I.
Die Erblasserin verstarb am … im Alter von … Jahren. Sie war in einziger Ehe mit dem am … vorverstorbenen … verheiratet. Aus der Ehe sind keine Kinder hervorgegangen. Die Erblasserin hatte auch keine außerhalb der Ehe geborenen Kinder und niemanden als Kind angenommen. Aus der ersten Ehe ihres vorverstorbenen Ehemannes ging der am … verstorbene … hervor. Der Beteiligte zu 3, geb. …, ist dessen Sohn.
Die Erblasserin hatte zwei Geschwister; zum einen die am … vorverstorbene …, deren Abkömmlinge sind die Beteiligten zu 1 und 4, sowie einen Bruder, den Beteiligten zu 2.
Es liegen folgende letztwillige Verfügungen der Erblasserin vor:
1. Ein von ihrem vorverstorbenen Ehemann niedergeschriebenes und von ihr unterschriebenes gemeinschaftliches Testament, das wie folgt lautet:
„Erbvertrag! Wir setzen uns gegenseitig als alleinige Erben in der Weise ein, daß der Überlebende Vollerbe sein soll. Wer Längstlebende von uns soll von meinem Sohn …, geb. am … beerbt werden.
Ort, den 21.3.1976 Unterschrift (Ehemann)
Ort, den 21.3.1976 Unterschrift (Erblasserin)
2. Mit Testament vom 28.02.2007 setzte die Erblasserin die Beteiligten zu 1 und 2 zu Erben zu je 1/2 ein.
3. Mit Testament vom 12.06.2016 bestimmte die Erblasserin die Beteiligte zu 1 zu ihrer Alleinerbin. Außerdem findet sich in dem Testament folgender Satz: “Mein erstes Testament ist ungültig!“.
Mit Beschluss vom 23.02.2017 stellte das Nachlassgericht die Tatsachen auf Erteilung eines Alleinerbscheins entsprechend dem Antrag der Beteiligten zu 1 vom 13.12.2016 fest. Hiergegen wendet sich die Beschwerde des Beteiligten zu 3.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Zu Unrecht ist das Nachlassgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass sich die Erbfolge nach dem von der Erblasserin errichteten Testament vom 12.6.2016 bestimmt. Entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts ist das Testament unwirksam, weil es gegen die von der Erblasserin und ihrem vorverstorbenen Ehegatten am 21.3.1976 errichteten gemeinschaftlichen Testament ausgehende Bindungswirkung dort getroffener wechselbezüglicher Verfügungen verstößt (§§ 2270, 2271 Abs. 1 Satz 2 BGB) und das Recht des an die Stelle des weggefallenen (Schluss) Erben tretenden Ersatzerben (= Beteiligter zu 3) beeinträchtigen würde (vgl. § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB in entsprechender Anwendung). Demgemäß ist der Antrag der Beteiligte zu 1 auf Erteilung eines Alleinerbscheins zurückzuweisen.
1. Zutreffend ist das Nachlassgericht davon ausgegangen, dass die in dem gemeinschaftlichen Testament angeordnete Schlusserbeneinsetzung des Stiefsohnes der Erblasserin infolge dessen Vorversterbens hinfällig ist, und sich daher die Frage der Wechselbezüglichkeit einer (etwaigen) Ersatzerbfolge erst nach deren Feststellung stellt. Ob die Ehegatten eine Wechselbezüglichkeit im Sinne des § 2270 BGB angeordnet haben, ist nämlich nicht generell zu bestimmen, sondern muss für jede einzelne Verfügung gesondert geprüft und bejaht werden (vgl. dazu OLG München FamRZ 2010, 1846 m.w.N.). Dies setzt aber zunächst voraus, dass die einzelnen Verfügungen ermittelt und festgestellt werden. Erst wenn dies der Fall ist, kann sich die Frage anschließen, ob einer bestimmten Verfügung Wechselbezüglichkeit beizumessen ist. Dabei stellt die Ersatzerbeneinsetzung im Verhältnis zur Einsetzung des zunächst bedachten Erben eine selbständige, gesonderte Verfügung dar. Die Wechselbezüglichkeit der Ersatzberufung, und nicht diejenige der Einsetzung des weggefallenen Schlusserben, steht insofern inmitten. Die von dem Nachlassgericht herangezogenen Grundsätze des BGH in seiner Entscheidung vom 16.01.2002 (sog. Kumulationsverbot der Auslegungsregeln der § 2069 BGB und § 2270 Abs. 2 BGB) kommen somit erst zum Tragen, sofern sich im Wege der Auslegung kein individueller Erblasserwillen in Bezug auf eine Ersatzerbfolge im Falle des Wegfalls des eingesetzten Schlusserben feststellen lässt.
