Oberlandesgericht Rostock Beschluss, 27. März 2017 - 17 Verg 1/17

bei uns veröffentlicht am27.03.2017

Tenor

Die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin vom 27.01.2017 gegen den Beschluss der Vergabekammer Mecklenburg-Vorpommern vom 13.01.2017 - 1 VK 4/16 - wird nicht verlängert.

Damit ist der Beschluss des Senats vom 03.02.2017 gegenstandslos.

Gründe

1

Die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin vom 27.01.2017 gegen den Beschluss der Vergabekammer Mecklenburg-Vorpommern vom 13.01.2017 - 1 VK 4/16 - ist nicht gem. § 118 Abs. 1 S. 3 u. Abs. 2 GWB a.F. zu verlängern. Nach der gebotenen summarischen Bewertung des Sach- und Streitstandes wird die sofortige Beschwerde erfolglos bleiben, denn die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.

2

I. Bei einem Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb (§ 101 Abs. 5 GWB a.F., §§ 3 Abs. 3, 10 Abs. 1 EG VOL/A a.F.) steht der Vergabestelle im Rahmen der materiellen Eignungsprüfung, d.h. bei der Auswahl der formell geeigneten Teilnehmer für das Verhandlungsverfahren, ein Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum zu. Diesen Beurteilungsspielraum hat die Antragsgegnerin nicht zulasten der Antragstellerin verletzt. Die Nachprüfung durch den Senat ist dabei auf die Frage beschränkt, ob das Ermessen bei der Auswahlentscheidung rechtmäßig ausgeübt wurde.

3

Die Auswahlentscheidung unter den Teilnehmern ist hier durch eine Bewertungsmatrix erfolgt, bei der u.a. verschiedene Referenzen mit Punkten bewertet wurden. Die Antragstellerin, die wie die drei Erstplatzierten von der Antragsgegnerin als formell geeignet angesehen wurde, hat unter Abzug von drei Punkten insgesamt 30 Punkte erhalten, die besser platzierten Konkurrenten wurden mit 31, 31,5 und 32 Punkten bewertet.

4

Die Antragsgegnerin hat ohne Beurteilungsfehler jedenfalls eine Referenz der Gesamtprojektleiterin H. (B 6), eine Referenz des stellvertretenden Gesamtprojektleiters S. (B 7), drei Referenzen des Consultants P. (B 8), eine Referenz des Consultants Pa. (B 8) und zwei Referenzen des Mitarbeiters H. (B 12) nicht akzeptiert; diese fehlenden Referenzen führen zu einem Abzug von drei Punkten (0,5 P. für B 6 + 0,5 P. für B 7 + 1 P. für B 8 + 1 P. für B 12). Auf die übrigen nicht akzeptierten Referenzen kommt es nicht an.

5

1. Gemäß Punkt 9.2 der Bewerbungsbedingungen waren mit den Formularen B 6 und B 7 für die Höchstpunktzahl (jeweils 1,5) mindestens drei Projektreferenzen des Gesamtprojektleiters und des Stellvertreters über ein Softwareeinführungsprojekt in einer mit dem Auftragsgegenstand vergleichbaren Größe anzugeben.

6

Die Antragstellerin ist entsprechend den Ausführungen der Vergabekammer mangels Rüge gem. § 107 Abs. 3 Nr. 2 GWB a.F. präkludiert, soweit es um die Anwendung des unbestimmten Begriffs „Softwareeinführungsprojekt in einer mit dem Auftragsgegenstand vergleichbaren Größe“ geht. Damit untrennbar verbunden ist die erforderliche Konkretisierung und Auslegung des Begriffs „Softwareeinführungsprojekt in einer mit dem Auftragsgegenstand vergleichbaren Größe“ bei Bewertung der vorgelegten Referenzen.

7

Von der Rügeobliegenheit gem. § 107 Abs. 3 Nr. 2 GWB a.F. sind allerdings der konkret angewendete Auslegungsmaßstab und die konkrete Punktevergabe nicht umfasst, denn beides war aus der Bekanntmachung und den Bewerbungsbedingungen nicht erkennbar, auch handelt es sich insoweit nicht um einen untrennbaren Folgefehler.

8

Die Antragsgegnerin hat als Auslegungsmaßstab für den unscharfen Begriff „Softwareeinführungsprojekt in einer mit dem Auftragsgegenstand vergleichbaren Größe“ herangezogen, dass ein vergleichbares Softwareeinführungsprojekt nur vorliegt, wenn das Referenzprojekt einen Auftragswert von mindestens 1 Mio. € oder einen Umfang von mindestens 1.000 Projekttagen oder eine Nutzerzahl von mindestens 1.000 aufweist. Dieser Auslegungsmaßstab ist angesichts des geschätzten Auftragswertes von über 30 Mio. € und der vom Auftragsgegenstand betroffenen Nutzerzahl von über 2.000 nicht zulasten der Antragstellerin sachwidrig. Somit liegt es innerhalb des Beurteilungsspielraums der Antragsgegnerin, wenn die Projektreferenz der Gesamtprojektleiterin H. „Einführung Forderungsmanagement, Mahnung und Vollstreckung B.“ mit einem Auftragswert von nur 300.000 € und die Projektreferenz „S…“ des Stellvertreters S. mit nur mehreren 100 Nutzern nicht akzeptiert wurden.

