Sozialgericht Landshut Urteil, 06. Aug. 2015 - S 4 KR 159/14

bei uns veröffentlicht am06.08.2015

Gericht

Sozialgericht Landshut

Tenor

I.

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 15.01.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.05.2014 verurteilt, der Klägerin die beantragte operative Reduktion des Adamsapfels zu gewähren.

II.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die operative Reduktion des Adamsapfels der transsexuellen Klägerin.

1.

Bei der am ... 1985 als Mann geborenen Klägerin erfolgte in Thailand eine geschlechtsangleichende Operation mit begleitender Hormontherapie.

2.

Unter Vorlage von ärztlichen Stellungnahmen des Oberarztes der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde des Klinikums der Universität C-Stadt PD. Dr. med. ... vom 06.11.2013 und der Leiterin der Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie des Klinikums der Universität C-Stadt Dr. med. ... vom 12.11.2013 sowie des Protokolls und des Beschlusses des Amtsgerichts München - Vormundschaftsgericht - zur Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit nach dem Transsexuellengesetz vom 02.10.2012 beantragte die Klägerin am 12.11.2013 die Kostenübernahme für eine stationäre Krankenhausbehandlung im Klinikum der Universität C-Stadt.

Auf Veranlassung der Beklagten wurde der Medizinische Dienst der Krankenversicherung in Bayern (MDK Bayern) zur Frage der stimmerhöhenden Operation zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) beteiligt. Der MDK Bayern kam in seiner Stellungnahme nach Aktenlage vom 11.12.2013 zum Ergebnis, dass die Kostenübernahme für eine stimmerhöhende Operation aus HNO-ärztlicher Sicht zulasten der GKV nicht empfohlen werden könne, da die Verfahren nicht ausreichend untersucht seien. Ein Eingriff zur Reduktion des Adamapfels könne ebenfalls nicht zulasten der GKV empfohlen werden, da eine Entstellung nicht nachgewiesen sei.

Mit Bescheid vom 15.01.2014 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab.

Für die stimmerhöhende Operation liege keine medizinische Notwendigkeit einer akut-stationären Krankenhausbehandlung vor. Diese Art der Operation sei bei einer Mann-zu-Frau-Transsexualität grundsätzlich keine Leistung der GKV. Die Sozialrechtsprechung habe dies bisher nicht bestätigt.

Ein Eingriff zur Reduktion des Adamsapfels könne ebenfalls nicht übernommen werden. Es sei keine Entstellung nachgewiesen.

Mit Schreiben vom 10.02.2014 legte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin gegen den Bescheid der Beklagten vom 15.01.2014 Widerspruch ein.

Der Bescheid habe einen Eingriff zur Reduktion des Adamsapfels zu Unrecht abgelehnt. Die Begründung, es sei keine Entstellung nachgewiesen, sei nach der neuesten Rechtsprechung des BSG überholt und sei nicht mehr haltbar.

Unter Vorlage und Bezugnahme auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11.09.2012 - Az.: B 1 KR 11/12 R, Rdnr. 25 und auf ein Foto der Klägerin begründete die Prozessbevollmächtigte den Widerspruch.

Der Adamsapfel der Klägerin sei deutlich sichtbar und weise sie - zu Unrecht - als Mitglied des männlichen Geschlechts aus.

Nach nochmalig ablehnender Stellungnahme des MDK vom 10.03.2014 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 14.05.2014 der Widerspruch zurückgewiesen.

Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 Sozialgesetzbuch (SGB)V in Verbindung mit § 39 SGB V bestehe Anspruch auf Kostenübernahme für eine Krankenhausbehandlung nur dann, wenn eine Krankenbehandlung akut erforderlich ist und ausschließlich mit den besonderen apparativen und personellen Mitteln eines Krankenhauses erfolgversprechend erscheint. Dabei sei eine stationäre Krankenhausbehandlung nur dann zu bewilligen, wenn das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann.

Eine Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung sei ein über kosmetische Defizite hinaus gehender regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf. Nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit komme Krankheitswert im Rechtssinne zu. Die Rechtsprechung des BSG habe diese Grundvoraussetzung für die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht vielmehr dahingehend präzisiert, dass eine Krankheit nur vorliegt, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (BSG, Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 3/03 R -).

Nach den Feststellungen des MDK in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom 11.12.2013 sei eine stationäre Krankenhausbehandlung medizinisch nicht notwendig. Der Gutachter habe ausgeführt, dass eine behandlungsbedürftige Erkrankung des Adams-apfels selbst nicht vorliegt. Anhand der vorgelegten Unterlagen könnten medizinische Gründe für die Notwendigkeit der begehrten Maßnahme, etwa in der Art des Vorliegens einer Behinderung oder Funktionsstörung, ausgeschlossen werden. Eine Entstellung sei ebenfalls nicht gegeben.

Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus ihrer Widerspruchsbegründung vom 10.02.2014. Das von der Klägerin beigefügte BSG-Urteil, AZ: B 1 KR 11/12R, vom 11.09.2012 sage eindeutig aus, dass allein das subjektive Empfinden eines Versicherten die Regelwidrigkeit und die daraus abgeleitete Behandlungsbedürftigkeit eines Zustandes nicht zu bestimmen vermag. Maßgeblich seien vielmehr objektive Kriterien, nämlich der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse und, ob der objektive Zustand einer körperlichen Auffälligkeit von so beachtlicher Erheblichkeit aufweist, dass sie die Teilhabe am Leben der Gemeinschaft gefährden.

Der MDK habe hierzu in seiner weiteren Beurteilung vom 10.03.2014 ausgeführt, dass eine Entstellung, die für eine Kehlkopfverkleinerung zulasten der Krankenkasse notwendig wäre, bei der Klägerin nicht vorliegt. Die Voraussetzungen für eine stationäre Krankenhausbehandlung bezüglich einer Reduktion des Adamsapfels seien somit weiterhin nicht gegeben.

3.

Gegen den Bescheid vom 15.01.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.05.2014 hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 27.05.2014 Klage erhoben und diese mit dem Schriftsatz vom 10.06.2014 begründet.

Sowohl der Erstbescheid als auch der Widerspruchsbescheid hätten die beantragte Maßnahme mit der Begründung abgelehnt, es liege keine Entstellung vor. Diese Begründung sei nach der neuesten Rechtsprechung des BSG von 2012 überholt. Das von der Beklagten im Widerspruchsbescheid zitierte Urteil des BSG von 2004 sei nicht mehr maßgeblich. Die Stellungnahmen des MDK würden ebenfalls von falschen, nicht mehr gültigen Voraus-setzungen ausgehen, wenn sie die medizinische Notwendigkeit der beantragten Behandlung mit der Begründung ablehnen, es liege keine Entstellung vor.

Die Begründung der Beklagten im Widerspruchsbescheid, allein das subjektive Empfinden einer Versicherten vermöge die Regelwidrigkeit eines Zustandes nicht zu bestimmen, liege neben der Sache. Der bei der Klägerin vorliegende Adamsapfel sei ein objektiv feststellbarer Befund, der die Klägerin eindeutig dem männlichen Geschlecht zuordnet, und nicht bloß ein subjektives Empfinden der Klägerin. Es gebe keine Frau mit einem derartig ausgeprägten Adamsapfel, wie er bei der Klägerin vorliegt. Dazu sei mit der Widerspruchsbegründung ein aussagekräftiges Foto vorgelegt worden. Das zitierte und der Beklagten mit der Widerspruchsbegründung übersandte Urteil des BSG vom 11.09.2012 (Az.: B 1 KR 11/12 R) führe unter Rdnr. 21 aus, die Ansprüche seien beschränkt auf einen Zustand, der aus der Sicht eines verständigen Betrachters dem Erscheinungsbild des anderen Geschlechts deutlich angenähert ist (S. 8 oben). Es bedürfe keiner näheren Ausführungen dazu, dass bei einem so markanten Adamsapfel von einer deutlichen Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts keine Rede sein kann.

Die von der Beklagten zitierte Rdnr. 15 des BSG und die darin aufgeworfene Frage, ob der objektive Zustand eine körperliche Auffälligkeit von so beachtlicher Erheblichkeit darstellt, dass sie die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gefährdet, betreffe nicht die Frage, in welchem Umfang die Krankenkasse bei Transsexualismus leistungspflichtig ist. Der Senat habe in den Rdnr. 16ff dargelegt, dass bei Transsexualismus eine besondere, weitergehende Betrachtungsweise notwendig ist. Deshalb spreche der Senat zu Beginn der Rdnr. 25 von einem gegenüber der bisherigen Rechtslage geänderten rechtlichen Ausgangspunkt des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung, der es ausschließe, die Reichweite des Anspruchs primär anhand von Kriterien des Behandlungsanspruchs wegen Entstellung zu umreißen.

Mit dem als Anlage übersandten Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 15.05.2013 (Az.: L 5 KR 5363/12) sei in Anwendung der Grundsätze der neuen BSG-Rechtsprechung die beklagte Krankenkasse dazu verurteilt worden, der Klägerin eine operative Gesichtsharmonisierung im Bereich der Stirn und des Kinns zu gewähren. In diesem entschiedenen Fall habe die Krankenkasse der Klägerin eine Kehlkopfkorrektur gewährt.

Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt,

1) Der Bescheid der Beklagten vom 15.01.2014, in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.05.2014, wird aufgehoben.

2) Die Beklagte wird verurteilt, für die beantragte Reduktion/Korrektur des Adamsapfels eine Kostenzusage zu erteilen.

3) Die Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte erwiderte mit den Schriftsätzen vom 05.06.2014, 24.07.2014 und 14.08.2014 unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Widerspruchsbescheides vom 14.05.2014 und die Stellungnahme des MDK vom 14.07.2014.

Mit Schriftsatz vom 05.08.2014 hat die Prozellbevollmächtigte der Klägerin klargestellt, dass Streitgegenstand nur die operative Korrektur des Adamsapfels ist, nicht aber die stimmerhöhende Operation.

Aufgrund der gerichtlichen Anforderung übermittelte die Beklagte die Begutachtungsan-leitung „Geschlechtsangleichende operative Maßnahmen bei Transsexualität“ von MDS und GKV Stand 19.05.2009.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 16.04.2015 erging ein Hinweis zu den bisherigen Beteiligungen des MDK durch die Beklagte verbunden mit der Anregung einer nochmaligen Beteiligung unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des BSG und der Begutachtungsanleitung von MDS und GKV. Außerdem erging ein Hinweis zum rechtlichen Maßstab für die Beurteilung des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Operationen in Anlehnung an das Urteil des BSG vom 11.09.2012 - B 1 KR 9/12 R.

Mit Schriftsatz vom 11.05.2015 übermittelte die Beklagte die Stellungnahme des MDK vom 24.04.2015. Eine Leistungspflicht der GKV wurde erneut mangels Entstellung abgelehnt.

Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin erwiderte mit Schriftsatz vom 29.05.2015 auf die MDK-Stellungnahme unter Bezugnahme auf den richterlichen Hinweis vom 16.04.2015 und die BSG-Rechtsprechung.

Auf die richterliche Bitte vom 03.06.2015 hin übermittelte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin Fotos der Klägerin.

Die mündliche Verhandlung hat am 06.08.2015 stattgefunden.

Ergänzend wird auf die Gerichtsakten, die beigezogenen Akten der Beklagten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 06.08.2015 verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

1.

Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 15.01.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.05.2014 und der Anspruch auf eine operative Korrektur des Adamsapfels der Klägerin. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und zu beanstanden, da für das Gericht feststeht, dass die Klägerin einen Anspruch gegen die Beklagte auf die beantragte operative Reduktion des Adamsapfels hat.

2.

Rechtsgrundlage des geltend gemachten Leistungsanspruchs auf eine operative Reduk-tion/Korrektur des Adamsapfels der Klägerin ist § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V.

Zum Transsexualismus und zu den von der GKV insoweit zu erbringenden Behandlungsleistungen hat das BSG mit seinem Urteil vom 11.09.2012 - B 1 KR 9/12 R hinsichtlich der Ansprüche auf geschlechtsangeleichende Operationen von Transsexuellen entschieden (vgl. richterlicher Hinweis vom 16.04.2015).

Das BSG ist davon ausgegangen, dass transsexuelle Versicherte nach § 27 Abs. 1 SGB V Anspruch auf geschlechtsangleichende Behandlungsmaßnahmen einschließlich chirurgischer Eingriffe in gesunde Organe zur Minderung ihres psychischen Leidensdrucks haben können, um sich dem Erscheinungsbild des angestrebten anderen Geschlechts deutlich anzunähern (dazu a.). Die Reichweite des Anspruchs auf geschlechtsangleichende Behandlung bestimmt sich auf der Basis der allgemeinen und besonderen Voraussetzungen des Anspruchs auf Krankenbehandlung nach medizinischen Kriterien (dazu b.). Davon ausgehend hat die Klägerin Anspruch auf eine operative Reduktion des Adamsapfels (dazu c.).

a.

Das BSG hat in seinem Urteil vom 11.09.2012 - B 1 KR 9/12 R zum Anspruch von Transsexuellen dem Grund nach Folgendes ausgeführt:

„... Transsexuelle Versicherte können nach § 27 Abs. 1 SGB V dem Grunde nach Anspruch auf geschlechtsangleichende Behandlungsmaßnahmen einschließlich chirurgischer Eingriffe in gesunde Organe zur Minderung ihres psychischen Leidensdrucks haben; um sich dem Erscheinungsbild des angestrebten anderen Geschlechts deutlich anzunähern.

Obwohl der Anspruch auf Krankenbehandlung psychischer Krankheiten grundsätzlich nicht körperliche Eingriffe in intakte Organsysteme erfasst, können zur notwendigen Krankenbehandlung des Transsexualismus - als Ausnahme von diesem Grundsatz - operative Eingriffe in den gesunden Körper zwecks Veränderung der äußerlich sichtbaren Geschlechtsmerkmale gehören. (Rn.9)

Die Ansprüche auf geschlechtsangleichende Operationen sind beschränkt auf einen Zustand, bei dem aus der Sicht eines verständigen Betrachters eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eintritt. (Rn.17) ...“

b.

Betreffend den Umfang des Anspruchs auf geschlechtsangleichende Behandlung von Transsexuellen führt das BSG im Urteil vom 11.9.2012 - B 1 KR 9/12 R Folgendes aus:

„... Die innere Reichweite des Anspruchs auf geschlechtsangleichende Behandlung bestimmt sich auf der Basis der allgemeinen und besonderen Voraussetzungen des Anspruchs auf Krankenbehandlung nach medizinischen Kriterien des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse.

Ist bereits eine genitalverändernde Operation durchgeführt worden, ist vorbehaltlich besonderer Umstände eine erneute Prüfung entbehrlich, ob die Linderung des aus dem Transsexualismus resultierenden psychischen Leidensdrucks allein durch nicht operative Behandlungsmaßnahmen noch in ausreichendem Umfang möglich ist. (Rn.25)

Der gegenüber der bisherigen Rechtslage geänderte rechtliche Ausgangspunkt des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung schließt es aus, die Reichweite des Anspruchs primär anhand von Kriterien des Behandlungsanspruchs wegen Entstellung zu umreißen. Eine Entstellung begründet einen Anspruch auf Krankenbehandlung wegen einer körperlichen, nicht psychischen Krankheit. Innerer Grund des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Operationen ist es dagegen nicht, eine Entstellung zu heilen oder zu lindern. Ein solcher Anspruch, der bei Entstellung für alle Versicherten, auch für transsexuelle Versicherte besteht, bleibt hiervon unberührt. (Rn.26)

Ansprüche Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung im Sinne medizinisch indizierter Maßnahmen sind zusätzlich durch das objektive Erscheinungsbild des angestrebten anderen Geschlechts begrenzt. Die hierdurch gezogenen Grenzen sind allerdings weiter, als sie durch die oben dargelegte Rechtsprechung zur Entstellung gezogen sind. Wer beispielweise als Mann-zu-Frau-Transsexueller - etwa aufgrund einer Hormontherapie - einen Brustansatz entwickelt hat, der die für konfektionierte Damenober-bekleidung vorgesehene Größe A nach DIN EN 13402 bei erfolgter Ausatmung im Rahmen normaler Messung ohne weitere Mittel voll ausfüllt, kann keine MAP beanspruchen. Das damit erreichte körperliche Erscheinungsbild bewegt sich nämlich - trotz der großen Vielfalt der Phänotypen bei Männern und Frauen - in einem unzweifelhaft geschlechts-typischen Bereich. (Rn.28) ...“

c.

Die 4. Kammer des Sozialgerichts Landshut schließt sich dieser Rechtsprechung des BSG an. Davon ausgehend kann die Klägerin die Gewährung einer operativen Reduktion des Adamsapfels beanspruchen.

Eine Entstellung liegt bei der Klägerin nicht vor; sie macht dies ebenso wenig geltend wie eine funktionelle organische Störung, die mit der begehrten operativen Korrektur des Adamsapfels zu behandeln wäre.

Die Beteiligten streiten nicht darüber, dass bei der Klägerin Transsexualismus in einer besonders tiefgreifenden Form vorliegt und sie deswegen grundsätzlich Anspruch auf geschlechtsangleichende Operationen auf Kosten der GKV hat.

Ist - wie hier - bereits eine genitalverändernde Operation durchgeführt worden, ist vorbehaltlich besonderer Umstände eine erneute Prüfung entbehrlich, ob die Linderung des aus dem Transsexualismus resultierenden psychischen Leidensdrucks allein durch nicht operative Behandlungsmaßnahmen noch in ausreichendem Umfang möglich ist. Dem Sachverhalt sind derartige besondere Umstände nicht zu entnehmen.

Die Ansprüche auf geschlechtsangleichende Operationen erstrecken und zugleich beschränken sich auf einen Zustand, bei dem aus der Sicht eines verständigen Betrachters eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eintritt.

Streitentscheidend ist allein die Frage, ob der Adamsapfel der Klägerin in einem solchen Maße vom Erscheinungsbild des weiblichen Geschlechts entfernt ist, dass durch eine operative Reduktion des Adamsapfels eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des weiblichen Geschlechts herbeigeführt wird. Das ist nach Auffassung der Kammer hier der Fall.

Die Kammer hat die mit Schriftsatz vom 30.06.2015 übermittelte Fotodokumentation der Klägerin in Augenschein genommen und sich von der persönlich erschienenen Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 06.08.2015 selbst ein Bild gemacht. Die Kammer hat den optischen Eindruck gewonnen, dass die Klägerin in ihrer Gesamtheit dem Erscheinungsbild einer 30-jährigen Frau entspricht. Insoweit störend zu dem insgesamt weiblich wirkenden Gesamterscheinungsbild tritt der deutlich sichtbare Adamsapfel zu Tage. Dieser steht im nicht übersehbaren Widerspruch zum gewollten weiblichen Erscheinungsbild. Da die Leistungsansprüche sich auf einen Zustand erstrecken und zugleich beschränken, der aus der Sicht eines verständigen Betrachters dem Erscheinungsbild des anderen Geschlechts deutlich angenähert ist, erwies sich das Begehren der Klägerin auf operative Reduktion des Adamsapfels als begründet, weil ein solcher Zustand bei der Klägerin zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung der Kammer noch nicht vorgelegen hat.

Ein Sachverständigengutachten war nicht zu erheben. Die Kammer hat, wie dargelegt worden ist, zu beurteilen, ob sich die Klägerin aufgrund des Adamsapfels der Klägerin sich in einem solchen Maße vom Erscheinungsbild eines weiblichen Gesichts entfernt, dass durch eine operative Reduktion des Adamsapfels eine deutliche Annäherung an dieses Erscheinungsbild herbeigeführt wird. Die Leistungsvoraussetzung „Erscheinungsbildannäherung“ knüpft an regelmäßig durch gerichtlichen Augenschein festzustellende Tatsachen an und stellt sich der Sache nach als die Einzelfallumstände abwägende Subsumtion eines unbestimmten Rechtsbegriffs dar. Die Erhebung eines Gutachtens kommt hierfür nicht in Betracht. Das gilt sowohl für das Merkmal der „Annäherung“ wie für das Merkmal des „Erscheinungsbilds eines weiblichen Gesichts“. Maßstab ist allein die Sicht eines verständigen Betrachters. Verständige Betrachter sind die Richter der Kammer, die sich von der Klägerin ein eigenes Bild gemacht haben.

III.

Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 27 Krankenbehandlung


(1) Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfaßt 1. Ärztliche Behandlung einsc

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(1) Die Krankenhausbehandlung wird vollstationär, stationsäquivalent, tagesstationär, teilstationär, vor- und nachstationär sowie ambulant erbracht; sie umfasst auch Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, zu denen der Gemeinsame Bundesausschuss bish

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Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Januar 2012 und der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 7. Januar 2010 sowie der Bescheid der Beklagten vom 14. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. September 2008 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin eine Brustvergrößerungsoperation zu gewähren.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in allen Rechtszügen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Versorgung der Klägerin mit einer Mamma-Augmentationsplastik (MAP).

