Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Beschluss, 13. Feb. 2014 - 7a L 153/14.A
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage 7a K 434/14.A gegen die Abschiebungsandrohung nach Italien unter Ziffer 2. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. Januar 2014 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Der sinngemäße Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 7a K 434/14.A gegen Ziff. 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. Januar 2014 anzuordnen,
4ist zulässig und begründet. Die gem. § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung ‑ VwGO ‑ vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Gunsten des Antragstellers aus, weil sich die Abschiebungsanordnung nach Italien nicht als offensichtlich rechtmäßig erweist.
5Gem. § 34 a Abs. 1 S. 1 und 2 des Asylverfahrensgesetzes - AsylVfG - ordnet das Bundesamt, wenn die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) erfolgen soll, die Abschiebung an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Gegenüber dem Antragsteller ist die Abschiebung nach Italien, einem Mitgliedstaat der Europäischen Union und insofern in einen kraft verfassungsrechtlicher Bestimmung sicheren Drittstaat (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG); § 26a Abs. 2 AsylVfG), angeordnet worden. Darüber hinaus ergibt sich die Zuständigkeit Italiens aus § 27a AsylVfG i. V. m. Art. 5, 6 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 ‑ Dublin II-Verordnung -. Nach § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Das ist hier grundsätzlich der Fall, weil der Antragsteller 2008 in Italien eingereist ist und dort Asyl beantragt hat (vgl. Art. 10 Dublin-II-VO). Dies steht nach Aktenlage auf Grund der Eintragungen in der EURODAC-Datenbank fest und wird von ihm nicht bestritten.
6Aus Sicht der Kammer spricht allerdings Überwiegendes dafür, dass die Antragsgegnerin von ihrem Selbsteintrittsrecht aus Art. 3 Abs. 2 Dublin II-Verordnung Gebrauch machen und das Asylbegehren in eigener Zuständigkeit prüfen muss. Nach dieser Vorschrift kann jeder Mitgliedsstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist, und wird dadurch zum zuständigen Mitgliedsstaat im Sinne der Verordnung.
7Das hiernach dem Mitgliedsstaat grundsätzlich eingeräumte Ermessen dürfte voraussichtlich in bezug auf die Rücküberstellung nach Italien derzeit auf Null reduziert sein, weil dort gegenwärtig systemische Mängel des Asylverfahrens zu besorgen sind, denen der Antragsteller ausgesetzt sein wird.
8Die den Regeln des Selbsteintrittsrechts und der Dublin-II-VO zugrundeliegende Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ‑ EUGrdRCH ‑, der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Genfer Flüchtlingskonvention steht,
9Vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 -, NVwZ 2012, 417.
10trifft nach vorliegenden Erkenntnissen für Italien gegenwärtig wohl nicht zu.
11Dabei reicht allerdings nicht jede Verletzung von Verfahrens- oder materiellem Recht, um eine Selbsteintrittspflicht zu begründen. Ein Mitgliedstaat muss vielmehr die Überstellung eines Asylbewerbers an den zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Dublin-II-VO nur unterlassen, wenn ihm nicht unbekannt sein kann, dass das Asylverfahren in diesem Mitgliedstaat systemische Mängel aufweist, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union implizieren. In diesem Fall ist die Überstellung auch nach nationalem Verfassungsrecht unzulässig, wenn - bezogen auf den Drittstaat bzw. auf den zuständigen Staat - Abschiebungshindernisse durch Umstände begründet werden, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden können und damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich selbst heraus gesetzt sind.
12Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 ‑ 2 BvR 1938/93‑, juris.
13Ausgehend von diesen Maßstäben bestehen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass das Asylverfahren und/oder die Aufnahmebedingungen in Italien an systemischen Mängeln leiden. Dementsprechend ist das Interesse des Antragstellers daran, Schutz entsprechend den im Europäischen Gemeinschaftsrecht vereinbarten Mindeststandards zu erlangen, vorrangig gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresse.
14Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen ist davon auszugehen, dass dem Antragsteller im Falle seiner Rücküberstellung nach Italien im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im zuvor dargestellten Sinne droht, er namentlich im Falle einer Überstellung nach Italien eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S. der Art. 4 EUGrdRCH, Art. 3 EMRK zu befürchten hat.
