Oberlandesgericht Düsseldorf Beschluss, 13. Sept. 2016 - VII-Verg 36/16
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Gericht
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer des Bundes (VK 1-54/16) vom 17. August 2016 wird bis zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde verlängert.
1
Gründe
2I.
3Die Antragsgegnerin beabsichtigt die Beschaffung von unbemannten Luftfahrzeugen (Drohnen), sog. „Unmanned Airkraft Systems“ oder „Unmanned Aerial Systems“ (nachfolgend: UAS) der Kategorie „Medium Altitude Long Endurance“ (nachfolgend MALE). Seit 2010 nutzt die Antragsgegnerin das von der Beigeladenen hergestellte System I1. Nachdem die Antragsgegnerin den Markt sondiert und ihr Anforderungsprofil ermittelt hatte, kamen als Nachfolgelösung des derzeit eingesetzten I1 die von der Antragstellerin hergestellte Q1 das von der Beigeladenen hergestellte System I2 und I1 (modifizierte Variante) in Betracht.
4Am 12. Januar 2016 traf der Generalinspekteur der Bundeswehr eine Auswahlentscheidung für die Beschaffung des Systems I2. Als alleiniger Anbieter des Systems hat die Beigeladene mit der Antragsgegnerin zudem eine Exklusivvereinbarung abgeschlossen. Die Bundesregierung informierte den Bundestag über die getroffene Auswahlentscheidung in der Bundestagssitzung vom 13. Januar 2016.
5Die Antragstellerin rügte die Auswahlentscheidung und die Absicht der Antragsgegnerin, ausschließlich mit der Beigeladenen Verhandlungen aufzunehmen, mit Schreiben vom 21. Januar 2016.
6Im April 2016 entschied die Antragsgegnerin, ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 c) VSVgV durchzuführen. Hierüber informierte sie die Antragstellerin mit Schreiben vom 12. Mai 2016 und wies im Übrigen ihre Rüge zurück.
7Daraufhin beantrage die Antragstellerin Nachprüfung bei der Vergabekammer, die mit Beschluss vom 17. August 2016 den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurückwies. Die Entscheidung der Antragsgegnerin für das System I2 sei vergaberechtlich nicht zu beanstanden. Sie habe die Grenzen des ihr zustehenden Leistungsbestimmungsrechts nicht überschritten. Insbesondere lägen der Entscheidung nachvollziehbare, objektive technische bzw. verwendungsbezogene Erwägungen zugrunde, die diskriminierungs- und willkürfrei bestimmt worden seien. Mit der Beschaffung des Systems I2 sei der Übergang vom bisher genutzten System I1 auf das neue System „bruchfreier und damit weniger risikobehaftet“, weil (1.) auf bereits vorhandene Kenntnisse und Erfahrungen aufgebaut werden könne und damit weniger Schulungsaufwand der Einsatzkräfte erforderlich und ein schnellere Einsatzmöglichkeit gegeben sei und (2.) bei der Nutzung die Einbindung von Mitarbeitern externer Streitkräfte nicht erforderlich sei. Zudem sei die Beschaffungsentscheidung durch den Umstand gestützt, dass es sich vorliegend um eine Überbrückungslösung handele, die lediglich bis zu der ab dem Jahr 2025 angestrebten Nutzung einer durch mehrere NATO-Partner gemeinsam entwickelten MALE UAS genutzt werden solle. Vor diesem Hintergrund habe die Antragsgegnerin das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb als zulässige Verfahrensart wählen dürfen.
8Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde, mit der sie ihr ursprüngliches Begehren weiter verfolgt. Zudem beantragt sie,
9die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB zu verlängern.
10Die Antragsgegnerin und die Beigeladene sind dem entgegengetreten.
11II.
12Auf Antrag der Antragstellerin war gemäß § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB die aufschiebende Wirkung ihrer sofortigen Beschwerde bis zur Entscheidung über die Beschwerde zu verlängern.
13Die nach § 118 Abs. 2 GWB gebotene Interessenabwägung führt hier unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten der Beschwerde, des Interesses der Antragsgegnerin, den verfahrensgegenständlichen Beschaffungsvorgang durch Verhandlungen mit der Beigeladenen zum Abschluss zu bringen, sowie des Interesses der Allgemeinheit an einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens zu einem Überwiegen des Interesses der Antragstellerin, effektiven Rechtsschutz zu erlangen.
