Die Klägerin zu 1) (Klägerin im Verfahren AN 3 K 14.50102), äthiopische Staatsangehörige und dem Volk der Ogaden zugehörig mit moslemischer Religionszugehörigkeit reiste am ... gemeinsam mit ihrem Sohn, dem Kläger zu 2) (Kläger im Verfahren AN 3 K 50104), in das Gebiet der Bundesrepublik ein. Sie beantragte am ... 2014 die Durchführung eines Asylverfahrens.
Zu ihrem Reiseweg gab sie an, sie seien im ... von ... mit dem Boot in den Jemen ausgereist, nach Saudi Arabien gelangt und von dort nach Jordanien weiter gereist. Von Jordanien aus seien sie mit dem PKW über Syrien in die Türkei gefahren. Von der Türkei seien sie weiter mit dem PKW nach Bulgarien gefahren, wo sie sich sechs Monate aufgehalten hätten. Von Bulgarien aus seien sie weiter über Serbien und Ungarn bis nach Deutschland gereist.
Auf eine Anfrage des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. Juni 2014 hin erklärten die bulgarischen Behörden mit Schreiben vom 17. Juni 2014 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gemäß Art. 18 Abs. 1 b der Verordnung (EG) Nr. 604/2013 des Rates (Dublin III-VO).
Mit Bescheid vom 31. Juli 2014, der der Klägerin zu 1) mit Schreiben vom 1. August 2014 zugestellt wurde (ohne Zustellnachweis) lehnte das Bundesamt den Antrag der Kläger als unzulässig ab und ordnete ihre Abschiebung nach Bulgarien an. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich.
Da Bulgarien auf Grund des dort bereits gestellten Asylantrags gemäß Art. 18 Abs. 1 b Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei, sei der Asylantrag gemäß § 27 a AsylVfG unzulässig.
Die Anordnung der Abschiebung nach Bulgarien beruhe auf § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.
Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten, das am 7. August 2014 beim Verwaltungsgericht einging, haben die Kläger Klage gegen den ablehnenden Bescheid erhoben.
Zur Begründung führen sie aus, in Bulgarien drohe ihnen unmenschliche Behandlung, diese hätten sie dort bereits auch erlebt. Von den sechs Monaten, die sie in Bulgarien gewesen seien, hätten sie drei Monate im Gefängnis verbringen müssen. Von dort seien sie ohne Geld entlassen worden und hätte sehen müssen, wie sie zu Recht kommen. Sie hätten weder gewusst, wo sie leben sollten noch wovon, sie hätten keinerlei finanzielle Unterstützung erhalten und hätten vor ihrer Ausreise aus Bulgarien auf der Straße leben und schlafen müssen.
Der UNHCR fordere, dass keine Überstellungen nach Bulgarien durchgeführt werden dürften wegen der menschenunwürdigen Behandlung, die dort drohe. Danach sei vom Bestehen systemischer Mängel bei Aufnahmebedingungen und im Asylverfahren selbst auszugehen. Die Klägerin zu 1) habe die Obdachlosigkeit selbst erlebt.
Das Verwaltungsgericht München habe im Beschluss vom 23. Oktober 2013, Az. M 21 S 13.3101 die Abschiebung nach Bulgarien wegen der dort herrschenden Zustände für Asylbewerber untersagt, ebenso wie das Verwaltungsgericht Bremen im Beschluss vom 4. März 2014, Az. 1 V 60714.
Sie beantragen,
den Bescheid der Beklagten vom 31. Juli 2014 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klagen abzuweisen.
Auf Antrag der Kläger hin ordnete das Verwaltungsgericht mit Beschlüssen vom 20. August 2014 die aufschiebende Wirkung der Klagen gegen die Abschiebungsanordnung nach Bulgarien an und bewilligte den Klägern Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin ... (AN 3 S 14.50101 und AN 3 S 14.50102). Der Beklagten wurde aufgegeben, im Hauptsacheverfahren zur Frage Stellung zu nehmen, inwieweit aufgrund der Zugehörigkeit der Kläger zu einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe eine Rückführung nach Bulgarien zulässig sei. Die Beklagte hat sich dazu bisher nicht geäußert.
Mit Beschluss vom 8. Dezember 2014 wurden die Verwaltungsstreitsachen auf die Einzelrichterin übertragen und in der mündlichen Verhandlung zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Behörden- und Gerichtsakten sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Die zulässigen Klagen sind begründet.
Gemäß § 113 Abs. 3 Satz 1 VwGO war der angefochtene Bescheid der Beklagten aufzuheben, da das Gericht eine weitere Sachaufklärung für nötig erachtet, die erforderlichen Ermittlungen so erheblich erscheinen, dass das Bundesamt nach seiner personellen und sachlichen Ausstattung diese besser durchführen kann als das Gericht, es darüber hinaus auch unter übergeordneten Gesichtspunkten vernünftiger und sachgerechter ist, die Behörde tätig werden zu lassen und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist (vgl. BVerwG v. 18.11.2002 – 9 C 2.02, juris; BayVGH, B. v. 8.10.2012 -21 ZB 12.30312, juris).