2

Die bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin wurde 1964 anatomisch als Mann geboren. Sie erhielt aufgrund der Diagnose Mann-zu-Frau-Transsexualismus zu Lasten der Beklagten ab 2005 eine Östrogentherapie und im Februar 2008 eine geschlechtsangleichende Operation. Ihren Antrag auf Versorgung mit einer MAP (31.3.2008) stützte sie auf Atteste von Dr. H., Dr. O. und Dr. Sch. Eine operative Brustvergrößerung sei indiziert, weil sich lediglich eine mäßige seitengleiche weibliche Brust entwickelt habe, die durch Östrogenzufuhr nicht weiterwachse. Das minimale Brustwachstum entspreche immer noch einer männlichen Brust. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, da nach Einschätzung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung die bestehende Mammahypoplasie (Unterentwicklung der Brust) nicht als krankhafter Befund zu werten sei. Der kosmetische Aspekt stünde im Mittelpunkt (Bescheid vom 14.4.2008; Widerspruchsbescheid vom 22.9.2008). Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 7.1.2010). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen: Bestehe - wie hier - ausnahmsweise die Indikation für operative Maßnahmen aufgrund von Transsexualismus als einer psychischen Regelwidrigkeit, umfasse der Anspruch zwar im Einzelfall auch einen operativen Brustaufbau bei fehlender Anlage, nicht jedoch eine Brustvergrößerung, welche die Klägerin begehre (Urteil vom 25.1.2012).

3

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision sinngemäß die Verletzung des § 27 Abs 1 S 1 SGB V. Ihr Anspruch auf Krankenbehandlung wegen Transsexualismus umfasse aufgrund der gegebenen medizinischen Indikation auch eine operative Brustvergrößerung.

4

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Januar 2012 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 7. Januar 2010 sowie den Bescheid vom 14. April 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. September 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine Brustvergrößerungsoperation zu gewähren.

5

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

6

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet. Das angefochtene LSG-Urteil, der SG-Gerichtsbescheid und die Bescheide der beklagten KK sind aufzuheben, denn sie verletzen § 27 Abs 1 S 1 SGB V. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch darauf, ihr eine Brustvergrößerungsoperation zu gewähren. Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, dass transsexuelle Versicherte nach § 27 Abs 1 SGB V Anspruch auf geschlechtsangleichende Behandlungsmaßnahmen einschließlich chirurgischer Eingriffe in gesunde Organe zur Minderung ihres psychischen Leidensdrucks haben können, um sich dem Erscheinungsbild des angestrebten anderen Geschlechts deutlich anzunähern(dazu 1.). Die Reichweite des Anspruchs auf geschlechtsangleichende Behandlung bestimmt sich auf der Basis der allgemeinen und besonderen Voraussetzungen des Anspruchs auf Krankenbehandlung nach medizinischen Kriterien (dazu 2.). Der bestehende Brustansatz schließt den Anspruch auf geschlechtsangleichende Behandlung nicht aus (dazu 3.).

8

1. Versicherte - wie die Klägerin - haben nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Versicherte leidet an Transsexualismus in Gestalt einer psychischen Krankheit, deren Behandlung notwendig ist (dazu a). Obwohl der Anspruch auf Krankenbehandlung psychischer Krankheiten grundsätzlich nicht körperliche Eingriffe in intakte Organsysteme erfasst, können zur notwendigen Krankenbehandlung des Transsexualismus - als Ausnahme von diesem Grundsatz - operative Eingriffe in den gesunden Körper zwecks Veränderung der äußerlich sichtbaren Geschlechtsmerkmale gehören (dazu b). Die genannten operativen Eingriffe in den gesunden Körper müssen medizinisch erforderlich sein (dazu c).

9

a) Grundvoraussetzung des Anspruchs Versicherter auf Krankenbehandlung ist, dass sie an einer Krankheit leiden. Krankheit iS von § 27 Abs 1 S 1 SGB V ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht(stRspr, vgl nur BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 10 mwN - Zisidentität; zu Bestrebungen, den Transsexualismus zu "entpathologisieren", vgl das LSG-Urteil - Juris RdNr 44). Die Klägerin leidet in diesem Sinne an einer Krankheit, nämlich an behandlungsbedürftigem Transsexualismus.

10

Transsexualismus ist nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse eine psychische Krankheit. Transsexuelle leben in dem irreversiblen und dauerhaften Bewusstsein, dem Geschlecht anzugehören, dem sie aufgrund ihrer äußeren körperlichen Geschlechtsmerkmale zum Zeitpunkt der Geburt nicht zugeordnet wurden (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 34 mwN). Für die Diagnose entscheidend ist die Stabilität des transsexuellen Wunsches, der vollständigen psychischen Identifikation mit dem anderen, dem eigenen Körper widersprechenden Geschlecht (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 35 unter Hinweis auf Becker/Berner/Dannecker/Richter-Appelt, Zf Sexualforschung 2001, S 258, 260; Pichlo in Groß/Neuschaefer-Grube/Steinmetzer, Transsexualität und Intersexualität, Medizinische, ethische, soziale und juristische Aspekte, 2008, S 121). Die ICD-10-GM Version 2012 ordnet Transsexualismus mit dem Schlüssel F64.0 (Störungen der Geschlechtsidentität) dem Kapitel V zu (Psychische und Verhaltensstörungen ). F64.0 spricht von dem "Wunsch, als Angehöriger des anderen Geschlechtes zu leben und anerkannt zu werden".

11

Die Rechtsordnung erkennt Transsexualismus nicht nur personenstandsrechtlich, sondern auch als behandlungsbedürftige Krankheit an. Der Gesetzgeber hat bereits durch Schaffung des Gesetzes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz ) vom 10.9.1980 (BGBl I 1654; zuletzt geändert durch Beschluss des BVerfG vom 11.1.2011 - 1 BvR 3295/07 - BGBl I 224 = BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909) bestätigt, dass der Befund des Transsexualismus eine außergewöhnliche rechtliche Bewertung rechtfertigt (BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 11; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 17). Inzwischen erstreckt das SGB V ausdrücklich die ambulante spezialfachärztliche Versorgung auf die Diagnostik und Behandlung komplexer, schwer therapierbarer Krankheiten, die je nach Krankheit eine spezielle Qualifikation, eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und besondere Ausstattungen erfordern. Hierzu gehört ua Transsexualismus als seltene Erkrankung (vgl § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF durch Art 1 Nr 44 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 22.12.2011, BGBl I 2983; vgl dazu BT-Drucks 17/6906 S 81; vgl zuvor Anlage 2 Nr 9 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die ambulante Behandlung im Krankenhaus nach § 116b SGB V idF vom 18.10.2005, BAnz Nr 7 S 88 vom 11.1.2006, zuletzt geändert am 15.12.2011, BAnz Nr 197 S 4655, in Kraft getreten am 31.12.2011; zur erstmaligen Berücksichtigung des Transsexualismus als seltene Erkrankung im Rahmen des § 116b SGB V aF vgl die Bekanntmachung des GBA über eine Ergänzung des Katalogs nach § 116b Abs 3 SGB V vom 16.3.2004, BAnz Nr 88 S 10 177).

12

b) Das Spektrum medizinisch indizierter Krankenbehandlung des Transsexualismus ist mittlerweile - anknüpfend an den Erkenntnisfortschritt über die Erkrankung - weit gefächert. Für erforderlich werden individuelle therapeutische Lösungen erachtet, die von einem Leben im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen über hormonelle Behandlungen bis hin zur weitgehenden operativen Geschlechtsangleichung reichen können (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 36 unter Hinweis auf Pichlo in Groß/Neuschaefer-Grube/Steinmetzer, Transsexualität und Intersexualität, Medizinische, ethische, soziale und juristische Aspekte, 2008, 119, 122; Rauchfleisch, Transsexualität - Transidentität, 2006, 17; Becker in Kockott/Fahrner, Sexualstörungen, 2004, 153, 180, 181).

13

Während notwendige Krankenbehandlung des Transsexualismus auf psychischer Ebene nach den allgemeinen Grundsätzen zur Ermöglichung und Stützung eines Lebens im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen unproblematisch von § 27 Abs 1 S 1 SGB V erfasst ist, versteht sich dies für hormonelle Behandlungen bis hin zur weitgehenden operativen Geschlechtsangleichung nicht in gleicher Weise beinahe von selbst. Der erkennende Senat erachtet dennoch solche Ansprüche weiterhin für möglich.

14

Die ständige Rechtsprechung des für diese Frage allein zuständigen erkennenden Senats verneint grundsätzlich eine Behandlungsbedürftigkeit psychischer Krankheiten mittels angestrebter körperlicher Eingriffe, wenn diese Maßnahmen nicht durch körperliche Fehlfunktionen oder durch Entstellung, also nicht durch einen regelwidrigen Körperzustand veranlasst werden (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 13 - Zisidentität; BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 16; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 5; BSGE 82, 158, 163 f = SozR 3-2500 § 39 Nr 5 S 29 f, jeweils mwN). In Bezug auf Operationen am - krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper, die psychische Leiden beeinflussen sollen, lässt sich ausgehend von der aufgezeigten Rechtsprechung grundsätzlich eine Behandlungsbedürftigkeit nicht begründen (näher dazu BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 13 mwN - Zisidentität).

15

Auch allein das subjektive Empfinden eines Versicherten vermag die Regelwidrigkeit und die daraus abgeleitete Behandlungsbedürftigkeit seines Zustandes nicht zu bestimmen. Maßgeblich sind vielmehr objektive Kriterien, nämlich der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse (§ 2 Abs 1 S 3, § 28 Abs 1 S 1 SGB V; vgl zur Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 23 mwN) und - bei der Frage, ob eine Entstellung besteht - der objektive Zustand einer körperlichen Auffälligkeit von so beachtlicher Erheblichkeit, dass sie die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gefährdet (BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14 LS und RdNr 13 f). Andernfalls würde der Krankheitsbegriff über Gebühr relativiert und an Konturen verlieren. Es würde nicht gezielt gegen die eigentliche Krankheit selbst vorgegangen, sondern nur mittelbar die Besserung eines an sich einem anderen Bereich zugehörigen gesundheitlichen Defizits angestrebt (vgl zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 14 mwN - Zisidentität). Daran hält der Senat fest.

16

Der Senat hat allerdings bisher unter Hinweis auf die Regelungen des TSG eine Ausnahme von den dargestellten Grundsätzen in dem hier betroffenen Bereich im Falle einer besonders tief greifenden Form des Transsexualismus gemacht. Er hat in diesen Fällen einen Anspruch auf medizinisch indizierte Hormonbehandlung und geschlechtsangleichende Operationen bejaht (vgl zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 - Zisidentität),zugleich aber auch - neben § 27 Abs 1 S 1 SGB V - dem Regelungskonzept des TSG Grenzen der Reichweite des Anspruchs auf Krankenbehandlung entnommen(vgl BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 17 - Zisidentität). Die Ansprüche auf geschlechtsangleichende Operationen sind danach beschränkt auf einen Zustand, bei dem aus der Sicht eines verständigen Betrachters eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eintritt (vgl BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 unter Hinweis ua auf § 8 Abs 1 Nr 4 TSG).

17

Der erkennende Senat führt seine Rechtsprechung im Kern trotz der Entscheidung des BVerfG fort, § 8 Abs 1 Nr 4 TSG mit Art 2 Abs 1 und Art 2 Abs 2 iVm Art 1 Abs 1 GG für nicht vereinbar und bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung für nicht anwendbar zu erklären(vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909). Das BVerfG zielt mit seiner Entscheidung nämlich nur darauf ab, Transsexuelle vor unverhältnismäßigen Belastungen zu schützen. Es sieht - nach näherer Maßgabe der Entscheidungsgründe - die von § 8 Abs 1 Nr 4 TSG zum Erreichen personenstandsrechtlicher Änderungen zwingend vorgegebene deutliche Annäherung der transsexuellen Person an die körperliche Erscheinung des angestrebten anderen Geschlechts im Sinne einer genitalverändernden Operation angesichts der damit verbundenen gesundheitlichen Risiken als unzumutbar an. Es ist danach unzumutbar, von einem Transsexuellen zu verlangen, dass er sich derartigen risikoreichen, mit möglicherweise dauerhaften gesundheitlichen Schädigungen und Beeinträchtigungen verbundenen Operationen unterzieht, wenn sie medizinisch nicht indiziert sind, um damit die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit seiner Transsexualität unter Beweis zu stellen und die personenstandsrechtliche Anerkennung im empfundenen Geschlecht zu erhalten (BVerfGE 128, 109, 131 f = NJW 2011, 909, RdNr 70). Die operativen Eingriffe als solche stellen dagegen bei wirksamer Einwilligung des Transsexuellen keinen Verstoß gegen seine Menschenwürde, sein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und das Sittengesetz dar (vgl zu Letzterem bereits BVerfGE 49, 286, 299 f). Unverändert kann bei Transsexuellen eine Operation zur Herbeiführung einer deutlichen Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eine gebotene medizinische Maßnahme sein (BVerfGE 128, 109, 132 = NJW 2011, 909, RdNr 66; vgl auch zur Gesetzesentwicklung und § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF des GKV-VStG unten, II. 2).

18

c) Ein Anspruch Versicherter auf geschlechtsangleichende Operationen am - krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper zur Behandlung des Transsexualismus bedarf danach zunächst der medizinischen Indikation. Die geschlechtsangleichende Operation muss zudem zur Behandlung erforderlich sein. Daran fehlt es, wenn zum Erreichen der in § 27 Abs 1 S 1 SGB V genannten Therapieziele Behandlungsmaßnahmen ausreichen, die ein Leben im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen unterstützen oder sich auf hormonelle Behandlungen ohne Operationen beschränken. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen kann nicht losgelöst von der inneren Reichweite des Anspruchs überprüft werden (dazu 2.).

19

2. Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für eine MAP. Die Reichweite des Anspruchs Transsexueller auf Krankenbehandlung (§ 27 Abs 1 S 1 SGB V)im Sinne von geschlechtsangleichender Behandlung kann nach der dargelegten Rechtsprechung des BVerfG allerdings nicht mehr unter Rückgriff auf Wertungen des § 8 Abs 1 Nr 4 TSG eingegrenzt werden. Das Ausmaß des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung bestimmt sich nunmehr unter Einbeziehung der Wertungen des § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF des GKV-VStG auf der Basis der allgemeinen und besonderen Voraussetzungen des Anspruchs auf Krankenbehandlung(vgl dazu Hauck, NZS 2007, 461) nach den medizinischen Kriterien des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse (dazu a). Für das erforderliche Ausmaß der Behandlung ist dagegen nicht auf das Erscheinungsbild des Betroffenen im gesellschaftlichen Alltag in dem Sinne abzustellen, dass dem Anspruch bereits mit der Behebung einer Entstellung Genüge getan ist (dazu b).

20

a) Besteht eine Indikation für eine begehrte geschlechtsangleichende Operation transsexueller Versicherter, bestimmen vornehmlich objektivierte medizinische Kriterien das erforderliche Ausmaß. Hierbei ist vor allem die Zielsetzung der Therapie zu berücksichtigen, den Leidensdruck der Betroffenen durch solche operativen Eingriffe zu lindern, die darauf gerichtet sind, das körperlich bestehende Geschlecht dem empfundenen Geschlecht anzunähern, es diesem näherungsweise anzupassen.

21

Die Begrenzung auf eine bloße Annäherung des körperlichen Erscheinungsbildes an das gefühlte Geschlecht ergibt sich nicht nur aus den faktischen Schranken, die hormonelle Therapie und plastische Chirurgie setzen. Die Einräumung von Ansprüchen für transsexuelle Versicherte führen unverändert nicht dazu, Betroffenen Anspruch auf jegliche Art von geschlechtsangleichenden operativen Maßnahmen im Sinne einer optimalen Annäherung an ein vermeintliches Idealbild und ohne Einhaltung der durch das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung vorgegebenen allgemeinen Grenzen einzuräumen (vgl schon bisher BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 - Zisidentität; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 11). Die Ansprüche sind vielmehr beschränkt auf einen Zustand, der aus der Sicht eines verständigen Betrachters dem Erscheinungsbild des anderen Geschlechts deutlich angenähert ist.

22

Der Anspruch auf Krankenbehandlung hat sich nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V iVm § 2 Abs 1 S 3, § 2 Abs 4, § 12 Abs 1 SGB V daran auszurichten, welche Behandlung unter Beachtung des umfassenden Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit notwendig und ausreichend ist, um das angestrebte, in § 27 Abs 1 S 1 SGB V bezeichnete Behandlungsziel zu erreichen. Hierzu ist unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse nicht nur dem Grunde nach, sondern auch dem Umfang nach zu ermitteln, welche Reichweite der Therapie indiziert ist.

23

In Abkehr von den bisherigen Überlegungen, Transsexuellen zum Erreichen personenstandsrechtlicher Änderungen nach § 8 Abs 1 Nr 4 TSG (bisherige Fassung) eine genitalverändernde Operation abzuverlangen, können sich hierbei die gebotenen individuellen operativen Therapieansätze lediglich auf MAP ohne genitalverändernde Operationen beschränken. Denn neuere wissenschaftliche Erkenntnisse stützen die Relativierung des Operationswunsches in seiner Bedeutung für Diagnose und Therapie Transsexueller (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 35 mwN). Insoweit muss medizinisch abgeklärt sein, dass die begehrte Therapie - MAP - geeignet, ausreichend und erforderlich, im Rahmen gleichwertiger Alternativen zudem im engeren Sinne wirtschaftlich ist. Auch der Operationswunsch hinsichtlich einer MAP darf nicht eine Lösungsschablone für etwa verborgene andere psychische Störungen oder Unbehagen mit etablierten Geschlechtsrollenbildern sein, sondern muss aufgrund des Transsexualismus indiziert sein.

24

Die genannten Voraussetzungen sind bei der Klägerin nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG erfüllt. Das LSG zieht die ärztlich gestellte Indikation nicht in medizinischer Hinsicht in Zweifel, sondern hat lediglich in rechtlicher Hinsicht Bedenken gegen die Reichweite des geltend gemachten Anspruchs der Klägerin.

25

b) Der gegenüber der bisherigen Rechtslage geänderte rechtliche Ausgangspunkt des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung schließt es demgegenüber aus, die Reichweite des Anspruchs primär anhand von Kriterien des Behandlungsanspruchs wegen Entstellung zu umreißen. Eine Entstellung begründet einen Anspruch auf Krankenbehandlung wegen einer körperlichen, nicht psychischen Krankheit (vgl zum Ganzen grundlegend BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 13 f mwN). Innerer Grund des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Operationen ist es dagegen nicht, eine Entstellung zu heilen oder zu lindern. Ein solcher Anspruch, der bei Entstellung für alle Versicherte, auch für transsexuelle Versicherte besteht, bleibt hiervon unberührt.

26

3. Der Anspruch der Klägerin ist auch nicht wegen ihres bereits vorhandenen Brustansatzes ausgeschlossen. Es steht fest, dass die Klägerin einen Brustumfang hat, der eine medizinisch indizierte MAP erfordert.

27

Ansprüche Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung im Sinne medizinisch indizierter MAP sind zusätzlich durch das objektive Erscheinungsbild des Brustumfangs begrenzt. Die hierdurch gezogenen Grenzen sind allerdings weiter, als sie durch die oben dargelegte Rechtsprechung zur Entstellung gezogen sind. Wer als Mann-zu-Frau-Transsexueller - etwa aufgrund einer Hormontherapie - einen Brustansatz entwickelt hat, der die für konfektionierte Damenoberbekleidung vorgesehene Größe A nach DIN EN 13402 bei erfolgter Ausatmung im Rahmen normaler Messung ohne weitere Mittel voll ausfüllt, kann keine MAP beanspruchen (vgl zu DIN EN 13402: Größenbezeichnung von Bekleidung (2001) http://www.beuth.de/langanzeige/DIN-EN-13402-1/de/38031428). Das damit erreichte körperliche Erscheinungsbild bewegt sich nämlich - trotz der großen Vielfalt der Phänotypen bei Männern und Frauen - in einem unzweifelhaft geschlechtstypischen Bereich.

28

Die Grenze trägt auch dem Gleichbehandlungsgebot gemäß Art 3 Abs 1 GG Rechnung. Die Grenzziehung vermeidet es, transsexuellen Versicherten einen umfassenden leistungsrechtlichen Zugang zu kosmetischen Operationen zu eröffnen, der nichttranssexuellen Versicherten von vornherein versperrt ist (vgl dazu zB BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 13 mwN).

29

Nach den unangegriffenen, den Senat bindenden (§ 163 SGG)Feststellungen des LSG hat die Mikromastie der Klägerin nicht ein Ausmaß, das nach den dargelegten Kriterien einen Anspruch auf eine MAP ausschließt.

30

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Die Krankenhausbehandlung wird vollstationär, stationsäquivalent, tagesstationär, teilstationär, vor- und nachstationär sowie ambulant erbracht; sie umfasst auch Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, zu denen der Gemeinsame Bundesausschuss bisher keine Entscheidung nach § 137c Absatz 1 getroffen hat und die das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten. Versicherte haben Anspruch auf vollstationäre, stationsäquivalente oder tagesstationäre Behandlung durch ein nach § 108 zugelassenes Krankenhaus, wenn die Aufnahme oder die Behandlung im häuslichen Umfeld nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Die Krankenhausbehandlung umfaßt im Rahmen des Versorgungsauftrags des Krankenhauses alle Leistungen, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung der Versicherten im Krankenhaus notwendig sind, insbesondere ärztliche Behandlung (§ 28 Abs. 1), Krankenpflege, Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, Unterkunft und Verpflegung; die akutstationäre Behandlung umfasst auch die im Einzelfall erforderlichen und zum frühestmöglichen Zeitpunkt einsetzenden Leistungen zur Frührehabilitation. Die stationsäquivalente Behandlung umfasst eine psychiatrische Behandlung im häuslichen Umfeld durch mobile ärztlich geleitete multiprofessionelle Behandlungsteams; die tagesstationäre Behandlung umfasst einen täglich mindestens sechsstündigen Aufenthalt der Patientinnen und Patienten im Krankenhaus, währenddessen überwiegend ärztliche oder pflegerische Behandlung erbracht wird, ohne Übernachtung im Krankenhaus. Die stationsäquivalente Behandlung und die tagesstationäre Behandlung entsprechen hinsichtlich der Inhalte sowie der Flexibilität und Komplexität der Behandlung einer vollstationären Behandlung. Zur Krankenhausbehandlung gehört auch eine qualifizierte ärztliche Einschätzung des Beatmungsstatus im Laufe der Behandlung und vor der Verlegung oder Entlassung von Beatmungspatienten.