2. Eine ausdrückliche Ersatzerbeneinsetzung findet sich in dem gemeinschaftlichen Testament nicht. Sie ergibt sich jedoch entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts im Wege individueller (ergänzender) Auslegung.
a) Die ergänzende Auslegung setzt voraus, dass das Testament eine planwidrige Regelungslücke aufweist, die durch den festzustellenden Willen des Erblassers zu schließen ist. Dabei muss aus dem Gesamtbild des Testaments selbst eine Willensrichtung des Erblassers erkennbar sein, die tatsächlich in Richtung der vorgesehenen Ergänzung geht. Durch sie darf kein Wille in das Testament hingetragen werden, der darin nicht andeutungsweise ausgedrückt ist (vgl. NK-Erbrecht/Fleindl 4. Auflage <2014> § 2084 Rn. 45; Burandt/Rojahn Erbrecht 2. Auflage <2014> § 2084 Rn. 17; Palandt/Weidlich BGB 76. Auflage <2017> § 2084 Rn. 9 m.w.N.). Durch ergänzende Testamentsauslegung kann also die durch den Wegfall des Bedachten entstandene Lücke nur dann geschlossen werden, wenn die für die Zeit der Testamentserrichtung anhand des Testaments oder unter Zuhilfenahme von Umständen außerhalb des Testaments oder der allgemeinen Lebenserfahrung festzustellende Willensrichtung des Erblassers dafür eine genügende Grundlage bietet (BGHZ 22, 357 <360>; LM § 2078 Nr. 3; FamRZ 1983, 380 <382>; MüKoBGB/Leipold 7. Auflage <2017> § 2084 Rn. 95 m.w.N.). Nach der Willensrichtung des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung muss anzunehmen sein, dass er die Ersatzerbeneinsetzung gewollt hätte, sofern er vorausschauend die spätere Entwicklung bedacht hätte (OLG München FGPrax 2013, 177 <178>). Steht eine ergänzende Auslegung von wechselbezüglichen Verfügungen im Rahmen eines gemeinschaftlichen Testaments, ist nicht nur nach dem hypothetischen Willen des überlebenden Ehegatten zu fragen, sondern von der gemeinsamen bei der Testamentserrichtung bestehenden Willensrichtung der Ehegatten auszugehen (MüKoBGB/Leipold a.a.O. Rn. 105).
aa) Anhaltspunkte dafür, dass die Ehegatten bei Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments an die Möglichkeit des vorzeitigen Wegfalls des eingesetzten Schlusserben gedacht haben, sind vorliegend nicht ersichtlich. Der Schlusserbe war im Zeitpunkt der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments 34 Jahre alt. Es ist daher naheliegend dass die Ehegatten, die zu diesem Zeitpunkt 61 bzw. 51 Jahre alt waren, nicht damit gerechnet haben, dass der Schlusserbe vorverstirbt, und insofern die Regelung einer Ersatzerbfolge für nicht erforderlich erachtet haben. Insofern liegt eine unbewusste Regelungslücke vor, die im Wege der ergänzenden Auslegung zu schließen ist.
bb) Es ist daher zu prüfen, was die Erblasser gewollt hätten, wenn sie das Vorversterben des Schlusserben, des Vaters des Beschwerdeführers, bedacht hätten. Insofern teilt der Senat nicht die Auffassung des Nachlassgerichts, dass sich keine Willensrichtung der Ehegatten dergestalt feststellen lässt, dass anstelle des weggefallenen Schlusserben dessen Abkömmling (der Enkel des vorverstorbenen Ehemannes der Erblasserin) treten soll.
Ob - wie von dem OLG Hamm seiner Entscheidung vom 15.7.2003 Akz. 178/03 (FGPrax 2003, 270) vertreten -, generell der Schluss zu ziehen ist, dass „im Rahmen bestehender guter familiärer Bindungen zwischen den testierenden Großeltern einerseits und ihren Kindern und Enkelkindern andererseits nach der Lebenserfahrung davon ausgegangen werden könne, dass die Enkel anstelle eines vorverstorbenen Kindes als Ersatzerben berufen sein solle“ (hiergegen Keim ZEV 2004, 245 in Anm. zu BayObLG 2004, 244), muss der Senat vorliegend nicht abschließend entscheiden. Denn hier ergeben sich aus der damaligen Lebenssituation und Interessenlage der Ehegatten tragfähige Anhaltspunkte, die den Schluss auf einen Willen für eine Ersatzberufung des Beschwerdeführers rechtfertigen:
Aus der Ehe der Ehegatten sind keine Abkömmlinge hervorgegangen. Sie haben für den Fall, dass die Ehefrau Letztversterbene ist, den Sohn des Ehemannes aus erster Ehe als ihren Rechtnachfolger bestimmt und damit die Verwandten der Ehefrau von der Erbfolge ausgeschlossen. Der als Schlusserbe bestimmte Sohn des Ehemannes ist dessen einziger Abkömmling wie auch der Beschwerdeführer, der im Zeitpunkt der Testamentserrichtung bereits geboren war, wiederum dessen einziger Abkömmling ist. Das von den Ehegatten bewohnte Wohnhaus wurde 3 Jahre vor Niederlegung des Testaments errichtet und stand im Alleineigentum des Ehemannes. Es ist naheliegend, dass die Ehegatten dieses als Kern des Vermögens des Ehemannes angesehen haben (im Zeitpunkt seines Todes <…> war neben dem Wohnhaus (damaliger Wert 210.000 DM) noch Guthaben iHv ca. 85.000 DM vorhanden). Indem der Ehemann, wie geschehen, seine Ehefrau zur Alleinerbin einsetzt, übergeht und enterbt er seinen einzigen Sohn, denn seine eigene Schlusserbeinsetzung wird im Fall seines Vorversterbens gegenstandslos. Insofern wird einerseits die Ehefrau zu deren Lebzeiten durch den vorverstorbenen Ehemann in wirtschaftlicher Hinsicht abgesichert, andererseits kann der Sohn nach Ableben der Ehefrau dennoch in den Genuss des (insoweit noch vorhandenen) Vermögens seines Vaters kommen.
