Streitig ist, ob der Kläger Anspruch auf Verletztengeld und Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 20 v. H. wegen eines anerkannten Arbeitsunfalls i. S. d. § 8 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) hat.
Der verheiratete Kläger ist am XX.XX.1963 in Marokko geboren und aufgewachsen. Seit 1991 lebt der Kläger in Deutschland und war in verschiedenen Funktionen (Metallschneider, Eisenflechter, Küchenhelfer, Hausmeister, Isolierer, Maler) erwerbstätig. Seit Oktober 2008 war er als Isolierhelfer bei der C-Firma Rohrleitung und Isolierungen in A-Stadt beschäftigt. Am 20.04.2009 erlitt er im Rahmen seiner Tätigkeit einen Unfall, als er sich beim Reinigen von Rohren mit einer ätzenden Substanz (Ethylpyrrolodin-Z-ON, Ethyl-4,4,4-trifluoracetoacetat) wegen undichter Handschuhe die Hände verätzte. Bis zum 30.04.2009 führte der Kläger weiter Reinigungsarbeiten aus.
Am 04.05.2009 begab sich der Kläger erstmals in ärztliche Behandlung bei dem Dr. D. Dieser dokumentierte ekzemartige Hautveränderungen, eine Rötung, Schuppung, eine rhagade Hyperhidrose sowie eine dermatöse Schwellung und diagnostizierte ein toxisches Kontaktekzem an beiden Händen. Der Durchgangsarzt Dr. E. überwies den Kläger in die weitere Behandlung bei Dr. D. und veranlasste eine internistische Untersuchung durch Dr. F. zum Ausschluss einer Reizgasinhalation. In der dortigen Untersuchung am 12.05.2009 ergab sich ein altersentsprechender Normalbefund für die Thoraxorgane.
Am 14.05.2009 stellte sich der Kläger bei dem Facharzt für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie, Klinische Geriatrie Dr. G. wegen rezidivierender Übelkeit vor. Ein pathologischer Befund wurde nicht erhoben.
In einem Befundbericht vom 13.07.2009 beschrieb Dr. D. eine noch deutliche Hyperhidrose palmar beidseits.
Am 15.07.2009 erhob Dr. E. reizlose Haut- und Wundverhältnisse, keine Verätzungsstellen mehr. Der Kläger gebe noch ein Taubheitsgefühl und Kribbeln an sämtlichen Langfingern beider Hände an. Arbeitsunfähigkeit bestehe bis zum 15.07.2009.
Das Arbeitsverhältnis des Klägers wurde nach einem arbeitsgerichtlichen Verfahren vergleichsweise mit Wirkung zum 12.09.2009 beendet.
Die Beklagte stellte die Zahlung von Verletztengeld mit Bescheid vom 08.02.2010, gegen den der Kläger mit Schreiben vom 15.02.2010 Widerspruch einlegte, ein.
Auf Veranlassung der Beklagten erstellte Dr. H. ein fachdermatologisches Gutachten vom 03.05.2010. Er kam zum Ergebnis, dass bei dem Kläger eine Hyperhidrosis II. Grades an beiden Händen sowie die in einem neurologischen Zusatzgutachten von Dr. I. vom 31.03.2010 diagnostizierten Dysästhesien beider Hände vorlägen. Unmittelbar nach dem Unfall sei es zu starken Verätzungserscheinungen mit Rötungen, ödematösen Schwellungen und Schuppung an beiden Händen gekommen. Diese seien nach den ärztlichen Berichten spätestens Ende Juni 2009 abgeklungen gewesen. Bei dem Kläger bestehe als Vorerkrankung eine von diesem selbst berichtete übermäßige Schweißneigung der Hände. Diese sei durch die Verätzung verschlimmert worden. Die MdE betrage 10 v. H. durchgehend.