9

2. Gemäß Punkt 9.2 der Bewerbungsbedingungen waren mit dem Formular B 8 für die Höchstpunktzahl (3) mindestens fünf Consultants (IT-Berater) mit drei Referenzen über die Beteiligung an Einführungs- und/oder Weiterentwicklungsprojekten einer kameralen Buchhaltungssoftware vorzulegen.

10

Die nicht akzeptierten Referenzen des Mitarbeiters X. sind nicht Gegenstand des Nachprüfungsantrags vom 15.07.2016, der gem. § 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB a.F. binnen 15 Tagen nach Mitteilung der Nichtabhilfe vom 06.07.2016 zu stellen war; der Streitgegenstand kann insoweit nachträglich nicht mehr erweitert werden. Für den Mitarbeiter Y. wurden schon sechs Referenzen akzeptiert, so dass es auf die übrigen vier Referenzen nicht ankommt.

11

Für den IT-Berater P. hat die Antragsgegnerin rechtmäßig zumindest drei (von fünf) Referenzen nicht akzeptiert, die sich auf das Projekt „Betreuung bzw. Einrichtung D. Reporting System“ beziehen. Hierbei handelt es sich um eine anzupassende Standardsoftware, die Daten aus der kameralen Buchhaltungssoftware „ProFiskal“ abschöpfen und zu einem Bericht zusammenfassen kann. Auch wenn für die Einrichtung der Berichtssoftware „D…“ nähere Kenntnisse vom Aufbau der Datenbanken der Buchhaltungssoftware „ProFiskal“ erforderlich sind, liegt es innerhalb des Beurteilungsspielraums der Antragsgegnerin, hierin kein Weiterentwicklungsprojekt einer kameralen Buchhaltungssoftware zu sehen, da die Ausgangssoftware „ProFiskal“ nicht umprogrammiert bzw. weiterentwickelt wurde. Die Definition einer kameralen Buchhaltungssoftware ergibt sich aus der Beschreibung des Beschaffungsgegenstandes und der Antwort zu Frage 24, die auf das Haushaltsgrundsätzegesetz M-V verweist; die Definition der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 22.12.2016 weicht hiervon nicht erheblich ab. Der Begriff „Weiterentwicklungsprojekt“ ist auslegungsbedürftig, wobei die Antragsgegnerin hier ohne Beurteilungsfehler wiederum den Auftragsgegenstand heranziehen durfte, der die Anpassung einer standardisierten kameralen HKR-Buchhaltungssoftware (durch Customising ohne Quellcodeeingriff und/oder Programmierung mit Quellcodeeingriff) und nach Abnahme die Weiterentwicklung und Anpassung des neuen HKR-Verfahrens aufgrund geänderter Bedürfnisse des Auftraggebers beinhaltet. Hieraus kann im Rahmen der Prognose der zukünftigen fachlichen und technischen Leistungsfähigkeit ohne Ermessens- bzw. Beurteilungsfehler der Schluss gezogen werden, dass sich das geforderte „Weiterentwicklungsprojekt“ mit der Veränderung der kameralen Buchhaltungssoftware selbst, dazu in einer gewissen Projektgröße, befassen muss und die Einrichtung von zusätzlicher Software, die mit der kameralen Buchhaltungssoftware „nur“ zusammenarbeit, nicht ausreicht.

12

Für den IT-Berater Pa. hat die Antragsgegnerin rechtmäßig die Referenz „Umstellung ProFiskal (kameral) auf Unit4 Business World (FiBu)“ nicht akzeptiert. Während es sich bei „ProFiskal“ unstreitig um eine kamerale Buchhaltungssoftware handelt, trifft dies auf die eingeführte Software „Unit4 Business World (FiBu)“ im konkreten Fall nicht zu, da beim auftraggebenden L.-Institut eine (doppelte) Finanzbuchhaltung eingeführt wurde. Dass die Software „Unit4 Business World“ nach dem Vortrag der Antragstellerin mit entsprechenden Anpassungen auch als kamerale Buchhaltungssoftware verwendet werden kann, macht aus dem Referenzprojekt kein Einführungs- oder Weiterentwicklungsprojekt einer kameralen Buchhaltungssoftware. Die Nichtakzeptanz dieser Referenz liegt damit innerhalb des Beurteilungsspielraums der Antragsgegnerin.

13

Auf die Referenzen betr. „Basis-K.“ kommt es nicht mehr an.

14

3. Gemäß Punkt 9.2 der Bewerbungsbedingungen waren mit dem Formular B 12 für die Höchstpunktzahl (3) mindestens fünf Mitarbeiter mit je drei Projektreferenzen zu einer technischen Konzeption, insbesondere Migration, Schnittstellen und IT-Infrastruktur, anzugeben.

