Verwaltungsgericht Aachen Beschluss, 18. Feb. 2014 - 9 L 96/14.A
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller gegen die in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29. Januar 2014 enthaltene Abschiebungsanordnung nach Italien wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, in dem Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Der sinngemäße Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller gegen die in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29. Januar 2014 enthaltene Abschiebungsanordnung nach Italien anzuordnen,
4ist zulässig, insbesondere nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG statthaft, und begründet.
5Die Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Vollziehung der nach § 75 AsylVfG sofort vollziehbaren Abschiebungsanordnung und dem privaten Interesse an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung fällt zu Gunsten der Antragsteller aus.
6Die maßgebliche Frage, ob eine Rückführung der Antragsteller nach Italien innerhalb des Dublin-Verfahrens ausscheidet, weil systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingung für Asylbewerber die Annahme begründen, dass sie dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wären,
7vgl. hierzu: EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/ -, juris,
8ist angesichts der ernst zu nehmenden Hinweise auf das Vorliegen systemischer Mängel,
9vgl. in diesem Zusammenhang: Schweizerische Flüchtlingshilfe, "Italien: Aufnahmebedingungen, Aktuelle Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden" vom Oktober 2013,
10derzeit als offen zu bezeichnen. Zeitnähere, diese Hinweise entkräftende Auskünfte sind für die Kammer nicht ersichtlich. Die offene Ausgangslage,
11vgl. zu diesem Maßstab: OVG NRW, Beschluss vom 7. Februar 2014 - 15 B 143/14.A -,
12führt zur Stattgabe im vorliegenden Verfahren.
13Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 83b AsylVfG.
14Dieser Beschluss ist gem. § 80 AsylVfG unanfechtbar.
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Tenor
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Minden vom 20. Januar 2014 – 1 L 21/14.A – wird geändert.
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Abschiebungsandrohung in dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 2. Januar 2014 wird angeordnet.
Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, dem Oberbürgermeister der Stadt E. mitzuteilen, dass eine Abschiebung des Antragstellers nach Italien vorläufig nicht durchgeführt werden darf.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Abänderungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
G r ü n d e :
2Der zulässige Antrag, über den das erkennende Gericht nach Eingang des Antrags auf Zulassung der Berufung in dem zugehörigen Hauptsacheverfahren als zuständiges Gericht der Hauptsache entscheidet, ist begründet.
3Nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO können Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände geändert oder aufgehoben werden. Eine Veränderung der Umstände kann in nachträglich eingetretenen tatsächlichen Verhältnissen oder auch in einer nachträglichen Änderung der Rechtslage bestehen.
4Vgl. Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 80 Rn. 185 m. w. N.
5Derartige Veränderungen sind hier zwar weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Das Gericht kann aber gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO von Amts wegen auch ohne Änderung der Sach- und Rechtslage Beschlüsse über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit ändern oder aufheben, wenn es zu einer anderen Beurteilung der Rechtslage gekommen ist oder die frühere Interessenabwägung nachträglich als korrekturbedürftig erachtet.
6Vgl. Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 80 Rn. 184 m. w. N.
7Das ist hier der Fall. Eine Abwägung zwischen dem Interesse der Antragsgegnerin an einer Vollziehung der nach § 75 AsylVfG sofort vollziehbaren Abschiebungsanordnungen und dem Suspensivinteresse des Antragstellers führt vorliegend zu einem Überwiegen des Suspensivinteresses. Die Frage, ob eine Rückführung von Asylbewerbern nach Italien im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens unzulässig ist, weil systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass Asylbewerber tatsächlich Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt zu werden,
8vgl. zu diesem Maßstab EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 ‑ C-411/10 und C-493/10 ‑, Rn. 94,
9wird in der erstinstanzlichen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung Nordrhein-Westfalens gegensätzlich beurteilt.
10Siehe z.B. einerseits VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 16. Mai 2013 - 5a L 547/13.A -, juris, VG Köln, Beschluss vom 7. Mai 2013 - 20 L 613/13.A -, juris, und VG Düsseldorf, Beschluss vom 27. Juni 2013 ‑ 13 L 1065/13.A -, juris, andererseits VG Düsseldorf, Beschluss vom 15. April 2013 - 17 L 660/13.A, juris, und jüngst VG Minden in dem diesem Abänderungsverfahren zugrundeliegenden Eilbeschluss vom 20. Januar 2014 - 1 L 21/14.A.
11Eine grundsätzliche Klärung der Frage ist – ungeachtet der von der Antragsgegnerin in ihrer Erwiderung zitierten obergerichtlichen Entscheidungen anderer Bundesländer – jedenfalls durch das beschließende Gericht noch nicht erfolgt, so dass sie – nicht zuletzt unter Berücksichtigung aktuellster Erkenntnisse – als derzeit offen anzusehen ist. Eine Abwägung der widerstreitenden Belange, nämlich einer Gefährdung der genannten Rechtsgüter des Antragstellers einerseits und des nur zeitlich gefährdeten Abschiebungsinteresses der Antragsgenerin andererseits, bei offenem Ausgang der streitigen Frage führt hier zu dem genannten Ergebnis. Ergänzend verweist der Senat auf die Gründe des Beschlusses des hiesigen Oberverwaltungsgerichts vom 1. März 2012 - 1 B 234/12.A -, juris, denen er sich – soweit sie auf vorliegende Konstellation übertragbar sind - anschließt.
12Die angeordnete Mitteilung des Ergebnisses dieser Entscheidung an die zuständige Ausländerbehörde dient der zusätzlichen Sicherung effektiven Rechtsschutzes.
13Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die Gerichtskosten ergibt sich aus § 83b AsylVfG.
14Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.