Mit Bescheid vom 07.07.2010 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente ab, da eine MdE von mindestens 20 v. H. nicht vorliege. Als Unfallfolgen anerkannt würden „Hautrötungen an beiden Händen, Störung des vegetativen Nervensystems mit Zunahme der vorbestehenden übermäßigen Schweißabsonderung und Hautgefühlsstörungen an beiden Händen“ sowie unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bis zum 15.07.2009. Keine Folgen des Unfalls seien eine „vorbestehende vermehrte Schweißabsonderung an beiden Händen, Störungen des Urogenitalbereichs“.
Den hiergegen und gegen den Bescheid vom 08.02.2010 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.04.2011 zurück. Die Verletztengeldzahlung sei zu Recht mit Wirkung zum 12.02.2010 eingestellt worden. Der Gutachter Dr. H. habe festgestellt, dass die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bereits viel früher geendet und maximal bis zum 15.07.2010 vorgelegen habe. Ein Rentenanspruch bestehe nicht. Dr. H. habe in Anlehnung an des Gutachten des Dr. I. ausgeführt, dass aufgrund der Hautrötung an beiden Händen, der Störung des vegetativen Nervensystems mit Zunahme der vorbestehenden übermäßigen Schweißabsonderung und Hautgefühlsstörungen an beiden Händen die MdE nicht höher als mit 10 v. H. einzuschätzen sei. Dr. H. könne zwar keinen direkten Zusammenhang zwischen einer Verätzung, einem toxisch-irritativen Kontaktekzem und einer Hyperhidrose nachweisen, hielte jedoch eine Verschlimmerung der offensichtlich vorbestehenden Hyperhidrose beider Hände durch die toxische Hautschädigung und den anschließenden emotionellen Stress für möglich. Dieser Ansicht habe man sich angeschlossen und eine MdE von 10 v. H. anerkannt.
Mit seiner am 24.05.2011 beim Sozialgericht München eingelegten Klage begehrt der Kläger weiterhin die Zahlung von Verletztengeld sowie einer Verletztenrente. Er leide infolge des Arbeitsunfalls an übermäßigem Schwitzen in den Händen, außerdem als Reaktion auf die schweren psychischen Belastungen an einer Anpassungsstörung, an einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Folgen, an Schmerzen in den Extremitäten und an Depressionen. Die Beeinträchtigungen seien dauerhaft. Er sei von einer Rehamaßnahme der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd als arbeitsunfähig entlassen worden. Zum Nachweis legt der Kläger unter anderem ein Attest des Neurologen Dr. K. vom 24.02.2010 vor, der einen „Zustand nach Arbeitsunfall, depressive Reaktion“ diagnostiziert hat. Außerdem einen Bericht der psychosomatischen Klinik C-Stadt über eine Rehamaßnahme in der Zeit vom 22.02.2011 bis 29.03.2011. In dem Bericht sind als Aufnahmebefund eine Minderung der Sensibilität der linken Fußsohle D1 und D2, schweißige Hände und Füße und Verspannungen im Halswirbelsäulenbereich vermerkt. Die Biographie des Klägers wird als sehr belastet mit multiplen und länger dauernden, menschlich verursachten Traumatisierungen wiedergegeben. Die Mutter des Klägers habe wegen Misshandlungen durch den Vater die Familie verlassen, als der Kläger sechs Monate alt gewesen sei. Die Mutter lebe heute in Belgien. Der Kläger habe massive Gewalterfahrungen und Misshandlungen durch den Vater über viele Jahre hinweg, praktisch bis zu seiner Auswanderung, geschildert. Darüber hinaus sei er als Kind dreimal von verschiedenen Personen, auch unter Bedrohung seines Lebens, vergewaltigt worden, außerdem sei er Opfer weiterer Misshandlungen (200 Schläge auf die Fußsohlen) geworden. In erster Ehe sei der Kläger mit einer deutschen Frau verheiratet gewesen, mit der er einen gemeinsamen Sohn habe. Diese sei psychotisch erkrankt. Der Kläger habe nach der Scheidung das alleinige Sorgerecht gehabt, später sei der Sohn jedoch vom Jugendamt in einer Pflegefamilie untergebracht worden. Inzwischen sei der Kläger mit einer 29-jährigen Russin verheiratet, die an multipler Sklerose leide. Aus der Ehe entstammten drei Kinder, mit dem vierten Kind sei die Ehefrau schwanger. Im psychotherapeutischen Verlauf wird angegeben, dass der Kläger dazu tendiere, sich zurückzuziehen und Kommunikation in erster Linie über Schmerzklagen aufzubauen. Er sei im Bezug auf seine