(1a) Die Krankenhausbehandlung umfasst ein Entlassmanagement zur Unterstützung einer sektorenübergreifenden Versorgung der Versicherten beim Übergang in die Versorgung nach Krankenhausbehandlung. § 11 Absatz 4 Satz 4 gilt. Das Krankenhaus kann mit Leistungserbringern nach § 95 Absatz 1 Satz 1 vereinbaren, dass diese Aufgaben des Entlassmanagements wahrnehmen. § 11 des Apothekengesetzes bleibt unberührt. Der Versicherte hat gegenüber der Krankenkasse einen Anspruch auf Unterstützung des Entlassmanagements nach Satz 1; soweit Hilfen durch die Pflegeversicherung in Betracht kommen, kooperieren Kranken- und Pflegekassen miteinander. Das Entlassmanagement umfasst alle Leistungen, die für die Versorgung nach Krankenhausbehandlung erforderlich sind, insbesondere die Leistungen nach den §§ 37b, 38, 39c sowie alle dafür erforderlichen Leistungen nach dem Elften Buch. Das Entlassmanagement umfasst auch die Verordnung einer erforderlichen Anschlussversorgung durch Krankenhausbehandlung in einem anderen Krankenhaus. Soweit dies für die Versorgung des Versicherten unmittelbar nach der Entlassung erforderlich ist, können die Krankenhäuser Leistungen nach § 33a und die in § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 und 12 genannten Leistungen verordnen und die Arbeitsunfähigkeit feststellen; hierfür gelten die Bestimmungen über die vertragsärztliche Versorgung mit der Maßgabe, dass bis zur Verwendung der Arztnummer nach § 293 Absatz 7 Satz 3 Nummer 1 eine im Rahmenvertrag nach Satz 9 erster Halbsatz zu vereinbarende alternative Kennzeichnung zu verwenden ist. Bei der Verordnung von Arzneimitteln können Krankenhäuser eine Packung mit dem kleinsten Packungsgrößenkennzeichen gemäß der Packungsgrößenverordnung verordnen; im Übrigen können die in § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 genannten Leistungen für die Versorgung in einem Zeitraum von bis zu sieben Tagen verordnet und die Arbeitsunfähigkeit festgestellt werden (§ 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 7). Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6, 7 und 12 die weitere Ausgestaltung des Verordnungsrechts nach Satz 7. Die weiteren Einzelheiten zu den Sätzen 1 bis 8, insbesondere zur Zusammenarbeit der Leistungserbringer mit den Krankenkassen, regeln der Spitzenverband Bund der Krankenkassen auch als Spitzenverband Bund der Pflegekassen, die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Deutsche Krankenhausgesellschaft unter Berücksichtigung der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses in einem Rahmenvertrag. Wird der Rahmenvertrag ganz oder teilweise beendet und kommt bis zum Ablauf des Vertrages kein neuer Rahmenvertrag zustande, entscheidet das sektorenübergreifende Schiedsgremium auf Bundesebene gemäß § 89a. Vor Abschluss des Rahmenvertrages ist der für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisation der Apotheker sowie den Vereinigungen der Träger der Pflegeeinrichtungen auf Bundesebene Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Das Entlassmanagement und eine dazu erforderliche Verarbeitung personenbezogener Daten dürfen nur mit Einwilligung und nach vorheriger Information des Versicherten erfolgen. Die Information sowie die Einwilligung müssen schriftlich oder elektronisch erfolgen.

(2) Wählen Versicherte ohne zwingenden Grund ein anderes als ein in der ärztlichen Einweisung genanntes Krankenhaus, können ihnen die Mehrkosten ganz oder teilweise auferlegt werden.

(3) Die Landesverbände der Krankenkassen, die Ersatzkassen und die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See gemeinsam erstellen unter Mitwirkung der Landeskrankenhausgesellschaft und der Kassenärztlichen Vereinigung ein Verzeichnis der Leistungen und Entgelte für die Krankenhausbehandlung in den zugelassenen Krankenhäusern im Land oder in einer Region und passen es der Entwicklung an (Verzeichnis stationärer Leistungen und Entgelte). Dabei sind die Entgelte so zusammenzustellen, daß sie miteinander verglichen werden können. Die Krankenkassen haben darauf hinzuwirken, daß Vertragsärzte und Versicherte das Verzeichnis bei der Verordnung und Inanspruchnahme von Krankenhausbehandlung beachten.

(4) Versicherte, die das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben, zahlen vom Beginn der vollstationären Krankenhausbehandlung an innerhalb eines Kalenderjahres für längstens 28 Tage den sich nach § 61 Satz 2 ergebenden Betrag je Kalendertag an das Krankenhaus. Die innerhalb des Kalenderjahres bereits an einen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung geleistete Zahlung nach § 32 Abs. 1 Satz 2 des Sechsten Buches sowie die nach § 40 Abs. 6 Satz 1 geleistete Zahlung sind auf die Zahlung nach Satz 1 anzurechnen.

(5) (weggefallen)

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Januar 2012 und der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 7. Januar 2010 sowie der Bescheid der Beklagten vom 14. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. September 2008 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin eine Brustvergrößerungsoperation zu gewähren.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in allen Rechtszügen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Versorgung der Klägerin mit einer Mamma-Augmentationsplastik (MAP).

2

Die bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin wurde 1964 anatomisch als Mann geboren. Sie erhielt aufgrund der Diagnose Mann-zu-Frau-Transsexualismus zu Lasten der Beklagten ab 2005 eine Östrogentherapie und im Februar 2008 eine geschlechtsangleichende Operation. Ihren Antrag auf Versorgung mit einer MAP (31.3.2008) stützte sie auf Atteste von Dr. H., Dr. O. und Dr. Sch. Eine operative Brustvergrößerung sei indiziert, weil sich lediglich eine mäßige seitengleiche weibliche Brust entwickelt habe, die durch Östrogenzufuhr nicht weiterwachse. Das minimale Brustwachstum entspreche immer noch einer männlichen Brust. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, da nach Einschätzung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung die bestehende Mammahypoplasie (Unterentwicklung der Brust) nicht als krankhafter Befund zu werten sei. Der kosmetische Aspekt stünde im Mittelpunkt (Bescheid vom 14.4.2008; Widerspruchsbescheid vom 22.9.2008). Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 7.1.2010). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen: Bestehe - wie hier - ausnahmsweise die Indikation für operative Maßnahmen aufgrund von Transsexualismus als einer psychischen Regelwidrigkeit, umfasse der Anspruch zwar im Einzelfall auch einen operativen Brustaufbau bei fehlender Anlage, nicht jedoch eine Brustvergrößerung, welche die Klägerin begehre (Urteil vom 25.1.2012).

3

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision sinngemäß die Verletzung des § 27 Abs 1 S 1 SGB V. Ihr Anspruch auf Krankenbehandlung wegen Transsexualismus umfasse aufgrund der gegebenen medizinischen Indikation auch eine operative Brustvergrößerung.

4

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Januar 2012 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 7. Januar 2010 sowie den Bescheid vom 14. April 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. September 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine Brustvergrößerungsoperation zu gewähren.

5

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

6

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet. Das angefochtene LSG-Urteil, der SG-Gerichtsbescheid und die Bescheide der beklagten KK sind aufzuheben, denn sie verletzen § 27 Abs 1 S 1 SGB V. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch darauf, ihr eine Brustvergrößerungsoperation zu gewähren. Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, dass transsexuelle Versicherte nach § 27 Abs 1 SGB V Anspruch auf geschlechtsangleichende Behandlungsmaßnahmen einschließlich chirurgischer Eingriffe in gesunde Organe zur Minderung ihres psychischen Leidensdrucks haben können, um sich dem Erscheinungsbild des angestrebten anderen Geschlechts deutlich anzunähern(dazu 1.). Die Reichweite des Anspruchs auf geschlechtsangleichende Behandlung bestimmt sich auf der Basis der allgemeinen und besonderen Voraussetzungen des Anspruchs auf Krankenbehandlung nach medizinischen Kriterien (dazu 2.). Der bestehende Brustansatz schließt den Anspruch auf geschlechtsangleichende Behandlung nicht aus (dazu 3.).

8

1. Versicherte - wie die Klägerin - haben nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Versicherte leidet an Transsexualismus in Gestalt einer psychischen Krankheit, deren Behandlung notwendig ist (dazu a). Obwohl der Anspruch auf Krankenbehandlung psychischer Krankheiten grundsätzlich nicht körperliche Eingriffe in intakte Organsysteme erfasst, können zur notwendigen Krankenbehandlung des Transsexualismus - als Ausnahme von diesem Grundsatz - operative Eingriffe in den gesunden Körper zwecks Veränderung der äußerlich sichtbaren Geschlechtsmerkmale gehören (dazu b). Die genannten operativen Eingriffe in den gesunden Körper müssen medizinisch erforderlich sein (dazu c).

9

a) Grundvoraussetzung des Anspruchs Versicherter auf Krankenbehandlung ist, dass sie an einer Krankheit leiden. Krankheit iS von § 27 Abs 1 S 1 SGB V ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht(stRspr, vgl nur BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 10 mwN - Zisidentität; zu Bestrebungen, den Transsexualismus zu "entpathologisieren", vgl das LSG-Urteil - Juris RdNr 44). Die Klägerin leidet in diesem Sinne an einer Krankheit, nämlich an behandlungsbedürftigem Transsexualismus.

10

Transsexualismus ist nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse eine psychische Krankheit. Transsexuelle leben in dem irreversiblen und dauerhaften Bewusstsein, dem Geschlecht anzugehören, dem sie aufgrund ihrer äußeren körperlichen Geschlechtsmerkmale zum Zeitpunkt der Geburt nicht zugeordnet wurden (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 34 mwN). Für die Diagnose entscheidend ist die Stabilität des transsexuellen Wunsches, der vollständigen psychischen Identifikation mit dem anderen, dem eigenen Körper widersprechenden Geschlecht (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 35 unter Hinweis auf Becker/Berner/Dannecker/Richter-Appelt, Zf Sexualforschung 2001, S 258, 260; Pichlo in Groß/Neuschaefer-Grube/Steinmetzer, Transsexualität und Intersexualität, Medizinische, ethische, soziale und juristische Aspekte, 2008, S 121). Die ICD-10-GM Version 2012 ordnet Transsexualismus mit dem Schlüssel F64.0 (Störungen der Geschlechtsidentität) dem Kapitel V zu (Psychische und Verhaltensstörungen ). F64.0 spricht von dem "Wunsch, als Angehöriger des anderen Geschlechtes zu leben und anerkannt zu werden".

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Die Rechtsordnung erkennt Transsexualismus nicht nur personenstandsrechtlich, sondern auch als behandlungsbedürftige Krankheit an. Der Gesetzgeber hat bereits durch Schaffung des Gesetzes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz ) vom 10.9.1980 (BGBl I 1654; zuletzt geändert durch Beschluss des BVerfG vom 11.1.2011 - 1 BvR 3295/07 - BGBl I 224 = BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909) bestätigt, dass der Befund des Transsexualismus eine außergewöhnliche rechtliche Bewertung rechtfertigt (BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 11; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 17). Inzwischen erstreckt das SGB V ausdrücklich die ambulante spezialfachärztliche Versorgung auf die Diagnostik und Behandlung komplexer, schwer therapierbarer Krankheiten, die je nach Krankheit eine spezielle Qualifikation, eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und besondere Ausstattungen erfordern. Hierzu gehört ua Transsexualismus als seltene Erkrankung (vgl § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF durch Art 1 Nr 44 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 22.12.2011, BGBl I 2983; vgl dazu BT-Drucks 17/6906 S 81; vgl zuvor Anlage 2 Nr 9 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die ambulante Behandlung im Krankenhaus nach § 116b SGB V idF vom 18.10.2005, BAnz Nr 7 S 88 vom 11.1.2006, zuletzt geändert am 15.12.2011, BAnz Nr 197 S 4655, in Kraft getreten am 31.12.2011; zur erstmaligen Berücksichtigung des Transsexualismus als seltene Erkrankung im Rahmen des § 116b SGB V aF vgl die Bekanntmachung des GBA über eine Ergänzung des Katalogs nach § 116b Abs 3 SGB V vom 16.3.2004, BAnz Nr 88 S 10 177).

12

b) Das Spektrum medizinisch indizierter Krankenbehandlung des Transsexualismus ist mittlerweile - anknüpfend an den Erkenntnisfortschritt über die Erkrankung - weit gefächert. Für erforderlich werden individuelle therapeutische Lösungen erachtet, die von einem Leben im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen über hormonelle Behandlungen bis hin zur weitgehenden operativen Geschlechtsangleichung reichen können (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 36 unter Hinweis auf Pichlo in Groß/Neuschaefer-Grube/Steinmetzer, Transsexualität und Intersexualität, Medizinische, ethische, soziale und juristische Aspekte, 2008, 119, 122; Rauchfleisch, Transsexualität - Transidentität, 2006, 17; Becker in Kockott/Fahrner, Sexualstörungen, 2004, 153, 180, 181).

13

Während notwendige Krankenbehandlung des Transsexualismus auf psychischer Ebene nach den allgemeinen Grundsätzen zur Ermöglichung und Stützung eines Lebens im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen unproblematisch von § 27 Abs 1 S 1 SGB V erfasst ist, versteht sich dies für hormonelle Behandlungen bis hin zur weitgehenden operativen Geschlechtsangleichung nicht in gleicher Weise beinahe von selbst. Der erkennende Senat erachtet dennoch solche Ansprüche weiterhin für möglich.

14

Die ständige Rechtsprechung des für diese Frage allein zuständigen erkennenden Senats verneint grundsätzlich eine Behandlungsbedürftigkeit psychischer Krankheiten mittels angestrebter körperlicher Eingriffe, wenn diese Maßnahmen nicht durch körperliche Fehlfunktionen oder durch Entstellung, also nicht durch einen regelwidrigen Körperzustand veranlasst werden (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 13 - Zisidentität; BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 16; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 5; BSGE 82, 158, 163 f = SozR 3-2500 § 39 Nr 5 S 29 f, jeweils mwN). In Bezug auf Operationen am - krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper, die psychische Leiden beeinflussen sollen, lässt sich ausgehend von der aufgezeigten Rechtsprechung grundsätzlich eine Behandlungsbedürftigkeit nicht begründen (näher dazu BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 13 mwN - Zisidentität).

15

Auch allein das subjektive Empfinden eines Versicherten vermag die Regelwidrigkeit und die daraus abgeleitete Behandlungsbedürftigkeit seines Zustandes nicht zu bestimmen. Maßgeblich sind vielmehr objektive Kriterien, nämlich der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse (§ 2 Abs 1 S 3, § 28 Abs 1 S 1 SGB V; vgl zur Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 23 mwN) und - bei der Frage, ob eine Entstellung besteht - der objektive Zustand einer körperlichen Auffälligkeit von so beachtlicher Erheblichkeit, dass sie die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gefährdet (BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14 LS und RdNr 13 f). Andernfalls würde der Krankheitsbegriff über Gebühr relativiert und an Konturen verlieren. Es würde nicht gezielt gegen die eigentliche Krankheit selbst vorgegangen, sondern nur mittelbar die Besserung eines an sich einem anderen Bereich zugehörigen gesundheitlichen Defizits angestrebt (vgl zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 14 mwN - Zisidentität). Daran hält der Senat fest.

16

Der Senat hat allerdings bisher unter Hinweis auf die Regelungen des TSG eine Ausnahme von den dargestellten Grundsätzen in dem hier betroffenen Bereich im Falle einer besonders tief greifenden Form des Transsexualismus gemacht. Er hat in diesen Fällen einen Anspruch auf medizinisch indizierte Hormonbehandlung und geschlechtsangleichende Operationen bejaht (vgl zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 - Zisidentität),zugleich aber auch - neben § 27 Abs 1 S 1 SGB V - dem Regelungskonzept des TSG Grenzen der Reichweite des Anspruchs auf Krankenbehandlung entnommen(vgl BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 17 - Zisidentität). Die Ansprüche auf geschlechtsangleichende Operationen sind danach beschränkt auf einen Zustand, bei dem aus der Sicht eines verständigen Betrachters eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eintritt (vgl BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 unter Hinweis ua auf § 8 Abs 1 Nr 4 TSG).

17

Der erkennende Senat führt seine Rechtsprechung im Kern trotz der Entscheidung des BVerfG fort, § 8 Abs 1 Nr 4 TSG mit Art 2 Abs 1 und Art 2 Abs 2 iVm Art 1 Abs 1 GG für nicht vereinbar und bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung für nicht anwendbar zu erklären(vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909). Das BVerfG zielt mit seiner Entscheidung nämlich nur darauf ab, Transsexuelle vor unverhältnismäßigen Belastungen zu schützen. Es sieht - nach näherer Maßgabe der Entscheidungsgründe - die von § 8 Abs 1 Nr 4 TSG zum Erreichen personenstandsrechtlicher Änderungen zwingend vorgegebene deutliche Annäherung der transsexuellen Person an die körperliche Erscheinung des angestrebten anderen Geschlechts im Sinne einer genitalverändernden Operation angesichts der damit verbundenen gesundheitlichen Risiken als unzumutbar an. Es ist danach unzumutbar, von einem Transsexuellen zu verlangen, dass er sich derartigen risikoreichen, mit möglicherweise dauerhaften gesundheitlichen Schädigungen und Beeinträchtigungen verbundenen Operationen unterzieht, wenn sie medizinisch nicht indiziert sind, um damit die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit seiner Transsexualität unter Beweis zu stellen und die personenstandsrechtliche Anerkennung im empfundenen Geschlecht zu erhalten (BVerfGE 128, 109, 131 f = NJW 2011, 909, RdNr 70). Die operativen Eingriffe als solche stellen dagegen bei wirksamer Einwilligung des Transsexuellen keinen Verstoß gegen seine Menschenwürde, sein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und das Sittengesetz dar (vgl zu Letzterem bereits BVerfGE 49, 286, 299 f). Unverändert kann bei Transsexuellen eine Operation zur Herbeiführung einer deutlichen Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eine gebotene medizinische Maßnahme sein (BVerfGE 128, 109, 132 = NJW 2011, 909, RdNr 66; vgl auch zur Gesetzesentwicklung und § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF des GKV-VStG unten, II. 2).

18

c) Ein Anspruch Versicherter auf geschlechtsangleichende Operationen am - krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper zur Behandlung des Transsexualismus bedarf danach zunächst der medizinischen Indikation. Die geschlechtsangleichende Operation muss zudem zur Behandlung erforderlich sein. Daran fehlt es, wenn zum Erreichen der in § 27 Abs 1 S 1 SGB V genannten Therapieziele Behandlungsmaßnahmen ausreichen, die ein Leben im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen unterstützen oder sich auf hormonelle Behandlungen ohne Operationen beschränken. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen kann nicht losgelöst von der inneren Reichweite des Anspruchs überprüft werden (dazu 2.).

19

2. Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für eine MAP. Die Reichweite des Anspruchs Transsexueller auf Krankenbehandlung (§ 27 Abs 1 S 1 SGB V)im Sinne von geschlechtsangleichender Behandlung kann nach der dargelegten Rechtsprechung des BVerfG allerdings nicht mehr unter Rückgriff auf Wertungen des § 8 Abs 1 Nr 4 TSG eingegrenzt werden. Das Ausmaß des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung bestimmt sich nunmehr unter Einbeziehung der Wertungen des § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF des GKV-VStG auf der Basis der allgemeinen und besonderen Voraussetzungen des Anspruchs auf Krankenbehandlung(vgl dazu Hauck, NZS 2007, 461) nach den medizinischen Kriterien des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse (dazu a). Für das erforderliche Ausmaß der Behandlung ist dagegen nicht auf das Erscheinungsbild des Betroffenen im gesellschaftlichen Alltag in dem Sinne abzustellen, dass dem Anspruch bereits mit der Behebung einer Entstellung Genüge getan ist (dazu b).

20

a) Besteht eine Indikation für eine begehrte geschlechtsangleichende Operation transsexueller Versicherter, bestimmen vornehmlich objektivierte medizinische Kriterien das erforderliche Ausmaß. Hierbei ist vor allem die Zielsetzung der Therapie zu berücksichtigen, den Leidensdruck der Betroffenen durch solche operativen Eingriffe zu lindern, die darauf gerichtet sind, das körperlich bestehende Geschlecht dem empfundenen Geschlecht anzunähern, es diesem näherungsweise anzupassen.

21

Die Begrenzung auf eine bloße Annäherung des körperlichen Erscheinungsbildes an das gefühlte Geschlecht ergibt sich nicht nur aus den faktischen Schranken, die hormonelle Therapie und plastische Chirurgie setzen. Die Einräumung von Ansprüchen für transsexuelle Versicherte führen unverändert nicht dazu, Betroffenen Anspruch auf jegliche Art von geschlechtsangleichenden operativen Maßnahmen im Sinne einer optimalen Annäherung an ein vermeintliches Idealbild und ohne Einhaltung der durch das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung vorgegebenen allgemeinen Grenzen einzuräumen (vgl schon bisher BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 - Zisidentität; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 11). Die Ansprüche sind vielmehr beschränkt auf einen Zustand, der aus der Sicht eines verständigen Betrachters dem Erscheinungsbild des anderen Geschlechts deutlich angenähert ist.