15Die Kammer geht zunächst davon aus, dass der Antragsteller nach den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts dem Kreis besonders schutzwürdiger Personen zuzurechnen ist, da er minderjährig ist (Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 h) der Richtlinie 2003/9/EG; neugefasst durch Richtlinie 2013/33/EU mit Umsetzungsfrist bis Juli 2015, dort Art. 21 ff i.V.m. Art. 2 d) und e)). Er ist nach Aktenlage als unbegleiteter Minderjähriger in die EU eingereist und auch gegenwärtig eigenen Angaben zufolge noch nicht 18 Jahre alt. Das ‑ fiktiv ‑ von der Erstaufnahmeeinrichtung und dem Jugendamt der Stadt Dortmund auf „01.01.1995“ festgesetzte Geburtsdatum hat der Antragsteller durchweg bestritten. Die nach dem (optischen) Eindruck der Aufnahmeeinrichtung geäußerten Zweifel am Geburtsdatum 30.03.1997, das der Antragsteller angibt, rechtfertigen eine zu seinen Lasten getroffene Abänderung nicht. Dem liegen ausreichende tatsächliche Hinweise auf das Alter nicht zugrunde. Mit welchem Geburtsdatum der Antragsteller in Italien erfasst wurde, erschließt sich nach Aktenlage nicht.
16Dies zugrundegelegt, stellt sich die tatsächliche Situation von Schutzsuchenden in Italien nach der gegenwärtigen Erkenntnislage im wesentlichen wie folgt dar:
17Im Sommer 2013 ist die Zahl der in Italien ankommenden (Boots-)flüchtlinge ‑ erneut ‑ stark angestiegen.
18Vgl. z.B. Zahlenangaben und Vergleiche 2011-2013 bei: Zeit online vom 10. Oktober 2013 unter Hinweis auf Material UNHCR; tagesschau.de vom 20. August 2013.
19Die bis dahin schon bedenkliche Auslastung der Aufnahmekapazitäten hat sich verschlechtert.
20Nach dem jüngsten Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Oktober 2013, der auf einer Abklärungsreise nach Rom und Mailand, verschiedenen Interviews mit Vertretern von Nicht-Regierungs-Organisationen - NGO’s -, Behörden und Flüchtlingen sowie aktuellen Berichten über die Situation in Italien fußt, sind die Aufnahmekapazitäten der für alle Asylsuchenden vorgesehenen Erstaufnahmezentren CARA, in denen auch sog. Dublin-Rückkehrende im Falle ihrer Rücküberstellung nach Italien grds. - befristet - unterkommen können, ausgelastet. Das gilt auch für die bereitgestellten Plätze im sog. FER-Projekt (vom Europäischen Flüchtlingsrat finanzierte Unterkünfte), die an den Flughäfen Rom und Mailand angeboten werden. Die Anzahl der Plätze in diesen Projekten, die zeitlich beschränkt sind, ist ohnehin sehr gering.
21Schweizerische Flüchtlingshilfe ‑ SFH ‑, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013 , S. 5, 14 ff, 20.
22Auch das Zweitaufnahmesystem SPRAR, das auf einer Zusammenarbeit zwischen Gemeinden und NGO‘s basiert, ist ausgelastet; noch im Juli 2013 wurde vom italienischen Innenministerium wegen Überfüllung der Erstaufnahmezentren um Aufstockung der Plätze gebeten.
23Vgl. SFH, a.a.O., S. 23, Fußnote 135 unter Bezugnahme auf eine e-Mail Auskunft von borderline-europe vom 7. August 2013.
24Eine erhebliche Verschlechterung der Aufnahmebedingungen und deutliche Überbelegungen in den Zentren beklagt auch der UNHCR in seinen Empfehlungen vom Juli 2013,
25UNHCR Recommendations on important Aspects of Refugee protection in Italy, Juli 2013, S. 9 ff.
26Die tatsächliche Überbelegung wird schließlich anhand des von der Liaisonbeamtin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in Rom vom 21. November 2013 unter Bezugnahme auf Daten des italienischen Innenministeriums vom 8. November 2013 übersandten Zahlenmaterials, das bestimmte Aufnahmezentren abdeckt (CARA/CDA), deutlich: Danach war dort in verschiedenen Orten „ursprünglich“ eine Kapazität von insgesamt 6.180 Plätzen, sind „jetzt“ 7.516 Plätze „vorgesehen“, die tatsächlich mit 10.856 Schutzsuchenden belegt sein sollen,
27vgl. Wiedergabe der Information der Liaisonbeamtin in der Klageerwiderung der Antragsgegnerin im Verfahren 7a K 486/14.A.
28Die Frage, ob das vom italienischen Innenministerium übermittelte Zahlenmaterial belastbar ist, lässt die Kammer dabei offen.
29Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 11. September 2013 an das OVG NRW (dort zu d) ist verlässliches Datenmaterial nicht zu erlangen; dahingehend auch: UNHCR, a.a.O., z.B. S. 10, 13.
30Rücküberstellte haben nach Einschätzung einer italienischen Untersuchungskommission keine ausdrückliche Garantie für eine Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung.
31Vgl. Auskunft der italienischen Vereinigung für rechtliche Untersuchungen zur Situation von Einwanderern ‑ ASGI ‑ vom 20. November 2012 an das VG Darmstadt.
