Sozialgericht Nürnberg Gerichtsbescheid, 06. Nov. 2017 - S 9 VK 1/17

bei uns veröffentlicht am06.11.2017
nachgehend
Bayerisches Landessozialgericht, L 20 VK 12/17, 15.03.2018

Gericht

Sozialgericht Nürnberg

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass die Klage in dem Verfahren S 9 VK 2/16 durch Klagerücknahme vom 28.11.2016 beendet worden ist.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Der 1933 geborene Kläger begehrt die Aufhebung des Bescheides vom 27.06.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.10.2016 und die Verurteilung des Freistaates Bayern, ihm unter Abänderung des Bescheides vom 20.06.2012 eine Rente zu gewähren.

Mit Schreiben vom 31.10.2016 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Nürnberg. Mit dem am 28.11.2016 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz nahm der Kläger die Klage zurück.

Mit dem am 19.09.2017 eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger das Sozialgericht erneut um Rechtsschutz ersucht, das das unter dem Aktenzeichen S 9 VK 2/16 geführte Verfahren unter dem neuen Aktenzeichen S 9 VK 1/17 fortgeführt hat. Zur Begründung weist der Kläger im Wesentlichen darauf hin, dass er wieder gesund sei und daher die Klage wieder aufnehmen möchte.

Der Kläger beantragt daher sinngemäß,

das Verfahren S 9 VK 2/16 fortzuführen und den Bescheid der Beklagten vom 27.06.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.10.2016 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, unter Abänderung des Bescheides vom 20.06.2012 eine Rente zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

festzustellen, dass die Klage in dem Verfahren S 9 VK 2/16 durch Klagerücknahme vom 28.11.2016 beendet ist.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie die beigezogenen Gerichtsakten des Verfahrens S 9 VK 2/16 und die Akten des Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Der vorliegende Rechtsstreit kann durch Gerichtsbescheid gem. § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden werden. Die Sache weist keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf, der Sachverhalt ist geklärt. Die Beteiligten wurden hierzu gehört.

Streitgegenstand ist allein die Frage, ob das Klageverfahren S 9 VK 2/16 durch Klagerückname vom 28.11.2016 beendet worden ist. Dies ist zur vollen Überzeugung des Gerichts der Fall.

Die von dem Kläger mit dem beim Gericht am 28.11.2016 eingegangenen Schriftsatz abgegebene Klagerücknahmeerklärung ist insoweit eindeutig; sie erfolgte ohne Hinzufügung einer Bedingung. Die Klagerücknahme ist eine Prozesshandlung, die als solche weder frei widerrufen noch entsprechend den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften wegen Irrtums oder Drohung (§§ 119, 123 BGBBürgerliches Gesetzbuch) angefochten werden kann (BSG SozR Nr.3 zu § 119 BGB; BSG in SozR 1500 § 102 Nr.2 m.w.N.; BSG, 17.05.1966, 7 RAR 7/66). Auch eine Nichtigkeit der Erklärungen könnte selbst dann nicht angenommen werden, wenn – wie nicht - diese Erklärungen aufgrund einer „Überrumpelung“ durch das Gericht oder infolge einer unrichtigen Belehrung über die Prozessaussicht abgegeben worden wären (BSG 24.04.1980, 9 RV 16/79 m.w.N.; BSG in Breithaupt 1960, 744).

Dies ergibt sich aus der Rechtsnatur von Prozesshandlungen, zu denen auch die Klagerücknahme zählt. Diese kann zwar durch eine spätere Prozesshandlung widerrufen, ergänzt, geändert oder berichtigt werden; grundsätzlich gilt dies jedoch nur, solange der Rechtsstreit anhängig ist. Nicht frei widerruflich bzw. nicht frei abänderungsfähig sind Prozesshandlungen, durch die der Prozessgegner eine Rechtsstellung erlangt oder aufgrund deren er seine Rechtsstellung eingerichtet hat (z.B. auch Rücknahme; vgl hierzu Putzo in: Thomas-Putzo, ZPO (Zivilprozessordnung), 34. Auflage, Einleitung III Anm.21 ff. m.w.N.). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz könnte nur dann angenommen werden, wenn gleichzeitig mit der Klagerücknahme deren Widerruf bei Gericht eingegangen wäre, was nicht der Fall war.

Allenfalls kann eine Klagerücknahme entsprechend den Regeln über die Wiederaufnahme des Verfahrens widerrufen werden, falls ein gesetzlicher Restitutionsgrund (§ 179 Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 580 ZPO) gegeben wäre (BSG, 24.04.1980, 9 RV 16/79 m.w.N.). Einen solchen Tatbestand (insbesondere: falsche eidliche Aussage des gegnerischen Prozessbeteiligten, Urkundenfälschung, Urteilserschleichung, Amtspflichtverletzung eines Richters, Auffinden einer bisher unbekannten Urkunde) hat der Kläger nicht vorgetragen; auch ergeben sich diesbezüglich keine Hinweise aus den Akten.

Der Kläger hat zwar vorgetragen, er wäre jetzt wieder gesund. Damit liegt aber kein Restitutionsgrund vor.