22

Der Anspruch auf Krankenbehandlung hat sich nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V iVm § 2 Abs 1 S 3, § 2 Abs 4, § 12 Abs 1 SGB V daran auszurichten, welche Behandlung unter Beachtung des umfassenden Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit notwendig und ausreichend ist, um das angestrebte, in § 27 Abs 1 S 1 SGB V bezeichnete Behandlungsziel zu erreichen. Hierzu ist unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse nicht nur dem Grunde nach, sondern auch dem Umfang nach zu ermitteln, welche Reichweite der Therapie indiziert ist.

23

In Abkehr von den bisherigen Überlegungen, Transsexuellen zum Erreichen personenstandsrechtlicher Änderungen nach § 8 Abs 1 Nr 4 TSG (bisherige Fassung) eine genitalverändernde Operation abzuverlangen, können sich hierbei die gebotenen individuellen operativen Therapieansätze lediglich auf MAP ohne genitalverändernde Operationen beschränken. Denn neuere wissenschaftliche Erkenntnisse stützen die Relativierung des Operationswunsches in seiner Bedeutung für Diagnose und Therapie Transsexueller (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 35 mwN). Insoweit muss medizinisch abgeklärt sein, dass die begehrte Therapie - MAP - geeignet, ausreichend und erforderlich, im Rahmen gleichwertiger Alternativen zudem im engeren Sinne wirtschaftlich ist. Auch der Operationswunsch hinsichtlich einer MAP darf nicht eine Lösungsschablone für etwa verborgene andere psychische Störungen oder Unbehagen mit etablierten Geschlechtsrollenbildern sein, sondern muss aufgrund des Transsexualismus indiziert sein.

24

Die genannten Voraussetzungen sind bei der Klägerin nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG erfüllt. Das LSG zieht die ärztlich gestellte Indikation nicht in medizinischer Hinsicht in Zweifel, sondern hat lediglich in rechtlicher Hinsicht Bedenken gegen die Reichweite des geltend gemachten Anspruchs der Klägerin.

25

b) Der gegenüber der bisherigen Rechtslage geänderte rechtliche Ausgangspunkt des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung schließt es demgegenüber aus, die Reichweite des Anspruchs primär anhand von Kriterien des Behandlungsanspruchs wegen Entstellung zu umreißen. Eine Entstellung begründet einen Anspruch auf Krankenbehandlung wegen einer körperlichen, nicht psychischen Krankheit (vgl zum Ganzen grundlegend BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 13 f mwN). Innerer Grund des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Operationen ist es dagegen nicht, eine Entstellung zu heilen oder zu lindern. Ein solcher Anspruch, der bei Entstellung für alle Versicherte, auch für transsexuelle Versicherte besteht, bleibt hiervon unberührt.

26

3. Der Anspruch der Klägerin ist auch nicht wegen ihres bereits vorhandenen Brustansatzes ausgeschlossen. Es steht fest, dass die Klägerin einen Brustumfang hat, der eine medizinisch indizierte MAP erfordert.

27

Ansprüche Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung im Sinne medizinisch indizierter MAP sind zusätzlich durch das objektive Erscheinungsbild des Brustumfangs begrenzt. Die hierdurch gezogenen Grenzen sind allerdings weiter, als sie durch die oben dargelegte Rechtsprechung zur Entstellung gezogen sind. Wer als Mann-zu-Frau-Transsexueller - etwa aufgrund einer Hormontherapie - einen Brustansatz entwickelt hat, der die für konfektionierte Damenoberbekleidung vorgesehene Größe A nach DIN EN 13402 bei erfolgter Ausatmung im Rahmen normaler Messung ohne weitere Mittel voll ausfüllt, kann keine MAP beanspruchen (vgl zu DIN EN 13402: Größenbezeichnung von Bekleidung (2001) http://www.beuth.de/langanzeige/DIN-EN-13402-1/de/38031428). Das damit erreichte körperliche Erscheinungsbild bewegt sich nämlich - trotz der großen Vielfalt der Phänotypen bei Männern und Frauen - in einem unzweifelhaft geschlechtstypischen Bereich.

28

Die Grenze trägt auch dem Gleichbehandlungsgebot gemäß Art 3 Abs 1 GG Rechnung. Die Grenzziehung vermeidet es, transsexuellen Versicherten einen umfassenden leistungsrechtlichen Zugang zu kosmetischen Operationen zu eröffnen, der nichttranssexuellen Versicherten von vornherein versperrt ist (vgl dazu zB BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 13 mwN).

29

Nach den unangegriffenen, den Senat bindenden (§ 163 SGG)Feststellungen des LSG hat die Mikromastie der Klägerin nicht ein Ausmaß, das nach den dargelegten Kriterien einen Anspruch auf eine MAP ausschließt.

30

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 2011 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Versorgung der Klägerin mit einer Mamma-Augmentationsplastik (MAP).

2

Die 1949 als Mann geborene, bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin wird infolge eines Mann-zu-Frau-Transsexualismus seit März 2005 mit weiblichen Hormonen behandelt. Die Beklagte bewilligte der Klägerin eine geschlechtsangleichende Genitaloperation, die im Oktober 2007 erfolgte, lehnte aber eine MAP ab (Bescheide vom 28.6.2007 und 14.8.2008, Widerspruchsbescheid vom 8.12.2008). Die Brustgröße der Klägerin stelle keinen regelwidrigen Körperzustand dar. Der psychische Leidensdruck der Klägerin sei psychiatrisch oder psychotherapeutisch zu behandeln. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 24.3.2010). Mit ihrer Berufung hat die Klägerin geltend gemacht, trotz der Hormonbehandlung wirke ihre Brust eher männlich. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen: Der Leidensdruck, der Klägerin, abweichend vom biologischen Geschlecht als Angehöriger des anderen Geschlechts erkannt und anerkannt zu werden, sei eine behandlungsbedürftige Krankheit. Das Behandlungsziel einer nach dem gesamten Erscheinungsbild deutlichen Annäherung an das empfundene Geschlecht sei aber bei dem schlanken Erscheinungsbild der Klägerin mit einer natürlich wirkenden Brust insgesamt erreicht. Für diese auf einen Befundbericht und die Wahrnehmung in der mündlichen Verhandlung gestützte Einschätzung habe es keines medizinischen Fachwissens und keines Sachverständigenbeweises bedurft (Urteil vom 8.12.2011).

3

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 27 Abs 1 S 1 SGB V und des § 103 SGG. Ihr Anspruch auf Krankenbehandlung wegen Transsexualismus umfasse aufgrund der gegebenen medizinischen Indikation auch eine MAP. Sie könne nicht auf die Verwendung von Hilfsmitteln wie zB BH-Einlagen verwiesen werden. Das LSG hätte - wie beantragt - zum Erscheinungsbild ihrer Brust Beweis durch Sachverständige erheben müssen.

4

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 2011 und das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 24. März 2010 aufzuheben sowie die Bescheide der Beklagten vom 28. Juni 2007 und 14. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 2008 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin mit einer beidseitigen Mamma-Augmentationsplastik zu versorgen,
hilfsweise,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 2011 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

5

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

6

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Das angefochtene LSG-Urteil ist aufzuheben, denn es verletzt materielles Recht. Die unangegriffenen, den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG reichen nicht aus, um abschließend über den geltend gemachten Anspruch auf Versorgung mit einer MAP aus § 27 Abs 1 S 1 SGB V zu entscheiden. Der von der Klägerin bereits durch die Hormonbehandlung erreichte Brustumfang steht nicht fest, so dass der Senat nicht die Erforderlichkeit der von der Klägerin begehrten MAP beurteilen kann.

8

Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, dass transsexuelle Versicherte nach § 27 Abs 1 SGB V Anspruch auf geschlechtsangleichende Behandlungsmaßnahmen einschließlich chirurgischer Eingriffe in gesunde Organe zur Minderung ihres psychischen Leidensdrucks haben können, um sich dem Erscheinungsbild des angestrebten anderen Geschlechts deutlich anzunähern(dazu 1.). Die Reichweite des Anspruchs auf geschlechtsangleichende Behandlung bestimmt sich auf der Basis der allgemeinen und besonderen Voraussetzungen des Anspruchs auf Krankenbehandlung nach medizinischen Kriterien (dazu 2.). Die Entscheidung des LSG erweist sich weder ganz noch teilweise aus anderen Gründen als zutreffend. Das LSG wird nunmehr das noch Erforderliche aufzuklären haben (dazu 3.).

9

1. Versicherte - wie die Klägerin - haben nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V Anspruch auf Krankenbe-handlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Klägerin leidet an Transsexualismus in Gestalt einer psychischen Krankheit, deren Behandlung notwendig ist (dazu a). Obwohl der Anspruch auf Krankenbehandlung psychischer Krankheiten grundsätzlich nicht körperliche Eingriffe in intakte Organsysteme erfasst, können zur notwendigen Krankenbehandlung des Transsexualismus - als Ausnahme von diesem Grundsatz - operative Eingriffe in den gesunden Körper zwecks Veränderung der äußerlich sichtbaren Geschlechtsmerkmale gehören (dazu b). Die genannten operativen Eingriffe in den gesunden Körper müssen medizinisch erforderlich sein (dazu c).

10

a) Grundvoraussetzung des Anspruchs Versicherter auf Krankenbehandlung ist, dass sie an einer Krankheit leiden. Krankheit iS von § 27 Abs 1 S 1 SGB V ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht(stRspr, vgl nur BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 10 mwN - Zisidentität; zu Bestrebungen, den Transsexualismus zu "entpathologisieren", vgl LSG Baden-Württemberg Urteil vom 25.1.2012 - L 5 KR 375/10 - Juris RdNr 44). Die Klägerin leidet in diesem Sinne an einer Krankheit, nämlich an behandlungsbedürftigem Transsexualismus.

11

Transsexualismus ist nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse eine psychische Krankheit. Transsexuelle leben in dem irreversiblen und dauerhaften Bewusstsein, dem Geschlecht anzugehören, dem sie aufgrund ihrer äußeren körperlichen Geschlechtsmerkmale zum Zeitpunkt der Geburt nicht zugeordnet wurden (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 34 mwN). Für die Diagnose entscheidend ist die Stabilität des transsexuellen Wunsches, der vollständigen psychischen Identifikation mit dem anderen, dem eigenen Körper widersprechenden Geschlecht (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 35 unter Hinweis auf Becker/Berner/Dannecker/Richter-Appelt, Zf Sexualforschung 2001, S 258, 260; Pichlo, in: Groß/Neuschaefer-Grube/Steinmetzer, Transsexualität und Intersexualität, Medizinische, ethische, soziale und juristische Aspekte, 2008, S 121). Die ICD-10-GM Version 2012 ordnet Transsexualismus mit dem Schlüssel F64.0 (Störungen der Geschlechtsidentität) dem Kapitel V zu (Psychische und Verhaltensstörungen ). F64.0 spricht von dem "Wunsch, als Angehöriger des anderen Geschlechtes zu leben und anerkannt zu werden".

12

Die Rechtsordnung erkennt Transsexualismus nicht nur personenstandsrechtlich, sondern auch als behandlungsbedürftige Krankheit an. Der Gesetzgeber hat bereits durch Schaffung des Gesetzes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz ) vom 10.9.1980 (BGBl I 1654; zuletzt geändert durch Beschluss des BVerfG vom 11.1.2011 - 1 BvR 3295/07 - BGBl I 224 = BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909) bestätigt, dass der Befund des Transsexualismus eine außergewöhnliche rechtliche Bewertung rechtfertigt (BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 11; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 17). Inzwischen erstreckt das SGB V ausdrücklich die ambulante spezialfachärztliche Versorgung auf die Diagnostik und Behandlung komplexer, schwer therapierbarer Krankheiten, die je nach Krankheit eine spezielle Qualifikation, eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und besondere Ausstattungen erfordern. Hierzu gehört ua Transsexualismus als seltene Erkrankung (vgl § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF durch Art 1 Nr 44 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 22.12.2011, BGBl I 2983; vgl dazu BT-Drucks 17/6906 S 81; vgl zuvor Anlage 2 Nr 9 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die ambulante Behandlung im Krankenhaus nach § 116b SGB V idF vom 18.10.2005, BAnz Nr 7 S 88 vom 11.1.2006, zuletzt geändert am 15.12.2011, BAnz Nr 197 S 4655, in Kraft getreten am 31.12.2011; zur erstmaligen Berücksichtigung des Transsexualismus als seltene Erkrankung im Rahmen des § 116b SGB V aF vgl die Bekanntmachung des GBA über eine Ergänzung des Katalogs nach § 116b Abs 3 SGB V vom 16.3.2004, BAnz Nr 88 S 10 177).

13

b) Das Spektrum medizinisch indizierter Krankenbehandlung des Transsexualismus ist mittlerweile - anknüpfend an den Erkenntnisfortschritt über die Erkrankung - weit gefächert. Für erforderlich werden individuelle therapeutische Lösungen erachtet, die von einem Leben im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen über hormonelle Behandlungen bis hin zur weitgehenden operativen Geschlechtsangleichung reichen können (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 36 unter Hinweis auf Pichlo in Groß/Neuschaefer-Grube/Steinmetzer, Transsexualität und Intersexualität, Medizinische, ethische, soziale und juristische Aspekte, 2008, 119, 122; Rauchfleisch, Transsexualität - Transidentität, 2006, 17; Becker in Kockott/Fahrner, Sexualstörungen, 2004, 153, 180, 181).

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Während notwendige Krankenbehandlung des Transsexualismus auf psychischer Ebene nach den allgemeinen Grundsätzen zur Ermöglichung und Stützung eines Lebens im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen unproblematisch von § 27 Abs 1 S 1 SGB V erfasst ist, versteht sich dies für hormonelle Behandlungen bis hin zur weitgehenden operativen Geschlechtsangleichung nicht in gleicher Weise beinahe von selbst. Der erkennende Senat erachtet dennoch solche Ansprüche weiterhin für möglich.

15

Die ständige Rechtsprechung des für diese Frage allein zuständigen erkennenden Senats verneint grundsätzlich eine Behandlungsbedürftigkeit psychischer Krankheiten mittels angestrebter körperlicher Eingriffe, wenn diese Maßnahmen nicht durch körperliche Fehlfunktionen oder durch Entstellung, also nicht durch einen regelwidrigen Körperzustand veranlasst werden (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 13 - Zisidentität; BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 16; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 5; BSGE 82, 158, 163 f = SozR 3-2500 § 39 Nr 5 S 29 f, jeweils mwN). In Bezug auf Operationen am - krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper, die psychische Leiden beeinflussen sollen, lässt sich ausgehend von der aufgezeigten Rechtsprechung grundsätzlich eine Behandlungsbedürftigkeit nicht begründen (näher dazu BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 13 mwN - Zisidentität).

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Auch allein das subjektive Empfinden eines Versicherten vermag die Regelwidrigkeit und die daraus abgeleitete Behandlungsbedürftigkeit seines Zustandes nicht zu bestimmen. Maßgeblich sind vielmehr objektive Kriterien, nämlich der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse (§ 2 Abs 1 S 3, § 28 Abs 1 S 1 SGB V; vgl zur Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 23 mwN) und - bei der Frage, ob eine Entstellung besteht - der objektive Zustand einer körperlichen Auffälligkeit von so beachtlicher Erheblichkeit, dass sie die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gefährdet (BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14 LS und RdNr 13 f). Andernfalls würde der Krankheitsbegriff über Gebühr relativiert und an Konturen verlieren. Es würde nicht gezielt gegen die eigentliche Krankheit selbst vorgegangen, sondern nur mittelbar die Besserung eines an sich einem anderen Bereich zugehörigen gesundheitlichen Defizits angestrebt (vgl zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 14 mwN - Zisidentität). Daran hält der Senat fest.

17

Der Senat hat allerdings bisher unter Hinweis auf die Regelungen des TSG eine Ausnahme von den dargestellten Grundsätzen in dem hier betroffenen Bereich im Falle einer besonders tief greifenden Form des Transsexualismus gemacht. Er hat in diesen Fällen einen Anspruch auf medizinisch indizierte Hormonbehandlung und geschlechtsangleichende Operationen bejaht (vgl zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 - Zisidentität),zugleich aber auch - neben § 27 Abs 1 S 1 SGB V - dem Regelungskonzept des TSG Grenzen der Reichweite des Anspruchs auf Krankenbehandlung entnommen(vgl BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 17 - Zisidentität). Die Ansprüche auf geschlechtsangleichende Operationen sind danach beschränkt auf einen Zustand, bei dem aus der Sicht eines verständigen Betrachters eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eintritt (vgl BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 unter Hinweis ua auf § 8 Abs 1 Nr 4 TSG).

18

Der erkennende Senat führt seine Rechtsprechung im Kern trotz der Entscheidung des BVerfG fort, § 8 Abs 1 Nr 4 TSG mit Art 2 Abs 1 und Art 2 Abs 2 iVm Art 1 Abs 1 GG für nicht vereinbar und bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung für nicht anwendbar zu erklären(vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909). Das BVerfG zielt mit seiner Entscheidung nämlich nur darauf ab, Transsexuelle vor unverhältnismäßigen Belastungen zu schützen. Es sieht - nach näherer Maßgabe der Entscheidungsgründe - die von § 8 Abs 1 Nr 4 TSG zum Erreichen personenstandsrechtlicher Änderungen zwingend vorgegebene deutliche Annäherung der transsexuellen Person an die körperliche Erscheinung des angestrebten anderen Geschlechts im Sinne einer genitalverändernden Operation angesichts der damit verbundenen gesundheitlichen Risiken als unzumutbar an. Es ist danach unzumutbar, von einem Transsexuellen zu verlangen, dass er sich derartigen risikoreichen, mit möglicherweise dauerhaften gesundheitlichen Schädigungen und Beeinträchtigungen verbundenen Operationen unterzieht, wenn sie medizinisch nicht indiziert sind, um damit die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit seiner Transsexualität unter Beweis zu stellen und die personenstandsrechtliche Anerkennung im empfundenen Geschlecht zu erhalten (BVerfGE 128, 109, 131 f = NJW 2011, 909, RdNr 70). Die operativen Eingriffe als solche stellen dagegen bei wirksamer Einwilligung des Transsexuellen keinen Verstoß gegen seine Menschenwürde, sein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und das Sittengesetz dar (vgl zu Letzterem bereits BVerfGE 49, 286, 299 f). Unverändert kann bei Transsexuellen eine Operation zur Herbeiführung einer deutlichen Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eine gebotene medizinische Maßnahme sein (BVerfGE 128, 109, 132 = NJW 2011, 909, RdNr 66; vgl auch zur Gesetzesentwicklung und zu § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF des GKV-VStG oben II 1 a).

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c) Ein Anspruch Versicherter auf geschlechtsangleichende Operationen am - krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper zur Behandlung des Transsexualismus bedarf danach zunächst der medizinischen Indikation. Die geschlechtsangleichende Operation muss zudem zur Behandlung erforderlich sein. Daran fehlt es, wenn zum Erreichen der in § 27 Abs 1 S 1 SGB V genannten Therapieziele Behandlungsmaßnahmen ausreichen, die ein Leben im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen unterstützen oder sich auf hormonelle Behandlungen ohne Operationen beschränken. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen kann nicht losgelöst von der inneren Reichweite des Anspruchs überprüft werden (dazu 2.).

20

2. Die Reichweite des Anspruchs Transsexueller auf Krankenbehandlung (§ 27 Abs 1 S 1 SGB V)im Sinne von geschlechtsangleichender Behandlung kann nach der dargelegten Rechtsprechung des BVerfG nicht mehr unter Rückgriff auf Wertungen des § 8 Abs 1 Nr 4 TSG eingegrenzt werden. Das Ausmaß des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung bestimmt sich nunmehr unter Einbeziehung der Wertungen des § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF des GKV-VStG auf der Basis der allgemeinen und besonderen Voraussetzungen des Anspruchs auf Krankenbehandlung(vgl dazu Hauck, NZS 2007, 461) nach den medizinischen Kriterien des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse (dazu a). Für das erforderliche Ausmaß der Behandlung ist dagegen nicht auf das Erscheinungsbild des Betroffenen im gesellschaftlichen Alltag in dem Sinne abzustellen, dass dem Anspruch bereits mit der Behebung einer Entstellung Genüge getan ist (dazu b).

21

a) Besteht eine Indikation für eine begehrte geschlechtsangleichende Operation transsexueller Versicherter, bestimmen vornehmlich objektivierte medizinische Kriterien das erforderliche Ausmaß. Hierbei ist vor allem die Zielsetzung der Therapie zu berücksichtigen, den Leidensdruck der Betroffenen durch solche operativen Eingriffe zu lindern, die darauf gerichtet sind, das körperlich bestehende Geschlecht dem empfundenen Geschlecht anzunähern, es diesem näherungsweise anzupassen.

22

Die Begrenzung auf eine bloße Annäherung des körperlichen Erscheinungsbildes an das gefühlte Geschlecht ergibt sich nicht nur aus den faktischen Schranken, die hormonelle Therapie und plastische Chirurgie setzen. Die Einräumung von Ansprüchen für transsexuelle Versicherte führen unverändert nicht dazu, Betroffenen Anspruch auf jegliche Art von geschlechtsangleichenden operativen Maßnahmen im Sinne einer optimalen Annäherung an ein vermeintliches Idealbild und ohne Einhaltung der durch das Recht der GKV vorgegebenen allgemeinen Grenzen einzuräumen (vgl schon bisher BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 - Zisidentität; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 11). Die Ansprüche sind vielmehr beschränkt auf einen Zustand, der aus der Sicht eines verständigen Betrachters dem Erscheinungsbild des anderen Geschlechts deutlich angenähert ist.