32Die anderslautende Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 11. September 2013 an das Oberverwaltungsgericht NRW (dort zu c) legt die Kammer im vorläufigen Rechtsschutzverfahren angesichts der wiedergegebenen Erkenntnisse vor Ort tätiger Organisationen, der unter b) dieser Auskunft des Auswärtigen Amtes angedeuteten Schwierigkeiten bei der Unterbringung unter Hinnahme auch Wochen fehlender Unterkunft und mit Rücksicht darauf, dass nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes kein belastbares Zahlenmaterial zu tatsächlichen Unterbringungsmöglichkeiten der Dublin-II-Rückkehrer von offizieller Seite zu erlangen ist (AA, Auskunft vom 11.09.2013, a.a.O., zu d)) nicht zugrunde.
33Aus der Schwierigkeit, dauerhaft eine angemessene und sichere Unterkunft zu erlangen, folgen insbesondere von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe beschriebene Probleme der (Dauer-)Obdachlosigkeit, Verwahrlosung und auch der (sexuellen) Ausbeutung für die Schutzsuchenden.
34SFH, a.a.O., z.B. S. 40, 45.
35Ein weiterer wesentlicher Mangel im System der Versorgung von Asylsuchenden ist darin zu sehen, dass der Mehrheit der Flüchtlinge - abgesehen von der Unterbringung in Erstaufnahmezentren - keine ausreichende Unterstützung und Hilfeleistungen zuteil werden, die ein sozial würdiges Leben in einer für sie fremden Umgebung ermöglichen. Dazu gehört auch ein Mindestmaß an Integritätsbemühungen des Staates, um den Schutzsuchenden eine Teilnahme am Alltagsleben in Italien zu ermöglichen, wie etwa Sprachunterricht. Die vereinzelten Angebote decken den tatsächlichen Bedarf nicht annähernd ab.
36Vgl. UNHCR, a.a.O., S. 10, 12 f: “their self-reliance remains a concern after the end of the emergency reception plan. This is mainly because of the poor quality of reception services, … more broadly, because of the economic situation in Italy.”; SFH, a.a.O., S. 43 ff.
37Diese Situation trifft namentlich besonders schutzwürdige Flüchtlinge, denen der Antragsteller als Minderjähriger (s.o.) zuzurechnen ist. Diesem Personenkreis, der nach den Mindeststandards der Gemeinschaft besonderer Hilfestellung bedarf (vgl. ARL 2003, a.a.O., Art. 17 ff), wird diese nicht annähernd in ausreichendem Maße gewährt.
38UNHCR, a.a.O., S. 12; SFH, a.a.O., S. 53 ff.
39Dies hat auch der Antragsteller geltend gemacht. Er hat vorgetragen, in einer Unterkunft für Erwachsene verbracht und später obdachlos gewesen zu sein.
40Mit Rücksicht darauf, dass der Asylstatus des Antragstellers unbekannt ist, namentlich nach Aktenlage bisher keine Reaktion des italienischen Staates vorliegt, ist ergänzend anzumerken, dass Asylbewerber, denen in Italien ein Schutzstatus (auch subsidiär) gewährt wurde, sowohl hinsichtlich ihrer Unterbringung als auch in bezug auf ihre Versorgung allgemein schlechter gestellt sind als solche, die sich noch im Verfahren befinden, weil kaum noch eine Hilfestellung gewährt wird, sondern diese weitgehend auf sich selbst angewiesen sind.
41Vgl. SFH, a.a.O., z.B. S. 21 (Unterkunft), 43 (Arbeit), 47 (Integrationsmaßnahmen), 48 f. (Sozialhilfe); vgl. auch UNHCR, a.a.O., S. 12.
42Belastbare Auskünfte und Stellungnahmen aus jüngster Zeit, die die dargestellten allgemeinen Erkenntnisse erschüttern könnten, liegen bisher nicht vor.
43Die Kammer folgt der Einschätzung des UNHCR in den „Empfehlungen“, dass die Missstände insoweit auf fehlender strategischer und struktureller Planung und zuverlässiger Koordinationsmechanismen auf zentraler Ebene beruhen. Diese Bewertung wird von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe erneut im aktuellen Bericht geteilt.
44UNHCR, a.a.O., S. 10,13.; ebenso: SFH, a.a.O., S. 7.
45Die Kammer stuft diese Mängel insgesamt als systemisch ein, weil sie auf einem unzureichenden Aufnahmesystem und einem fehlendem materiellen und sozialen Sicherungsnetz beruhen, das der italienische Staat trotz ausreichender rechtlicher Rahmenbedingungen nicht bereitstellt.
46ebenso: VG Gießen, Urteil vom 25. November 2013 ‑ 1 K 844/11.GI.A ‑ juris, insbes. Rdnr. 33 f m.w.N.; VG Frankfurt a.M., Urteil vom 9. Juli 2013 ‑ 7 K 560/11.F.A. ‑, juris Rdnr. 24 ff; VG Köln, Beschluss vom 7. Mai 2013 ‑ 20 L 613/13.A ‑ juris, VG Aachen, Beschluss vom 14. März 2013 ‑ 9 L 53/13.A, juris, VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 17. Mai 2013 ‑ 5a L 566/13.A -, juris.
