Sozialgericht Würzburg Urteil, 10. Nov. 2016 - S 7 AL 57/14

bei uns veröffentlicht am10.11.2016

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, die Bescheide vom 25.09.2013 und 04.03.2014 dahingehend abzuändern, dem Kläger ab Antragstellung Insolvenzgeld zu bewilligen.

II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand

Im vorliegenden Rechtsstreit geht es um die Ablehnung des Antrags auf Insolvenzgeld für den Kläger.

Der Kläger beantragte bei der Beklagten am 08.04.2013 die Bewilligung von Insolvenzgeld.

Der Arbeitgeber des Klägers, die Firma C. AG S. Straße ... in ... S. habe am 01.03.2013 die Betriebstätigkeit vollständig beendet. Für den Monat Februar 2013 wäre erstmalig kein Arbeitsentgelt gezahlt worden. Das nicht ausgezahlte Nettoarbeitsentgelt belaufe sich auf 1.766,76 Euro.

In einem zusätzlich zum Insolvenzgeldantrag beigefügten Schreiben des Klägers heißt es: „Unser letzter Arbeitstag der gesamten Belegschaft war der 28.02.2013. An diesem Tag wurde uns mitgeteilt, dass unser Vorstand seit drei Monaten keine Miete zahlte und unser Vermieter somit uns zum 01.03.2013 den Zutritt zu unseren Arbeitsräumen verwehrte. Am darauf folgenden Montag haben wir die Büroräume geleert und unsere Arbeitsmaterialien eingelagert. Da gleichzeitig unser Vorstand - Herr Marc Christian Schraut - in Untersuchungshaft kam, ist unser Arbeitgeber nicht mehr handlungsfähig. Mein Arbeitsverhältnis ist ungekündigt. Laut meinem Anwalt wurde bisher keine Insolvenz über das Unternehmen eröffnet, er sagte mir aber, dass ich dieses selbst nicht einleiten bräuchte, da die Versicherungen dies meist selbst übernehmen würden. Mein letztes Gehalt bekam ich für den Monat Januar 2013. Eine Lohnabrechnung für den geleisteten Februar lege ich anbei, dieser Lohn konnte mangels Erreichbarkeit des Vorstands nicht mehr ausgezahlt werden, so wie meine diesjährigen Kontoauszüge meines Gehaltskontos, welches ersichtlich machen soll, dass mir im Februar kein Gehalt ausgezahlt wurde“.

Mit Bescheid vom 25.09.2013 wurde der Antrag des Klägers abgelehnt. Ein Anspruch auf Insolvenzgeld bestehe nur bei Vorliegen eines der in § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3

SGB III genannten Insolvenzereignisse. Hier hätte ein solches Ereignis nicht festgestellt werden können. Alle Anfragen hinsichtlich der Firma C. AG wären negativ gewesen. Es läge keine Insolvenzeröffnung vor. Auch wäre keine Gewerbeabmeldung oder Handelsregisterlöschung erfolgt.

Der Arbeitgeber habe keine Auskünfte erteilt. Eine Betriebseinstellung bei offensichtlicher Masselosigkeit könne nicht festgestellt werden.

Hiergegen richtete sich der Widerspruch des Klägers.

Die Firma C. AG wäre Teil der S+K Gruppe gewesen. Alle dort Beteiligten säßen in Untersuchungshaft. Mit Widerspruchsbescheid vom 04.03.2014 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich die am 11.04.2014 beim Sozialgericht Würzburg eingelegte Klage.

Der Kläger sei Mitarbeiter der Firma C. AG mit einem Lohnzahlungsanspruch in Höhe von 2.750 Euro brutto gewesen. Die Firma C. AG habe ihren Geschäftsbetrieb im Februar 2013 eingestellt. Der Kläger hätte sein letztes Gehalt für Januar 2013 erhalten. D. C. AG sei Teil der S+K Gruppe gewesen, deren Geschäftsführer seit Februar 2013 in Untersuchungshaft säßen. Die spektakulären Polizeiaktionen wären Bestandteil wochenlanger Berichterstattung in der bundesweiten Presse gewesen (Stichwort: Badewannen voller Geld).

Es wäre daher unverständlich, weshalb die Beklagte trotz dieser offenkundigen Tatsachen darauf beharre, eine Einstellung des Geschäftsbetriebs im Februar 2013 wäre nicht festzustellen.