15

Die Antragsgegnerin hat ohne Beurteilungsfehler zwei von drei Referenzen des Mitarbeiters H. nicht akzeptiert. Hinsichtlich der Projekte „Softwareupgrade auf aktuelle ERP-Version von Unit4“ und „Neues B. Rechnungswesen“ sind aus dem Eintrag in der Zeile „Erläuterung der Leistung des Mitarbeiters zur Technischen Konzeption“ keine mitarbeiterbezogenen Leistungen, sondern nur unternehmensbezogene Leistungen aufgeführt. Die nachträglichen Erläuterungen der Leistungen des H. führen nicht zu einer erneuten Punktevergabe.

16

II. Mit dem vorliegenden Beschluss hat sich die einstweilige Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde durch Senatsbeschluss vom 03.02.2017 erledigt.

17

III. Eine Kostenentscheidung für das Verfahren nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB a.F. ist erst mit der Beschwerdeentscheidung zu treffen.

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Referenzen - Gesetze

Oberlandesgericht Rostock Beschluss, 27. März 2017 - 17 Verg 1/17 zitiert 4 §§.

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1.
öffentliche Auftraggeber gemäß § 99 Nummer 1 bis 3, die eine Konzession vergeben,
2.
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3.
Sektorenauftraggeber gemäß § 100 Absatz 1 Nummer 2, die eine Sektorentätigkeit gemäß § 102 Absatz 2 bis 6 ausüben und eine Konzession zum Zweck der Ausübung dieser Tätigkeit vergeben.

(2) § 100 Absatz 2 und 3 gilt entsprechend.

(1) Dieser Teil ist nicht anzuwenden auf die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen

1.
zu Schiedsgerichts- und Schlichtungsdienstleistungen,
2.
für den Erwerb, die Miete oder die Pacht von Grundstücken, vorhandenen Gebäuden oder anderem unbeweglichem Vermögen sowie Rechten daran, ungeachtet ihrer Finanzierung,
3.
zu Arbeitsverträgen,
4.
zu Dienstleistungen des Katastrophenschutzes, des Zivilschutzes und der Gefahrenabwehr, die von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden und die unter die Referenznummern des Common Procurement Vocabulary 75250000-3, 75251000-0, 75251100-1, 75251110-4, 75251120-7, 75252000-7, 75222000-8, 98113100-9 und 85143000-3 mit Ausnahme des Einsatzes von Krankenwagen zur Patientenbeförderung fallen; gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen im Sinne dieser Nummer sind insbesondere die Hilfsorganisationen, die nach Bundes- oder Landesrecht als Zivil- und Katastrophenschutzorganisationen anerkannt sind.

(2) Dieser Teil ist ferner nicht auf öffentliche Aufträge und Konzessionen anzuwenden,

1.
bei denen die Anwendung dieses Teils den Auftraggeber dazu zwingen würde, im Zusammenhang mit dem Vergabeverfahren oder der Auftragsausführung Auskünfte zu erteilen, deren Preisgabe seiner Ansicht nach wesentlichen Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des Artikels 346 Absatz 1 Buchstabe a des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union widerspricht, oder
2.
die dem Anwendungsbereich des Artikels 346 Absatz 1 Buchstabe b des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union unterliegen.
Wesentliche Sicherheitsinteressen im Sinne des Artikels 346 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union können insbesondere berührt sein, wenn der öffentliche Auftrag oder die Konzession verteidigungsindustrielle Schlüsseltechnologien betrifft. Ferner können im Fall des Satzes 1 Nummer 1 wesentliche Sicherheitsinteressen im Sinne des Artikels 346 Absatz 1 Buchstabe a des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union insbesondere berührt sein, wenn der öffentliche Auftrag oder die Konzession
1.
sicherheitsindustrielle Schlüsseltechnologien betreffen oder
2.
Leistungen betreffen, die
a)
für den Grenzschutz, die Bekämpfung des Terrorismus oder der organisierten Kriminalität oder für verdeckte Tätigkeiten der Polizei oder der Sicherheitskräfte bestimmt sind, oder
b)
Verschlüsselung betreffen
und soweit ein besonders hohes Maß an Vertraulichkeit erforderlich ist.

(1) Öffentliche Auftraggeber können das Recht zur Teilnahme an Vergabeverfahren Werkstätten für Menschen mit Behinderungen und Unternehmen vorbehalten, deren Hauptzweck die soziale und berufliche Integration von Menschen mit Behinderungen oder von benachteiligten Personen ist, oder bestimmen, dass öffentliche Aufträge im Rahmen von Programmen mit geschützten Beschäftigungsverhältnissen durchzuführen sind.

(2) Voraussetzung ist, dass mindestens 30 Prozent der in diesen Werkstätten oder Unternehmen Beschäftigten Menschen mit Behinderungen oder benachteiligte Personen sind.