47Am 4. Juni 2013 hat das italienische Innenministerium einen sog. EASO-Support-Plan beschlossen und mit dem Europäischen Asylunterstützungsbüro EASO einen Unterstützungsplan vereinbart. Dies verdeutlich, dass der italienische Staat derzeit selbst davon ausgeht, den Mindestnormen der Gemeinschaft für die Aufnahme von Asylbewerbern nicht aus eigenen Kräften zu entsprechen. Dieser „Hilfsplan“ reicht bis Ende 2014.
48Vgl. EASO press-release 4.6.2013, EASO-Italy-Special-Support-Plan.
49Ob die Situation der Flüchtlinge sich dadurch nachhaltig bessert, bleibt abzuwarten.
50Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 2. April 2013,
51Nr. 277725/10 Mohammed Hussein et al v. the Netherlands and Italy,
52die sich auf den Sonderfall einer in Italien bereits unter Schutz „subsidiary protection“ stehenden somalischen Frau mit zwei Kindern bezieht, die in Italien ein Aufenthaltsrecht und Reisedokumente für mehrere Jahre innehatte,
53EGMR, a.a.O., Nr. 6,
54ist wegen der Sonderheiten dieses Personenkreises mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar. Zudem stellt der EGMR in seiner Entscheidung auf der Grundlage zahlreicher Erkenntnisse die dargestellten Missstände heraus,
55EGMR, a.a.O., Nr. 78. unter Hinweis auf die Ziffern 43 ff,
56hält diese aber in Bezug auf den Personenkreis der anerkannten Flüchtlinge mit Aufenthaltsrecht nicht für ausreichend, um einen systemischen Mangel darzutun, wie er in einem vorangegangenen Verfahren zu Griechenland festgestellt worden sei.
57EGMR, a.a.O., Nr. 78.
58Wegen divergierender Rechtsauffassung der 5. Sektion des EGMR soll zudem die Große Kammer des EGMR mit der Problematik der Aufnahmebedingungen in Italien befasst sein.
59vgl. Hinweis hierauf im Beschluss des VG Würzburg vom 3. Februar 2014 ‑ W 6 S 14.30087 ‑ juris Rdnr. 16, sowie Ersuchen der 5. Sektion des ECHR an die Bundesrepublik Deutschland vom 13. Februar 2013 im Fall Nr. 81498/12 Isse and Mousa vs. Germany, innerhalb eines bestimmten Zeitraums keine Abschiebung nach Italien vorzunehmen.
60Die Unanwendbarkeit der Zuständigkeitsregelungen der Dublin-II-VO aus Gründen höherrangigen Rechts ist danach insgesamt im vorläufigen Rechtsschutz mit der Folge zu bejahen, dass eine Rücküberstellung nach Italien derzeit nicht erfolgen darf.
61In bezug auf den Ablauf der Überstellungsfrist des Art. 19 Abs. 3 , 20 Abs. 1, 2 Dublin-II-VO hat der EuGH im Urteil vom 29. Januar 2009
62Rechtssache C-19/08 Petrosian et al.
63klargestellt, dass diese Frist in denjenigen Mitgliedsstaaten, in denen ein Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung vorgesehen ist, nicht bereits ab der vorläufigen gerichtlichen Entscheidung läuft, sondern erst ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden wird und diese der Durchführung einer Überstellung nicht mehr entgegenstehen kann.
64EuGH, Urt. vom 29. Januar 2009 - Rechtssache C-19/08 Petrosian et al. -, Rdnr. 42 ff (45 f).
65Diese Grundsätze dürften jedenfalls nach Inkrafttreten der geänderten Vorschrift des § 34a AsylVfG (Änderungsgesetz vom 28. August 2013, BGBl. I, 3474) anwendbar sein. Die Frage, ob durch die Verfahrensdauer zur Klärung des Mitgliedsstaates, der für die Prüfung des Asylantrages zuständig ist, im Einzelfall materiell Rechte des Schutzsuchenden beeinträchtigt werden, lässt die Kammer offen.
66Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
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Tenor
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. Januar 2014 wird aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger und die Beklagte je zur Hälfte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
1
Tatbestand:
2Der Kläger meldete sich am 30. April 2013 in E. als Asylbewerber und gab an, 1997 in Ghana geboren zu sein. Er sei zwar 2008 in Italien aufgegriffen und erkennungsdienstlich behandelt worden, habe aber dort keinen Asylantrag gestellt. Vorher sei er in Libyen gewesen. Eine Anfrage des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ‑ Bundesamt ‑ bei der EURODAC-Datenbank ergab, dass die Personalien des Klägers am 11. August 2008 in Italien erfasst waren.
3Am 25. November 2013 übersandte das Bundesamt dem Innenministerium Italiens ein Übernahmegesuch, das bisher nicht beantwortet wurde.
