Oberlandesgericht München Beschluss, 17. Sept. 2015 - 1 Ws 639/15

bei uns veröffentlicht am17.09.2015
vorgehend
Landgericht München I, 2 StVK 208/14, 07.08.2015

Gericht

Oberlandesgericht München

Gründe

Oberlandesgericht München

1 Ws 639/15

Beschluss

vom 17. September 2015

21 Ws GStA 1041/15 Generalstaatsanwaltschaft München

2 StVK 208/14 Landgericht München I

264 VRs 193150/11 Staatsanwaltschaft München I

(rechtskräftig)

1. Strafsenat

Angewendete Vorschriften:

Leitsatz

In dem Strafvollstreckungsverfahren

gegen

B.

Verteidiger: Rechtsanwalt K. München

wegen schwerer Brandstiftung

hier: Zuständigkeit für die Gewährung von Akteneinsicht

erlässt das Oberlandesgericht München - 1. Strafsenat - durch die unterzeichnenden Richter am 17.09.2015 folgenden Beschluss

Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft München I gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 07.08.2015 wird als unbegründet verworfen.

Gründe:

I. Mit Beschluss vom 04.12.2014 setzte die Strafvollstreckungskammer den Rest einer vom Landgericht München I mit Urteil vom 04.07.2012, rechtskräftig seit 24.01.2013, gegen den Verurteilten B. wegen schwerer Brandstiftung verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung aus und setzte die Bewährungszeit auf 5 Jahre fest. Dem Verurteilten wurden verschiedene Weisungen insbesondere betreffend seine Alkoholproblematik erteilt. Unter anderem mit Ablichtungen des Urteils, der Niederschrift über die Anhörung des Verurteilten, verschiedener weiterer Unterlagen und einer Ausfertigung des vorbezeichneten Beschlusses wurde vom Landgericht ein Bewährungsheft angelegt.

Mit Schreiben vom 12.05.2015 an die Strafvollstreckungskammer beantragte Rechtsanwalt F. unter Bezugnahme auf sein Bestellungsschreiben vom 21.09.2011 als Vertreter des Geschädigten Akteneinsicht, wobei ihm der ergangene Bewährungsbeschluss samt eventueller Auflagen genüge. Das Schreiben wurde von der Strafvollstreckungskammer samt Bewährungsheft an die Staatsanwaltschaft München I zur Stellungnahme gesandt. Nachdem der Antragsteller auf Bitte der Staatsanwaltschaft sein vorbezeichnetes Bestellungsschreiben nochmals vorgelegt hatte, legte die Staatsanwaltschaft das Bewährungsheft der Strafvollstreckungskammer zur Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch vor.

Mit dem angegriffenen Beschluss vom 07.08.2015 stellte die Strafvollstreckungskammer fest, dass über die Erteilung von Auskünften und die Akteneinsicht im gegenständlichen Verfahren nicht die Strafvollstreckungskammer entscheide.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Staatsanwaltschaft München I vom 17.08.2015, der die Strafvollstreckungskammer am 19.08.2015 nicht abgeholfen hat.

II. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft München I hat in der Sache keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung entspricht der Sach- und Rechtslage.

Der Senat teilt die Auffassung des Erstgerichts und tritt den Gründen der angefochtenen Entscheidung bei.

Das Verfahren gegen den Verurteilten ist seit dem 24.01.2013 rechtskräftig abgeschlossen. Für die Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht und die Erteilung von Auskünften ist seither die Staatsanwaltschaft München I zuständig. Dies ergibt sich aus dem klaren Wortlaut des § 478 Abs. 1 S. 1 StPO.

Der Ansicht der Beschwerdeführerin, zuständig sei „die aktenführende Stelle“, ist zwar zuzustimmen; die von ihr hierzu zitierte Kommentarstelle (Gieg in Karlsruher Komentar zur StPO, 7. Aufl., Rn. 2 zu § 478) lautet jedoch vollständig, im Vorverfahren oder nach einer Einstellung des Verfahrens und nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens sei dies allein die Staatsanwaltschaft. Diese Literaturmeinung findet (für das Ermittlungsverfahren) ihre Stütze in der Rechtsprechung des BGH (BGH, Beschluss vom 22. September 2009 - StB 28/09 - Rn. 17, juris). Der Senat schließt sich dem an und sieht keinen Anlass, für die von § 478 Abs. I S. 1 StPO ebenfalls ausdrücklich geregelte Zeit nach dem Abschluss des Verfahrens anders zu verfahren.

Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass das Bewährungsheft vom Landgericht zum Zwecke der Bewährungsüberwachung angelegt und dort aufbewahrt wurde.

In § 42 Abs. 4 BayAktO heißt es hierzu:

Die Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer sind in der Regel in den Akten der zugrunde liegenden Strafsache zu bearbeiten; die Verfahren nach §§ 109, 138 Abs. 2 StVollzG sind jedoch in besonderen Akten zu führen. Die Vorgänge der Strafvollstreckungskammer können in einem Unterheft zusammengefasst werden, das bei zeitweiliger Abgabe der Akten als Bearbeitungsgrundlage zurückbehalten wird; sie sind Bestandteile der Strafakten.

Das Bewährungsheft ist als „Unterheft“ also nach der ausdrücklichen Regelung der Aktenordnung Bestandteil der Strafakten. (Richtigerweise wurde es vorliegend auch mit Kopien und Ausfertigungen, nicht mit den Originalen angelegt. Diese haben in der Hauptakte ihren Platz.) Die Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht kann jedoch für das Unterheft nicht von einer anderen Stelle als der für die Hauptakten zuständigen getroffen werden, da sonst gegensätzliche Entscheidungen denkbar wären.

Dieses Ergebnis wird von praktischen Überlegungen gestützt. Gerade der vorliegende Fall zeigt, dass die von Anfang an geführten Hauptakten für die Entscheidung über Akteneinsichtsgesuche unverzichtbar sind. So fehlte (natürlich) die vor Jahren bei Beginn des Ermittlungsverfahrens zu den Akten gegebene Bestellungsanzeige des Verletztenvertreters im Bewährungsheft. (Konsequenterweise wurde der Vollstreckungskammer denn auch von der Staatsanwaltschaft die Übersendung der Ermittlungsakten angeboten!) Es kann jedoch nicht Sache der Strafvollstreckungskammer sein, die Ermittlungsakten auf frühere Bestellungen und etwaige Anzeichen berechtigter Interessen Dritter durchzusehen. Hierzu ist die ermittelnde Staatsanwaltschaft berufen, die das Verfahren von Anfang an betrieben hat und die Hauptakten führt.

Die von der Beschwerdeführerin in Bezug genommene Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart (B.v. 3.7.2000, NStZ-RR 2000, 349) betrifft eine abweichende Fallgestaltung. Gegenstand der Entscheidung war nicht die Zuständigkeit des StVK-Vorsitzenden, der im dortigen Verfahren (wohl unzuständigerweise) über die Gewährung von Akteneinsicht entschieden hatte. Das OLG Stuttgart hatte vielmehr darüber zu entscheiden, ob es sich um eine Justizverwaltungssache, die den Rechtsweg nach §§ 23 ff EGGVG eröffnet hätte, handelte.

Ob der StVK-Vorsitzende oder die Staatsanwaltschaft entschieden hat, spielte hierfür keine Rolle und wurde demnach auch nicht thematisiert.

Die vom Landgericht München I - Strafvollstreckungskammer - erwähnte Praxis, wonach seit Jahrzehnten die Staatsanwaltschaft über Akteneinsichtsgesuche in bei ihr anhängige Verfahren entschieden hat, besteht daher zu Recht; die dagegen gerichtete Beschwerde war zurückzuweisen.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Der Senat nimmt das Verfahren zum Anlass darauf hinzuweisen, dass dem Gesuch des Geschädigten auf Übersendung des Bewährungsbeschlusses Persönlichkeitsrechte des Verurteilten entgegenstehen dürften. Der Geschädigte wird kein schützenswertes Interesse an der Kenntnis von der Alkoholproblematik des Verurteilten und seiner Behandlung vorweisen können. Soweit er sich auf seine Schadensersatzansprüche beruft, wird es genügen ihm mitzuteilen, dass keine entsprechende Bewährungsauflage erteilt wurde.