Ob ein Nichtigkeitsgrund im Sinne des § 579 ZPO ebenfalls einen Widerruf rechtfertigt, kann dahingestellt bleiben. Denn die in § 579 Abs. 1 ZPO aufgeführten Nichtigkeitsgründe (unvorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts; Mitwirkung eines kraft Gesetzes ausgeschlossenen oder wegen Befangenheit abgelehnten Richters, den gesetzlichen Vorschriften nicht entsprechende Vertretung einer Partei) liegen nicht vor.

Die Klage bleibt daher ohne Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Sozialgericht Nürnberg Gerichtsbescheid, 06. Nov. 2017 - S 9 VK 1/17

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Sozialgericht Nürnberg Gerichtsbescheid, 06. Nov. 2017 - S 9 VK 1/17

Referenzen - Gesetze

Sozialgericht Nürnberg Gerichtsbescheid, 06. Nov. 2017 - S 9 VK 1/17 zitiert 10 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 123 Anfechtbarkeit wegen Täuschung oder Drohung


(1) Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten. (2) Hat ein Dritter die Täuschung verübt, so ist eine Erklärung, die einem anderen gegenüber

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 119 Anfechtbarkeit wegen Irrtums


(1) Wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte, kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständ

Zivilprozessordnung - ZPO | § 580 Restitutionsklage


Die Restitutionsklage findet statt:1.wenn der Gegner durch Beeidigung einer Aussage, auf die das Urteil gegründet ist, sich einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht schuldig gemacht hat;2.wenn eine Urkunde, auf die das Urteil

Zivilprozessordnung - ZPO | § 579 Nichtigkeitsklage


(1) Die Nichtigkeitsklage findet statt:1.wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war;2.wenn ein Richter bei der Entscheidung mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen war, sofern nicht diese

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 179


(1) Ein rechtskräftig beendetes Verfahren kann entsprechend den Vorschriften des Vierten Buches der Zivilprozeßordnung wieder aufgenommen werden. (2) Die Wiederaufnahme des Verfahrens ist ferner zulässig, wenn ein Beteiligter strafgerichtlich ver

Referenzen

(1) Wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte, kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde.

(2) Als Irrtum über den Inhalt der Erklärung gilt auch der Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden.

(1) Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten.

(2) Hat ein Dritter die Täuschung verübt, so ist eine Erklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben war, nur dann anfechtbar, wenn dieser die Täuschung kannte oder kennen musste. Soweit ein anderer als derjenige, welchem gegenüber die Erklärung abzugeben war, aus der Erklärung unmittelbar ein Recht erworben hat, ist die Erklärung ihm gegenüber anfechtbar, wenn er die Täuschung kannte oder kennen musste.

(1) Wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte, kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde.

(2) Als Irrtum über den Inhalt der Erklärung gilt auch der Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden.

(1) Ein rechtskräftig beendetes Verfahren kann entsprechend den Vorschriften des Vierten Buches der Zivilprozeßordnung wieder aufgenommen werden.

(2) Die Wiederaufnahme des Verfahrens ist ferner zulässig, wenn ein Beteiligter strafgerichtlich verurteilt worden ist, weil er Tatsachen, die für die Entscheidung der Streitsache von wesentlicher Bedeutung waren, wissentlich falsch behauptet oder vorsätzlich verschwiegen hat.

(3) Auf Antrag kann das Gericht anordnen, daß die gewährten Leistungen zurückzuerstatten sind.

Die Restitutionsklage findet statt:

1.
wenn der Gegner durch Beeidigung einer Aussage, auf die das Urteil gegründet ist, sich einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht schuldig gemacht hat;
2.
wenn eine Urkunde, auf die das Urteil gegründet ist, fälschlich angefertigt oder verfälscht war;
3.
wenn bei einem Zeugnis oder Gutachten, auf welches das Urteil gegründet ist, der Zeuge oder Sachverständige sich einer strafbaren Verletzung der Wahrheitspflicht schuldig gemacht hat;
4.
wenn das Urteil von dem Vertreter der Partei oder von dem Gegner oder dessen Vertreter durch eine in Beziehung auf den Rechtsstreit verübte Straftat erwirkt ist;
5.
wenn ein Richter bei dem Urteil mitgewirkt hat, der sich in Beziehung auf den Rechtsstreit einer strafbaren Verletzung seiner Amtspflichten gegen die Partei schuldig gemacht hat;
6.
wenn das Urteil eines ordentlichen Gerichts, eines früheren Sondergerichts oder eines Verwaltungsgerichts, auf welches das Urteil gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftiges Urteil aufgehoben ist;
7.
wenn die Partei
a)
ein in derselben Sache erlassenes, früher rechtskräftig gewordenes Urteil oder
b)
eine andere Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde;
8.
wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder ihrer Protokolle festgestellt hat und das Urteil auf dieser Verletzung beruht.

(1) Die Nichtigkeitsklage findet statt:

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war;
2.
wenn ein Richter bei der Entscheidung mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen war, sofern nicht dieses Hindernis mittels eines Ablehnungsgesuchs oder eines Rechtsmittels ohne Erfolg geltend gemacht ist;
3.
wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war;
4.
wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat.

(2) In den Fällen der Nummern 1, 3 findet die Klage nicht statt, wenn die Nichtigkeit mittels eines Rechtsmittels geltend gemacht werden konnte.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.