23

Der Anspruch auf Krankenbehandlung hat sich nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V iVm § 2 Abs 1 S 3, § 2 Abs 4, § 12 Abs 1 SGB V daran auszurichten, welche Behandlung unter Beachtung des umfassenden Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit notwendig und ausreichend ist, um das angestrebte, in § 27 Abs 1 S 1 SGB V bezeichnete Behandlungsziel zu erreichen. Hierzu ist unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse nicht nur dem Grunde nach, wie das LSG insoweit zutreffend ausgeführt hat, sondern auch dem Umfang nach zu ermitteln, welche Reichweite der Therapie indiziert ist.

24

In Abkehr von den bisherigen Überlegungen, Transsexuellen zum Erreichen personenstandsrechtlicher Änderungen nach § 8 Abs 1 Nr 4 TSG (bisherige Fassung) eine genitalverändernde Operation abzuverlangen, können sich hierbei die gebotenen individuellen operativen Therapieansätze lediglich auf MAP ohne genitalverändernde Operationen beschränken. Denn neuere wissenschaftliche Erkenntnisse stützen die Relativierung des Operationswunsches in seiner Bedeutung für Diagnose und Therapie Transsexueller (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 35 mwN). Insoweit muss aber medizinisch abgeklärt sein, dass die begehrte Therapie - MAP - geeignet, ausreichend und erforderlich, im Rahmen gleichwertiger Alternativen zudem im engeren Sinne wirtschaftlich ist. Auch der Operationswunsch hinsichtlich einer MAP darf nicht eine Lösungsschablone für etwa verborgene andere psychische Störungen oder Unbehagen mit etablierten Geschlechtsrollenbildern sein, sondern muss aufgrund des Transsexualismus indiziert sein.

25

Ist - wie hier - bereits eine genitalverändernde Operation durchgeführt worden, ist vorbehaltlich besonderer Umstände eine erneute Prüfung entbehrlich, ob die Linderung des aus dem Transsexualismus resultierenden psychischen Leidensdrucks allein durch nicht operative Behandlungsmaßnahmen noch in ausreichendem Umfang möglich ist. Dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG sind derartige besondere Umstände nicht zu entnehmen. Davon zu unterscheiden ist die nach rechtlichen Maßstäben zu beantwortende Frage, ob eine MAP im Sinne der Annäherung an das Erscheinungsbild des angestrebten anderen Geschlechts noch objektiv erforderlich ist (näher dazu unter II. 3.).

26

b) Der gegenüber der bisherigen Rechtslage geänderte rechtliche Ausgangspunkt des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung schließt es aus, die Reichweite des Anspruchs primär anhand von Kriterien des Behandlungsanspruchs wegen Entstellung zu umreißen. Eine Entstellung begründet einen Anspruch auf Krankenbehandlung wegen einer körperlichen, nicht psychischen Krankheit (vgl zum Ganzen grundlegend BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 13 f mwN). Innerer Grund des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Operationen ist es dagegen nicht, eine Entstellung zu heilen oder zu lindern. Ein solcher Anspruch, der bei Entstellung für alle Versicherte, auch für transsexuelle Versicherte besteht, bleibt hiervon unberührt.

27

3. Das LSG-Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als zutreffend. Es steht nicht fest, dass die Klägerin einen Brustumfang hat, der eine MAP nicht mehr erforderlich macht.

28

Ansprüche Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung im Sinne medizinisch indizierter MAP sind zusätzlich durch das objektive Erscheinungsbild des Brustumfangs begrenzt. Die hierdurch gezogenen Grenzen sind allerdings weiter, als sie durch die oben dargelegte Rechtsprechung zur Entstellung gezogen sind. Wer als Mann-zu-Frau-Transsexueller - etwa aufgrund einer Hormontherapie - einen Brustansatz entwickelt hat, der die für konfektionierte Damenoberbekleidung vorgesehene Größe A nach DIN EN 13402 bei erfolgter Ausatmung im Rahmen normaler Messung ohne weitere Mittel voll ausfüllt, kann keine MAP beanspruchen (vgl zu DIN EN 13402: Größenbezeichnung von Bekleidung (2001) http://www.beuth.de/langanzeige/DIN-EN-13402-1/de/38031428). Das damit erreichte körperliche Erscheinungsbild bewegt sich nämlich - trotz der großen Vielfalt der Phänotypen bei Männern und Frauen - in einem unzweifelhaft geschlechtstypischen Bereich.

29

Die Grenze trägt auch dem Gleichbehandlungsgebot gemäß Art 3 Abs 1 GG Rechnung. Die Grenzziehung vermeidet es, transsexuellen Versicherten einen umfassenden leistungsrechtlichen Zugang zu kosmetischen Operationen zu eröffnen, der nicht transsexuellen Versicherten von vornherein versperrt ist (vgl dazu zB BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 13 mwN).

30

Das LSG hat hierzu - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen. Die Klägerin bestreitet die Entwicklung eines Brustansatzes, der nach den dargelegten Kriterien einen Anspruch auf eine MAP ausschließt. Danach wird das LSG festzustellen haben, dass die Klägerin keinen Brustansatz entwickelt hat, der nach den dargelegten Kriterien einen Anspruch auf eine MAP ausschließt.

31

4. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.

(1) Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfaßt

1.
Ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung,
2.
zahnärztliche Behandlung,
2a.
Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen,
3.
Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln sowie mit digitalen Gesundheitsanwendungen,
4.
häusliche Krankenpflege, außerklinische Intensivpflege und Haushaltshilfe,
5.
Krankenhausbehandlung,
6.
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und ergänzende Leistungen.
Zur Krankenbehandlung gehört auch die palliative Versorgung der Versicherten. Bei der Krankenbehandlung ist den besonderen Bedürfnissen psychisch Kranker Rechnung zu tragen, insbesondere bei der Versorgung mit Heilmitteln und bei der medizinischen Rehabilitation. Zur Krankenbehandlung gehören auch Leistungen zur Herstellung der Zeugungs- oder Empfängnisfähigkeit, wenn diese Fähigkeit nicht vorhanden war oder durch Krankheit oder wegen einer durch Krankheit erforderlichen Sterilisation verlorengegangen war. Zur Krankenbehandlung gehören auch Leistungen zur vertraulichen Spurensicherung am Körper, einschließlich der erforderlichen Dokumentation sowie Laboruntersuchungen und einer ordnungsgemäßen Aufbewahrung der sichergestellten Befunde, bei Hinweisen auf drittverursachte Gesundheitsschäden, die Folge einer Misshandlung, eines sexuellen Missbrauchs, eines sexuellen Übergriffs, einer sexuellen Nötigung oder einer Vergewaltigung sein können.

(1a) Spender von Organen oder Geweben oder von Blut zur Separation von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen (Spender) haben bei einer nach den §§ 8 und 8a des Transplantationsgesetzes erfolgenden Spende von Organen oder Geweben oder im Zusammenhang mit einer im Sinne von § 9 des Transfusionsgesetzes erfolgenden Spende zum Zwecke der Übertragung auf Versicherte (Entnahme bei lebenden Spendern) Anspruch auf Leistungen der Krankenbehandlung. Dazu gehören die ambulante und stationäre Behandlung der Spender, die medizinisch erforderliche Vor- und Nachbetreuung, Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie die Erstattung des Ausfalls von Arbeitseinkünften als Krankengeld nach § 44a und erforderlicher Fahrkosten; dies gilt auch für Leistungen, die über die Leistungen nach dem Dritten Kapitel dieses Gesetzes, auf die ein Anspruch besteht, hinausgehen, soweit sie vom Versicherungsschutz des Spenders umfasst sind. Zuzahlungen sind von den Spendern nicht zu leisten. Zuständig für Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 ist die Krankenkasse der Empfänger von Organen, Geweben oder Blutstammzellen sowie anderen Blutbestandteilen (Empfänger). Im Zusammenhang mit der Spende von Knochenmark nach den §§ 8 und 8a des Transplantationsgesetzes, von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen nach § 9 des Transfusionsgesetzes können die Erstattung der erforderlichen Fahrkosten des Spenders und die Erstattung der Entgeltfortzahlung an den Arbeitgeber nach § 3a Absatz 2 Satz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes einschließlich der Befugnis zum Erlass der hierzu erforderlichen Verwaltungsakte auf Dritte übertragen werden. Das Nähere kann der Spitzenverband Bund der Krankenkassen mit den für die nationale und internationale Suche nach nichtverwandten Spendern von Blutstammzellen aus Knochenmark oder peripherem Blut maßgeblichen Organisationen vereinbaren. Für die Behandlung von Folgeerkrankungen der Spender ist die Krankenkasse der Spender zuständig, sofern der Leistungsanspruch nicht nach § 11 Absatz 5 ausgeschlossen ist. Ansprüche nach diesem Absatz haben auch nicht gesetzlich krankenversicherte Personen. Die Krankenkasse der Spender ist befugt, die für die Leistungserbringung nach den Sätzen 1 und 2 erforderlichen personenbezogenen Daten an die Krankenkasse oder das private Krankenversicherungsunternehmen der Empfänger zu übermitteln; dies gilt auch für personenbezogene Daten von nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz Krankenversicherungspflichtigen. Die nach Satz 9 übermittelten Daten dürfen nur für die Erbringung von Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 verarbeitet werden. Die Datenverarbeitung nach den Sätzen 9 und 10 darf nur mit schriftlicher Einwilligung der Spender, der eine umfassende Information vorausgegangen ist, erfolgen.

(2) Versicherte, die sich nur vorübergehend im Inland aufhalten, Ausländer, denen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt wurde, sowie

1.
asylsuchende Ausländer, deren Asylverfahren noch nicht unanfechtbar abgeschlossen ist,
2.
Vertriebene im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 und 3 des Bundesvertriebenengesetzes sowie Spätaussiedler im Sinne des § 4 des Bundesvertriebenengesetzes, ihre Ehegatten, Lebenspartner und Abkömmlinge im Sinne des § 7 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes haben Anspruch auf Versorgung mit Zahnersatz, wenn sie unmittelbar vor Inanspruchnahme mindestens ein Jahr lang Mitglied einer Krankenkasse (§ 4) oder nach § 10 versichert waren oder wenn die Behandlung aus medizinischen Gründen ausnahmsweise unaufschiebbar ist.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 2011 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Versorgung der Klägerin mit einer Mamma-Augmentationsplastik (MAP).

2

Die 1949 als Mann geborene, bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin wird infolge eines Mann-zu-Frau-Transsexualismus seit März 2005 mit weiblichen Hormonen behandelt. Die Beklagte bewilligte der Klägerin eine geschlechtsangleichende Genitaloperation, die im Oktober 2007 erfolgte, lehnte aber eine MAP ab (Bescheide vom 28.6.2007 und 14.8.2008, Widerspruchsbescheid vom 8.12.2008). Die Brustgröße der Klägerin stelle keinen regelwidrigen Körperzustand dar. Der psychische Leidensdruck der Klägerin sei psychiatrisch oder psychotherapeutisch zu behandeln. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 24.3.2010). Mit ihrer Berufung hat die Klägerin geltend gemacht, trotz der Hormonbehandlung wirke ihre Brust eher männlich. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen: Der Leidensdruck, der Klägerin, abweichend vom biologischen Geschlecht als Angehöriger des anderen Geschlechts erkannt und anerkannt zu werden, sei eine behandlungsbedürftige Krankheit. Das Behandlungsziel einer nach dem gesamten Erscheinungsbild deutlichen Annäherung an das empfundene Geschlecht sei aber bei dem schlanken Erscheinungsbild der Klägerin mit einer natürlich wirkenden Brust insgesamt erreicht. Für diese auf einen Befundbericht und die Wahrnehmung in der mündlichen Verhandlung gestützte Einschätzung habe es keines medizinischen Fachwissens und keines Sachverständigenbeweises bedurft (Urteil vom 8.12.2011).

3

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 27 Abs 1 S 1 SGB V und des § 103 SGG. Ihr Anspruch auf Krankenbehandlung wegen Transsexualismus umfasse aufgrund der gegebenen medizinischen Indikation auch eine MAP. Sie könne nicht auf die Verwendung von Hilfsmitteln wie zB BH-Einlagen verwiesen werden. Das LSG hätte - wie beantragt - zum Erscheinungsbild ihrer Brust Beweis durch Sachverständige erheben müssen.

4

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 2011 und das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 24. März 2010 aufzuheben sowie die Bescheide der Beklagten vom 28. Juni 2007 und 14. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 2008 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin mit einer beidseitigen Mamma-Augmentationsplastik zu versorgen,
hilfsweise,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 2011 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

5

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

6

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Das angefochtene LSG-Urteil ist aufzuheben, denn es verletzt materielles Recht. Die unangegriffenen, den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG reichen nicht aus, um abschließend über den geltend gemachten Anspruch auf Versorgung mit einer MAP aus § 27 Abs 1 S 1 SGB V zu entscheiden. Der von der Klägerin bereits durch die Hormonbehandlung erreichte Brustumfang steht nicht fest, so dass der Senat nicht die Erforderlichkeit der von der Klägerin begehrten MAP beurteilen kann.

8

Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, dass transsexuelle Versicherte nach § 27 Abs 1 SGB V Anspruch auf geschlechtsangleichende Behandlungsmaßnahmen einschließlich chirurgischer Eingriffe in gesunde Organe zur Minderung ihres psychischen Leidensdrucks haben können, um sich dem Erscheinungsbild des angestrebten anderen Geschlechts deutlich anzunähern(dazu 1.). Die Reichweite des Anspruchs auf geschlechtsangleichende Behandlung bestimmt sich auf der Basis der allgemeinen und besonderen Voraussetzungen des Anspruchs auf Krankenbehandlung nach medizinischen Kriterien (dazu 2.). Die Entscheidung des LSG erweist sich weder ganz noch teilweise aus anderen Gründen als zutreffend. Das LSG wird nunmehr das noch Erforderliche aufzuklären haben (dazu 3.).

9

1. Versicherte - wie die Klägerin - haben nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V Anspruch auf Krankenbe-handlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Klägerin leidet an Transsexualismus in Gestalt einer psychischen Krankheit, deren Behandlung notwendig ist (dazu a). Obwohl der Anspruch auf Krankenbehandlung psychischer Krankheiten grundsätzlich nicht körperliche Eingriffe in intakte Organsysteme erfasst, können zur notwendigen Krankenbehandlung des Transsexualismus - als Ausnahme von diesem Grundsatz - operative Eingriffe in den gesunden Körper zwecks Veränderung der äußerlich sichtbaren Geschlechtsmerkmale gehören (dazu b). Die genannten operativen Eingriffe in den gesunden Körper müssen medizinisch erforderlich sein (dazu c).

10

a) Grundvoraussetzung des Anspruchs Versicherter auf Krankenbehandlung ist, dass sie an einer Krankheit leiden. Krankheit iS von § 27 Abs 1 S 1 SGB V ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht(stRspr, vgl nur BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 10 mwN - Zisidentität; zu Bestrebungen, den Transsexualismus zu "entpathologisieren", vgl LSG Baden-Württemberg Urteil vom 25.1.2012 - L 5 KR 375/10 - Juris RdNr 44). Die Klägerin leidet in diesem Sinne an einer Krankheit, nämlich an behandlungsbedürftigem Transsexualismus.

11

Transsexualismus ist nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse eine psychische Krankheit. Transsexuelle leben in dem irreversiblen und dauerhaften Bewusstsein, dem Geschlecht anzugehören, dem sie aufgrund ihrer äußeren körperlichen Geschlechtsmerkmale zum Zeitpunkt der Geburt nicht zugeordnet wurden (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 34 mwN). Für die Diagnose entscheidend ist die Stabilität des transsexuellen Wunsches, der vollständigen psychischen Identifikation mit dem anderen, dem eigenen Körper widersprechenden Geschlecht (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 35 unter Hinweis auf Becker/Berner/Dannecker/Richter-Appelt, Zf Sexualforschung 2001, S 258, 260; Pichlo, in: Groß/Neuschaefer-Grube/Steinmetzer, Transsexualität und Intersexualität, Medizinische, ethische, soziale und juristische Aspekte, 2008, S 121). Die ICD-10-GM Version 2012 ordnet Transsexualismus mit dem Schlüssel F64.0 (Störungen der Geschlechtsidentität) dem Kapitel V zu (Psychische und Verhaltensstörungen ). F64.0 spricht von dem "Wunsch, als Angehöriger des anderen Geschlechtes zu leben und anerkannt zu werden".

12

Die Rechtsordnung erkennt Transsexualismus nicht nur personenstandsrechtlich, sondern auch als behandlungsbedürftige Krankheit an. Der Gesetzgeber hat bereits durch Schaffung des Gesetzes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz ) vom 10.9.1980 (BGBl I 1654; zuletzt geändert durch Beschluss des BVerfG vom 11.1.2011 - 1 BvR 3295/07 - BGBl I 224 = BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909) bestätigt, dass der Befund des Transsexualismus eine außergewöhnliche rechtliche Bewertung rechtfertigt (BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 11; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 17). Inzwischen erstreckt das SGB V ausdrücklich die ambulante spezialfachärztliche Versorgung auf die Diagnostik und Behandlung komplexer, schwer therapierbarer Krankheiten, die je nach Krankheit eine spezielle Qualifikation, eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und besondere Ausstattungen erfordern. Hierzu gehört ua Transsexualismus als seltene Erkrankung (vgl § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF durch Art 1 Nr 44 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 22.12.2011, BGBl I 2983; vgl dazu BT-Drucks 17/6906 S 81; vgl zuvor Anlage 2 Nr 9 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die ambulante Behandlung im Krankenhaus nach § 116b SGB V idF vom 18.10.2005, BAnz Nr 7 S 88 vom 11.1.2006, zuletzt geändert am 15.12.2011, BAnz Nr 197 S 4655, in Kraft getreten am 31.12.2011; zur erstmaligen Berücksichtigung des Transsexualismus als seltene Erkrankung im Rahmen des § 116b SGB V aF vgl die Bekanntmachung des GBA über eine Ergänzung des Katalogs nach § 116b Abs 3 SGB V vom 16.3.2004, BAnz Nr 88 S 10 177).

13

b) Das Spektrum medizinisch indizierter Krankenbehandlung des Transsexualismus ist mittlerweile - anknüpfend an den Erkenntnisfortschritt über die Erkrankung - weit gefächert. Für erforderlich werden individuelle therapeutische Lösungen erachtet, die von einem Leben im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen über hormonelle Behandlungen bis hin zur weitgehenden operativen Geschlechtsangleichung reichen können (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 36 unter Hinweis auf Pichlo in Groß/Neuschaefer-Grube/Steinmetzer, Transsexualität und Intersexualität, Medizinische, ethische, soziale und juristische Aspekte, 2008, 119, 122; Rauchfleisch, Transsexualität - Transidentität, 2006, 17; Becker in Kockott/Fahrner, Sexualstörungen, 2004, 153, 180, 181).

14

Während notwendige Krankenbehandlung des Transsexualismus auf psychischer Ebene nach den allgemeinen Grundsätzen zur Ermöglichung und Stützung eines Lebens im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen unproblematisch von § 27 Abs 1 S 1 SGB V erfasst ist, versteht sich dies für hormonelle Behandlungen bis hin zur weitgehenden operativen Geschlechtsangleichung nicht in gleicher Weise beinahe von selbst. Der erkennende Senat erachtet dennoch solche Ansprüche weiterhin für möglich.

15

Die ständige Rechtsprechung des für diese Frage allein zuständigen erkennenden Senats verneint grundsätzlich eine Behandlungsbedürftigkeit psychischer Krankheiten mittels angestrebter körperlicher Eingriffe, wenn diese Maßnahmen nicht durch körperliche Fehlfunktionen oder durch Entstellung, also nicht durch einen regelwidrigen Körperzustand veranlasst werden (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 13 - Zisidentität; BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 16; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 5; BSGE 82, 158, 163 f = SozR 3-2500 § 39 Nr 5 S 29 f, jeweils mwN). In Bezug auf Operationen am - krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper, die psychische Leiden beeinflussen sollen, lässt sich ausgehend von der aufgezeigten Rechtsprechung grundsätzlich eine Behandlungsbedürftigkeit nicht begründen (näher dazu BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 13 mwN - Zisidentität).

16

Auch allein das subjektive Empfinden eines Versicherten vermag die Regelwidrigkeit und die daraus abgeleitete Behandlungsbedürftigkeit seines Zustandes nicht zu bestimmen. Maßgeblich sind vielmehr objektive Kriterien, nämlich der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse (§ 2 Abs 1 S 3, § 28 Abs 1 S 1 SGB V; vgl zur Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 23 mwN) und - bei der Frage, ob eine Entstellung besteht - der objektive Zustand einer körperlichen Auffälligkeit von so beachtlicher Erheblichkeit, dass sie die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gefährdet (BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14 LS und RdNr 13 f). Andernfalls würde der Krankheitsbegriff über Gebühr relativiert und an Konturen verlieren. Es würde nicht gezielt gegen die eigentliche Krankheit selbst vorgegangen, sondern nur mittelbar die Besserung eines an sich einem anderen Bereich zugehörigen gesundheitlichen Defizits angestrebt (vgl zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 14 mwN - Zisidentität). Daran hält der Senat fest.

17

Der Senat hat allerdings bisher unter Hinweis auf die Regelungen des TSG eine Ausnahme von den dargestellten Grundsätzen in dem hier betroffenen Bereich im Falle einer besonders tief greifenden Form des Transsexualismus gemacht. Er hat in diesen Fällen einen Anspruch auf medizinisch indizierte Hormonbehandlung und geschlechtsangleichende Operationen bejaht (vgl zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 - Zisidentität),zugleich aber auch - neben § 27 Abs 1 S 1 SGB V - dem Regelungskonzept des TSG Grenzen der Reichweite des Anspruchs auf Krankenbehandlung entnommen(vgl BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 17 - Zisidentität). Die Ansprüche auf geschlechtsangleichende Operationen sind danach beschränkt auf einen Zustand, bei dem aus der Sicht eines verständigen Betrachters eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eintritt (vgl BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 unter Hinweis ua auf § 8 Abs 1 Nr 4 TSG).