4Mit Bescheid vom 17. Januar 2014, dem Kläger zugestellt am 24. Januar 2014, stellte das Bundesamt fest, dass der Asylantrag unzulässig sei und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Italien an.
5Am 30. Januar 2014 hat der Kläger Klage erhoben und gleichzeitig um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Er beruft sich darauf, dass er in Italien als Minderjähriger habe auf den Straßen Neapels leben müssen, weil man ihn aus dem Camp verwiesen habe. Aus Not habe er seine Verwandten in Ghana kontaktiert, die ihm die Anschrift eines Onkels in Deutschland gegeben hätten. Die Lebensbedingungen in Italien seien für ihn unerträglich gewesen.
6Der Kläger beantragt,
7- 8
1. den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. Januar 2014 aufzuheben,
- 9
2. die Beklagte zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen,
- 10
3. die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungshindernisse gem. § 60 Abs. 2 ‑ 7 AufenthG vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Sie hält systemische Mängel im Flüchtlingsaufnahmeverfahren in Italien für nicht gegeben.
14Mit Beschluss vom 13. Februar 2014 hat die Kammer die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung nach Italien angeordnet (7a L 153/14.A).
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte, einschließlich der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Beiakte Heft 1).
16Entscheidungsgründe:
17Die Klage, über die im Einverständnis der Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ‑ VwGO -), ist mit dem Antrag zu 1. als Anfechtungsklage zulässig, im Übrigen ist sie unzulässig.
18Gegen die mit dem Bescheid allein getroffene Entscheidung nach §§ 27a, 34a des Asylverfahrensgesetzes ‑ AsylVfG ‑ ist die Anfechtungsklage zulässig, weil die isolierte Aufhebung der Entscheidungen zu Ziff. 1. und 2. des Bescheides zur gesetzlichen Verpflichtung des Bundesamtes führt, das Asylverfahren durchzuführen (vgl. §§ 31, 24 AsylVfG). Mit der Aufhebung des Bescheides vom 17. Januar 2014 ist das Verfahrenshindernis für die inhaltliche Prüfung des Asylgesuchs beseitigt.
19So auch: VG Düsseldorf, Urteil vom 10. Februar 2014 ‑ 25 K 8830/13.A -, InfAuslR 2014, 159 ff; im Ergebnis auch: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16. April 2014 ‑ A 11 S 1721/13 -, juris Rdnr. 18.
20Neben diesem Anfechtungsbegehren sind die weitergehenden Anträge mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Das Bundesamt hat bisher keine Sachentscheidung getroffen. Dem Kläger ginge eine Tatsacheninstanz mit umfassenden Verfahrensgarantien verloren, wenn das Gericht durch entscheiden würde, obgleich das Bundesamt bisher nur mit der vorrangigen Frage der Zuständigkeit des Mitgliedstaates befasst war.
21Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16. April 2014, a.a.O.; VG Düsseldorf, Urteil vom 10. Februar 2014, a.a.O.
22Die Klage ist mit dem Antrag zu 1. auch begründet. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. Januar 2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte von ihrem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaates, der für die Prüfung eines vom einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedsstaat gestellten Asylantrages zuständig ist, ‑ Dublin ‑II-VO ‑ Gebrauch macht und seinen Asylantrag inhaltlich prüft. Das Ermessen der Beklagten ist insoweit auf null reduziert.
23Die Zuständigkeit ist im vorliegenden Fall allein anhand der Regelungen der Dublin II-Verordnung und der dort genannten Kriterien zu entscheiden, weil der Asylantrag des Klägers in Deutschland vor dem Stichtag des 1. Januar 2014 gestellt worden ist (vgl. Art. 49 Abs. 2 der Dublin III-Verordnung vom 26. Juni 2013).
24Die Beklagte ist zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts gem. Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO verpflichtet, weil Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien auch derzeit noch systemische Mängel aufweisen, die die Prognose rechtfertigen, dass der Asylbewerber dort mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird.
25Vgl. zum Maßstab zuletzt: BVerwG, Urteil vom 19. März 2014 ‑ 10 B 6/14 -, juris, Rdnr. 9 m.w.N.
26Zur Situation von Asylbewerbern und Flüchtlingen in Italien und zu den dortigen Aufnahmebedingungen hat die Kammer zuletzt in einem Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ‑ Beschluss vom 4. Juni 2014, 7a L 753/14.A ‑ unter Auswertung der vorliegenden Erkenntnisquellen Folgendes ausgeführt:
27„Gem. § 34 a Abs. 1 S. 1 und 2 des Asylverfahrensgesetzes - AsylVfG - ordnet das Bundesamt, wenn die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) erfolgen soll, die Abschiebung an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Gegenüber dem Antragsteller ist die Abschiebung nach Italien, einem Mitgliedstaat der Europäischen Union und insofern in einen kraft verfassungsrechtlicher Bestimmung sicheren Drittstaat (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG); § 26a Abs. 2 AsylVfG), angeordnet worden. Darüber hinaus ergibt sich die Zuständigkeit Italiens aus § 27a AsylVfG i. V. m. Art. 5, 6 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 ‑ Dublin II-Verordnung -. Nach § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Das ist hier grundsätzlich der Fall, weil der Antragsteller bereits am 4. Mai 2011 einen Asylantrag in Italien gestellt hat (vgl. Art. 10 Dublin II-VO).