In der Gesamtwürdigung dieser Umstände ergibt sich die Willensrichtung beider Ehegatten, dass das eheliche Vermögen im Stamm des Ehemannes verbleiben sollte. Bei Weiterentwicklung dieser Willensrichtung drängt sich der Schluss gerade zu auf, dass die Ehegatten im Zeitpunkt der Testamentserrichtung - die künftige Entwicklung vorausschauend - den Beschwerdeführer als Enkel und einzigen (weiteren) Abkömmling des Ehemannes der Erblasserin zum Schlusserben eingesetzt hätten, zumal dieser in diesem Zeitpunkt bereits geboren war.
cc) Entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts ergibt sich eine gegenteilige Willensrichtung der Ehegatten nicht zwingend aus dem Umstand, dass der ursprünglich Bedachte bereits zu Lebzeiten beider verstorben war und sie im Nachgang dazu keine neue Bestimmung des Schlusserben getroffen haben. Naheliegender ist vielmehr, dass die Ehegatten als juristische Laien (vgl. Überschrift des gemeinschaftlichen Testaments „Erbvertrag“) es schlicht als eine Selbstverständlichkeit angesehen haben, dass der Beschwerdeführer als einziger Abkömmling und einziger Enkel des Ehemannes unmittelbar die erbrechtliche Stellung seines Vaters übernimmt, und sie insofern nach ihrer Vorstellung eine erneute, und damit ihre Willensrichtung (nur) klarstellenden Testierung nicht für erforderlich gehalten haben.
3. Somit stellt sich die Frage nach der Wechselbezüglichkeit der Ersatzerbenberufung des Beschwerdeführers im Sinne des § 2270 Abs. 1, die entsprechend den allgemeinen Grundsätzen gesondert festzustellen ist (vgl. dazu OLG München FamRZ 2010, 1846). Dabei ist vor Heranziehung der Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB im Wege der individuellen Auslegung festzustellen, ob die Ersatzerbenberufung wechselbezüglich zu der Einsetzung der Erblasserin durch ihren Ehemann als Alleinerbin ist. Insofern finden auch hier die Grundsätze der ergänzenden Testamentsauslegung Anwendung.
a) Die Formulierung „Erbvertrag“, die sich sowohl als Überschrift im gemeinschaftlichen Testaments als auch als Aufschrift auf dem Kuvert findet, in dem das Testament aufbewahrt wurde, legt den Schluss nahe, dass die Ehegatten im Zeitpunkt der Testamentserrichtung ihre jeweiligen Verfügungen als bindend angesehen haben, und so auch die Schlusserbeneinsetzung der Ehefrau zugunsten des Stiefsohnes bindend sein sollte. Im Übrigen legt auch die damalige Lebenssituation und Interessenlage (s.o.) die wechselseitige Abhängigkeit der Einsetzung des Sohnes ihres Ehemannes durch die Erblasserin im Gegenzug zu ihrer Einsetzung als Alleinerbin nahe. Demgemäß lässt sich eine Willensrichtung der Ehegatten im Zeitpunkt der Testamentserrichtung betreffend eine Bindung der Ehefrau in Bezug auf die Schlusserbeneinsetzung des Sohnes des Ehemannes feststellen. Insofern ist der Schluss naheliegend, dass für die Ehegatten im Zeitpunkt der Testamentserrichtung die Ersatzberufung des Beschwerdeführers durch die Ehefrau ebenfalls bindend sein sollte, sofern sie den Wegfall des ursprünglich Bedachten vorhergesehen hätten. Im Übrigen würde auch die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB greifen.
b) Das Kumulationsverbot der Auslegungsregeln der §§ 2069, 2270 Abs. 2 BGB (s.o.) kommt bereits deswegen nicht zum Tragen, da die Berufung des Beschwerdeführers als Ersatzerbe sich nicht aus der Anwendung des § 2069 BGB, sondern im Wege der individuellen Auslegung ergibt.
II.
Eine Kostenentscheidung wie auch die Festsetzung des Geschäftswerts waren nicht veranlasst.
III.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.