Sozialgericht Detmold Urteil, 15. März 2016 - S 2 SO 259/15
Tenor
Die Beklagte wird unter Abänderung der Bescheide vom 10.07.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.08.2015 betreffend die Ablehnung des Schulbegleiters für die Randstunden der rhythmisierten Grundschule verurteilt, der Klägerin auch für die weiteren fünf Wochenstunden des Besuchs der rhythmisierten Grundschule Eingliederungshilfe für eine angemessene Schulausbildung im Schuljahr 2015/2016 zu bewilligen. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin begehrt die Bewilligung von Eingliederungshilfe für eine angemessene Schulausbildung in Form eines Schulbegleiters für fünf weitere Stunden mit Anwesenheitspflicht in der Grundschule.
3Die am 00.00.2009 geborene Klägerin ist gehörlos. Die deutsche Gebärdensprache ist ihre Muttersprache. Sie ist schwerbehindert mit einem GdB von 80 und den Merkzeichen G, H, RF und Gl. Bei ihr besteht ein sonderpädagogischer Förderbedarf im Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation.
4Die Klägerin besucht die T-Grundschule in C. Dieses ist eine inklusive Schule mit Gemeinsamem Unterricht (GU). Die T-schule ist seit dem Schuljahr 2005/2006 eine offene Ganztagsschule. Darüber hinaus besteht dort seit dem Schuljahr 2012/13 in jedem Jahrgang eine rhythmisierte Ganztagsklasse, bei der sich Unterrichts- und Selbstlernphasen mit Betreuungsphasen abwechseln. Für die gesamte Zeit von 7.30 Uhr bis 15 Uhr besteht für die teilnehmenden Kinder Anwesenheitspflicht.
5Am 20.03.2015 beantragte die Klägerin die Gewährung von Eingliederungshilfe für eine angemessene Schulbildung in Form eines Schulbegleiters für den Besuch der Grundschule. Mit zwei Bescheiden vom 10.07.2015 bewilligte die Beklagte zum Einen für 28 Stunden Unterricht in der Woche den Schulbegleiter und lehnte zum Anderen Kostenübernahme für die Schulbegleitung in den Randstunden der Betreuungs- und Essenszeiten ab. Es handele sich hierbei nicht um die Teilnahme am Unterricht im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht. Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein, soweit nur 28 Stunden bewilligt wurden. Schon der reine Pflichtunterricht betrage 28,5 Stunden. Insgesamt habe die Klägerin eine Anwesenheitspflicht von insgesamt 33,5 Stunden. Die Klägerin könne nicht nach Hause gehen, wann es ihr beliebe. Der rhythmisierte Schulbesuch sei ein angemessener Schulbesuch. Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Widerspruchsbegründung vom 17.07.2015 Bezug genommen.
6Mit Widerspruchsbescheid vom 12.08.2015 bewilligte die Beklagte für eine weitere halbe Stunde die Übernahme der Kosten des Schulbegleiters, da die Zahl der regulären Stunden fehlerhaft erfasst worden sei. Im Übrigen wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Bei den Betreuungsstunden und Essenszeiten im rhythmisierten Ganztag handele es sich nicht um eine angemessene Schulbildung. Es handele sich vielmehr um eine Weiterentwicklung des Modells des Offenen Ganztags. Es handele sich um ein freiwilliges Angebot und nicht um Pflichtschule. Die OGS gehöre nach der Auffassung des 20. Senats des LSG NRW nicht zum verpflichtenden Umgang des Schulbesuchs. Da es sich um ein freiwilliges Angebot handele, sei davon auszugehen, dass das Bildungsziel der Grundschule auch ohne den Besuch der freiwilligen Veranstaltung erreicht werden könne. Dass die Klägerin ohne Besuch des rhythmisierten Ganztags nicht sinnvoll am "regulären" Unterricht teilnehmen könne, sei bisher nicht nachgewiesen. Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Widerspruchsbescheid vom 12.08.2015 Bezug genommen.
7Mit der dagegen erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Anliegen weiter. Sie wiederholt ihre Ausführungen.
8Die Klägerin beantragt sinngemäß,
9die Bescheide vom 10.07.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.08.2015 betreffend die Ablehnung des Schulbegleiters für die Randstunden der rhythmisierten Grundschule aufzuheben und der Klägerin auch für die weiteren fünf Wochenstunden des Besuchs der rhythmisierten Grundschule Eingliederungshilfe für eine angemessene Schulausbildung für das Schuljahr 2015/2016 zu bewilligen.
10Die Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Auch sie wiederholt ihren Standpunkt.
13Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Akte des Verwaltungsverfahrens Bezug genommen. Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
14Entscheidungsgründe:
15Der zulässige Antrag ist begründet. Die Klägerin ist im Sinne von § 54 Absatz 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beschwert. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 10.07.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.08.2015 sind rechtswidrig und die Klägerin in ihren Rechten verletzt, soweit dort die Gewährung von Eingliederungshilfe in Form der Kostenübernahme für einen Gebärdendolmetscher als Integrationshelfer für die weiteren fünf Wochenstunden des Besuchs der rhythmisierten Grundschule nicht bewilligt wurde.
16Die Klägerin hat einen Anspruch auf Gewährung von Eingliederungshilfe unter dem Aspekt der angemessenen Schulbildung auch für die Randstunden der Betreuungs- und Essenszeiten an der Grundschule. Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, erhalten gemäß § 53 Abs. 1 SGB XII Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Personen mit einer anderen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung können Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten. Von einer Behinderung bedroht sind gemäß § 53 Abs. 2 SGB XII Personen, bei denen der Eintritt der Behinderung nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Dies gilt für Personen, für die vorbeugende Gesundheitshilfe und Hilfe bei Krankheit nach den §§ 47 und 48 erforderlich ist, nur, wenn auch bei Durchführung dieser Leistungen eine Behinderung einzutreten droht. Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es gemäß § 53 Abs. 3 SGB XII, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen. Für die Leistungen zur Teilhabe gelten gemäß § 53 Abs. 4 SGB XII die Vorschriften des Neunten Buches, soweit sich aus diesem Buch und den auf Grund dieses Buches erlassenen Rechtsverordnungen nichts Abweichendes ergibt. Die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe richten sich nach diesem Buch.
17Leistungen der Eingliederungshilfe sind gemäß § 54 Abs. 1 SGB XII neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 des Neunten Buches insbesondere
181. Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu; die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bleiben unberührt, 2. Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule, 3. Hilfe zur Ausbildung für eine sonstige angemessene Tätigkeit, 4. Hilfe in vergleichbaren sonstigen Beschäftigungsstätten nach § 56, 5. nachgehende Hilfe zur Sicherung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen und zur Sicherung der Teilhabe der behinderten Menschen am Arbeitsleben. Die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben entsprechen jeweils den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit.