28Aus Sicht der Kammer spricht allerdings Überwiegendes dafür, dass die Antragsgegnerin von ihrem Selbsteintrittsrecht aus Art. 3 Abs. 2 Dublin II-Verordnung Gebrauch machen und das Asylbegehren in eigener Zuständigkeit prüfen muss. Nach dieser Vorschrift kann jeder Mitgliedsstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist, und wird dadurch zum zuständigen Mitgliedsstaat im Sinne der Verordnung.
29Das hiernach dem Mitgliedsstaat grundsätzlich eingeräumte Ermessen dürfte voraussichtlich in Bezug auf die Rücküberstellung nach Italien derzeit auf null reduziert sein, weil dort gegenwärtig systemische Mängel des Asylverfahrens zu besorgen sind, denen der Antragsteller ausgesetzt sein wird.
30Die den Regeln des Selbsteintrittsrechts und der Dublin-II-VO zugrundeliegende Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ‑ EUGrdRCH ‑, der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Genfer Flüchtlingskonvention steht,
31Vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 -, NVwZ 2012, 417.
32trifft nach vorliegenden Erkenntnissen für Italien gegenwärtig wohl nicht zu.
33Dabei reicht allerdings nicht jede Verletzung von Verfahrens- oder materiellem Recht, um eine Selbsteintrittspflicht zu begründen. Ein Mitgliedstaat muss vielmehr die Überstellung eines Asylbewerbers an den zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Dublin-II-VO nur unterlassen, wenn ihm nicht unbekannt sein kann, dass das Asyl verfahren in diesem Mitgliedstaat systemische Mängel aufweist, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union implizieren. In diesem Fall ist die Überstellung auch nach nationalem Verfassungsrecht unzulässig, wenn - bezogen auf den Drittstaat bzw. auf den zuständigen Staat - Abschiebungshindernisse durch Umstände begründet werden, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden können und damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich selbst heraus gesetzt sind.
34Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 ‑ 2 BvR 1938/93‑, juris.
35Ausgehend von diesen Maßstäben bestehen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass das Asylverfahren und/oder die Aufnahmebedingungen in Italien an systemischen Mängeln leiden. Dementsprechend ist das Interesse des Antragstellers daran, Schutz entsprechend den im Europäischen Gemeinschaftsrecht vereinbarten Mindeststandards zu erlangen, vorrangig gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresse.
36Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen ist davon auszugehen, dass dem Antragsteller im Falle seiner Rücküberstellung nach Italien im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im zuvor dargestellten Sinne droht, er namentlich im Falle einer Überstellung nach Italien eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S. der Art. 4 EUGrdRCH, Art. 3 EMRK zu befürchten hat.
37Dies zugrundegelegt, stellt sich die tatsächliche Situation von Schutzsuchenden in Italien nach der gegenwärtigen Erkenntnislage im Wesentlichen wie folgt dar:
38Im Sommer 2013 ist die Zahl der in Italien ankommenden (Boots-)Flüchtlinge ‑ erneut ‑ stark angestiegen.
39Vgl. z.B. Zahlenangaben und Vergleiche 2011-2013 bei: Zeit online vom 10. Oktober 2013 unter Hinweis auf Material UNHCR; tagesschau.de vom 20. August 2013.
40Die bis dahin schon bedenkliche Auslastung der Aufnahmekapazitäten hat sich verschlechtert.
41Nach dem jüngsten Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Oktober 2013, der auf einer Abklärungsreise nach Rom und Mailand, verschiedenen Interviews mit Vertretern von Nicht-Regierungs-Organisationen - NGO’s -, Behörden und Flüchtlingen sowie aktuellen Berichten über die Situation in Italien fußt, sind die Aufnahmekapazitäten der für alle Asylsuchenden vorgesehenen Erstaufnahmezentren CARA, in denen auch sog. Dublin-Rückkehrende im Falle ihrer Rücküberstellung nach Italien grds. - befristet - unterkommen können, ausgelastet. Das gilt auch für die bereitgestellten Plätze im sog. FER-Projekt (vom Europäischen Flüchtlingsrat finanzierte Unterkünfte), die an den Flughäfen Rom und Mailand angeboten werden. Die Anzahl der Plätze in diesen Projekten, die zeitlich beschränkt sind, ist ohnehin sehr gering.
