, dass die Weitergabe eines solchen Videos an einen Mitschüler zu einer unkontrollierten Verbreitung führen kann.

Insgesamt ist damit keine Unverhältnismäßigkeit oder die Einstellung sachfremder Erwägungen erkennbar. Die Schule durfte dem in Rede stehenden Fehlverhalten des Klägers im Interesse des Schulfriedens und ihres Bildungs- und Erziehungsauftrags mit der Ordnungsmaßnahme der Androhung der Entlassung wirksam und mit aller Deutlichkeit entgegentreten.

Die Schule durfte auch berücksichtigen, dass sich der Kläger bisherige Ordnungsmaßnahmen (aus den vorgelegten Akten ergeben sich 2 Verweise im streitgegenständlichen Schuljahr 2016/2017 bis zur Maßnahme der Androhung der Entlassung, 4 Verweise im Schuljahr 2015/2016, 1 Verweis und 2 verschärfte Verweise im Schuljahr 2014/2015) nicht zur Warnung dienen ließ und sein Verhalten seitdem nicht geändert hat. An die Reihenfolge der Ordnungsmaßnahmen des Art. 86 Abs. 2 BayEUG besteht keine Bindung. Es liegt im pädagogischen Ermessen der Schule, eine geeignete und angemessene Ordnungsmaßnahme zu verhängen. Im vorliegenden Fall ist die getroffene Ordnungsmaßnahme angesichts der dargestellten Gründe geeignet und auch verhältnismäßig, da lediglich ein Verweis oder verschärfter Verweis dem Kläger nicht die Schwere des Vorfalls vor Augen geführt und eine Verhaltensänderung erreicht hätte.

Letztlich besteht auch keine Unzulässigkeit der Maßnahme nach Art. 86 Abs. 3 Nr. 5 BayEUG, demzufolge Ordnungsmaßnahmen auf Grund außerschulischen Verhaltens unzulässig sind, soweit es nicht die Verwirklichung der Aufgaben der Schule gefährdet. Durch die Verbreitung des Videos innerhalb der Klasse bzw. der Schule wurde mit dem Verhalten des Klägers jedenfalls ein ausreichender Bezug zur Schule hergestellt; die abschließende Klärung der Frage, ob es sich um ein außerschulisches Verhalten handelte, kann daher dahinstehen.

Aus den dargestellten Gründen war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 79


(1) Gegenstand der Anfechtungsklage ist 1. der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat,2. der Abhilfebescheid oder Widerspruchsbescheid, wenn dieser erstmalig eine Beschwer enthält. (2) Der

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 73


(1) Hilft die Behörde dem Widerspruch nicht ab, so ergeht ein Widerspruchsbescheid. Diesen erläßt 1. die nächsthöhere Behörde, soweit nicht durch Gesetz eine andere höhere Behörde bestimmt wird,2. wenn die nächsthöhere Behörde eine oberste Bundes- od

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Hilft die Behörde dem Widerspruch nicht ab, so ergeht ein Widerspruchsbescheid. Diesen erläßt

1.
die nächsthöhere Behörde, soweit nicht durch Gesetz eine andere höhere Behörde bestimmt wird,
2.
wenn die nächsthöhere Behörde eine oberste Bundes- oder oberste Landesbehörde ist, die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat,
3.
in Selbstverwaltungsangelegenheiten die Selbstverwaltungsbehörde, soweit nicht durch Gesetz anderes bestimmt wird.
Abweichend von Satz 2 Nr. 1 kann durch Gesetz bestimmt werden, dass die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, auch für die Entscheidung über den Widerspruch zuständig ist.

(2) Vorschriften, nach denen im Vorverfahren des Absatzes 1 Ausschüsse oder Beiräte an die Stelle einer Behörde treten, bleiben unberührt. Die Ausschüsse oder Beiräte können abweichend von Absatz 1 Nr. 1 auch bei der Behörde gebildet werden, die den Verwaltungsakt erlassen hat.

(3) Der Widerspruchsbescheid ist zu begründen, mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen und zuzustellen. Zugestellt wird von Amts wegen nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes. Der Widerspruchsbescheid bestimmt auch, wer die Kosten trägt.

(1) Gegenstand der Anfechtungsklage ist

1.
der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat,
2.
der Abhilfebescheid oder Widerspruchsbescheid, wenn dieser erstmalig eine Beschwer enthält.

(2) Der Widerspruchsbescheid kann auch dann alleiniger Gegenstand der Anfechtungsklage sein, wenn und soweit er gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbständige Beschwer enthält. Als eine zusätzliche Beschwer gilt auch die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift, sofern der Widerspruchsbescheid auf dieser Verletzung beruht. § 78 Abs. 2 gilt entsprechend.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.