Das Bundesamt hat sich vorliegend nach Auffassung des Gerichts weder im angefochtenen Bescheid noch nach Aufforderung im Klageverfahren in ausreichendem Maße mit dem Vorbringen der Kläger und nicht im gebotenen Umfang mit der Situation der Kläger als Angehörige einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe bei einer Rückkehr nach Bulgarien im Rahmen der Dublin III-VO auseinandergesetzt.
Auch dem Erfordernis des § 113 Abs. 3 Satz 4 VwGO ist vorliegend entsprochen, denn zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung lagen die Behördenakten dem Gericht noch keine sechs Monate vor.
Zwar ist grundsätzlich Bulgarien nach § 27 a AsylVfG für die Durchführung des Asylverfahrens der Kläger zuständig, Art. 49 Abs. 2 Satz 2 2. Alternative, 18 Abs. 1 (b) VO (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (ABl. 180 S. 31) (Dublin III-VO), da die Kläger dort Asyl beantragt haben und vor Abschluss des Asylverfahrens in Bulgarien in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag gestellt haben.
§ 3 Abs. 2 Satz 3 Dublin III-VO bestimmt in der Umsetzung der Entscheidung des EuGH vom 21. Dezember 2011(C-411/10, C 493/10, NVwZ 2012, 417) aber, dass keine Überstellung in einen Mitgliedstaat erfolgen darf, wenn dort das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen systemische Mängel aufweisen, die eine Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen. Dabei genügen nicht lediglich punktuelle Unzulänglichkeiten und jeder geringe Verstoß gegen die unionsrechtlichen Vorgaben der einschlägigen Richtlinien. Das Unionsrecht verbietet es nationalen Asylbehörden, einen Asylsuchenden in einen solchen, mit „systemischen Schwachstellen“ des Asylsystems behafteten Mitgliedstaat abzuschieben. Zu beachten ist hierbei allerdings, dass hinzukommen muss, dass der konkrete Schutzsuchende auch individuell betroffen wäre. Es genügt nicht, dass lediglich abstrakt bestimmte strukturelle Schwachstellen festgestellt werden, wenn sich dies nicht auf den konkreten Antragsteller auswirken können (VGH Baden-Württemberg, U. v. 10.11.2014 – A 11 S 1778/14, juris Rn. 39).
Zu der Frage des Bestehens systemischer Mängel in Bulgarien nach den dargestellten Kriterien fehlt es derzeit an der erforderlichen Sachaufklärung durch das BAMF.
Hinsichtlich der Erwägungen, die (immer noch) dafür sprechen, dass den Klägern bei einer Rückkehr nach Bulgarien unmenschliche und erniedrigende Behandlung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen könnte, wird auf die Beschlüsse in den vorangegangenen Eilverfahren verwiesen und zur Vermeidung von Wiederholungen darauf Bezug genommen.
Auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg geht in seiner neuesten Entscheidung auf die Personengruppen mit besonderer Schutzbedürftigkeit ein (Familien mit kleinen Kindern, alleinstehende Frauen mit minderjährigen Kindern und unbegleitete Minderjährige) und stellt aufgrund der Auskunftslage erhebliche Defizite fest, lässt aber im Ergebnis – weil nicht entscheidungserheblich – offen, ob bei den festzustellenden Aufnahmebedingungen eine dieser Personengruppe angemessene Unterbringung gewährleistet sei und insbesondere, ob diese als unmenschliche und entwürdigende Behandlung zu qualifizieren wäre (VGH Baden-Württemberg, U.v. 10.11.2014 – A 11 S 1778/14, juris Rn. 49).
Das Gericht geht zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz AsylVfG) nicht zwangsläufig davon aus, dass für die Kläger systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Bulgarien bestehen. Diese Beurteilung hängt maßgeblich von einer Einzelfallbeurteilung ab, bei dem auch das Alter des Klägers zu 2) eine erhebliche Rolle spielen dürfte. Das Bundesamt hat seiner Entscheidung jedoch bisher keinerlei Sachaufklärung über die nach Auskunftslage schwierigen und für besonders schutzbedürftige Personengruppen möglicherweise gegen Art. 4 EU-Grundrechtecharta verstoßenden Verhältnisse im Asylverfahren und in den Aufnahmebedingungen zugrunde gelegt.
In Anbetracht der Notwendigkeit weiterer Sachaufklärung, die im Interesse der Beteiligten sachdienlich ist, erweist sich Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides demnach derzeit als rechtswidrig. Steht nicht fest, dass die Asylanträge unzulässig sind, fehlt der in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides ausgesprochenen Abschiebungsanordnung die rechtliche Grundlage des § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, weshalb auch diese aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO.
Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben.
Beschluss
Der Gegenstandswert beträgt 6.000,00 EUR (§ 30 Abs. 1 RVG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 Abs. 1 AsylVfG.