19Erfordert die Behinderung Leistungen für eine stationäre Einrichtung, für eine Tageseinrichtung für behinderte Menschen oder für ärztliche oder ärztlich verordnete Maßnahmen, sind die Leistungen hierfür gemäß § 92 Abs. 1 SGB XII auch dann in vollem Umfang zu erbringen, wenn den in § 19 Abs. 3 genannten Personen die Aufbringung der Mittel zu einem Teil zuzumuten ist. In Höhe dieses Teils haben sie zu den Kosten der erbrachten Leistungen beizutragen; mehrere Verpflichtete haften als Gesamtschuldner.
20Den in § 19 Abs. 3 genannten Personen ist die Aufbringung der Mittel gemäß § 92 Abs. 2 SGB XII nur für die Kosten des Lebensunterhalts zuzumuten 1. bei heilpädagogischen Maßnahmen für Kinder, die noch nicht eingeschult sind, 2. bei der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung einschließlich der Vorbereitung hierzu, 3. bei der Hilfe, die dem behinderten noch nicht eingeschulten Menschen die für ihn erreichbare Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen soll, 4. bei der Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf oder zur Ausbildung für eine sonstige angemessene Tätigkeit, wenn die hierzu erforderlichen Leistungen in besonderen Einrichtungen für behinderte Menschen erbracht werden, 5. bei Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (§ 26 des Neunten Buches), 6. bei Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 33 des Neunten Buches), 7. bei Leistungen in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen nach § 41 des Neunten Buches und in vergleichbaren sonstigen Beschäftigungsstätten (§ 56), 8. bei Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, die erforderlich und geeignet sind, behinderten Menschen die für sie erreichbare Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen, soweit diese Hilfen in besonderen teilstationären Einrichtungen für behinderte Menschen erbracht werden. Die in Satz 1 genannten Leistungen sind ohne Berücksichtigung von vorhandenem Vermögen zu erbringen. Die Kosten des in einer Einrichtung erbrachten Lebensunterhalts sind in den Fällen der Nummern 1 bis 6 nur in Höhe der für den häuslichen Lebensunterhalt ersparten Aufwendungen anzusetzen; dies gilt nicht für den Zeitraum, in dem gleichzeitig mit den Leistungen nach Satz 1 in der Einrichtung durchgeführte andere Leistungen überwiegen. Die Aufbringung der Mittel nach Satz 1 Nr. 7 und 8 ist aus dem Einkommen nicht zumutbar, wenn das Einkommen des behinderten Menschen insgesamt einen Betrag in Höhe des Zweifachen der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 nicht übersteigt.
21Hiervon ausgehend handelt es sich bei den Kosten der Schulbegleitung für die Randstunden um eine Hilfe zur angemessenen Schulbildung. Bei dem Modell der rhythmisierten Ganztagsschule ist die Teilnahme an diesen Stunden anders als bei dem ursprünglichen Basismodell der Offenen Ganztagsschule (OGS) sogar Pflicht. Die Schülerin hat gar nicht die Möglichkeit, die Zeit anderweitig zu verbringen. Hier wird noch deutlicher, dass die Randstunden Teil des Schulkonzeptes sind, wie die hiesige Kammer bereits für das Basismodell der OGS im Urteil S 2 SO 285/12 vom 28.10.2014 (veröffentlicht bei juris) ausführlich aufgezeigt hat. Auf die dortigen, grundsätzlichen Ausführungen wird an dieser Stelle zur Meidung von Wiederholungen Bezug genommen. Zusätzlich wäre mittlerweile auch zu bedenken, dass die bisherigen Förderschulen in Deutschland ohnehin als Ganztagsschulen und mit hervorragend ausgebildeten, speziell geschulten Kräften konzipiert waren und mit der Umsetzung des weltweiten, durch die Vereinten Nationen geförderten Gedankens der Inklusion sicherlich die Situation der Betroffenen gerade in einer leistungsstarken Industrienation nicht im Sinne eine Nivellierung auf ein weltweites Durchschnittsniveau verschlechtert werden soll, auch wenn die hiesige, spezielle Infrastruktur konsekutiv zurückgefahren wird und sich dadurch bei näherer Betrachtung vielleicht auch Kostentragungspflichten innerhalb des sehr differenzierten, staatlichen Zuständigkeitsgefüges ganz beträchtlich verschieben, indem beispielsweise das speziell geschulte Personal im schulischen Bereich der Förderschulen von den Schulbehörden gestellt wurde, während die Integrationshelfer als Schulbegleiter für den Besuch der Regelschule nun von den örtlichen Sozialhilfeträgern zu finanzieren sind. Diese Verschiebung der Kostenlast, die abstrakt einen Wechsel von einer finanziellen Objektförderung der Infrastruktureinheit (z.B. die Förderschule stellt die Sonderpädagogen) auf eine Subjektförderung des einzelnen Betroffenen (z.B. der Sonderpädagoge arbeitet nun als Integrationshelfer) darstellt, darf angesichts des Zwecks der Inklusion nicht zu Lasten der betroffenen Schülerinnen und Schüler gehen, sondern kann nur innerhalb der staatlichen Strukturen hinterfragt werden.
22Die Klägerin ist auf die Schulbegleitung durch den Gebärdendolmetscher angewiesen. Dies ist für die Kernstunden des Unterrichts zwischen den Beteiligten völlig unbestritten. Unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich bei der deutschen Gebärdensprache um die Muttersprache der Klägerin handelt, gilt zur Überzeugung der Kammer für die Randstunden der rhythmisierten Ganztagsschule nichts Anderes. Die Klägerin kann die rhythmisierte Ganztagsklasse nur besuchen, wenn ihr auch in den Randstunden der Gebärdendolmetscher zur Verfügung steht. Da die Klägerin im schulrechtlichen Sinne in die T-schule aufgenommen wurde, hat sie das Recht, das ganze Angebot der Schule bis zur Grenze des Tatsächlichen zu nutzen. Sie muss ihren Wunsch, an der rhythmisierten Ganztagsschule teilnehmen zu wollen, nicht weiter rechtfertigen. Insoweit bedurfte es zur Überzeugung der Kammer keiner weiteren Ermittlungen, etwa vergleichbar mit der Frage, ob ein Schüler auf die Bereitstellung von Nachhilfeunterricht angewiesen wäre. Die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Eingliederungshilfe in Form des Gebärdendolmetschers auch für die Randstunden ergibt sich daraus, dass die Klägerin damit insgesamt ihr Recht, die Grundschule mit all ihren Angeboten zu besuchen, ausüben kann. Diese Maßnahme ist auch nicht unverhältnismäßig im engeren Sinne der allgemeinen rechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung, ob eine Maßnahme völlig außer Verhältnis zu ihrem Nutzen stünde. Dabei ist insbesondere zu bedenken, dass die behinderte Schülerin selbst die Auswirkungen unmittelbar spüren würde, indem sie zwar in die Grundschule aufgenommen wäre, aber tatsächlich nicht an den Randstunden teilnehmen oder jedenfalls nur als Außenseiter still und von jeder Kommunikation abgeschnitten daneben sitzen könnte. Dies wäre dann nicht etwa nur ein rechtlicher Vorgang, von dem das Kind selbst etwa nichts mitbekommen würde, sondern die Klägerin bekäme dies unmittelbar tagtäglich zu spüren.
23Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.
(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.
(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.
(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.
(1) Erhält eine Person, die nicht in einer Wohnung nach § 42a Absatz 2 Satz 2 lebt, Leistungen nach dem Dritten, Vierten, Fünften, Siebten, Achten oder Neunten Kapitel oder Leistungen für ärztliche oder ärztlich verordnete Maßnahmen, so kann die Aufbringung der Mittel für die Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel von ihr und den übrigen in § 19 Absatz 3 genannten Personen verlangt werden, soweit Aufwendungen für den häuslichen Lebensunterhalt erspart werden. Für Leistungsberechtigte nach § 27c Absatz 1 und die übrigen in § 19 Absatz 3 genannten Personen sind Leistungen nach § 27c ohne die Berücksichtigung von vorhandenem Vermögen zu erbringen; Absatz 2 findet keine Anwendung. Die Aufbringung der Mittel nach Satz 1 ist aus dem Einkommen nicht zumutbar, wenn Personen, bei denen nach § 138 Absatz 1 Nummer 3 und 6 des Neunten Buches ein Beitrag zu Leistungen der Eingliederungshilfe nicht verlangt wird, einer selbständigen und nicht selbständigen Tätigkeit nachgehen und das Einkommen aus dieser Tätigkeit einen Betrag in Höhe des Zweifachen der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 nicht übersteigt; Satz 2 gilt entsprechend.
(2) Darüber hinaus soll in angemessenem Umfang die Aufbringung der Mittel aus dem gemeinsamen Einkommen der leistungsberechtigten Person und ihres nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners verlangt werden, wenn die leistungsberechtigte Person auf voraussichtlich längere Zeit Leistungen in einer stationären Einrichtung bedarf. Bei der Prüfung, welcher Umfang angemessen ist, ist auch der bisherigen Lebenssituation des im Haushalt verbliebenen, nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners sowie der im Haushalt lebenden minderjährigen unverheirateten Kinder Rechnung zu tragen.
(3) Hat ein anderer als ein nach bürgerlichem Recht Unterhaltspflichtiger nach sonstigen Vorschriften Leistungen für denselben Zweck zu erbringen, wird seine Verpflichtung durch Absatz 2 nicht berührt. Soweit er solche Leistungen erbringt, kann abweichend von Absatz 2 von den in § 19 Absatz 3 genannten Personen die Aufbringung der Mittel verlangt werden.
Tenor
Der Bescheid vom 23.07.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.09.2012 wird abgeändert. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger Eingliederungshilfe in Form der Hilfe zur angemessenen Schulbildung durch Übernahme auch der Kosten des Integrationshelfers für die Stunden, da der Kläger an der Offenen Ganztags-schule teilnimmt, zu gewähren. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
1
Tatbestand:
2Der Kläger begehrt die Gewährung von Eingliederungshilfe in Form eines Integrationshelfers auch für den Zeitraum der Offenen Ganztagsschule (OGS) über den Pflichtunterricht am Vormittag hinaus.
3Der am 00.00.2006 geborene Kläger ist aufgrund einer Trisomie 21 schwerbehindert mit einem GdB von 100 und den Merkzeichen G und H. Er erfüllt die Voraussetzungen der Pflegestufe II der Pflegeversicherung. Bei ihm wurde ein sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt. Auf den Inhalt des Gutachtens vom 22.02.2012 der Sonderpädagogin U, das den Förderbedarf beschreibt, wird Bezug genommen. Der Kläger lebt bei seinen Eltern in der Familie und hat noch eine weitere Schwester, die am 00.00.2007 geboren wurde.
4Er besucht seit August 2013 die S-schule in C im regulären Schulunterricht am Vormittag und in der Offenen Ganztagsbetreuung am Nachmittag. Er besucht dort eine sogenannte GU-Klasse, in der gemeinsamer Unterricht von Kindern mit und ohne Förderbedarf stattfindet. Sämtliche Kinder nehmen an der OGS teil.
5Der Kläger beantragte am 07.02.2012 die Übernahme der Kosten für die Person eines Integrationshelfers für den gesamten Schulbesuch, klarstellend am 11.05.2012 ausdrücklich auch für die Zeit der Offenen Ganztagsschule am Nachmittag. Mit Bescheid vom 23.07.2012 bewilligte die Beklagte 24 Fachleistungsstunden für die OGS lediglich unter Zuzahlung von 1.716,88 Euro monatlich für die Monate August und September und ab Oktober von 1.616,50 Euro jeden Monat ausgehend von einem um 13,90 Euro bereinigten Nettogesamteinkommen der Eltern inklusive Kindergeld in Höhe von 3.990,50 Euro. Ferner sei einmalig das über der Vermögensfreigrenze von 3.982 Euro liegende Vermögen aus dem Rückkaufswert einer Kapitallebensversicherung mit 3.543,00 Euro, dem Bausparguthaben von 1.380,12 Euro und dem Betrag von 705,53 Euro auf dem Tagesgeldkonto jenseits des Freibetrags von 3.982 Euro, mithin in Höhe von 1.646,65 Euro, zu verwerten.
6Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein. Die Hilfe zur angemessenen Schulbildung schließe den Besuch der OGS ein. An der S-schule sei die gesamte GU-Klasse in der OGS. Es würde eine Diskriminierung des Klägers darstellen, sollte er auf Grund der fehlenden Integrationskraft nicht die Möglichkeit erhalten, den Tag im Klassenverband zu verbringen. Dies sei nur mit Integrationshelfer auch während der OGS möglich. Der Kläger habe ein Recht auf Bildung ohne Diskriminierung und auf der Grundlage von Chancengleichheit. Die Eltern könnten die geforderte Zuzahlung zum Integrationshelfer nicht bezahlen. Um dem Kläger auch auf privater Ebene Chancengleichheit zu bieten, seien die Eltern des Klägers schon privat mit einem höheren Kostenbeitrag gefordert, als Eltern von "normalen" Kindern seien, da einige Therapien, wie beispielsweise therapeutisches Reiten, nicht von anderen Trägern bezahlt würden oder etwa ein Schwimmkurs nicht beim ersten Mal mit einem Seepferdchen abgeschlossen werde und der Beitrag dementsprechend mehrfach von den Eltern gezahlt werden müsse. Der Kläger sei es gewohnt, im Nachmittagsbereich in der Betreuung zu sein. Er habe bereits im Regelkindergarten in den vergangenen vier Jahren immer einen 45-Stunden-Platz gehabt, so dass es ihm vertraut sei, mit anderen Kindern den Nachmittag zu verbringen. So habe er in der Vergangenheit Freunde gewinnen können und sei zu Geburtstagen eingeladen worden, ohne dass diese Kontakte von den Eltern des Klägers forciert worden wären. Das würde ihm verloren gehen, wenn er nur am Vormittagsunterricht teilnehmen könne. Die Beklagte führe derzeit die Werbeaktion "C - eine Stadt für alle". Hier wäre es ein Schritt in diese Richtung, Eltern behinderter Kinder nicht immer wieder Steine in den Weg zur Inklusion zu legen. Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Widerspruchsbegründung vom 22.08.2012 und vom 04.09.2012 Bezug genommen.
7Mit Widerspruchsbescheid vom 28.09.2012 wies die Beklagte den Widerspruch im Wesentlichen zurück. Die Zuzahlungsbeträge wurden rechnerisch leicht reduziert, indem ab September 2012 nun ein Einkommenseinsatz von 1.439,58 Euro und ab Oktober 2012 ein Einkommenseinsatz von monatlich 1.339,19 Euro verlangt wurde und der Einsatz des vorhandenen Vermögens nun nach erneuter Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse wegen Unterschreitens des Vermögensfreibetrags nicht mehr gefordert wurde. Der Kläger gehöre aufgrund seiner Behinderung unbestritten zum Personenkreis der Leistungsberechtigten der Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. SGB XII. Bei der OGS handle es sich nicht um eine Maßnahme der angemessenen Schulausbildung, sondern um eine Maßnahme zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Nach § 19 Abs. 3 SGB XII werde Eingliederungshilfe geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern, und wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels nicht zuzumuten sei. Hiervon mache § 92 Abs. 2 SGB XII eine Ausnahme, unter die jedoch nur die Eingliederungshilfe zur Teilhabe in Form der angemessenen Schulbildung und nicht die Eingliederungshilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft falle. Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Widerspruchsbescheid vom 28.09.2012 Bezug genommen.
8Mit der dagegen erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Anliegen weiter und wiederholt seine Argumentation.
9Der Kläger beantragt sinngemäß,
10den Bescheid vom 23.07.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.09.2012 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, ihm Leistungen der Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für eine Begleitpersonen (Integrationshelfer) auch für die Offene Ganztagsschule am Nachmittag zu gewähren.
11Die Beklagte beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Sie nimmt Bezug auf ihre bisherigen Ausführungen.
14Für die weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die beigezogene Akte des Verwaltungsverfahrens. Deren Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Die Beteiligten haben einer gerichtlichen Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
15Entscheidungsgründe:
16Das Gericht konnte gemäß § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten dem zugestimmt haben.
17Der zulässige Antrag ist begründet. Der Kläger ist im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beschwert. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 23.07.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.09.2012 ist rechtswidrig und der Kläger in seinen Rechten verletzt, indem dort eine Zuzahlung zu den Kosten des In-tegrationshelfers für die OGS verlangt wird.
18Der Kläger hat einen Anspruch auf Gewährung von Eingliederungshilfe unter dem Aspekt der angemessenen Schulbildung auch für die Stunden der OGS an der Grundschule. Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, erhalten gemäß § 53 Abs. 1 SGB XII Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Personen mit einer anderen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung können Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten. Von einer Behinderung bedroht sind gemäß § 53 Abs. 2 SGB XII Personen, bei denen der Eintritt der Behinderung nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Dies gilt für Personen, für die vorbeugende Gesundheitshilfe und Hilfe bei Krankheit nach den §§ 47 und 48 erforderlich ist, nur, wenn auch bei Durchführung dieser Leistungen eine Behinderung einzutreten droht. Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es gemäß § 53 Abs. 3 SGB XII, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen. Für die Leistungen zur Teilhabe gelten gemäß § 53 Abs. 4 SGB XII die Vorschriften des Neunten Buches, soweit sich aus diesem Buch und den auf Grund dieses Buches erlassenen Rechtsverordnungen nichts Abweichendes ergibt. Die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe richten sich nach diesem Buch.
19Leistungen der Eingliederungshilfe sind gemäß § 54 Abs. 1 SGB XII neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 des Neunten Buches insbesondere
201. Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu; die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bleiben unberührt, 2. Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule, 3. Hilfe zur Ausbildung für eine sonstige angemessene Tätigkeit, 4. Hilfe in vergleichbaren sonstigen Beschäftigungsstätten nach § 56, 5. nachgehende Hilfe zur Sicherung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen und zur Sicherung der Teilhabe der behinderten Menschen am Arbeitsleben. Die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben ent-sprechen jeweils den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit.
21Erfordert die Behinderung Leistungen für eine stationäre Einrichtung, für eine Tageseinrichtung für behinderte Menschen oder für ärztliche oder ärztlich verordnete Maßnahmen, sind die Leistungen hierfür gemäß § 92 Abs. 1 SGB XII auch dann in vollem Umfang zu erbringen, wenn den in § 19 Abs. 3 genannten Personen die Aufbringung der Mittel zu einem Teil zuzumuten ist. In Höhe dieses Teils haben sie zu den Kosten der erbrachten Leistungen beizutragen; mehrere Verpflichtete haften als Gesamtschuldner. Den in § 19 Abs. 3 genannten Personen ist die Aufbringung der Mittel gemäß § 92 Abs. 2 SGB XII nur für die Kosten des Lebensunterhalts zuzumuten 1. bei heilpädagogischen Maßnahmen für Kinder, die noch nicht eingeschult sind, 2. bei der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung einschließlich der Vorbereitung hierzu, 3. bei der Hilfe, die dem behinderten noch nicht eingeschulten Menschen die für ihn erreichbare Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen soll, 4. bei der Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf oder zur Ausbildung für eine sonstige angemessene Tätigkeit, wenn die hierzu erforderlichen Leistungen in besonderen Einrichtungen für behinderte Menschen erbracht werden, 5. bei Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (§ 26 des Neunten Buches), 6. bei Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 33 des Neunten Buches), 7. bei Leistungen in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen nach § 41 des Neunten Buches und in vergleichbaren sonstigen Beschäftigungsstätten (§ 56), 8. bei Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, die erforderlich und geeignet sind, behinderten Menschen die für sie erreichbare Teilhabe am Arbeits-leben zu ermöglichen, soweit diese Hilfen in besonderen teilstationären Einrichtungen für behinderte Menschen erbracht werden. Die in Satz 1 genannten Leistungen sind ohne Berücksichtigung von vorhandenem Vermögen zu erbringen. Die Kosten des in einer Einrichtung erbrachten Lebensunterhalts sind in den Fällen der Nummern 1 bis 6 nur in Höhe der für den häuslichen Lebensunterhalt ersparten Aufwendungen anzusetzen; dies gilt nicht für den Zeitraum, in dem gleichzeitig mit den Leistungen nach Satz 1 in der Einrichtung durchgeführte andere Leistungen überwiegen. Die Aufbringung der Mittel nach Satz 1 Nr. 7 und 8 ist aus dem Einkommen nicht zumutbar, wenn das Einkommen des behinderten Menschen insgesamt einen Betrag in Höhe des Zweifachen der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 nicht übersteigt.