42Schweizerische Flüchtlingshilfe ‑ SFH ‑, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013 , S. 5, 14 ff, 20.
43Auch das Zweitaufnahmesystem SPRAR, das auf einer Zusammenarbeit zwischen Gemeinden und NGO‘s basiert, ist ausgelastet; noch im Juli 2013 wurde vom italienischen Innenministerium wegen Überfüllung der Erstaufnahmezentren um Aufstockung der Plätze gebeten.
44Vgl. SFH, a.a.O., S. 23, Fußnote 135 unter Bezugnahme auf eine e-Mail Auskunft von borderline-europe vom 7. August 2013.
45Eine erhebliche Verschlechterung der Aufnahmebedingungen und deutliche Überbelegungen in den Zentren beklagt auch der UNHCR in seinen Empfehlungen vom Juli 2013,
46UNHCR Recommendations on important Aspects of Refugee protection in Italy, Juli 2013, S. 9 ff.
47Die tatsächliche Überbelegung wird schließlich anhand des von der Liaisonbeamtin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in Rom vom 21. November 2013 unter Bezugnahme auf Daten des italienischen Innenministeriums vom 8. November 2013 übersandten Zahlenmaterials, das bestimmte Aufnahmezentren abdeckt (CARA/CDA), deutlich: Danach war dort in verschiedenen Orten „ursprünglich“ eine Kapazität von insgesamt 6.180 Plätzen, sind „jetzt“ 7.516 Plätze „vorgesehen“, die tatsächlich mit 10.856 Schutzsuchenden belegt sein sollen,
48vgl. Wiedergabe der Information der Liaisonbeamtin in der Klageerwiderung der Antragsgegnerin im Verfahren 7a K 486/14.A.
49Die Frage, ob das vom italienischen Innenministerium übermittelte Zahlenmaterial belastbar ist, lässt die Kammer dabei offen.
50Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 11. September 2013 an das OVG NRW (dort zu d) ist verlässliches Datenmaterial nicht zu erlangen; dahingehend auch: UNHCR, a.a.O., z.B. S. 10, 13.
51Rücküberstellte haben nach Einschätzung einer italienischen Untersuchungskommission keine ausdrückliche Garantie für eine Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung.
52Vgl. Auskunft der italienischen Vereinigung für rechtliche Untersuchungen zur Situation von Einwanderern ‑ ASGI ‑ vom 20. November 2012 an das VG Darmstadt.
53Die anderslautende Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 11. September 2013 an das Oberverwaltungsgericht NRW (dort zu c) legt die Kammer im vorläufigen Rechtsschutzverfahren angesichts der wiedergegebenen Erkenntnisse vor Ort tätiger Organisationen, der unter b) dieser Auskunft des Auswärtigen Amtes angedeuteten Schwierigkeiten bei der Unterbringung unter Hinnahme auch Wochen fehlender Unterkunft und mit Rücksicht darauf, dass nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes kein belastbares Zahlenmaterial zu tatsächlichen Unterbringungsmöglichkeiten der Dublin-II-Rückkehrer von offizieller Seite zu erlangen ist (AA, Auskunft vom 11.09.2013, a.a.O., zu d)) nicht zugrunde.
54Aus der Schwierigkeit, dauerhaft eine angemessene und sichere Unterkunft zu erlangen, folgen insbesondere von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe beschriebene Probleme der (Dauer-)Obdachlosigkeit, Verwahrlosung und auch der (sexuellen) Ausbeutung für die Schutzsuchenden.
55fSFH, a.a.O., z.B. S. 40, 45.
56Ein weiterer wesentlicher Mangel im System der Versorgung von Asylsuchenden ist darin zu sehen, dass der Mehrheit der Flüchtlinge - abgesehen von der Unterbringung in Erstaufnahmezentren - keine ausreichende Unterstützung und Hilfeleistungen zuteilwerden, die ein sozial würdiges Leben in einer für sie fremden Umgebung ermöglichen. Dazu gehört auch ein Mindestmaß an Integritätsbemühungen des Staates, um den Schutzsuchenden eine Teilnahme am Alltagsleben in Italien zu ermöglichen, wie etwa Sprachunterricht. Die vereinzelten Angebote decken den tatsächlichen Bedarf nicht annähernd ab.
57Vgl. UNHCR, a.a.O., S. 10, 12 f: “their self-reliance remains a concern after the end of the emergency reception plan. This is mainly because of the poor quality of reception services, … more broadly, because of the economic situation in Italy.”; SFH, a.a.O., S. 43 ff.
58Belastbare Auskünfte und Stellungnahmen aus jüngster Zeit, die die dargestellten allgemeinen Erkenntnisse erschüttern könnten, liegen bisher nicht vor.
59Die Kammer folgt der Einschätzung des UNHCR in den „Empfehlungen“, dass die Missstände insoweit auf fehlender strategischer und struktureller Planung und zuverlässiger Koordinationsmechanismen auf zentraler Ebene beruhen. Diese Bewertung wird von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe erneut im aktuellen Bericht geteilt.