In der Klageerwiderung verwies die Beklagte darauf, dass unabhängig davon, ob die Betriebstätigkeit eingestellt worden wäre, jedenfalls offensichtliche Masselosigkeit nicht ersichtlich sei.

In der mündlichen Verhandlung vom 09.11.2016 stellt der Klägerbevollmächtigte den Antrag,

aus dem Schriftsatz vom 11.04.2014 (der Bescheid der Beklagten vom 25.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.03.2014, wird aufgehoben und die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger das beantragte Insolvenzgeld zu gewähren).

Die Beklagtenvertreterin stellt den Antrag,

die Klage abzuweisen.

Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren neben der Gerichtsakte die den Kläger betreffende Leistungsakte der Agentur für Arbeit Frankfurt am Main. Auf deren Inhalt wird im Weiteren ausdrücklich Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Kläger hat Anspruch auf Insolvenzgeld für den Monat Februar 2013, da für das Gericht offensichtlich ist, dass der Arbeitgeber des Klägers, die Firma C. AG gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB III ihre Betriebstätigkeit im Inland vollständig beendet hat und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt.

Die Firma C. AG war Teil der S+K Gruppe. Diese Gruppierung war offensichtlich als Schneeballsystem ausgelegt, womit Anleger um Summen im dreistelligen Millionenbereich geprellt wurden.

Die leitenden Personen, sowohl der S+K Gruppe, wie auch der C. AG sind inhaftiert. Ihr Strafprozess läuft.

Für das Gericht besteht deshalb keinerlei Zweifel, dass eine vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit ab 01.03.2013 vorliegt. Dass einer der Beklagten aus der Haft heraus Geschäfte fortsetzt, könne nicht angenommen werden.

Genauso geht das Gericht davon aus, dass eine offensichtliche Masselosigkeit vorliegt. Der durch die Beteiligten angerichtete Schaden beläuft sich, wie erwähnt, im dreistelligen Millionenbereich. Die vorhandenen Vermögenswerte wurden durch die Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. Diese dürften nicht annähern zur Schuldentilgung ausreichen. Der Kläger jedenfalls hat keinerlei Aussicht auf Begleichung seiner Gehaltsrückstände.

Damit steht für das Gericht fest, dass keine verwertbare Masse mehr vorhanden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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Referenzen - Gesetze

Sozialgericht Würzburg Urteil, 10. Nov. 2016 - S 7 AL 57/14 zitiert 3 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgesetzbuch (SGB) Drittes Buch (III) - Arbeitsförderung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. März 1997, BGBl. I S. 594) - SGB 3 | § 165 Anspruch


(1) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei einem Insolvenzereignis für die vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Als I

Referenzen

(1) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei einem Insolvenzereignis für die vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Als Insolvenzereignis gilt

1.
die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers,
2.
die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder
3.
die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt.
Auch bei einem ausländischen Insolvenzereignis haben im Inland beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen Anspruch auf Insolvenzgeld.

(2) Zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt gehören alle Ansprüche auf Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis. Als Arbeitsentgelt für Zeiten, in denen auch während der Freistellung eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt besteht (§ 7 Absatz 1a des Vierten Buches), gilt der Betrag, der auf Grund der schriftlichen Vereinbarung zur Bestreitung des Lebensunterhalts im jeweiligen Zeitraum bestimmt war. Hat die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer einen Teil ihres oder seines Arbeitsentgelts nach § 1 Absatz 2 Nummer 3 des Betriebsrentengesetzes umgewandelt und wird dieser Entgeltteil in einem Pensionsfonds, in einer Pensionskasse oder in einer Direktversicherung angelegt, gilt die Entgeltumwandlung für die Berechnung des Insolvenzgeldes als nicht vereinbart, soweit der Arbeitgeber keine Beiträge an den Versorgungsträger abgeführt hat.

(3) Hat eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses weitergearbeitet oder die Arbeit aufgenommen, besteht der Anspruch auf Insolvenzgeld für die dem Tag der Kenntnisnahme vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses.

(4) Anspruch auf Insolvenzgeld hat auch der Erbe der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers.

(5) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, einen Beschluss des Insolvenzgerichts über die Abweisung des Antrags auf Insolvenzeröffnung mangels Masse dem Betriebsrat oder, wenn kein Betriebsrat besteht, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern unverzüglich bekannt zu geben.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.