Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 8. Dez. 2016 - 8 A 10680/16
Gericht
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OVG Rheinland-Pfalz hat mit seinem Urteil (8 A 10680/16) vom 8.12.2016 folgendes entschieden:
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 15. Juni 2016 wird abgelehnt.
Der Antragsteller hat die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500,00 € festgesetzt.
Gründe:
Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.
Die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 VwGO liegen nicht vor.
Das Verwaltungsgericht hat das Verpflichtungsbegehren des Klägers, gegen die Nutzung des Nachbargebäudes bauaufsichtsbehördlich einzuschreiten, im Wesentlichen mit folgender Begründung abgelehnt: Der Kläger haben keinen Anspruch auf das begehrte bauaufsichtsbehördliche Einschreiten, weil die im Anwesen der Beigeladenen stattfindende Nutzung nicht gegen nachbarschützende Vorschriften verstoße. Die Nutzung des Gebäudes durch bis zu 12 Personen sei in einem reinen Wohngebiet unabhängig davon zulässig, ob es sich dabei um eine Wohngemeinschaft oder jeweils einzelne Mietverhältnisse handele. Denn auch ein normales Studentenwohnheim werde in einem reinen Wohngebiet als allgemein zulässig angesehen. Es handele sich nicht um einen - nach dem Bebauungsplan ausgeschlossenen - Beherbergungsbetrieb. Die auf Jahre angelegte Vermietung an Studenten/Einzelpersonen sei nicht mit einer gewerblichen täglichen Zimmervermietung gleichzusetzen. Die Wohnnutzung entspreche auch dem festgesetzten Charakter eines reinen Wohngebiets. Ferner sei die Nutzung des Nachbargebäudes dem Kläger gegenüber auch nicht rücksichtslos. Die beanstandete Nutzung führe im Vergleich zur Nachbarschaft mit einer Familie mit mehreren Kindern allenfalls zu geringfügigen zusätzlichen Belästigungen. Der vermehrte Anfall von Hausmüll, das Abstellen gelber Säcke auf dem Grundstück, ein erhöhtes Aufkommen von Autoverkehr und auch vermehrte Feiern seien auch in ihrer Gesamtheit nicht geeignet, die Nachbarschaft unzumutbar und rücksichtslos zu beeinträchtigen.
An der Richtigkeit dieses Urteils bestehen weder ernstliche Zweifel noch weist die Rechtssache rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten auf. Denn es lässt sich bereits jetzt feststellen, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts der rechtlichen Überprüfung standhält, ohne dass die Durchführung eines Berufungsverfahrens erforderlich wäre. In diesem Fall scheidet auch die Zulassung nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aus.
Der Senat teilt zunächst die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die in dem Nachbargebäude zu dem Anwesen des Klägers stattfindende Nutzung mit den Anforderungen der hier einschlägigen Baugebietstypenvorschrift des § 3 BauNVO vereinbar ist, der sich hieraus ergebende Gebietsbewahrungsanspruch des Klägers also nicht verletzt ist.
Bei der beanstandeten Nutzung handelt es sich um die Nutzung eines Wohngebäudes i. S. v. § 3 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO. Denn das Haus der Beigeladenen wird zum dauernden Wohnen genutzt. Das auf Dauerhaftigkeit angelegte, eine eigene Lebens- und Haushaltsführung voraussetzende Wohnen in einem Wohngebäude ist von dem bloß vorübergehenden „Unterkommen“ abzugrenzen, wie etwa dem Übernachten in einem Hotel oder in einer anderen Unterkunft. Entgegen der Auffassung des Klägers liegt bei der von ihm beanstandeten Nutzung des Anwesens der Beigeladenen keine stetig wechselnde Nutzung im Sinne eines Beherbergungsbetriebes vor. Nach dem von ihm vorgelegten Inserat für die Suche eines Nachmieters und den Feststellungen der Beklagten vor Ort wird das Haus durch eine Wohngemeinschaft, bestehend aus 11 Personen, genutzt. Dies belegt der Text des Inserates, wonach eine Person für „eine komplett durchgewürfelte WG mit … 11 … Menschen“ gesucht wird und ihr ein Einzelzimmer mit der Möglichkeit der Mitnutzung von Gemeinschaftsräumen angeboten wird. Da es sich bei den Mitbewohnern vorwiegend um Studenten handelt, ist zwar im Laufe der Zeit durchaus von einem stetigen Wechsel der Bewohner auszugehen, nicht aber von gänzlich kurzfristigen Wechseln im Sinne eines Beherbergungsbetriebes. Nichts anderes hat das Verwaltungsgericht zum Ausdruck gebracht, wenn es von einer „auf Jahre angelegten Vermietung an Studenten/Einzelpersonen“ spricht, die nicht mit einer gewerblichen täglichen Zimmervermietung gleichzusetzen sei. Auf die von dem Kläger vermissten Belege für eine gerade „auf Jahre angelegte“ Nutzungsdauer kommt es daher nicht an. Entscheidend ist vielmehr, dass eine längerfristige und nicht täglich wechselnde Nutzung durch die Angehörigen der Wohngemeinschaft stattfindet.
Das Verwaltungsgericht hat auch zutreffend festgestellt, dass die derzeit praktizierte Nutzung des Anwesens der Beigeladenen dem Charakter des festgesetzten reinen Wohngebiets entspricht, also gebietsverträglich ist.