körperlichen Beschwerden und Schmerzen stark somatisch orientiert und habe einem psychischen Erklärungsmodell skeptisch bis ablehnend gegenüber gestanden. Die Problematik eines Rechtsstreites mit der Berufsgenossenschaft wegen der Fortsetzung der Verletztengeldzahlung sei sicherlich nicht ohne Bedeutung. Die Entlassungsdiagnosen lauteten auf eine Reaktion auf schwere Belastung, eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren und Schmerzen in den Extremitäten nicht näher bezeichnete Lokalisationen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens auf hautärztlichem Fachgebiet von Dr. C. vom 04.06.2012. Dieser führte aus, dass die Stoffe Ethylpyrrolodin-Z-ON und Ethyl-4,4,4-trifluoracetoacetat keinerlei allergisches Sensibilisierungspotential hätten, jedoch, wenn auch nur schwach, hautreizend seien. Eine tiefer gehende toxische Schädigung der Haut im Sinne einer Verätzung sei allein schon aus diesem Grund unwahrscheinlich. Noch unwahrscheinlicher sei ein Verlauf mit zunehmender Ausprägung der Hautveränderungen (Crescendo) über etwa zwei bis drei Wochen. Eine bleibende Schädigung von Hautstrukturen, etwa mit narbigen Residuen, finde sich definitiv nicht. Es handele sich beim Kläger also um ein, bis dato einmaliges, Ekzemgeschehen, wobei offen bleiben müsse, ob es sich um eine allergische bzw. toxische Reaktion oder einen einmaligen Schub einer Neurodermitis handelte. Bezüglich der mäßig ausgeprägten Hyperhidrose im Bereich beider Hände sei festzuhalten, dass bei dem Kläger derartige Beschwerden offenbar bereits vor dem Jahr 2009 bestanden hätten und möglicherweise durch eine längerfristige Behandlung mit Psychopharmaka verstärkt worden seien. Die Hyperhidrose trete wohl auch an den Füssen auf. Ein Zusammenhang dieser verstärkten Schweißneigung mit der Einwirkung der angeschuldigten beruflichen Noxen sei schlicht nicht vorstellbar. Eine verstärkte Schweißneigung sei stets Ausdruck einer nervalen Fehlsteuerung mit erhöhtem Sympathikotonus. Der Vorgutachter Dr. H. habe ebenfalls ausdrücklich darauf hingewiesen, dass für einen derartigen Pathomechanismus in der Literatur jegliche Hinweise fehlten, habe dennoch eine MdE von 10 v. H. hierfür angesetzt, was in keiner Weise nachvollziehbar sei. Auch für die vom Kläger angegebenen Schmerzen in Bereich der Hände sei ein Zusammenhang mit der seinerzeitigen Hautreaktion absolut nicht erkennbar. Verletzungsfolgen in Form von Vernarbungen bestünden nicht. Ein Carpaltunnelsyndrom habe durch den neurologischen Untersucher seinerzeit wegen mangelnder Kooperation nicht ausgeschlossen werden können. Zu denken sei insbesondere an eine periphere Neuropathie bei schwerer Leberschädigung und Diabetes mellitus Typ II. Hierfür könnten die nachgewiesenen Sensibilitätsstörungen auch im Bereich der Füße sprechen. Die symmetrische flächenhafte diffuse Rötung beider Handflächen (Palmaerythem) stünde zweifelsohne nicht in Zusammenhang mit der seinerzeitigen Hautschädigung. Ein solches Phänomen trete entweder ohne erkennbare Ursache (idiopathisch) oder in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle im Rahmen innerer Erkrankungen, vorzugsweise einer Leberschädigung auf, wie sie beim Kläger offenbar vorliege. Im Ergebnis sei festzuhalten, dass es bei dem Kläger nach Hautkontakt mit beruflichen Noxen wegen Tragens ungeeigneter Schutzhandschuhe am 20.04.2009 zu einer ekzematösen Hautreaktion im Bereich beider Handflächen und der Finger gekommen sei. Nach entsprechender Lokalbehandlung sei es innerhalb weniger Wochen zur vollständigen Abheilung und Wiederherstellung der vollen Funktionsfähigkeit der Haut beider Hände gekommen. Ob tatsächlich ein strenger Kausalzusammenhang bestehe, oder ob es sich möglicherweise um einen durch psychische Irritationen ausgelösten Schub einer Neurodermitis handelte, lasse sich nicht mehr sicher klären. Eine MdE liege nicht vor, da die Hautveränderungen folgenlos verheilt seien. Die Hyperhidrose und das Palmaerythem stünden mit Sicherheit nicht in Zusammenhang mit der seinerzeitigen Hautkrankheit, ebenso wenig wie eine Schmerzsymptomatik. Arbeitsunfähigkeit habe maximal für sechs Wochen bis zum 04.06.2009 bestanden.