22Hiervon ausgehend handelt es sich bei den Kosten für einen Integrationshelfer für die Nachmittagsstunden der Offenen Ganztagsschule in der Grundschule (im Folgenden: OGS) um eine Hilfe für eine angemessene Schulbildung im Sinne des § 53 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII. Dies ergibt sich bei der Auslegung dieser Norm zur Überzeugung der hiesigen Kammer insbesondere im Lichte der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 22.03.2012 zum Verfahren B 8 SO 30/10 R.
23Grundsätzlich kommen danach alle Maßnahmen in Betracht, die im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung geeignet und erforderlich sind, die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mildern (BSG, Urteil vom 22.03.2012, Az.: B 8 SO 30/10 R). Ausgeschlossen sind hiernach lediglich solche Maßnahmen, die dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule zuzuordnen sind, da § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII ausdrücklich die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht unberührt lässt, mithin die schulrechtlichen Verpflichtungen neben den sozialhilferechtlichen stehen (BSG, a.a.O.). Die Vorschrift normiert lediglich unterstützende Leistungen, überlässt die Schulbildung aber den Schulträgern (BSG, a.a.O.). Der Begriff der Schulbildung ist bei behinderten Kindern weit zu verstehen. Erforderlich ist aber, dass im Rahmen der in Rede stehenden Förderung Maßnahmen erfolgen, die den Schulbesuch erleichtern oder überhaupt erst ermöglichen (vgl. LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 06.10.2008, Az.: L 9 SO 8/08). Ausgangspunkt ist dabei, dass die Betreuung speziell auf die schulischen Maßnahmen abgestimmt ist und zu einer noch zu erreichenden gewissen Schulbildung führt. Es muss ein überwiegender Bezug zur schulischen Ausbildung bestehen. Nicht ausreichend ist dagegen, dass im Rahmen einer Maßnahme positive Nebeneffekte auch für die schulische Entwicklung eintreten können.
24Hiervon ausgehend stellt die OGS die typische Alltagssituation des Schulbesuchs dar und ist somit ein angemessener Schulbesuch im Sinne des § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 12 EinglHV. Zwar besteht keine schulrechtliche Pflicht zur Teilnahme an der OGS, worauf die Beklagte abstellt, das könnte dagegen sprechen, dass es sich kurz gesagt um "Schule" handelt. Allerdings handelt es sich um eine freiwillige Schulveranstaltung, die letztlich den wesentlichen Schulalltag abbildet, wie heutzutage "Schule" angeboten werden soll. Unter Beachtung des besonderen Sinn und Zwecks der Eingliederungshilfe, gerade dem jungen, behinderten Menschen zu ermöglichen, seinen optimalen Platz im Leben in der Gemeinschaft zu finden, ist die OGS eine regelmäßige schulische Veranstaltung und somit "Schule" im alltäglichen Sinne, wie bereits auch der Alltagsbegriff "Offene Ganztagsschule" deutlich zeigt. Und so besuchen auch in der GU-Klasse des Klägers alle Kinder die OGS. Die Offene Ganztagsschule ist ein Element des modernen Schulunterrichts, das den Schulalltag prägt und im oben genannten Sinne im überwiegenden Bezug zur schulischen Ausbildung steht. Dass der Kläger auf Unterstützung im Sinne der Notwendigkeit eines Integrationshelfers angewiesen ist, ergibt sich für den Unterricht bereits aus der Tatsache, dass der Integra-tionshelfer auch für den Pflichtunterricht schon für notwendig erachtet und die entsprechende Leistung bewilligt wurde. Dass der Kläger, wenn er an der OGS teilnehmen möchte, einen Integrationshelfer benötigt, wird auch von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen. Die Beklagte ist vielmehr der Auffassung, es handle sich bei der Gestellung des Integrations-helfers für die OGS um eine Hilfe zum Leben in der Gemeinschaft. Der wesentliche Unterschied besteht hinsichtlich der Rechtsfolgen dann in der Bestimmung des oben genannten § 92 Abs. 2 SGB XII, der die Hilfen zu den dort genannten schulischen und beruflichen Maßnahmen bei der Einkommens- und Vermögensanrechnung privilegiert, während die Hilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft dort nicht privilegiert wird. Konkret bedeutet dies, dass die Hilfen zum Leben in der Gemeinschaft zuzahlungspflichtig sind, während die Hilfen zur angemessenen Schulbildung einkommens- und vermögensunabhängig gewährt werden. Da das Ausmaß der Zuzahlung beträchtlich ist, kann daher nicht dahin stehen, ob es sich bei den Hilfen für die Teilnahme an der OGS um Maßnahmen für eine angemessene Schulbildung oder zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft handelt. Denn Hilfen zur Gesundheit, Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, Hilfe zur Pflege, Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten und Hilfen in anderen Lebenslagen werden gemäß § 19 Abs. 3 SGB XII nach dem Fünften bis Neunten Kapitel dieses Buches geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels dieses Buches nicht zuzumuten ist.
25Die Bestimmung des § 19 Abs. 3 SGB XII besagt letztlich, dass die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen im Grundsatz nach den gleichen Regeln wie die Gewährung von Sozialhilfe im engeren, landläufigen Sinne der staatlichen Unterstützungsleisung der Grundsicherung erfolgt. Lediglich die §§ 92, 92a SGB XII modifizieren diese Regelung im Sinne einer Abmilderung. Auch wenn es also mit dem SGB IX scheinbar ein eigenes Buch über die Rechte behinderter Menschen gibt, so ist dieses SGB IX nicht als Leistungsrecht ausgestaltet, wenn es um die Tragung der Kosten einer Behinderung geht. Hier werden der behinderte Mensch und seine Angehörigen im Grundsatz auf die Sozialhilfe mit dem dortigen Subsidiaritätsprinzip verwiesen, so dass der behinderte Mensch die Kosten der Behinderung jenseits der Akutbehandlung erst einmal selbst zu tragen hat. Hiervon nimmt § 92 SGB XII die schulische und berufliche Bildung strukturell aus.