18

Der erkennende Senat führt seine Rechtsprechung im Kern trotz der Entscheidung des BVerfG fort, § 8 Abs 1 Nr 4 TSG mit Art 2 Abs 1 und Art 2 Abs 2 iVm Art 1 Abs 1 GG für nicht vereinbar und bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung für nicht anwendbar zu erklären(vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909). Das BVerfG zielt mit seiner Entscheidung nämlich nur darauf ab, Transsexuelle vor unverhältnismäßigen Belastungen zu schützen. Es sieht - nach näherer Maßgabe der Entscheidungsgründe - die von § 8 Abs 1 Nr 4 TSG zum Erreichen personenstandsrechtlicher Änderungen zwingend vorgegebene deutliche Annäherung der transsexuellen Person an die körperliche Erscheinung des angestrebten anderen Geschlechts im Sinne einer genitalverändernden Operation angesichts der damit verbundenen gesundheitlichen Risiken als unzumutbar an. Es ist danach unzumutbar, von einem Transsexuellen zu verlangen, dass er sich derartigen risikoreichen, mit möglicherweise dauerhaften gesundheitlichen Schädigungen und Beeinträchtigungen verbundenen Operationen unterzieht, wenn sie medizinisch nicht indiziert sind, um damit die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit seiner Transsexualität unter Beweis zu stellen und die personenstandsrechtliche Anerkennung im empfundenen Geschlecht zu erhalten (BVerfGE 128, 109, 131 f = NJW 2011, 909, RdNr 70). Die operativen Eingriffe als solche stellen dagegen bei wirksamer Einwilligung des Transsexuellen keinen Verstoß gegen seine Menschenwürde, sein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und das Sittengesetz dar (vgl zu Letzterem bereits BVerfGE 49, 286, 299 f). Unverändert kann bei Transsexuellen eine Operation zur Herbeiführung einer deutlichen Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eine gebotene medizinische Maßnahme sein (BVerfGE 128, 109, 132 = NJW 2011, 909, RdNr 66; vgl auch zur Gesetzesentwicklung und zu § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF des GKV-VStG oben II 1 a).

19

c) Ein Anspruch Versicherter auf geschlechtsangleichende Operationen am - krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper zur Behandlung des Transsexualismus bedarf danach zunächst der medizinischen Indikation. Die geschlechtsangleichende Operation muss zudem zur Behandlung erforderlich sein. Daran fehlt es, wenn zum Erreichen der in § 27 Abs 1 S 1 SGB V genannten Therapieziele Behandlungsmaßnahmen ausreichen, die ein Leben im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen unterstützen oder sich auf hormonelle Behandlungen ohne Operationen beschränken. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen kann nicht losgelöst von der inneren Reichweite des Anspruchs überprüft werden (dazu 2.).

20

2. Die Reichweite des Anspruchs Transsexueller auf Krankenbehandlung (§ 27 Abs 1 S 1 SGB V)im Sinne von geschlechtsangleichender Behandlung kann nach der dargelegten Rechtsprechung des BVerfG nicht mehr unter Rückgriff auf Wertungen des § 8 Abs 1 Nr 4 TSG eingegrenzt werden. Das Ausmaß des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung bestimmt sich nunmehr unter Einbeziehung der Wertungen des § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF des GKV-VStG auf der Basis der allgemeinen und besonderen Voraussetzungen des Anspruchs auf Krankenbehandlung(vgl dazu Hauck, NZS 2007, 461) nach den medizinischen Kriterien des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse (dazu a). Für das erforderliche Ausmaß der Behandlung ist dagegen nicht auf das Erscheinungsbild des Betroffenen im gesellschaftlichen Alltag in dem Sinne abzustellen, dass dem Anspruch bereits mit der Behebung einer Entstellung Genüge getan ist (dazu b).

21

a) Besteht eine Indikation für eine begehrte geschlechtsangleichende Operation transsexueller Versicherter, bestimmen vornehmlich objektivierte medizinische Kriterien das erforderliche Ausmaß. Hierbei ist vor allem die Zielsetzung der Therapie zu berücksichtigen, den Leidensdruck der Betroffenen durch solche operativen Eingriffe zu lindern, die darauf gerichtet sind, das körperlich bestehende Geschlecht dem empfundenen Geschlecht anzunähern, es diesem näherungsweise anzupassen.

22

Die Begrenzung auf eine bloße Annäherung des körperlichen Erscheinungsbildes an das gefühlte Geschlecht ergibt sich nicht nur aus den faktischen Schranken, die hormonelle Therapie und plastische Chirurgie setzen. Die Einräumung von Ansprüchen für transsexuelle Versicherte führen unverändert nicht dazu, Betroffenen Anspruch auf jegliche Art von geschlechtsangleichenden operativen Maßnahmen im Sinne einer optimalen Annäherung an ein vermeintliches Idealbild und ohne Einhaltung der durch das Recht der GKV vorgegebenen allgemeinen Grenzen einzuräumen (vgl schon bisher BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 - Zisidentität; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 11). Die Ansprüche sind vielmehr beschränkt auf einen Zustand, der aus der Sicht eines verständigen Betrachters dem Erscheinungsbild des anderen Geschlechts deutlich angenähert ist.

23

Der Anspruch auf Krankenbehandlung hat sich nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V iVm § 2 Abs 1 S 3, § 2 Abs 4, § 12 Abs 1 SGB V daran auszurichten, welche Behandlung unter Beachtung des umfassenden Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit notwendig und ausreichend ist, um das angestrebte, in § 27 Abs 1 S 1 SGB V bezeichnete Behandlungsziel zu erreichen. Hierzu ist unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse nicht nur dem Grunde nach, wie das LSG insoweit zutreffend ausgeführt hat, sondern auch dem Umfang nach zu ermitteln, welche Reichweite der Therapie indiziert ist.

24

In Abkehr von den bisherigen Überlegungen, Transsexuellen zum Erreichen personenstandsrechtlicher Änderungen nach § 8 Abs 1 Nr 4 TSG (bisherige Fassung) eine genitalverändernde Operation abzuverlangen, können sich hierbei die gebotenen individuellen operativen Therapieansätze lediglich auf MAP ohne genitalverändernde Operationen beschränken. Denn neuere wissenschaftliche Erkenntnisse stützen die Relativierung des Operationswunsches in seiner Bedeutung für Diagnose und Therapie Transsexueller (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 35 mwN). Insoweit muss aber medizinisch abgeklärt sein, dass die begehrte Therapie - MAP - geeignet, ausreichend und erforderlich, im Rahmen gleichwertiger Alternativen zudem im engeren Sinne wirtschaftlich ist. Auch der Operationswunsch hinsichtlich einer MAP darf nicht eine Lösungsschablone für etwa verborgene andere psychische Störungen oder Unbehagen mit etablierten Geschlechtsrollenbildern sein, sondern muss aufgrund des Transsexualismus indiziert sein.

25

Ist - wie hier - bereits eine genitalverändernde Operation durchgeführt worden, ist vorbehaltlich besonderer Umstände eine erneute Prüfung entbehrlich, ob die Linderung des aus dem Transsexualismus resultierenden psychischen Leidensdrucks allein durch nicht operative Behandlungsmaßnahmen noch in ausreichendem Umfang möglich ist. Dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG sind derartige besondere Umstände nicht zu entnehmen. Davon zu unterscheiden ist die nach rechtlichen Maßstäben zu beantwortende Frage, ob eine MAP im Sinne der Annäherung an das Erscheinungsbild des angestrebten anderen Geschlechts noch objektiv erforderlich ist (näher dazu unter II. 3.).

26

b) Der gegenüber der bisherigen Rechtslage geänderte rechtliche Ausgangspunkt des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung schließt es aus, die Reichweite des Anspruchs primär anhand von Kriterien des Behandlungsanspruchs wegen Entstellung zu umreißen. Eine Entstellung begründet einen Anspruch auf Krankenbehandlung wegen einer körperlichen, nicht psychischen Krankheit (vgl zum Ganzen grundlegend BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 13 f mwN). Innerer Grund des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Operationen ist es dagegen nicht, eine Entstellung zu heilen oder zu lindern. Ein solcher Anspruch, der bei Entstellung für alle Versicherte, auch für transsexuelle Versicherte besteht, bleibt hiervon unberührt.

27

3. Das LSG-Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als zutreffend. Es steht nicht fest, dass die Klägerin einen Brustumfang hat, der eine MAP nicht mehr erforderlich macht.

28

Ansprüche Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung im Sinne medizinisch indizierter MAP sind zusätzlich durch das objektive Erscheinungsbild des Brustumfangs begrenzt. Die hierdurch gezogenen Grenzen sind allerdings weiter, als sie durch die oben dargelegte Rechtsprechung zur Entstellung gezogen sind. Wer als Mann-zu-Frau-Transsexueller - etwa aufgrund einer Hormontherapie - einen Brustansatz entwickelt hat, der die für konfektionierte Damenoberbekleidung vorgesehene Größe A nach DIN EN 13402 bei erfolgter Ausatmung im Rahmen normaler Messung ohne weitere Mittel voll ausfüllt, kann keine MAP beanspruchen (vgl zu DIN EN 13402: Größenbezeichnung von Bekleidung (2001) http://www.beuth.de/langanzeige/DIN-EN-13402-1/de/38031428). Das damit erreichte körperliche Erscheinungsbild bewegt sich nämlich - trotz der großen Vielfalt der Phänotypen bei Männern und Frauen - in einem unzweifelhaft geschlechtstypischen Bereich.

29

Die Grenze trägt auch dem Gleichbehandlungsgebot gemäß Art 3 Abs 1 GG Rechnung. Die Grenzziehung vermeidet es, transsexuellen Versicherten einen umfassenden leistungsrechtlichen Zugang zu kosmetischen Operationen zu eröffnen, der nicht transsexuellen Versicherten von vornherein versperrt ist (vgl dazu zB BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 13 mwN).

30

Das LSG hat hierzu - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen. Die Klägerin bestreitet die Entwicklung eines Brustansatzes, der nach den dargelegten Kriterien einen Anspruch auf eine MAP ausschließt. Danach wird das LSG festzustellen haben, dass die Klägerin keinen Brustansatz entwickelt hat, der nach den dargelegten Kriterien einen Anspruch auf eine MAP ausschließt.

31

4. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.

(1) Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfaßt

1.
Ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung,
2.
zahnärztliche Behandlung,
2a.
Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen,
3.
Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln sowie mit digitalen Gesundheitsanwendungen,
4.
häusliche Krankenpflege, außerklinische Intensivpflege und Haushaltshilfe,
5.
Krankenhausbehandlung,
6.
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und ergänzende Leistungen.
Zur Krankenbehandlung gehört auch die palliative Versorgung der Versicherten. Bei der Krankenbehandlung ist den besonderen Bedürfnissen psychisch Kranker Rechnung zu tragen, insbesondere bei der Versorgung mit Heilmitteln und bei der medizinischen Rehabilitation. Zur Krankenbehandlung gehören auch Leistungen zur Herstellung der Zeugungs- oder Empfängnisfähigkeit, wenn diese Fähigkeit nicht vorhanden war oder durch Krankheit oder wegen einer durch Krankheit erforderlichen Sterilisation verlorengegangen war. Zur Krankenbehandlung gehören auch Leistungen zur vertraulichen Spurensicherung am Körper, einschließlich der erforderlichen Dokumentation sowie Laboruntersuchungen und einer ordnungsgemäßen Aufbewahrung der sichergestellten Befunde, bei Hinweisen auf drittverursachte Gesundheitsschäden, die Folge einer Misshandlung, eines sexuellen Missbrauchs, eines sexuellen Übergriffs, einer sexuellen Nötigung oder einer Vergewaltigung sein können.

(1a) Spender von Organen oder Geweben oder von Blut zur Separation von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen (Spender) haben bei einer nach den §§ 8 und 8a des Transplantationsgesetzes erfolgenden Spende von Organen oder Geweben oder im Zusammenhang mit einer im Sinne von § 9 des Transfusionsgesetzes erfolgenden Spende zum Zwecke der Übertragung auf Versicherte (Entnahme bei lebenden Spendern) Anspruch auf Leistungen der Krankenbehandlung. Dazu gehören die ambulante und stationäre Behandlung der Spender, die medizinisch erforderliche Vor- und Nachbetreuung, Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie die Erstattung des Ausfalls von Arbeitseinkünften als Krankengeld nach § 44a und erforderlicher Fahrkosten; dies gilt auch für Leistungen, die über die Leistungen nach dem Dritten Kapitel dieses Gesetzes, auf die ein Anspruch besteht, hinausgehen, soweit sie vom Versicherungsschutz des Spenders umfasst sind. Zuzahlungen sind von den Spendern nicht zu leisten. Zuständig für Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 ist die Krankenkasse der Empfänger von Organen, Geweben oder Blutstammzellen sowie anderen Blutbestandteilen (Empfänger). Im Zusammenhang mit der Spende von Knochenmark nach den §§ 8 und 8a des Transplantationsgesetzes, von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen nach § 9 des Transfusionsgesetzes können die Erstattung der erforderlichen Fahrkosten des Spenders und die Erstattung der Entgeltfortzahlung an den Arbeitgeber nach § 3a Absatz 2 Satz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes einschließlich der Befugnis zum Erlass der hierzu erforderlichen Verwaltungsakte auf Dritte übertragen werden. Das Nähere kann der Spitzenverband Bund der Krankenkassen mit den für die nationale und internationale Suche nach nichtverwandten Spendern von Blutstammzellen aus Knochenmark oder peripherem Blut maßgeblichen Organisationen vereinbaren. Für die Behandlung von Folgeerkrankungen der Spender ist die Krankenkasse der Spender zuständig, sofern der Leistungsanspruch nicht nach § 11 Absatz 5 ausgeschlossen ist. Ansprüche nach diesem Absatz haben auch nicht gesetzlich krankenversicherte Personen. Die Krankenkasse der Spender ist befugt, die für die Leistungserbringung nach den Sätzen 1 und 2 erforderlichen personenbezogenen Daten an die Krankenkasse oder das private Krankenversicherungsunternehmen der Empfänger zu übermitteln; dies gilt auch für personenbezogene Daten von nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz Krankenversicherungspflichtigen. Die nach Satz 9 übermittelten Daten dürfen nur für die Erbringung von Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 verarbeitet werden. Die Datenverarbeitung nach den Sätzen 9 und 10 darf nur mit schriftlicher Einwilligung der Spender, der eine umfassende Information vorausgegangen ist, erfolgen.

(2) Versicherte, die sich nur vorübergehend im Inland aufhalten, Ausländer, denen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt wurde, sowie

1.
asylsuchende Ausländer, deren Asylverfahren noch nicht unanfechtbar abgeschlossen ist,
2.
Vertriebene im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 und 3 des Bundesvertriebenengesetzes sowie Spätaussiedler im Sinne des § 4 des Bundesvertriebenengesetzes, ihre Ehegatten, Lebenspartner und Abkömmlinge im Sinne des § 7 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes haben Anspruch auf Versorgung mit Zahnersatz, wenn sie unmittelbar vor Inanspruchnahme mindestens ein Jahr lang Mitglied einer Krankenkasse (§ 4) oder nach § 10 versichert waren oder wenn die Behandlung aus medizinischen Gründen ausnahmsweise unaufschiebbar ist.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 2011 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Versorgung der Klägerin mit einer Mamma-Augmentationsplastik (MAP).

2

Die 1949 als Mann geborene, bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin wird infolge eines Mann-zu-Frau-Transsexualismus seit März 2005 mit weiblichen Hormonen behandelt. Die Beklagte bewilligte der Klägerin eine geschlechtsangleichende Genitaloperation, die im Oktober 2007 erfolgte, lehnte aber eine MAP ab (Bescheide vom 28.6.2007 und 14.8.2008, Widerspruchsbescheid vom 8.12.2008). Die Brustgröße der Klägerin stelle keinen regelwidrigen Körperzustand dar. Der psychische Leidensdruck der Klägerin sei psychiatrisch oder psychotherapeutisch zu behandeln. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 24.3.2010). Mit ihrer Berufung hat die Klägerin geltend gemacht, trotz der Hormonbehandlung wirke ihre Brust eher männlich. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen: Der Leidensdruck, der Klägerin, abweichend vom biologischen Geschlecht als Angehöriger des anderen Geschlechts erkannt und anerkannt zu werden, sei eine behandlungsbedürftige Krankheit. Das Behandlungsziel einer nach dem gesamten Erscheinungsbild deutlichen Annäherung an das empfundene Geschlecht sei aber bei dem schlanken Erscheinungsbild der Klägerin mit einer natürlich wirkenden Brust insgesamt erreicht. Für diese auf einen Befundbericht und die Wahrnehmung in der mündlichen Verhandlung gestützte Einschätzung habe es keines medizinischen Fachwissens und keines Sachverständigenbeweises bedurft (Urteil vom 8.12.2011).

3

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 27 Abs 1 S 1 SGB V und des § 103 SGG. Ihr Anspruch auf Krankenbehandlung wegen Transsexualismus umfasse aufgrund der gegebenen medizinischen Indikation auch eine MAP. Sie könne nicht auf die Verwendung von Hilfsmitteln wie zB BH-Einlagen verwiesen werden. Das LSG hätte - wie beantragt - zum Erscheinungsbild ihrer Brust Beweis durch Sachverständige erheben müssen.

4

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 2011 und das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 24. März 2010 aufzuheben sowie die Bescheide der Beklagten vom 28. Juni 2007 und 14. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 2008 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin mit einer beidseitigen Mamma-Augmentationsplastik zu versorgen,
hilfsweise,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 2011 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

5

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

6

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Das angefochtene LSG-Urteil ist aufzuheben, denn es verletzt materielles Recht. Die unangegriffenen, den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG reichen nicht aus, um abschließend über den geltend gemachten Anspruch auf Versorgung mit einer MAP aus § 27 Abs 1 S 1 SGB V zu entscheiden. Der von der Klägerin bereits durch die Hormonbehandlung erreichte Brustumfang steht nicht fest, so dass der Senat nicht die Erforderlichkeit der von der Klägerin begehrten MAP beurteilen kann.

8

Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, dass transsexuelle Versicherte nach § 27 Abs 1 SGB V Anspruch auf geschlechtsangleichende Behandlungsmaßnahmen einschließlich chirurgischer Eingriffe in gesunde Organe zur Minderung ihres psychischen Leidensdrucks haben können, um sich dem Erscheinungsbild des angestrebten anderen Geschlechts deutlich anzunähern(dazu 1.). Die Reichweite des Anspruchs auf geschlechtsangleichende Behandlung bestimmt sich auf der Basis der allgemeinen und besonderen Voraussetzungen des Anspruchs auf Krankenbehandlung nach medizinischen Kriterien (dazu 2.). Die Entscheidung des LSG erweist sich weder ganz noch teilweise aus anderen Gründen als zutreffend. Das LSG wird nunmehr das noch Erforderliche aufzuklären haben (dazu 3.).

9

1. Versicherte - wie die Klägerin - haben nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V Anspruch auf Krankenbe-handlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Klägerin leidet an Transsexualismus in Gestalt einer psychischen Krankheit, deren Behandlung notwendig ist (dazu a). Obwohl der Anspruch auf Krankenbehandlung psychischer Krankheiten grundsätzlich nicht körperliche Eingriffe in intakte Organsysteme erfasst, können zur notwendigen Krankenbehandlung des Transsexualismus - als Ausnahme von diesem Grundsatz - operative Eingriffe in den gesunden Körper zwecks Veränderung der äußerlich sichtbaren Geschlechtsmerkmale gehören (dazu b). Die genannten operativen Eingriffe in den gesunden Körper müssen medizinisch erforderlich sein (dazu c).

10

a) Grundvoraussetzung des Anspruchs Versicherter auf Krankenbehandlung ist, dass sie an einer Krankheit leiden. Krankheit iS von § 27 Abs 1 S 1 SGB V ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht(stRspr, vgl nur BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 10 mwN - Zisidentität; zu Bestrebungen, den Transsexualismus zu "entpathologisieren", vgl LSG Baden-Württemberg Urteil vom 25.1.2012 - L 5 KR 375/10 - Juris RdNr 44). Die Klägerin leidet in diesem Sinne an einer Krankheit, nämlich an behandlungsbedürftigem Transsexualismus.

11

Transsexualismus ist nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse eine psychische Krankheit. Transsexuelle leben in dem irreversiblen und dauerhaften Bewusstsein, dem Geschlecht anzugehören, dem sie aufgrund ihrer äußeren körperlichen Geschlechtsmerkmale zum Zeitpunkt der Geburt nicht zugeordnet wurden (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 34 mwN). Für die Diagnose entscheidend ist die Stabilität des transsexuellen Wunsches, der vollständigen psychischen Identifikation mit dem anderen, dem eigenen Körper widersprechenden Geschlecht (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 35 unter Hinweis auf Becker/Berner/Dannecker/Richter-Appelt, Zf Sexualforschung 2001, S 258, 260; Pichlo, in: Groß/Neuschaefer-Grube/Steinmetzer, Transsexualität und Intersexualität, Medizinische, ethische, soziale und juristische Aspekte, 2008, S 121). Die ICD-10-GM Version 2012 ordnet Transsexualismus mit dem Schlüssel F64.0 (Störungen der Geschlechtsidentität) dem Kapitel V zu (Psychische und Verhaltensstörungen ). F64.0 spricht von dem "Wunsch, als Angehöriger des anderen Geschlechtes zu leben und anerkannt zu werden".