Der Kläger konnte sich dem Gutachten nicht anschließen. Insbesondere sei ein neurologisches Gutachten erforderlich, ob der Unfall Auslöser des Schmerzsyndroms sein könne. Zudem sei fraglich, ob der Leberschaden durch den Unfall ausgelöst sein könne. Aus einem beim Sozialgericht wegen Erwerbsminderungsrente (Az.) betriebenen Klageverfahren legte der Kläger ein Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. Dr. L. vom 15.10.2012 vor. Dieser kam zum Ergebnis, dass der Kläger nur leichte Arbeiten unter drei Stunden arbeitstäglich verrichten könne, wobei es sich um einen Dauerzustand handele. Ursächlich hierfür erachtete Dr. Dr. L. die ungewöhnlich schwierige Biographie des Klägers mit den multiplen Traumata und dem daraus resultierenden polytopen Schmerzsyndrom von wechselhafter Ausgestaltung, die erhebliche affektive Instabilität und die Reduktion von Ausdauer und Durchhaltefähigkeit. Der Kläger sei aufgrund seiner desolaten Biographie in sehr grundsätzlichen und basalen Fertigkeiten der interpersonalen Selbststeuerung massiv defizitär angelegt. Diese Defizite würden bei gegenläufigen Anforderungen mit akzentuierter Schmerzwahrnehmung und einer Fülle von somatoformen Ausgestaltungen bewusstseinsfern beantwortet.
Der Kläger legte außerdem zahlreiche weitere ärztliche Unterlagen vor und machte unter anderem auch Erkrankungen im Mundraum, einen Verlust des Geruchs- und Geschmacksinns sowie Augenbrennen als Unfallfolgen geltend.
Das Gericht zog einen Befundbericht des Prof. Dr. Dr. M. (Kreiskliniken A-Stadt) vom 07.09.2012 bei, in dem eine hochgradige portale Fibrose mit beginnendem zirrhotischen Leberumbau bei seit Jahren bekannter chronischer Hepatitis B-Infektion (Fibrose-Staging IV - V/VI) geschildert wird.