26Bei der Eingliederungshilfe für die Teilnahme an der OGS handelt es sich zur Überzeugung der Kammer um eine Eingliederungshilfe zur angemessenen Schulbildung, so dass dem Kläger und seinen Eltern auch das Recht der einkommens- und vermögensunabhängigen Leistungsgewährung aus § 92 Abs. 2 SGB XII zusteht.
27Da der Kläger in die Grundschule, konkret die S-schule, aufgenommen wurde, hat er im Grundsatz bis zur Grenze des Tatsächlichen das Recht wie jeder andere Schüler mitzumachen. Er darf von einzelnen Veranstaltungen nicht ausgeschlossen werden. Er darf weder unmittelbar noch mittelbar diskriminiert werden. Er darf uneingeschränkt in der Grundschule, lediglich beschränkt durch seine eigenen, nicht durch Hilfe kompensierbaren Möglichkeiten und ggfs. gleichrangige Rechte anderer Schüler auf Bildung "mitmachen". Es bedarf also einer inklusiven Betrachtung der Grundschule. Deshalb darf zur Überzeugung der Kammer die Veranstaltung "Grundschule" nicht in einzelne Elemente zerpflückt werden, an denen der Kläger nur teils teilnehmen und teilweise nicht teilnehmen dürfte. Vielmehr kommt bei der Vermeidung von Diskriminierung dem subjektiven Empfinden eines objektiven Empfängerhorizontes besondere Bedeutung zu. Im Sinne dieser generalisierenden Betrachtung nimmt ein Schüler die Veranstaltung "Grundschule" als eine Einheit wahr. Da die Kosten eines Integrationshelfers gemessen an den Möglichkeiten eines durchschnittlichen Privathaushaltes beträchtlich sind, kommt die Zuordnung der Hilfen zur OGS zu den Hilfen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft in ihren faktischen Auswirkungen einem Verbot der Teilnahme an der OGS für einen Schüler mit Behinderung, der aus durchschnittlichen finanziellen Verhältnissen stammt, sehr nahe. Wenn ein Schüler, der an der OGS selbst teilnehmen möchte, auch wenn sie nur freiwillig ist, an dieser aus wirtschaftlichen Gründen faktisch nicht teilnehmen kann, weil dann die gesamte Familie wegen seiner Behinderung wirtschaftlich betrachtet auf Sozialhilfeniveau leben muss, um den Integrationshelfer mitzufinanzieren, so wird der Kläger jedenfalls mittelbar benachteiligt. Das läuft dem Gedanken der Eingliederungshilfe zuwider.
28Dies zeigt der vorliegende Fall anhand der von der Beklagten vorgenommenen Berechnung besonders anschaulich, indem hier beide Eltern mit soliden Einkommen berufstätig sind, die Mutter anteilig mit 25 Stunden, und im Ergebnis trotzdem von einem Betrag leben müssten, der der Sozialhilfe bzw. dem formal geringfügig höheren Niveau der Aufstocker wegen der erwerbstätigkeitsbezogenen Absetzungsbeträge des § 11b SGB II entspricht. Den Eltern wird als Familieneinkommen lediglich ein doppelter Regelsatz, mithin 748 Euro, zuzüglich 262 Euro bezogen auf drei weitere Haushaltsangehörige, mithin 786 Euro zuzüglich 840 Euro für die Kosten der Unterkunft belassen. Die Familie mit zwei berufstätigen, durch Studium qualifizierten Eltern müsste also ihren Lebensunterhalt nach Wohnkosten mit 1.534 Euro, mithin 383,50 Euro je Kopf bestreiten. Hieraus müssten neben der im konkreten Fall ausweislich der Kontoauszüge noch stattfindenden Rückzahlung von Bafög-Kosten nebenbei sämtliche Kosten für das behinderte Kind, die nicht von staatlichen Trägern übernommen werden, wie etwa individuell gewünschte Therapien, wie etwa therapeutisches Reiten, oder Fördermaßnahmen oder auch mehrfacher Schwimmunterricht bestritten werden, die in ihren Kosten regelmäßig deutlich höher liegen als die Aufwendungen, die Eltern mit durchschnittlichem Einkommen für die Freizeitaktivitäten ihrer gesunden Kinder tätigen. Die Eltern würden also annähernd so dastehen, als wären sie nicht berufstätig und würden von der seitens des Staats gezahlten Grundsicherung leben, wenn sie die Gestellung eines Integrationshelfers für die OGS für den Kläger in Anspruch nehmen wollen würden und die Auffassung der Beklagten zutreffend wäre.
29Eine enge Auslegung des Begriffs der angemessenen Schulausbildung ist hier nicht geboten. Auch bedarf es dabei nicht einmal einer besonders weiten Auslegung im Lichte des Zeitgeistes der Inklusion entgegen dem Wortlaut. Beides lässt sich vielmehr bereits jetzt in Einklang bringen, wenngleich eine gesetzgeberische Klarstellung oder Neuordnung des größeren Kontextes der finanziellen Versorgung behinderter Menschen in Bezug auf die behinderungsspezifischen Bedarfe vielleicht wünschenswert wäre. § 54 Abs. 1 Nr.1 SGB XII spricht von Hilfen zur angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen. Die Formulierung "insbesondere" schafft bereits eine Öffnungsklausel. Es kommt also gar nicht darauf an, ob für die OGS eine Schulpflicht besteht. Und das Kriterium des BSG für die Abgrenzung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, dass Ausgangspunkt dabei sein muss, dass die Betreuung speziell auf die schulischen Maßnahmen abgestimmt ist und zu einer noch zu erreichenden gewissen Schulbildung führt und ein überwiegender Bezug zur schulischen Ausbildung bestehen muss, während nicht ausreichend sei, dass im Rahmen einer Maßnahme positive Nebeneffekte auch für die schulische Entwicklung eintreten können, ist bei der OGS offensichtlich gegeben. Schulische Bildung ist nicht bloß ein positiver Nebeneffekt der OGS, sondern ein elementarer Bestandteil des Konzepts der OGS.
30Das Problem bei der Fragestellung, ob OGS Schulbildung im Sinne des § 54 SGB XII ist, beruht im Kern auf dem unterschiedlichen Blickwinkel, den Juristen einerseits und Päda-gogen und Soziologen andererseits auf das Gebiet Schule von ihrer unterschiedlichen Aufgabenstellung her beinahe zwangsläufig haben und die bei größeren gesellschaftlichen Neuentwicklungen erst noch harmonisiert werden müssen.