12

Die Rechtsordnung erkennt Transsexualismus nicht nur personenstandsrechtlich, sondern auch als behandlungsbedürftige Krankheit an. Der Gesetzgeber hat bereits durch Schaffung des Gesetzes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz ) vom 10.9.1980 (BGBl I 1654; zuletzt geändert durch Beschluss des BVerfG vom 11.1.2011 - 1 BvR 3295/07 - BGBl I 224 = BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909) bestätigt, dass der Befund des Transsexualismus eine außergewöhnliche rechtliche Bewertung rechtfertigt (BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 11; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 17). Inzwischen erstreckt das SGB V ausdrücklich die ambulante spezialfachärztliche Versorgung auf die Diagnostik und Behandlung komplexer, schwer therapierbarer Krankheiten, die je nach Krankheit eine spezielle Qualifikation, eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und besondere Ausstattungen erfordern. Hierzu gehört ua Transsexualismus als seltene Erkrankung (vgl § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF durch Art 1 Nr 44 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 22.12.2011, BGBl I 2983; vgl dazu BT-Drucks 17/6906 S 81; vgl zuvor Anlage 2 Nr 9 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die ambulante Behandlung im Krankenhaus nach § 116b SGB V idF vom 18.10.2005, BAnz Nr 7 S 88 vom 11.1.2006, zuletzt geändert am 15.12.2011, BAnz Nr 197 S 4655, in Kraft getreten am 31.12.2011; zur erstmaligen Berücksichtigung des Transsexualismus als seltene Erkrankung im Rahmen des § 116b SGB V aF vgl die Bekanntmachung des GBA über eine Ergänzung des Katalogs nach § 116b Abs 3 SGB V vom 16.3.2004, BAnz Nr 88 S 10 177).

13

b) Das Spektrum medizinisch indizierter Krankenbehandlung des Transsexualismus ist mittlerweile - anknüpfend an den Erkenntnisfortschritt über die Erkrankung - weit gefächert. Für erforderlich werden individuelle therapeutische Lösungen erachtet, die von einem Leben im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen über hormonelle Behandlungen bis hin zur weitgehenden operativen Geschlechtsangleichung reichen können (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 36 unter Hinweis auf Pichlo in Groß/Neuschaefer-Grube/Steinmetzer, Transsexualität und Intersexualität, Medizinische, ethische, soziale und juristische Aspekte, 2008, 119, 122; Rauchfleisch, Transsexualität - Transidentität, 2006, 17; Becker in Kockott/Fahrner, Sexualstörungen, 2004, 153, 180, 181).

14

Während notwendige Krankenbehandlung des Transsexualismus auf psychischer Ebene nach den allgemeinen Grundsätzen zur Ermöglichung und Stützung eines Lebens im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen unproblematisch von § 27 Abs 1 S 1 SGB V erfasst ist, versteht sich dies für hormonelle Behandlungen bis hin zur weitgehenden operativen Geschlechtsangleichung nicht in gleicher Weise beinahe von selbst. Der erkennende Senat erachtet dennoch solche Ansprüche weiterhin für möglich.

15

Die ständige Rechtsprechung des für diese Frage allein zuständigen erkennenden Senats verneint grundsätzlich eine Behandlungsbedürftigkeit psychischer Krankheiten mittels angestrebter körperlicher Eingriffe, wenn diese Maßnahmen nicht durch körperliche Fehlfunktionen oder durch Entstellung, also nicht durch einen regelwidrigen Körperzustand veranlasst werden (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 13 - Zisidentität; BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 16; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 5; BSGE 82, 158, 163 f = SozR 3-2500 § 39 Nr 5 S 29 f, jeweils mwN). In Bezug auf Operationen am - krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper, die psychische Leiden beeinflussen sollen, lässt sich ausgehend von der aufgezeigten Rechtsprechung grundsätzlich eine Behandlungsbedürftigkeit nicht begründen (näher dazu BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 13 mwN - Zisidentität).

16

Auch allein das subjektive Empfinden eines Versicherten vermag die Regelwidrigkeit und die daraus abgeleitete Behandlungsbedürftigkeit seines Zustandes nicht zu bestimmen. Maßgeblich sind vielmehr objektive Kriterien, nämlich der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse (§ 2 Abs 1 S 3, § 28 Abs 1 S 1 SGB V; vgl zur Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 23 mwN) und - bei der Frage, ob eine Entstellung besteht - der objektive Zustand einer körperlichen Auffälligkeit von so beachtlicher Erheblichkeit, dass sie die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gefährdet (BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14 LS und RdNr 13 f). Andernfalls würde der Krankheitsbegriff über Gebühr relativiert und an Konturen verlieren. Es würde nicht gezielt gegen die eigentliche Krankheit selbst vorgegangen, sondern nur mittelbar die Besserung eines an sich einem anderen Bereich zugehörigen gesundheitlichen Defizits angestrebt (vgl zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 14 mwN - Zisidentität). Daran hält der Senat fest.

17

Der Senat hat allerdings bisher unter Hinweis auf die Regelungen des TSG eine Ausnahme von den dargestellten Grundsätzen in dem hier betroffenen Bereich im Falle einer besonders tief greifenden Form des Transsexualismus gemacht. Er hat in diesen Fällen einen Anspruch auf medizinisch indizierte Hormonbehandlung und geschlechtsangleichende Operationen bejaht (vgl zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 - Zisidentität),zugleich aber auch - neben § 27 Abs 1 S 1 SGB V - dem Regelungskonzept des TSG Grenzen der Reichweite des Anspruchs auf Krankenbehandlung entnommen(vgl BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 17 - Zisidentität). Die Ansprüche auf geschlechtsangleichende Operationen sind danach beschränkt auf einen Zustand, bei dem aus der Sicht eines verständigen Betrachters eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eintritt (vgl BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 unter Hinweis ua auf § 8 Abs 1 Nr 4 TSG).

18

Der erkennende Senat führt seine Rechtsprechung im Kern trotz der Entscheidung des BVerfG fort, § 8 Abs 1 Nr 4 TSG mit Art 2 Abs 1 und Art 2 Abs 2 iVm Art 1 Abs 1 GG für nicht vereinbar und bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung für nicht anwendbar zu erklären(vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909). Das BVerfG zielt mit seiner Entscheidung nämlich nur darauf ab, Transsexuelle vor unverhältnismäßigen Belastungen zu schützen. Es sieht - nach näherer Maßgabe der Entscheidungsgründe - die von § 8 Abs 1 Nr 4 TSG zum Erreichen personenstandsrechtlicher Änderungen zwingend vorgegebene deutliche Annäherung der transsexuellen Person an die körperliche Erscheinung des angestrebten anderen Geschlechts im Sinne einer genitalverändernden Operation angesichts der damit verbundenen gesundheitlichen Risiken als unzumutbar an. Es ist danach unzumutbar, von einem Transsexuellen zu verlangen, dass er sich derartigen risikoreichen, mit möglicherweise dauerhaften gesundheitlichen Schädigungen und Beeinträchtigungen verbundenen Operationen unterzieht, wenn sie medizinisch nicht indiziert sind, um damit die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit seiner Transsexualität unter Beweis zu stellen und die personenstandsrechtliche Anerkennung im empfundenen Geschlecht zu erhalten (BVerfGE 128, 109, 131 f = NJW 2011, 909, RdNr 70). Die operativen Eingriffe als solche stellen dagegen bei wirksamer Einwilligung des Transsexuellen keinen Verstoß gegen seine Menschenwürde, sein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und das Sittengesetz dar (vgl zu Letzterem bereits BVerfGE 49, 286, 299 f). Unverändert kann bei Transsexuellen eine Operation zur Herbeiführung einer deutlichen Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eine gebotene medizinische Maßnahme sein (BVerfGE 128, 109, 132 = NJW 2011, 909, RdNr 66; vgl auch zur Gesetzesentwicklung und zu § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF des GKV-VStG oben II 1 a).

19

c) Ein Anspruch Versicherter auf geschlechtsangleichende Operationen am - krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper zur Behandlung des Transsexualismus bedarf danach zunächst der medizinischen Indikation. Die geschlechtsangleichende Operation muss zudem zur Behandlung erforderlich sein. Daran fehlt es, wenn zum Erreichen der in § 27 Abs 1 S 1 SGB V genannten Therapieziele Behandlungsmaßnahmen ausreichen, die ein Leben im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen unterstützen oder sich auf hormonelle Behandlungen ohne Operationen beschränken. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen kann nicht losgelöst von der inneren Reichweite des Anspruchs überprüft werden (dazu 2.).

20

2. Die Reichweite des Anspruchs Transsexueller auf Krankenbehandlung (§ 27 Abs 1 S 1 SGB V)im Sinne von geschlechtsangleichender Behandlung kann nach der dargelegten Rechtsprechung des BVerfG nicht mehr unter Rückgriff auf Wertungen des § 8 Abs 1 Nr 4 TSG eingegrenzt werden. Das Ausmaß des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung bestimmt sich nunmehr unter Einbeziehung der Wertungen des § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF des GKV-VStG auf der Basis der allgemeinen und besonderen Voraussetzungen des Anspruchs auf Krankenbehandlung(vgl dazu Hauck, NZS 2007, 461) nach den medizinischen Kriterien des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse (dazu a). Für das erforderliche Ausmaß der Behandlung ist dagegen nicht auf das Erscheinungsbild des Betroffenen im gesellschaftlichen Alltag in dem Sinne abzustellen, dass dem Anspruch bereits mit der Behebung einer Entstellung Genüge getan ist (dazu b).

21

a) Besteht eine Indikation für eine begehrte geschlechtsangleichende Operation transsexueller Versicherter, bestimmen vornehmlich objektivierte medizinische Kriterien das erforderliche Ausmaß. Hierbei ist vor allem die Zielsetzung der Therapie zu berücksichtigen, den Leidensdruck der Betroffenen durch solche operativen Eingriffe zu lindern, die darauf gerichtet sind, das körperlich bestehende Geschlecht dem empfundenen Geschlecht anzunähern, es diesem näherungsweise anzupassen.

22

Die Begrenzung auf eine bloße Annäherung des körperlichen Erscheinungsbildes an das gefühlte Geschlecht ergibt sich nicht nur aus den faktischen Schranken, die hormonelle Therapie und plastische Chirurgie setzen. Die Einräumung von Ansprüchen für transsexuelle Versicherte führen unverändert nicht dazu, Betroffenen Anspruch auf jegliche Art von geschlechtsangleichenden operativen Maßnahmen im Sinne einer optimalen Annäherung an ein vermeintliches Idealbild und ohne Einhaltung der durch das Recht der GKV vorgegebenen allgemeinen Grenzen einzuräumen (vgl schon bisher BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 - Zisidentität; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 11). Die Ansprüche sind vielmehr beschränkt auf einen Zustand, der aus der Sicht eines verständigen Betrachters dem Erscheinungsbild des anderen Geschlechts deutlich angenähert ist.

23

Der Anspruch auf Krankenbehandlung hat sich nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V iVm § 2 Abs 1 S 3, § 2 Abs 4, § 12 Abs 1 SGB V daran auszurichten, welche Behandlung unter Beachtung des umfassenden Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit notwendig und ausreichend ist, um das angestrebte, in § 27 Abs 1 S 1 SGB V bezeichnete Behandlungsziel zu erreichen. Hierzu ist unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse nicht nur dem Grunde nach, wie das LSG insoweit zutreffend ausgeführt hat, sondern auch dem Umfang nach zu ermitteln, welche Reichweite der Therapie indiziert ist.

24

In Abkehr von den bisherigen Überlegungen, Transsexuellen zum Erreichen personenstandsrechtlicher Änderungen nach § 8 Abs 1 Nr 4 TSG (bisherige Fassung) eine genitalverändernde Operation abzuverlangen, können sich hierbei die gebotenen individuellen operativen Therapieansätze lediglich auf MAP ohne genitalverändernde Operationen beschränken. Denn neuere wissenschaftliche Erkenntnisse stützen die Relativierung des Operationswunsches in seiner Bedeutung für Diagnose und Therapie Transsexueller (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 35 mwN). Insoweit muss aber medizinisch abgeklärt sein, dass die begehrte Therapie - MAP - geeignet, ausreichend und erforderlich, im Rahmen gleichwertiger Alternativen zudem im engeren Sinne wirtschaftlich ist. Auch der Operationswunsch hinsichtlich einer MAP darf nicht eine Lösungsschablone für etwa verborgene andere psychische Störungen oder Unbehagen mit etablierten Geschlechtsrollenbildern sein, sondern muss aufgrund des Transsexualismus indiziert sein.

25

Ist - wie hier - bereits eine genitalverändernde Operation durchgeführt worden, ist vorbehaltlich besonderer Umstände eine erneute Prüfung entbehrlich, ob die Linderung des aus dem Transsexualismus resultierenden psychischen Leidensdrucks allein durch nicht operative Behandlungsmaßnahmen noch in ausreichendem Umfang möglich ist. Dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG sind derartige besondere Umstände nicht zu entnehmen. Davon zu unterscheiden ist die nach rechtlichen Maßstäben zu beantwortende Frage, ob eine MAP im Sinne der Annäherung an das Erscheinungsbild des angestrebten anderen Geschlechts noch objektiv erforderlich ist (näher dazu unter II. 3.).

26

b) Der gegenüber der bisherigen Rechtslage geänderte rechtliche Ausgangspunkt des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung schließt es aus, die Reichweite des Anspruchs primär anhand von Kriterien des Behandlungsanspruchs wegen Entstellung zu umreißen. Eine Entstellung begründet einen Anspruch auf Krankenbehandlung wegen einer körperlichen, nicht psychischen Krankheit (vgl zum Ganzen grundlegend BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 13 f mwN). Innerer Grund des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Operationen ist es dagegen nicht, eine Entstellung zu heilen oder zu lindern. Ein solcher Anspruch, der bei Entstellung für alle Versicherte, auch für transsexuelle Versicherte besteht, bleibt hiervon unberührt.

27

3. Das LSG-Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als zutreffend. Es steht nicht fest, dass die Klägerin einen Brustumfang hat, der eine MAP nicht mehr erforderlich macht.

28

Ansprüche Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung im Sinne medizinisch indizierter MAP sind zusätzlich durch das objektive Erscheinungsbild des Brustumfangs begrenzt. Die hierdurch gezogenen Grenzen sind allerdings weiter, als sie durch die oben dargelegte Rechtsprechung zur Entstellung gezogen sind. Wer als Mann-zu-Frau-Transsexueller - etwa aufgrund einer Hormontherapie - einen Brustansatz entwickelt hat, der die für konfektionierte Damenoberbekleidung vorgesehene Größe A nach DIN EN 13402 bei erfolgter Ausatmung im Rahmen normaler Messung ohne weitere Mittel voll ausfüllt, kann keine MAP beanspruchen (vgl zu DIN EN 13402: Größenbezeichnung von Bekleidung (2001) http://www.beuth.de/langanzeige/DIN-EN-13402-1/de/38031428). Das damit erreichte körperliche Erscheinungsbild bewegt sich nämlich - trotz der großen Vielfalt der Phänotypen bei Männern und Frauen - in einem unzweifelhaft geschlechtstypischen Bereich.

29

Die Grenze trägt auch dem Gleichbehandlungsgebot gemäß Art 3 Abs 1 GG Rechnung. Die Grenzziehung vermeidet es, transsexuellen Versicherten einen umfassenden leistungsrechtlichen Zugang zu kosmetischen Operationen zu eröffnen, der nicht transsexuellen Versicherten von vornherein versperrt ist (vgl dazu zB BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 13 mwN).

30

Das LSG hat hierzu - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen. Die Klägerin bestreitet die Entwicklung eines Brustansatzes, der nach den dargelegten Kriterien einen Anspruch auf eine MAP ausschließt. Danach wird das LSG festzustellen haben, dass die Klägerin keinen Brustansatz entwickelt hat, der nach den dargelegten Kriterien einen Anspruch auf eine MAP ausschließt.

31

4. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.

(1) Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfaßt

1.
Ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung,
2.
zahnärztliche Behandlung,
2a.
Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen,
3.
Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln sowie mit digitalen Gesundheitsanwendungen,
4.
häusliche Krankenpflege, außerklinische Intensivpflege und Haushaltshilfe,
5.
Krankenhausbehandlung,
6.
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und ergänzende Leistungen.
Zur Krankenbehandlung gehört auch die palliative Versorgung der Versicherten. Bei der Krankenbehandlung ist den besonderen Bedürfnissen psychisch Kranker Rechnung zu tragen, insbesondere bei der Versorgung mit Heilmitteln und bei der medizinischen Rehabilitation. Zur Krankenbehandlung gehören auch Leistungen zur Herstellung der Zeugungs- oder Empfängnisfähigkeit, wenn diese Fähigkeit nicht vorhanden war oder durch Krankheit oder wegen einer durch Krankheit erforderlichen Sterilisation verlorengegangen war. Zur Krankenbehandlung gehören auch Leistungen zur vertraulichen Spurensicherung am Körper, einschließlich der erforderlichen Dokumentation sowie Laboruntersuchungen und einer ordnungsgemäßen Aufbewahrung der sichergestellten Befunde, bei Hinweisen auf drittverursachte Gesundheitsschäden, die Folge einer Misshandlung, eines sexuellen Missbrauchs, eines sexuellen Übergriffs, einer sexuellen Nötigung oder einer Vergewaltigung sein können.

(1a) Spender von Organen oder Geweben oder von Blut zur Separation von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen (Spender) haben bei einer nach den §§ 8 und 8a des Transplantationsgesetzes erfolgenden Spende von Organen oder Geweben oder im Zusammenhang mit einer im Sinne von § 9 des Transfusionsgesetzes erfolgenden Spende zum Zwecke der Übertragung auf Versicherte (Entnahme bei lebenden Spendern) Anspruch auf Leistungen der Krankenbehandlung. Dazu gehören die ambulante und stationäre Behandlung der Spender, die medizinisch erforderliche Vor- und Nachbetreuung, Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie die Erstattung des Ausfalls von Arbeitseinkünften als Krankengeld nach § 44a und erforderlicher Fahrkosten; dies gilt auch für Leistungen, die über die Leistungen nach dem Dritten Kapitel dieses Gesetzes, auf die ein Anspruch besteht, hinausgehen, soweit sie vom Versicherungsschutz des Spenders umfasst sind. Zuzahlungen sind von den Spendern nicht zu leisten. Zuständig für Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 ist die Krankenkasse der Empfänger von Organen, Geweben oder Blutstammzellen sowie anderen Blutbestandteilen (Empfänger). Im Zusammenhang mit der Spende von Knochenmark nach den §§ 8 und 8a des Transplantationsgesetzes, von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen nach § 9 des Transfusionsgesetzes können die Erstattung der erforderlichen Fahrkosten des Spenders und die Erstattung der Entgeltfortzahlung an den Arbeitgeber nach § 3a Absatz 2 Satz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes einschließlich der Befugnis zum Erlass der hierzu erforderlichen Verwaltungsakte auf Dritte übertragen werden. Das Nähere kann der Spitzenverband Bund der Krankenkassen mit den für die nationale und internationale Suche nach nichtverwandten Spendern von Blutstammzellen aus Knochenmark oder peripherem Blut maßgeblichen Organisationen vereinbaren. Für die Behandlung von Folgeerkrankungen der Spender ist die Krankenkasse der Spender zuständig, sofern der Leistungsanspruch nicht nach § 11 Absatz 5 ausgeschlossen ist. Ansprüche nach diesem Absatz haben auch nicht gesetzlich krankenversicherte Personen. Die Krankenkasse der Spender ist befugt, die für die Leistungserbringung nach den Sätzen 1 und 2 erforderlichen personenbezogenen Daten an die Krankenkasse oder das private Krankenversicherungsunternehmen der Empfänger zu übermitteln; dies gilt auch für personenbezogene Daten von nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz Krankenversicherungspflichtigen. Die nach Satz 9 übermittelten Daten dürfen nur für die Erbringung von Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 verarbeitet werden. Die Datenverarbeitung nach den Sätzen 9 und 10 darf nur mit schriftlicher Einwilligung der Spender, der eine umfassende Information vorausgegangen ist, erfolgen.

(2) Versicherte, die sich nur vorübergehend im Inland aufhalten, Ausländer, denen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt wurde, sowie

1.
asylsuchende Ausländer, deren Asylverfahren noch nicht unanfechtbar abgeschlossen ist,
2.
Vertriebene im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 und 3 des Bundesvertriebenengesetzes sowie Spätaussiedler im Sinne des § 4 des Bundesvertriebenengesetzes, ihre Ehegatten, Lebenspartner und Abkömmlinge im Sinne des § 7 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes haben Anspruch auf Versorgung mit Zahnersatz, wenn sie unmittelbar vor Inanspruchnahme mindestens ein Jahr lang Mitglied einer Krankenkasse (§ 4) oder nach § 10 versichert waren oder wenn die Behandlung aus medizinischen Gründen ausnahmsweise unaufschiebbar ist.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 2011 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Versorgung der Klägerin mit einer Mamma-Augmentationsplastik (MAP).