Außerdem wurde von Amts wegen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet ein Sachverständigengutachten von Dr. F. vom 23.02.2013 eingeholt. Dieser führte aus, dass in Zusammenhang mit dem Ereignis vom 20.04.2009 als zu objektivierende Störung bei dem Kläger nur eine vermehrte Schweißneigung im Sinne einer vegetativen Störung vorliege. Diese sei jedoch bereits vor dem Unfall vorübergehend aufgetreten. Es sei denkbar, dass es durch das Ereignis vom 20.04.2009 zu einer zeitweisen emotionalen Labilisierung des Klägers gekommen sei auf dem Boden einer anlagebedingten bzw. psycho-traumatisch verursachten Schädigung des vegetativen Nervensystems. Durch die Labilisierung könne eine vermehrte Schweißneigung im Bereich beider Hände aufgetreten sein. Das Fortbestehen dieser vermehrten Schweißneigung sei sicherlich nicht mehr dem Ereignis vom 20.04.2009 zuzuordnen. Bei dem Kläger bestehe eine erhöhte affektive Irritierbarkeit, die zu unterschiedlichsten Symptomen und Gesundheitsstörungen führe, dies vor dem Hintergrund psychotraumatischer Erfahrungen. Die beim Kläger beschriebenen Gesundheitsstörungen Zervikobrachialgie rechts, Schultergelenkschmerzen beidseits, chronisches Schmerzsyndrom, Hautekzeme beidseits, Anpassungsstörungen, chronische Hepatitis B, Leberzirrhose, Sigmadivertikulose, Diabetes Typ II und rezidivierende Depressionen (Schreiben des Schmerzzentrums Inn-Salzach vom 14.02.2013) könnten nicht dem Arbeitsunfall zugeschrieben werden. Eine depressive Symptomatik bzw. eine Anpassungsstörung könne nicht objektiviert werden. Arbeitsunfallbedingte Arbeitsunfähigkeit auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet habe nicht vorgelegen.
In einem auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholten schmerztherapeutischen Sachverständigengutachten vom 24.09.2014 diagnostizierte Dr. D. ein chronisches Schmerzsyndrom Grad 3 nach Gerbershagen, eine ausgeprägte Persönlichkeitsänderung durch das chronische Schmerzsyndrom, eine anhaltende schwere somatoforme Schmerzstörung, eine Somatisierungsstörung mit funktionellen-vegetativen Beschwerden, Knieschmerzen beidseits (degenerative Ursache), Fußgewölbeschmerzen links bei Nervenfibrose (Z. n. Fuß-OP) und ein Schon- und Vermeidungsverhalten. Aufgrund der ausgeprägten Schmerzverarbeitungsstörung und der multilokären Schmerzangaben (bei fehlenden objektiven Befunden, d. h. fehlenden nachweisbaren körperlichen Schmerzursachen) könne auf eine ausgeprägte Persönlichkeitsstörung mit reaktiven Störungen und auf eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung geschlossen werden. Das Ereignis des Verätzungsunfalls an beiden Händen vom 20.04.2009 sei für die chronischen Schmerzsymptome nicht bedeutsam durch die (sicherlich vorhandenen) vorübergehenden Hautschädigungen verursacht gewesen. Körperliche und schmerzrelevante Befunde, die einen kausalen Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall haben könnten, habe er nicht finden können. Vielmehr sei die Aussage des Sachverständigen Dr. C. wegweisend, dass für die vom Kläger „angegebenen Schmerzen ein Zusammenhang mit der seinerzeitigen Hautreaktion absolut nicht erkennbar“ sei. Das Unfallereignis und die erheblichen psychosozialen Auswirkungen für den Kläger hätten allerdings zu einer Auslösung und Verschlimmerung der bereits vorbestehenden oder latent vorhandenen somatoformen Schmerzen und der Somatisierungsneigung des Klägers geführt. Hierfür seien die große Belastungssituation und die Traumatisierungen, die der Kläger in der Kindheit und Jugend erfahren habe, hinweisend. Menschen mit derartiger Biographie und Anamnese reagierten sehr häufig im Laufe ihres Lebens mit der Entwicklung von ausgeprägten somatoformen Störungen. Dabei gebe es sicherlich Ereignisse im Laufe eines Lebens, die dann mittelbar auslösende Funktion hätten für die vorbestehenden Veranlagungen und Reaktionsbereitschaften. Dies treffe nach seiner Auffassung auf den vorliegenden Fall mit Wahrscheinlichkeit zu. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und eine MdE auf schmerzmedizinischem Fachgebiet hätten nicht vorgelegen.