Wie die Bevollmächtigten des Klägers zutreffend ausführen, wird die Zulässigkeit eines Bauvorhabens in einem festgesetzten Baugebiet über die Begriffskategorien der - in den jeweiligen Absätzen 2 und 3 der Baugebietstypenvorschriften genannten - Nutzungsarten hinaus eingrenzend durch das Kriterium der Gebietsverträglichkeit bestimmt. Zwischen den vom Verordnungsgeber dem jeweiligen Baugebiet - in Abs. 1 der Baugebietstypenvorschrift - zugewiesenen allgemeinen Zweckbestimmung und den - in den jeweils 2. Absätzen - genannten Nutzungsarten besteht ein funktionaler Zusammenhang. Ob ein Vorhaben mit der allgemeinen Zweckbestimmung eines Baugebiets verträglich ist, hängt wesentlich von seinen Anforderungen an und seinen Auswirkungen auf das Gebiet ab, also insbesondere von seinem Störpotential bzw. seiner Störempfindlichkeit. Entsprechend dem typisierenden Ansatz der Baugebietsvorschriften kommt es dabei auf eine generelle Betrachtung an, also darauf, ob das Vorhaben typisierend geeignet ist, ein bodenrechtlich beachtliches Störpotential zu entfalten. Gegenstand der Betrachtung sind die Auswirkungen, die typischerweise von einem Vorhaben der beabsichtigten Art, insbesondere nach seinem räumlichen Umfang und der Größe seines Einzugsbereichs, dem vorhabenbedingten An- und Abfahrtsverkehr sowie der zeitlichen Dauer dieser Auswirkungen und ihrer Verteilung auf die Tages- und Nachtzeiten, ausgehen. Dabei ist nicht entscheidend, ob die mit der Nutzung verbundenen immissionsschutzrechtlichen Lärmwerte eingehalten werden. Bei dem Kriterium der Gebietsverträglichkeit geht es vielmehr um die Vermeidung als atypisch angesehener Nutzungen, die den Wohngebietscharakter als solchen stören. Ob das Vorhaben aufgrund der konkreten Umstände des Falles der Eigenart des Baugebiets widerspricht, ist der nachrangigen Prüfung gemäß § 15 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BauNVO vorbehalten.
Bei der hiernach zur Bewertung der Gebietsverträglichkeit gebotenen typisierenden Betrachtung erweist sich die Wohnnutzung des Anwesens der Beigeladenen durch eine Wohngemeinschaft von 11 Personen nicht als generell unverträglich mit der in § 3 Abs. 1 BauNVO dem reinen Wohngebiet zugewiesenen Zweckbestimmung. Vielmehr erfüllt diese Nutzung gerade den festgelegten Zweck des Baugebiets, nämlich dem Wohnen zu dienen. Insofern unterscheidet sich der vorliegende Fall von den vom Kläger angeführten Fallgestaltungen in den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, die zum einen die Errichtung eines Zustellstützpunktes der Deutschen Post AG und zum anderen die Errichtung eines Dialyse-Zentrums jeweils in einem reinen Wohngebiet zum Gegenstand hatten. Wohngemeinschaften sind demgegenüber mit der Zweckbestimmung des reinen Wohngebiets ebenso generell verträglich wie die Unterbringung von Studentenwohnheimen.
Auch soweit der Kläger der Sache nach eine Unzulässigkeit der Wohnnutzung im Anwesen der Beigeladenen aufgrund der konkreten Verhältnisse „vor Ort“ rügt, bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts.
Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO erweist sich eine bauliche Anlage und deren Nutzung trotz Vereinbarkeit mit den Anforderungen der Baugebietstypenbestimmung im Einzelfall als unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widerspricht. Die Vorschrift geht davon aus, dass im Einzelfall - ausnahmsweise - Quantität in Qualität umschlagen kann, mithin die Größe oder Lage einer baulichen Anlage die Art der baulichen Nutzung erfassen kann. Da es sich um eine Ausnahmevorschrift handelt, ist ein „Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets“ nur unter strengen Voraussetzungen anzunehmen. Der Widerspruch der hinzukommenden baulichen Anlage oder deren Nutzung - wie hier - muss sich daher bei objektiver Betrachtungsweise offensichtlich aufdrängen; dass das neue Bauvorhaben oder die neue Nutzung nicht in jeder Hinsicht mit der vorhandenen Bebauung „im Einklang steht“, genügt dafür nicht.
Die Nutzung eines Wohnhauses durch eine Gemeinschaft von 11 Personen stellt indes auch von ihrer Intensität her keine gegenüber der üblichen Nutzung von Ein- oder Zweifamilienhäusern andersartige Nutzungen dar. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist auch eine überkommene familiäre Nutzung nicht zwangsläufig auf die Anwesenheit bloß weniger Personen beschränkt. Auch eine derart intensivere Wohnnutzung wahrt ohne weiteres die Eigenart des reinen Wohngebiet.
Dass schließlich auch kein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO vorliegt, hat das Verwaltungsgericht ebenfalls zutreffend dargelegt, ohne dass der Kläger dem im Berufungszulassungsverfahren substantiiert entgegengetreten wäre. Für eine solche Verletzung ist auch nichts ersichtlich.
Dabei ist dem Kläger zuzugeben, dass er als Bewohner eines reinen Wohngebiets eine gesteigerte Wohnruhe beanspruchen kann. Dessen sind sich auch die Angehörigen der Wohngemeinschaft im Haus der Beigeladenen ersichtlich bewusst, weisen sie doch in ihrer Annonce für einen Nachmieter auf die sehr ruhige Wohngegend hin. Sollte es in Einzelfällen zu Verletzungen dieser Wohnruhe kommen, wird der Kläger deren Unterlassung gegenüber den Beigeladenen einfordern können. Dies stellt indes die baurechtliche Zulässigkeit der praktizierten Nutzung nicht generell mit der Folge einer Verpflichtung zur Untersagung der Wohngemeinschaftsnutzung in Frage.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 47, 52 GKG.