2

Die 1949 als Mann geborene, bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin wird infolge eines Mann-zu-Frau-Transsexualismus seit März 2005 mit weiblichen Hormonen behandelt. Die Beklagte bewilligte der Klägerin eine geschlechtsangleichende Genitaloperation, die im Oktober 2007 erfolgte, lehnte aber eine MAP ab (Bescheide vom 28.6.2007 und 14.8.2008, Widerspruchsbescheid vom 8.12.2008). Die Brustgröße der Klägerin stelle keinen regelwidrigen Körperzustand dar. Der psychische Leidensdruck der Klägerin sei psychiatrisch oder psychotherapeutisch zu behandeln. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 24.3.2010). Mit ihrer Berufung hat die Klägerin geltend gemacht, trotz der Hormonbehandlung wirke ihre Brust eher männlich. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen: Der Leidensdruck, der Klägerin, abweichend vom biologischen Geschlecht als Angehöriger des anderen Geschlechts erkannt und anerkannt zu werden, sei eine behandlungsbedürftige Krankheit. Das Behandlungsziel einer nach dem gesamten Erscheinungsbild deutlichen Annäherung an das empfundene Geschlecht sei aber bei dem schlanken Erscheinungsbild der Klägerin mit einer natürlich wirkenden Brust insgesamt erreicht. Für diese auf einen Befundbericht und die Wahrnehmung in der mündlichen Verhandlung gestützte Einschätzung habe es keines medizinischen Fachwissens und keines Sachverständigenbeweises bedurft (Urteil vom 8.12.2011).

3

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 27 Abs 1 S 1 SGB V und des § 103 SGG. Ihr Anspruch auf Krankenbehandlung wegen Transsexualismus umfasse aufgrund der gegebenen medizinischen Indikation auch eine MAP. Sie könne nicht auf die Verwendung von Hilfsmitteln wie zB BH-Einlagen verwiesen werden. Das LSG hätte - wie beantragt - zum Erscheinungsbild ihrer Brust Beweis durch Sachverständige erheben müssen.

4

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 2011 und das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 24. März 2010 aufzuheben sowie die Bescheide der Beklagten vom 28. Juni 2007 und 14. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 2008 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin mit einer beidseitigen Mamma-Augmentationsplastik zu versorgen,
hilfsweise,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 2011 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

5

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

6

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Das angefochtene LSG-Urteil ist aufzuheben, denn es verletzt materielles Recht. Die unangegriffenen, den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG reichen nicht aus, um abschließend über den geltend gemachten Anspruch auf Versorgung mit einer MAP aus § 27 Abs 1 S 1 SGB V zu entscheiden. Der von der Klägerin bereits durch die Hormonbehandlung erreichte Brustumfang steht nicht fest, so dass der Senat nicht die Erforderlichkeit der von der Klägerin begehrten MAP beurteilen kann.

8

Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, dass transsexuelle Versicherte nach § 27 Abs 1 SGB V Anspruch auf geschlechtsangleichende Behandlungsmaßnahmen einschließlich chirurgischer Eingriffe in gesunde Organe zur Minderung ihres psychischen Leidensdrucks haben können, um sich dem Erscheinungsbild des angestrebten anderen Geschlechts deutlich anzunähern(dazu 1.). Die Reichweite des Anspruchs auf geschlechtsangleichende Behandlung bestimmt sich auf der Basis der allgemeinen und besonderen Voraussetzungen des Anspruchs auf Krankenbehandlung nach medizinischen Kriterien (dazu 2.). Die Entscheidung des LSG erweist sich weder ganz noch teilweise aus anderen Gründen als zutreffend. Das LSG wird nunmehr das noch Erforderliche aufzuklären haben (dazu 3.).

9

1. Versicherte - wie die Klägerin - haben nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V Anspruch auf Krankenbe-handlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Klägerin leidet an Transsexualismus in Gestalt einer psychischen Krankheit, deren Behandlung notwendig ist (dazu a). Obwohl der Anspruch auf Krankenbehandlung psychischer Krankheiten grundsätzlich nicht körperliche Eingriffe in intakte Organsysteme erfasst, können zur notwendigen Krankenbehandlung des Transsexualismus - als Ausnahme von diesem Grundsatz - operative Eingriffe in den gesunden Körper zwecks Veränderung der äußerlich sichtbaren Geschlechtsmerkmale gehören (dazu b). Die genannten operativen Eingriffe in den gesunden Körper müssen medizinisch erforderlich sein (dazu c).

10

a) Grundvoraussetzung des Anspruchs Versicherter auf Krankenbehandlung ist, dass sie an einer Krankheit leiden. Krankheit iS von § 27 Abs 1 S 1 SGB V ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht(stRspr, vgl nur BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 10 mwN - Zisidentität; zu Bestrebungen, den Transsexualismus zu "entpathologisieren", vgl LSG Baden-Württemberg Urteil vom 25.1.2012 - L 5 KR 375/10 - Juris RdNr 44). Die Klägerin leidet in diesem Sinne an einer Krankheit, nämlich an behandlungsbedürftigem Transsexualismus.

11

Transsexualismus ist nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse eine psychische Krankheit. Transsexuelle leben in dem irreversiblen und dauerhaften Bewusstsein, dem Geschlecht anzugehören, dem sie aufgrund ihrer äußeren körperlichen Geschlechtsmerkmale zum Zeitpunkt der Geburt nicht zugeordnet wurden (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 34 mwN). Für die Diagnose entscheidend ist die Stabilität des transsexuellen Wunsches, der vollständigen psychischen Identifikation mit dem anderen, dem eigenen Körper widersprechenden Geschlecht (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 35 unter Hinweis auf Becker/Berner/Dannecker/Richter-Appelt, Zf Sexualforschung 2001, S 258, 260; Pichlo, in: Groß/Neuschaefer-Grube/Steinmetzer, Transsexualität und Intersexualität, Medizinische, ethische, soziale und juristische Aspekte, 2008, S 121). Die ICD-10-GM Version 2012 ordnet Transsexualismus mit dem Schlüssel F64.0 (Störungen der Geschlechtsidentität) dem Kapitel V zu (Psychische und Verhaltensstörungen ). F64.0 spricht von dem "Wunsch, als Angehöriger des anderen Geschlechtes zu leben und anerkannt zu werden".

12

Die Rechtsordnung erkennt Transsexualismus nicht nur personenstandsrechtlich, sondern auch als behandlungsbedürftige Krankheit an. Der Gesetzgeber hat bereits durch Schaffung des Gesetzes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz ) vom 10.9.1980 (BGBl I 1654; zuletzt geändert durch Beschluss des BVerfG vom 11.1.2011 - 1 BvR 3295/07 - BGBl I 224 = BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909) bestätigt, dass der Befund des Transsexualismus eine außergewöhnliche rechtliche Bewertung rechtfertigt (BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 11; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 17). Inzwischen erstreckt das SGB V ausdrücklich die ambulante spezialfachärztliche Versorgung auf die Diagnostik und Behandlung komplexer, schwer therapierbarer Krankheiten, die je nach Krankheit eine spezielle Qualifikation, eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und besondere Ausstattungen erfordern. Hierzu gehört ua Transsexualismus als seltene Erkrankung (vgl § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF durch Art 1 Nr 44 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 22.12.2011, BGBl I 2983; vgl dazu BT-Drucks 17/6906 S 81; vgl zuvor Anlage 2 Nr 9 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die ambulante Behandlung im Krankenhaus nach § 116b SGB V idF vom 18.10.2005, BAnz Nr 7 S 88 vom 11.1.2006, zuletzt geändert am 15.12.2011, BAnz Nr 197 S 4655, in Kraft getreten am 31.12.2011; zur erstmaligen Berücksichtigung des Transsexualismus als seltene Erkrankung im Rahmen des § 116b SGB V aF vgl die Bekanntmachung des GBA über eine Ergänzung des Katalogs nach § 116b Abs 3 SGB V vom 16.3.2004, BAnz Nr 88 S 10 177).

13

b) Das Spektrum medizinisch indizierter Krankenbehandlung des Transsexualismus ist mittlerweile - anknüpfend an den Erkenntnisfortschritt über die Erkrankung - weit gefächert. Für erforderlich werden individuelle therapeutische Lösungen erachtet, die von einem Leben im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen über hormonelle Behandlungen bis hin zur weitgehenden operativen Geschlechtsangleichung reichen können (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 36 unter Hinweis auf Pichlo in Groß/Neuschaefer-Grube/Steinmetzer, Transsexualität und Intersexualität, Medizinische, ethische, soziale und juristische Aspekte, 2008, 119, 122; Rauchfleisch, Transsexualität - Transidentität, 2006, 17; Becker in Kockott/Fahrner, Sexualstörungen, 2004, 153, 180, 181).

14

Während notwendige Krankenbehandlung des Transsexualismus auf psychischer Ebene nach den allgemeinen Grundsätzen zur Ermöglichung und Stützung eines Lebens im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen unproblematisch von § 27 Abs 1 S 1 SGB V erfasst ist, versteht sich dies für hormonelle Behandlungen bis hin zur weitgehenden operativen Geschlechtsangleichung nicht in gleicher Weise beinahe von selbst. Der erkennende Senat erachtet dennoch solche Ansprüche weiterhin für möglich.

15

Die ständige Rechtsprechung des für diese Frage allein zuständigen erkennenden Senats verneint grundsätzlich eine Behandlungsbedürftigkeit psychischer Krankheiten mittels angestrebter körperlicher Eingriffe, wenn diese Maßnahmen nicht durch körperliche Fehlfunktionen oder durch Entstellung, also nicht durch einen regelwidrigen Körperzustand veranlasst werden (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 13 - Zisidentität; BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 16; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 5; BSGE 82, 158, 163 f = SozR 3-2500 § 39 Nr 5 S 29 f, jeweils mwN). In Bezug auf Operationen am - krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper, die psychische Leiden beeinflussen sollen, lässt sich ausgehend von der aufgezeigten Rechtsprechung grundsätzlich eine Behandlungsbedürftigkeit nicht begründen (näher dazu BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 13 mwN - Zisidentität).

16

Auch allein das subjektive Empfinden eines Versicherten vermag die Regelwidrigkeit und die daraus abgeleitete Behandlungsbedürftigkeit seines Zustandes nicht zu bestimmen. Maßgeblich sind vielmehr objektive Kriterien, nämlich der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse (§ 2 Abs 1 S 3, § 28 Abs 1 S 1 SGB V; vgl zur Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 23 mwN) und - bei der Frage, ob eine Entstellung besteht - der objektive Zustand einer körperlichen Auffälligkeit von so beachtlicher Erheblichkeit, dass sie die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gefährdet (BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14 LS und RdNr 13 f). Andernfalls würde der Krankheitsbegriff über Gebühr relativiert und an Konturen verlieren. Es würde nicht gezielt gegen die eigentliche Krankheit selbst vorgegangen, sondern nur mittelbar die Besserung eines an sich einem anderen Bereich zugehörigen gesundheitlichen Defizits angestrebt (vgl zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 14 mwN - Zisidentität). Daran hält der Senat fest.

17

Der Senat hat allerdings bisher unter Hinweis auf die Regelungen des TSG eine Ausnahme von den dargestellten Grundsätzen in dem hier betroffenen Bereich im Falle einer besonders tief greifenden Form des Transsexualismus gemacht. Er hat in diesen Fällen einen Anspruch auf medizinisch indizierte Hormonbehandlung und geschlechtsangleichende Operationen bejaht (vgl zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 - Zisidentität),zugleich aber auch - neben § 27 Abs 1 S 1 SGB V - dem Regelungskonzept des TSG Grenzen der Reichweite des Anspruchs auf Krankenbehandlung entnommen(vgl BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 17 - Zisidentität). Die Ansprüche auf geschlechtsangleichende Operationen sind danach beschränkt auf einen Zustand, bei dem aus der Sicht eines verständigen Betrachters eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eintritt (vgl BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 unter Hinweis ua auf § 8 Abs 1 Nr 4 TSG).

18

Der erkennende Senat führt seine Rechtsprechung im Kern trotz der Entscheidung des BVerfG fort, § 8 Abs 1 Nr 4 TSG mit Art 2 Abs 1 und Art 2 Abs 2 iVm Art 1 Abs 1 GG für nicht vereinbar und bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung für nicht anwendbar zu erklären(vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909). Das BVerfG zielt mit seiner Entscheidung nämlich nur darauf ab, Transsexuelle vor unverhältnismäßigen Belastungen zu schützen. Es sieht - nach näherer Maßgabe der Entscheidungsgründe - die von § 8 Abs 1 Nr 4 TSG zum Erreichen personenstandsrechtlicher Änderungen zwingend vorgegebene deutliche Annäherung der transsexuellen Person an die körperliche Erscheinung des angestrebten anderen Geschlechts im Sinne einer genitalverändernden Operation angesichts der damit verbundenen gesundheitlichen Risiken als unzumutbar an. Es ist danach unzumutbar, von einem Transsexuellen zu verlangen, dass er sich derartigen risikoreichen, mit möglicherweise dauerhaften gesundheitlichen Schädigungen und Beeinträchtigungen verbundenen Operationen unterzieht, wenn sie medizinisch nicht indiziert sind, um damit die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit seiner Transsexualität unter Beweis zu stellen und die personenstandsrechtliche Anerkennung im empfundenen Geschlecht zu erhalten (BVerfGE 128, 109, 131 f = NJW 2011, 909, RdNr 70). Die operativen Eingriffe als solche stellen dagegen bei wirksamer Einwilligung des Transsexuellen keinen Verstoß gegen seine Menschenwürde, sein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und das Sittengesetz dar (vgl zu Letzterem bereits BVerfGE 49, 286, 299 f). Unverändert kann bei Transsexuellen eine Operation zur Herbeiführung einer deutlichen Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eine gebotene medizinische Maßnahme sein (BVerfGE 128, 109, 132 = NJW 2011, 909, RdNr 66; vgl auch zur Gesetzesentwicklung und zu § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF des GKV-VStG oben II 1 a).

19

c) Ein Anspruch Versicherter auf geschlechtsangleichende Operationen am - krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper zur Behandlung des Transsexualismus bedarf danach zunächst der medizinischen Indikation. Die geschlechtsangleichende Operation muss zudem zur Behandlung erforderlich sein. Daran fehlt es, wenn zum Erreichen der in § 27 Abs 1 S 1 SGB V genannten Therapieziele Behandlungsmaßnahmen ausreichen, die ein Leben im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen unterstützen oder sich auf hormonelle Behandlungen ohne Operationen beschränken. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen kann nicht losgelöst von der inneren Reichweite des Anspruchs überprüft werden (dazu 2.).

20

2. Die Reichweite des Anspruchs Transsexueller auf Krankenbehandlung (§ 27 Abs 1 S 1 SGB V)im Sinne von geschlechtsangleichender Behandlung kann nach der dargelegten Rechtsprechung des BVerfG nicht mehr unter Rückgriff auf Wertungen des § 8 Abs 1 Nr 4 TSG eingegrenzt werden. Das Ausmaß des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung bestimmt sich nunmehr unter Einbeziehung der Wertungen des § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF des GKV-VStG auf der Basis der allgemeinen und besonderen Voraussetzungen des Anspruchs auf Krankenbehandlung(vgl dazu Hauck, NZS 2007, 461) nach den medizinischen Kriterien des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse (dazu a). Für das erforderliche Ausmaß der Behandlung ist dagegen nicht auf das Erscheinungsbild des Betroffenen im gesellschaftlichen Alltag in dem Sinne abzustellen, dass dem Anspruch bereits mit der Behebung einer Entstellung Genüge getan ist (dazu b).

21

a) Besteht eine Indikation für eine begehrte geschlechtsangleichende Operation transsexueller Versicherter, bestimmen vornehmlich objektivierte medizinische Kriterien das erforderliche Ausmaß. Hierbei ist vor allem die Zielsetzung der Therapie zu berücksichtigen, den Leidensdruck der Betroffenen durch solche operativen Eingriffe zu lindern, die darauf gerichtet sind, das körperlich bestehende Geschlecht dem empfundenen Geschlecht anzunähern, es diesem näherungsweise anzupassen.

22

Die Begrenzung auf eine bloße Annäherung des körperlichen Erscheinungsbildes an das gefühlte Geschlecht ergibt sich nicht nur aus den faktischen Schranken, die hormonelle Therapie und plastische Chirurgie setzen. Die Einräumung von Ansprüchen für transsexuelle Versicherte führen unverändert nicht dazu, Betroffenen Anspruch auf jegliche Art von geschlechtsangleichenden operativen Maßnahmen im Sinne einer optimalen Annäherung an ein vermeintliches Idealbild und ohne Einhaltung der durch das Recht der GKV vorgegebenen allgemeinen Grenzen einzuräumen (vgl schon bisher BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 - Zisidentität; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 11). Die Ansprüche sind vielmehr beschränkt auf einen Zustand, der aus der Sicht eines verständigen Betrachters dem Erscheinungsbild des anderen Geschlechts deutlich angenähert ist.

23

Der Anspruch auf Krankenbehandlung hat sich nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V iVm § 2 Abs 1 S 3, § 2 Abs 4, § 12 Abs 1 SGB V daran auszurichten, welche Behandlung unter Beachtung des umfassenden Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit notwendig und ausreichend ist, um das angestrebte, in § 27 Abs 1 S 1 SGB V bezeichnete Behandlungsziel zu erreichen. Hierzu ist unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse nicht nur dem Grunde nach, wie das LSG insoweit zutreffend ausgeführt hat, sondern auch dem Umfang nach zu ermitteln, welche Reichweite der Therapie indiziert ist.

24

In Abkehr von den bisherigen Überlegungen, Transsexuellen zum Erreichen personenstandsrechtlicher Änderungen nach § 8 Abs 1 Nr 4 TSG (bisherige Fassung) eine genitalverändernde Operation abzuverlangen, können sich hierbei die gebotenen individuellen operativen Therapieansätze lediglich auf MAP ohne genitalverändernde Operationen beschränken. Denn neuere wissenschaftliche Erkenntnisse stützen die Relativierung des Operationswunsches in seiner Bedeutung für Diagnose und Therapie Transsexueller (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 35 mwN). Insoweit muss aber medizinisch abgeklärt sein, dass die begehrte Therapie - MAP - geeignet, ausreichend und erforderlich, im Rahmen gleichwertiger Alternativen zudem im engeren Sinne wirtschaftlich ist. Auch der Operationswunsch hinsichtlich einer MAP darf nicht eine Lösungsschablone für etwa verborgene andere psychische Störungen oder Unbehagen mit etablierten Geschlechtsrollenbildern sein, sondern muss aufgrund des Transsexualismus indiziert sein.

25

Ist - wie hier - bereits eine genitalverändernde Operation durchgeführt worden, ist vorbehaltlich besonderer Umstände eine erneute Prüfung entbehrlich, ob die Linderung des aus dem Transsexualismus resultierenden psychischen Leidensdrucks allein durch nicht operative Behandlungsmaßnahmen noch in ausreichendem Umfang möglich ist. Dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG sind derartige besondere Umstände nicht zu entnehmen. Davon zu unterscheiden ist die nach rechtlichen Maßstäben zu beantwortende Frage, ob eine MAP im Sinne der Annäherung an das Erscheinungsbild des angestrebten anderen Geschlechts noch objektiv erforderlich ist (näher dazu unter II. 3.).

26

b) Der gegenüber der bisherigen Rechtslage geänderte rechtliche Ausgangspunkt des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung schließt es aus, die Reichweite des Anspruchs primär anhand von Kriterien des Behandlungsanspruchs wegen Entstellung zu umreißen. Eine Entstellung begründet einen Anspruch auf Krankenbehandlung wegen einer körperlichen, nicht psychischen Krankheit (vgl zum Ganzen grundlegend BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 13 f mwN). Innerer Grund des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Operationen ist es dagegen nicht, eine Entstellung zu heilen oder zu lindern. Ein solcher Anspruch, der bei Entstellung für alle Versicherte, auch für transsexuelle Versicherte besteht, bleibt hiervon unberührt.

27

3. Das LSG-Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als zutreffend. Es steht nicht fest, dass die Klägerin einen Brustumfang hat, der eine MAP nicht mehr erforderlich macht.

28

Ansprüche Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung im Sinne medizinisch indizierter MAP sind zusätzlich durch das objektive Erscheinungsbild des Brustumfangs begrenzt. Die hierdurch gezogenen Grenzen sind allerdings weiter, als sie durch die oben dargelegte Rechtsprechung zur Entstellung gezogen sind. Wer als Mann-zu-Frau-Transsexueller - etwa aufgrund einer Hormontherapie - einen Brustansatz entwickelt hat, der die für konfektionierte Damenoberbekleidung vorgesehene Größe A nach DIN EN 13402 bei erfolgter Ausatmung im Rahmen normaler Messung ohne weitere Mittel voll ausfüllt, kann keine MAP beanspruchen (vgl zu DIN EN 13402: Größenbezeichnung von Bekleidung (2001) http://www.beuth.de/langanzeige/DIN-EN-13402-1/de/38031428). Das damit erreichte körperliche Erscheinungsbild bewegt sich nämlich - trotz der großen Vielfalt der Phänotypen bei Männern und Frauen - in einem unzweifelhaft geschlechtstypischen Bereich.

29

Die Grenze trägt auch dem Gleichbehandlungsgebot gemäß Art 3 Abs 1 GG Rechnung. Die Grenzziehung vermeidet es, transsexuellen Versicherten einen umfassenden leistungsrechtlichen Zugang zu kosmetischen Operationen zu eröffnen, der nicht transsexuellen Versicherten von vornherein versperrt ist (vgl dazu zB BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 13 mwN).

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Das LSG hat hierzu - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen. Die Klägerin bestreitet die Entwicklung eines Brustansatzes, der nach den dargelegten Kriterien einen Anspruch auf eine MAP ausschließt. Danach wird das LSG festzustellen haben, dass die Klägerin keinen Brustansatz entwickelt hat, der nach den dargelegten Kriterien einen Anspruch auf eine MAP ausschließt.

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4. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.