60UNHCR, a.a.O., S. 10,13.; ebenso: SFH, a.a.O., S. 7.
61Die Kammer stuft diese Mängel insgesamt als systemisch ein, weil sie auf einem unzureichenden Aufnahmesystem und einem fehlendem materiellen und sozialen Sicherungsnetz beruhen, das der italienische Staat trotz ausreichender rechtlicher Rahmenbedingungen nicht bereitstellt.
62Ebenso: VG Gießen, Urteil vom 25. November 2013 ‑ 1 K 844/11.GI.A ‑ juris, insbes. Rdnr. 33 f m.w.N.; VG Frankfurt a.M., Urteil vom 9. Juli 2013 ‑ 7 K 560/11.F.A. ‑, juris Rdnr. 24 ff; VG Köln, Beschluss vom 7. Mai 2013 ‑ 20 L 613/13.A ‑ juris, VG Aachen, Beschluss vom 14. März 2013 ‑ 9 L 53/13.A, juris, VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 17. Mai 2013 ‑ 5a L 566/13.A -, juris.
63Am 4. Juni 2013 hat das italienische Innenministerium einen sog. EASO-Support-Plan beschlossen und mit dem Europäischen Asylunterstützungsbüro EASO einen Unterstützungsplan vereinbart. Dies verdeutlicht, dass der italienische Staat derzeit selbst davon ausgeht, den Mindestnormen der Gemeinschaft für die Aufnahme von Asylbewerbern nicht aus eigenen Kräften zu entsprechen. Dieser „Hilfsplan“ reicht bis Ende 2014.
64Vgl. EASO press-release 4.6.2013, EASO-Italy-Special-Support-Plan.
65Ob die Situation der Flüchtlinge sich dadurch nachhaltig bessert, bleibt abzuwarten...
66Die Unanwendbarkeit der Zuständigkeitsregelungen der Dublin-II-VO aus Gründen höherrangigen Rechts ist danach insgesamt im vorläufigen Rechtsschutz mit der Folge zu bejahen, dass eine Rücküberstellung nach Italien derzeit nicht erfolgen darf.“
67An der Einschätzung, dass in Italien auch zum jetzigen Zeitpunkt noch systemische Mängel des Asylverfahrens bestehen, die dazu führen, dass Flüchtlinge einschließlich des Klägers überwiegend wahrscheinlich menschenrechtswidrigen Verhältnissen ausgesetzt werden, hält die Kammer auch unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts NRW zum jetzigen Zeitpunkt fest. Das Urteil des OVG NRW vom 7. März 2014 ‑ 1 A 21/12.A ‑, das die Rücküberstellung nach Italien für zulässig erachtet, beruht auf der Erkenntnislage, die auch die Kammer zugrundegelegt hat. Der Auffassung des Senats, die sich aus der Erkenntnislage ergebende Situation in Italien lasse noch kein systemisches, die Grenze zur drohenden Grundrechtsverletzung nach Art. 4 EuGRCh überschreitendes Versagen des Staates erkennen, vermag die Kammer gegenwärtig nicht zu folgen.
68Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass die Zahl der in Italien aufzunehmenden Flüchtlinge im ersten Halbjahr 2014 weiter erheblich ansteigt und erst jüngst das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR dringend angemahnt hat, einen strukturierten Plan zur Aufnahme der Flüchtlinge in Italien zu entwickeln. Anlass für diese Mahnung war, dass in Italien im Juni 2014 ca. 400 Flüchtlinge auf zwei Parkplätzen vor Rom und Mailand ohne Versorgung hilflos ausgesetzt worden waren.
69Vgl. z.B. Spiegel online 10. Juni 2014 „Hunderte Bootsflüchtlinge auf Parkplätzen ausgesetzt“; N24 10. Juni 2014; Huffington Post 18. Juni 2014 „Italy’s Churches shelter Refugees despite overflowing migrant crises“; FR 15. Juni 2014 „Mehr als 1500 Bootsflüchtlinge in 24 Stunden“; vgl. allgemein auch: west-info.eu 15. Juli 2014 „The new Europe begins at Lampedusa“ by G. Terranova.
70Erkenntnisse darüber, dass Italien angesichts der gestiegenen Zahlen die ohnehin überfüllten Unterbringungskapazitäten entsprechend aufgestockt hätte und den weiteren dargestellten Mängeln im Aufnahmeverfahren wirksam begegnet wäre, liegen nicht vor.
71Wegen der Zurückweisung von Flüchtlingen ohne Möglichkeit der Antragstellung hat die Europäische Kommission zudem ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Italien eingeleitet.
72Vgl. Asylmagazin, hrsg. v. Informationsverbund Asyl und Migration 5/2014, S. 142.
73Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83 b AsylVfG nicht erhoben. Die Regelung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.