31Die Pädagogen formulieren zunächst die Ziele und Chancen einer Neuerung und überlegen, wer sich noch alles in das Projekt mit einbringen kann. Die Juristen hingegen wollen eine präzise Antwort darauf geben, wer die einzelnen Dinge tun und finanzieren soll. Beide Methoden haben ihre Berechtigung. Dies zeigt sich an dem aktuellen gesellschaftspolitischen Thema der Inklusion deutlich. Die Rechtsfragen rund um die Inklusion als Methode der Integration behinderter Menschen werden gerade erst aufgearbeitet. Der Gesetzgeber ist vielfach noch nicht klarstellend tätig geworden, indem er seinen Willen bei der Auslegung einzelner Bereiche im Lichte der Inklusion aktualisiert hätte. Dies zeigt sich an der Problematik um die Auslegung der Kostentragung der Integrationshelfer für behinderte Kinder, die die OGS besuchen wollen, geradezu exemplarisch.
32Die sozialhilferechtliche Eingliederungshilfe, die in ihren Ursprüngen zunächst scharf zwischen Arbeitswelt und Privatwelt unterschieden hat, überträgt diesen Gedanken in § 54 Abs. 2 Nr. 1 SGB XII auf die Hilfe zur angemessenen Schulbildung. § 54 SGB XII ist also noch von einer Dialektik von Arbeits- und Privatwelt bzw. Schule und Privatleben geprägt. Diese strenge Entweder-Oder-Betrachtung besteht im Bereich der OGS nicht. In den Empfehlungen der Bildungskonferenz "Zusammen Schule machen für Nordrhein-Westfalen" zum Thema "Ganztag weiterentwickeln" vom 12.05.2011, abrufbar über die Internetseite des Schulministeriums NRW (schulminsterium.nrw.de) heißt es: "Der quantitative und qualitative Ausbau des Ganztags ist heute ein Anliegen aller gesellschaftlichen Gruppen. Gleichwohl gibt es noch unterschiedliche Auffassungen und Lebensentwürfe zur Frage, ob und wenn ja, ab wann der Ganztag für jedes Kind und jeden Jugendlichen verpflichtend sein sollte und könnte. Dies spiegelt sich auch in dem aktuellen Ausbaustand in Nordrhein-Westfalen wider. ( ...) Zentrale Grundlage für Konzeption und Umsetzung des Ganztags ist die Zusammenarbeit von Schule, Kinder- und Jugendhilfe, Kirchen und Wohlfahrtsverbänden, Kultur und Sport, Wirtschaft und Handwerk etc. sowie die Beteiligung von Eltern, Kindern und Jugendlichen. Im Ganztag arbeiten verschiedene Berufsgruppen aus diesen Bereichen gleichberechtigt in multiprofessionellen Teams zusammen. Kristallisationspunkt der Ganztagsentwicklung in der Schule ist die selbstständige, eigenverantwortliche und für das sozialräumliche Umfeld und außerschulische Partner offene Schule. Der Ganztag entwickelt sich immer mehr zu einem wesentlichen Beitrag zur Wahrnehmung der pädagogischen Gesamtverantwortung aller Beteiligten, auch der Eltern. ( ...) Die Schule soll ein Haus der Lernens und Lebens werden, das formelles und informelles Lernen in einem kohärenten Gesamtkonzept von Bildung, Erziehung und Betreuung verknüpft. Dabei bedarf es einer gemeinsamen Willens- und Organisationsanstrengung aller Betroffenen und Beteiligten, d.h. der Zusammenarbeit der staatlichen, der kommunalen, der privaten und der bürgerschaftlichen Akteure. Ganztag ist in diesem Sinne ein wesentlicher Baustein einer zukunftsfähigen Entwicklung glei-chermaßen von Schulen und außerschulischen Einrichtungen in einer kommunalen Bil-dungslandschaft. Im Ganztag entstehen neue Lernkulturen, die sich an den individuellen und örtlichen Bedarfen und Bedürfnissen orientieren. Der Ganztag trägt dazu bei, die verwandten Ziele der Integration, der Inklusion und des Gender Mainstreaming im Sinne einer geschlechtergerechten Förderung besser zu erreichen, vor allem unter verantwortlicher Mitwirkung und Partizipation der betroffenen Eltern, Kindern und Jugendlichen."
33An diesen Aussagen zeigt sich bereits der oben geschilderte soziologische Betrachtungswinkel der einerseits die Ziele formuliert, andererseits aber noch nicht klärt, welche gesellschaftliche Gruppe dann was am gemeinsamen runden Tisch genau finanzieren soll. Desweiteren formulieren die genannten Empfehlungen der Bildungskonferenz eine finanzielle und fachliche Unterstützung. Hierbei ist Unterstützung wieder ein eher soziologischer Begriff, während der Jurist sich die Formulierung von klaren und vollständigen Zuständigkeiten wünschen würde. Die Integrationshelfer finden in dem genannten Papier keine Erwähnung. Das Thema Inklusion wird als Ziel erwähnt, ohne Wege zu konkretisieren. Hinzu kommt aus juristischer Sicht noch das Problem, dass es sich bei der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII um Bundesrecht handelt. Allerdings wird das Projekt der Ganztagsschulen auch bundesweit vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert, das hierzu sogar die eigene Internetseite Ganztagsschulen.org unterhält.
34Desweiteren heißt es zum Entwicklungsstand der OGS in dem oben genannten Papier: "Solange es Eltern gibt, die für ihre Kinder keinen Ganztagsplatz wünschen, muss man bei der Weiterentwicklung des Ganztags von einer Aufbau- bzw. Übergangsphase sprechen." Die Verfasser der Empfehlungen sind sich also durchaus bewusst, dass sich die OGS sowohl organisatorisch als auch gesellschaftspolitisch noch in der Aufbauphase befindet. Dies ist der eigentliche Grund, warum sie derzeit noch freiwillig und nicht etwa verpflichtend stattfindet.