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Strafvollzugsgesetz - StVollzG | § 138 Anwendung anderer Vorschriften


(1) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt richtet sich nach Landesrecht, soweit Bundesgesetze nichts anderes bestimmen. § 51 Abs. 4 und 5 sowie § 75 Abs. 3 gelten entsprechend. (2) Für die Erhebung d

Strafprozeßordnung - StPO | § 478 Form der Datenübermittlung


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bb) Dem Antragsteller steht für das von ihm betriebene Verfahren nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO grundsätzlich ein Recht auf Auskunft bzw. auf Einsicht in die Ermittlungsakten des Generalbundesanwalts in dem oben beschriebenen Umfang zu. Er hat deshalb einen Anspruch darauf, über die bisher ausgehändigten Unterlagen hinaus vor allem in diejenigen Aktenteile und Beweismittel Einblick zu nehmen, auf die sich im angefochten Beschluss die Annahme des für die Telekommunikationsüberwachung vorausgesetzten Verdachts der Straftat nach § 129 StGB sowie die Annahme gründete, derjenige, gegen den sich die Anordnung der Maßnahme richtete, sei Nachrichtenmittler für Mitglieder der kriminellen Vereinigung. Die ihn betreffenden Erkenntnisse aus der Ermittlungsmaßnahme sind dem Antragsteller nicht nur in der Form des § 475 Abs. 3 Satz 1 StPO zur Kenntnis zu bringen, sondern ihm sind ebenso hiervon gefertigte (zusammenfassende) Verschriftungen zur Einsicht zu überlassen. Solche brauchen jedoch nicht eigens zur Vereinfachung der Information des Antragstellers erstellt zu werden.

(1) Gegen eine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Strafvollzuges oder des Vollzuges freiheitsentziehender Maßregeln der Besserung und Sicherung kann gerichtliche Entscheidung beantragt werden. Mit dem Antrag kann auch die Verpflichtung zum Erlaß einer abgelehnten oder unterlassenen Maßnahme begehrt werden.

(2) Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, durch die Maßnahme oder ihre Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.

(3) Dient die vom Antragsteller begehrte oder angefochtene Maßnahme der Umsetzung des § 66c Absatz 1 des Strafgesetzbuches im Vollzug der Sicherungsverwahrung oder der ihr vorausgehenden Freiheitsstrafe, so ist dem Antragsteller für ein gerichtliches Verfahren von Amts wegen ein Rechtsanwalt beizuordnen, es sei denn, dass wegen der Einfachheit der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines Rechtsanwalts nicht geboten erscheint oder es ersichtlich ist, dass der Antragsteller seine Rechte selbst ausreichend wahrnehmen kann. Über die Bestellung und einen Widerruf entscheidet der Vorsitzende des nach § 110 zuständigen Gerichts.

(1) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt richtet sich nach Landesrecht, soweit Bundesgesetze nichts anderes bestimmen. § 51 Abs. 4 und 5 sowie § 75 Abs. 3 gelten entsprechend.

(2) Für die Erhebung der Kosten der Unterbringung gilt § 50 entsprechend mit der Maßgabe, dass in den Fällen des § 50 Abs. 1 Satz 2 an die Stelle erhaltener Bezüge die Verrichtung zugewiesener oder ermöglichter Arbeit tritt und in den Fällen des § 50 Abs. 1 Satz 4 dem Untergebrachten ein Betrag in der Höhe verbleiben muss, der dem Barbetrag entspricht, den ein in einer Einrichtung lebender und einen Teil der Kosten seines Aufenthalts selbst tragender Sozialhilfeempfänger zur persönlichen Verfügung erhält. Bei der Bewertung einer Beschäftigung als Arbeit sind die besonderen Verhältnisse des Maßregelvollzugs zu berücksichtigen. Zuständig für die Erhebung der Kosten ist die Vollstreckungsbehörde; die Landesregierungen können durch Rechtsverordnung andere Zuständigkeiten begründen. Die Kosten werden als Justizverwaltungsabgabe erhoben.

(3) Für das gerichtliche Verfahren gelten die §§ 109 bis 121 entsprechend.

(4) Soweit nach den Vollzugsgesetzen eine Maßnahme der vorherigen gerichtlichen Anordnung oder gerichtlichen Genehmigung bedarf, gelten die §§ 121a und 121b entsprechend.