Der Kläger ist der Auffassung, dass die Vorbelastung durch seine frühkindlichen Erfahrungen die Kausalität des Arbeitsunfalls für die bestehenden Beschwerden und Einschränkungen der Funktionalität beider Hände nicht entfallen ließe. Es sei nicht nachvollziehbar, dass der Arbeitsunfall die bereits vorhandene Disposition zu einer somatoformen Schmerzstörung ausgelöst habe, da keine entsprechenden Vordiagnosen auf eine somatoforme Schmerzstörung vorlägen. Es sei irrelevant, dass er inzwischen die Schmerzen in den sonstigen Körperteilen auf den Unfall zurückführe. Relevant sei, dass die Schmerzen und Bewegungseinschränkungen in den Händen auf den Unfall zurückzuführen seien.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 12.02.2010 sowie vom 07.07.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.04.2011 zu verurteilen, Verletztengeld über den 12.02.2010 hinaus und eine Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v. H. zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verweist darauf, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den geltend gemachten Beschwerden und Erkrankungen und dem Unfallereignis vom 20.04.2009 nicht nachvollzogen werden könnten. Soweit der Kläger eine Lebererkrankung geltend mache, sei darauf hinzuweisen, dass es sich bei der festgestellten chronischen Leberentzündung um eine Hepatitis-B-Erkrankung handele, welche aufgrund einer Infektion mit Hepatitis-B-Viren entstehe. Ein Zusammenhang mit dem während der Arbeit verwendeten Reinigungsmittel sei nicht plausibel. Des Weiteren sei darauf hinzuweisen, dass in einem Bericht des Schmerzzentrums Inn-Salzach vom 16.10.2012 vom Kläger angegeben sei, dass die Schmerzzustände schon seit über 5 Jahren bestünden. Es sei daher davon auszugehen, dass der Kläger bereits vor dem Arbeitsunfall an einer Schmerzstörung gelitten habe. Im Übrigen sieht sich die Beklagte durch das Ergebnis der gerichtlichen Beweiserhebung in ihren Entscheidungen insgesamt bestätigt.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 07.04.2015 wurden die Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid angehört.
Das Gericht hat die Prozessakte S 23 U 198/10 ER, die Akten der Beklagten, die Schwerbehindertenakte des Zentrums Bayern Familie und Soziales sowie die Akte der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Klageakte sowie der beigezogenen Akten Bezug genommen.
Das Gericht konnte gem. § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten haben.
Die Klage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsverfahrens form- und fristgerecht (§§ 87, 90, 92 Sozialgerichtsgesetz -SGG) beim zuständigen Sozialgericht München eingelegt und ist zulässig.
In der Sache erweist sich die Klage jedoch als unbegründet. Die Bescheide der Beklagten vom 12.02.2010 sowie vom 07.07.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.04.2011 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat weder Anspruch auf die Gewährung von Verletztengeld über den 12.02.2010 hinaus noch auf die Zahlung einer Verletztenrente.
Das Gericht hat nach Durchführung der umfangreichen Beweiserhebung, insbesondere durch die eingeholten bzw. beigezogenen Gutachten der Dres. C., F., D. und L. keinen Zweifel daran, dass bei dem Kläger Arbeitsunfähigkeit infolge des anerkannten Arbeitsunfalls vom 20.04.2009 lediglich bis zum 15.07.2009 bestanden hat und durch den Arbeitsunfall keine Unfallfolgen verursacht worden sind, die eine im Sinne des § 56 Abs. 1 SGB VII rentenberechtigende MdE von mindestens 20 v. H. über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus bedingen würden.