35So formulieren die Empfehlungen auch kurz das Problem der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII im Rahmen des Aufbaus der OGS allerdings in einem Atemzug mit Leistungen der Jugendhilfe nach dem SGB VIII und im Rahmen der Formulierung einer weiteren Neuerung, nämlich der verstärkten Elternbeteiligung, die dann aber zugleich einen verstärkten Beratungsbedarf nach sich ziehe. So heißt es dann: " In diesem Rahmen könnte man Leistungen der Jugendhilfe zur erzieherischen Förderung, u.a. nach dem SGB VIII, mit den Angeboten einer Ganztagsschule fachlich und strukturell verknüpfen. Dies gilt auch für die besonderen Leistungen für Kinder mit Behinderungen, beispielsweise durch Integrationshilfe gemäß SGB XII." Ferner heißt es in dem genannten Papier, dass Ganztagsschule unter dem zeitlichen Aspekt gerade bei regelmäßiger und nicht nur gelegentlicher Teilnahme erfolgreich ist. Und zur Teilnehmergruppe äußert sich das Papier dahin, dass der Rhythmisierung (im Sinne der Entwicklung von Lerngewohnheiten oder des Lernenlernens) Grenzen gesetzt sind, wenn nur ein Teil der Kinder der jeweiligen Schule am Ganztag teilnimmt. In diesem Sinne postulieren die Empfehlungen der Bildungskonferenz die Teilnahme aller Schüler an der OGS.
36Mangels klarer Entweder-Oder-Struktur zwischen schulischen und gesellschaftlichem Leben bei der OGS und mangels einer echten Teilnahmepflicht an der OGS bedarf es letztlich einer wertenden, systematischen Betrachtung, was unter das Tatbestandsmerkmal der "angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht" fällt, solange der Gesetzgeber nicht seinen gesetzgeberischen Willen zur Eingliederungshilfe im Lichte der Inklusion, und sei es nur klarstellend, aktualisiert.
37Dass die OGS eine Neuerung ist, die noch in der Entwicklung befindlich ist, darf zur Überzeugung der hiesigen Kammer nicht zulasten der behinderten Schüler gehen. Das gebietet auch der Wortlaut des § 54 SGB XII nicht. Vielmehr sind die einzelnen Regelungsbereiche der Eingliederungshilfe nach § 54 SGB XII unter Berücksichtigung dieser Neuerung auszulegen.
38Bei der Auslegung der Abgrenzung von § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII und Leistungen zur Teilhaben am Leben in der Gemeinschaft im Sinne des § 55 Abs. 1 SGB IX geht das Gericht zusammengefasst von folgenden Überlegungen aus: Das SGB IX als Buch über die Rehabilitation und Teilhabe von behinderten Menschen ist kein Regelungswerk mit finanziellen Anspruchsgrundlagen. Die monetären Rechte sind insoweit vielmehr im SGB XII unter lediglich gelegentlicher Modifikation des Subsidiaritätsgrundsatzes geregelt. Die Zuzahlungspflicht der Eltern behinderter Kinder zu den Kosten eines Integrationshelfers in der OGS führt bei gewöhnlichen Einkommensverhältnissen dazu, dass die Familie sich den Integrationshelfer faktisch nicht leisten kann. Es sei denn sie lebt trotz guter Berufsausbildung und Erwerbstätigkeit der Eltern mit guter Bezahlung auf Sozialhilfeniveau bzw. dem formal geringfügig höheren Niveau der Aufstocker wegen der erwerbstätigkeitsbezogenen Absetzungsbeträge des § 11b SGB II bei Erwerbstätigkeit mit der Folge, dann nicht einmal freiwillige, individuell für gut befundene Dinge für das behinderte Kind oder gar ein neues (gebrauchtes) Alltagsauto für die Familie finanzieren zu können, obwohl die Eltern erwerbstätig sind. Die Teilnahme an der OGS durch alle Kinder ist seitens der Schule er-wünscht. Auch Inklusion ist ausdrücklich ein Ziel der OGS. Der Gedanke der Inklusion hebt allgemein die gesamtgesellschaftliche Aufgabe, behinderte Menschen in die Gemeinschaft aktiv zu integrieren, hervor. Die Frage, ob vor diesem Hintergrund die finanzielle Versorgung wesentlich behinderter Menschen im Hinblick auf den behinderungsbedingten Bedarf grundsätzlich noch unter dem Vorbehalt der Subsidiarität im Sinne des SGB XII stehen kann oder einer völlig eigenständigen Regelung, wenngleich nicht zwingend ohne jede Selbstbeteiligung, zuzuführen ist, könnte sich stellen bzw. gegebenenfalls zum Gebot einer verfassungskonformen Auslegung führen.
39Hiervon ausgehend umfasst die Regelung des § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII nicht nur den Pflichtunterricht in der Schule. Denn dort heißt es lediglich: "insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht". Denn die OGS ist ein integraler Bestandteil der neuen Lernkultur im kohärenten Gesamtkonzept, bei dem sich Schule nun als ein Haus des Lernens und Lebens versteht. Dass dabei auch Aspekte der gesellschaftlichen Zusammenlebens zum Tragen kommen, ist gerade Teil des pädagogischen Gesamtkonzepts, das gerade in der Primarstufe natürlich dem jungen Alter der Schüler besondere Rechnung trägt und sie im Rahmen der Rhythmisierung des Lernens in der OGS noch nicht mit reinen Lerninhalten überfordern will. Nur deshalb besteht das Angebot zwischen Unterrichtsinhalten im engeren Sinne und außerunterrichtlichen Angeboten in einem Verhältnis von 1:1, während es in der Sekundarstufe I dann bereits auf ein Verhältnis von 4:1 oder 5:1 zugunsten der Unterrichtsinhalte verschoben wird. Das ist aber gerade Teil des schulischen Konzepts und kein aliud zur Schule.
40Dass der Kläger individuell geeignet ist, an der OGS teilzunehmen, ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass er für die Grundschule für geeignet befunden wurde. Darüber hinaus muss er seinen Wunsch, an der OGS teilnehmen zu wollen, nicht weiter rechtfertigen. Insoweit bedurfte es zur Überzeugung der Kammer keiner weiteren Ermittlungen, etwa vergleichbar mit der Frage, ob ein Schüler auf die Bereitstellung von Nachhilfeunterricht angewiesen wäre. Die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Eingliederungshilfe in Form des Integrationshelfers für die OGS ergibt sich daraus, dass der Kläger damit insgesamt seine Rechte, die Grundschule mit all ihren Angeboten zu besuchen, ausüben kann. Diese Maßnahme ist auch nicht unverhältnismäßig im engeren Sinne der allgemeinen rechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung, ob eine Maßnahme völlig außer Verhältnis zu ihrem Nutzen stünde. Dabei ist insbesondere zu bedenken, dass der behinderte Schüler selbst die Auswirkungen unmittelbar spüren würde, indem er zwar in der Grundschule aufgenommen wäre, aber tatsächlich nicht am Nachmittag mitmachen könnte, obwohl er dies möchte. Dies wäre dann nicht etwa nur ein rechtlicher Vorgang, von dem das Kind selbst etwa nichts mitbekommen würde, sondern der Kläger bekäme dies unmittelbar tagtäglich zu spüren.
41Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.
(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.
(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.
(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.