Bezüglich des dermatologischen Fachgebiets stützt sich das Gericht auf das schlüssige und vollkommen überzeugende Gutachten des Sachverständigen Dr. C. vom 04.06.2012, der nach persönlicher Begutachtung des Klägers und Auswertung sämtlicher vorliegender Befundberichte zum Ergebnis gekommen ist, dass es bei dem Kläger durch den Arbeitsunfall vom 20.04.2009 lediglich zu einem einmaligen klinisch typischen schweren Ekzemschub an beiden Händen mit typischem Verlauf und vollständiger Abheilung innerhalb weniger Wochen gekommen ist. Diese Einschätzung hat Dr. C. nachvollziehbar damit begründet, dass eine tiefergehende toxische Schädigung der Haut im Sinne einer Verätzung bei den verwendeten Stoffen Ethylpyrrolodin-Z-ON und Ethyl-4,4,4-trifluoracetoacetat schon deshalb unwahrscheinlich ist, weil diese Stoffe zwar (schwach) hautreizend sein können, jedoch keinerlei allergisches Sensibilisierungspotential haben. Auch der Crescendo-Verlauf über zwei bis drei Wochen spricht ebenso gegen eine Verätzung wie das Fehlen einer bleibenden Schädigung von Hautstrukturen, etwa in Form von narbigen Residuen. Dr. C. stützt sich außerdem auf die vom Kläger auf Papierausdruck zur Akte gereichten Fotos von ca. zwei bis drei Wochen nach dem Unfall. Auf diesen zeigt sich eine randbetonte flächenhafte Abschuppung im Bereich beider Handteller und der Finger, was sich als Abschilferung der an den Handflächen sehr dicken Hornschicht - und nicht etwa wie vom Kläger behaupteten „Ablösung der Haut“ - und als typischer klinischer Befund eines subklinischen subakut bis chronischem dyshidrosiformen Handekzem darstellt. Die Ausheilung innerhalb kürzerer Zeit ist durch die Befundberichte der behandelnden Ärzte Dr. D. vom 12.06.2009 und des Durchgangsarztes Dr. E. vom 15.07.2009 zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen.
Soweit bei dem Kläger neben dem unfallbedingten, vorübergehenden Ekzem eine Hyperhidrosis vorliegt, ist diese nicht unfallbedingt, denn diese erhöhte Schweißneigung lag bei dem Kläger nach seinen eigenen Angaben bereits vor dem Unfall vor, und betraf bzw. betrifft nicht nur die Hände, sondern auch die Füße, was sich aus dem Aufnahmebefund der Rehaklinik C-Stadt entnehmen lässt. Zudem ist nach Dr. C. ein Zusammenhang der erhöhten Schweißneigung mit den angeschuldigten beruflichen Noxen ausgeschlossen.
Das beim Kläger bestehende Palmaerythem ist ebenfalls als nicht unfallbedingt anzusehen, da ein solches, wie Dr. C. darlegte, entweder ohne erkennbare Ursache oder in Zusammenhang mit einer inneren Erkrankung, insbesondere einer Leberschädigung, wie sie beim Kläger vorliegt, auftritt.
Auch auf neurologisch-psychiatrischem bzw. schmerzmedizinischem Fachgebiet ergeben sich keine zu berücksichtigenden Unfallfolgen. Zur Überzeugung des Gerichts spielen für die beim Kläger unzweifelhaft vorliegenden Schmerzen nicht nur im Bereich der Hände, sondern in vielen Bereichen des Körpers, sowie für die ausgeprägte Somatisierungsstörung die Traumatisierungen des Klägers in seiner Kindheit und Jugend, und die aktuelle Belastungssituation die maßgebliche Rolle. Der Arbeitsunfall vom 20.04.2009 ist demgegenüber nur als sogenannte „Gelegenheitsursache“ anzusehen. Diesbezüglich haben Dr. F. und Dr. D. dargelegt, dass das Auftreten einer vegetativen Nervensystemstörung im Bereich der Hände durch die dermatologische Erkrankung mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist. Ein Erythem der Hände kann die ausgeprägten Schmerzen, die beim Kläger - über den ganzen Körper verteilt - vorliegen (immerhin mit Grad III nach Gerbershagen die höchste Stufe), nicht erklären. Eine allenfalls zu diskutierende neuropathische Schmerzkomponente (d. h. von den Nervenendigungen der Haut ausgehende Schmerzen) ist ebenfalls auszuschließen, da bei dem Kläger das früher eingenommene Medikament Lyrica Wirkung hätte zeigen müssen. Es spricht daher viel mehr dafür, dass bei dem Kläger gemäß den Leitlinien der schmerzmedizinischen Begutachtung ein Schmerzsyndrom der Kategorie „Schmerz als Ausdruck einer psychischen Erkrankung mit schwerer somatoformer Störung“ gegeben ist. Laut Dr. D. reagieren Menschen mit einer Biographie und Anamnese wie der des Klägers sehr häufig auf ihre Erlebnisse und Traumata mit der Entwicklung von ausgeprägten somatoformen Störungen, mittelbar ausgelöst durch ein Ereignis wie etwa dem vom Kläger erlittenen Arbeitsunfall vom 20.04.2009. In einer solchen Konstellation ist der Arbeitsunfall dann zwar „äußerer Anlass“ für das Zutage treten der somatoformen Störung, nicht jedoch - im Sinne der im Sozialrecht anzuwendenden Theorie der rechtlich wesentlichen Bedingung - Ursache.
Soweit der Kläger demgegenüber geltend macht, dass die Einschätzung Dr. C. nicht nachvollziehbar sei, weil keine Vordiagnosen auf eine Veranlagung zu einer somatoformen Schmerzstörung bestünden, kann dem nicht gefolgt werden. Aus dem Befundbericht des Dr. G. vom 14.05.2009 lässt sich entnehmen, dass der Kläger bereits im Jahr 2000 wegen einer Somatisierungsstörung in Behandlung gewesen ist. Auch hat der Kläger offensichtlich schon Jahre vor dem Arbeitsunfall unter Schmerzzuständen gelitten (vgl. Bericht des Schmerzzentrums Inn-Salzach vom 16.10.2012). Schließlich bestätigt auch das im Rentenverfahren eingeholte Gutachten des Dr. Dr. L. die Einschätzung der Sachverständigen Dr. F. und Dr. D.. Denn auch Dr. Dr. L. sieht die ungewöhnlich schwierige Biographie des Klägers mit den multiplen Traumata als Ursache für das polytope Schmerzsyndrom von wechselhafter Ausgestaltung. Dr. Dr. L. legte überzeugend dar, dass der Kläger aufgrund seiner desolaten Biographie in sehr grundsätzlichen und basalen Fertigkeiten der interpersonalen Selbststeuerung massiv defizitär angelegt ist und dass diese Defizite bei gegenläufigen Anforderungen mit akzentuierter Schmerzwahrnehmung und einer Fülle von somatoformen Ausgestaltungen bewusstseinsfern beantwortet.
Auch auf anderen Fachgebieten sind keine Unfallfolgen zu berücksichtigen. Wie die Beklagte in Bezug auf die vom Kläger als Unfallfolge geltend gemachte Leberzirrhose zutreffend vorgetragen hat, ist die Entstehung der Leberzirrhose in Zusammenhang mit der bereits vor dem Arbeitsunfall bestehenden, durch eine Virusinfektion verursachte Hepatitis-B-Erkrankung zu sehen.
Soweit der Kläger außerdem unter Bezugnahme auf zahlreiche weitere ärztliche Unterlagen Erkrankungen im Mundraum, einen Verlust des Geruchs- und Geschmacksinns sowie Augenbrennen als Unfallfolgen geltend macht, ist ein ursächlicher Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall vom 20.04.2009 ebenfalls nicht wahrscheinlich zu machen. Denn aus den zeitnah zum Arbeitsunfall erhobenen Befunden bei Dr. D. und Dr. E. ergeben sich keine Hinweise auf eine Schädigung im Mundraum oder im Bereich der Augen. Diagnostiziert wurden lediglich die Hautveränderungen im Bereich der Hände. Die internistische Untersuchung zum Ausschluss eines Reizgasinhalationstraumas bei Dr. F. blieb ohne pathologischen Befund.
Ein Anspruch auf Verletztenrente besteht daher nicht.
Da das unfallbedingte Hautekzem bereits zum 15.07.2009 ausgeheilt war und keine weiteren Unfallfolgen vorliegen, kann auch kein Verletztengeld über den 12.02.2010 hinaus gezahlt werden, denn nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII wird Verletztengeld nur erbracht, wenn der Versicherte infolge des Versicherungsfalls arbeitsunfähig ist.
Nach alledem konnte die Klage keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.