14Nach der hier gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage können die Erfolgsaussichten der sofortigen Beschwerde nicht ohne weitere Aufklärung in tatsächlicher Hinsicht verneint werden. Das Beschwerdevorbringen enthält in tatsächlicher Hinsicht gewichtige Anhaltspunkte, die darauf hindeuten, dass die vergaberechtlichen Grenzen der Bestimmungsfreiheit nicht eingehalten worden sein könnten. Die Antragstellerin setzt sich dezidiert damit auseinander, warum ihrer Meinung nach die Festlegung der Antragsgegnerin auf das System I2 gegen das Gebot der Produktneutralität gemäß § 15 Abs. 8 Satz 1 VSVgV verstößt und die Begründung der Vergabekammer in tatsächlicher Hinsicht keinen Bestand haben kann. So trägt sie substantiiert dazu vor, warum die bisherige Technologie „I1“ in „I2“ nicht fortgeführt wird und infolgedessen auf bisherige Erfahrungswerte nicht aufgebaut werden kann. Sie führt hierzu aus, dass die Antragsgegnerin bisher nur mit der Bedienung der Bodenstation befasst war. Gerade aber die Bodenstation könne herstellerunabhängig nach den Anforderungen des Auftraggebers insbesondere in Bezug auf das Bedienkonzept, ergonomische Aspekte sowie die Anforderungen an die Bildschirme und Bedienelemente modifiziert werden. Zudem ist das Vorbringen der Antragstellerin, warum bei einer produktneutralen Ausschreibung mit keinem zeitlichen oder sonstigen Mehraufwand zu rechnen ist, ebenso nachvollziehbar wie ihre Darlegung, dass eine Abhängigkeit vom Einsatz externer Streitkräfte nicht bestehe. Ist das Vorbringen der Antragstellerin aber zutreffend, kann allein das Argument der Übergangslösung die Festlegung der Antragsgegnerin auf das System I2 und die Beschaffung des Systems im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb nicht rechtfertigen.
15Gewichtige Belange auf Seiten der Antragsgegnerin und der Allgemeinheit, die einen raschen Abschluss des Vergabeverfahrens durch Zuschlagserteilung erfordern, überwiegen die Interessen der Antragstellerin nicht. Dies gilt vor allem deshalb, weil der Beschaffungsvorgang seit Januar 2012 läuft und eine parlamentarische Befassung mit dem Vorhaben frühestens für Anfang 2017 geplant ist.
16Dicks Dr. Maimann Barbian
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Annotations
(1) Öffentliche Auftraggeber können das Recht zur Teilnahme an Vergabeverfahren Werkstätten für Menschen mit Behinderungen und Unternehmen vorbehalten, deren Hauptzweck die soziale und berufliche Integration von Menschen mit Behinderungen oder von benachteiligten Personen ist, oder bestimmen, dass öffentliche Aufträge im Rahmen von Programmen mit geschützten Beschäftigungsverhältnissen durchzuführen sind.
(2) Voraussetzung ist, dass mindestens 30 Prozent der in diesen Werkstätten oder Unternehmen Beschäftigten Menschen mit Behinderungen oder benachteiligte Personen sind.
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- 1.
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europäische technische Zulassungen, - c)
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zivile Normen, mit denen internationale Normen umgesetzt werden, - e)
andere internationale zivile Normen, - f)
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- 2.
oder in Form von Leistungs- oder Funktionsanforderungen, die auch Umwelteigenschaften umfassen können. Diese Anforderungen müssen so klar formuliert werden, dass sie den Bewerbern und Bietern den Auftragsgegenstand eindeutig und abschließend erläutern und den Auftraggebern die Erteilung des Zuschlags ermöglichen, - 3.
oder als Kombination der Nummern 1 und 2, - a)
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(6) Schreiben die Auftraggeber Umwelteigenschaften in Form von Leistungs- oder Funktionsanforderungen gemäß Absatz 3 Nummer 2 vor, so können sie ganz oder teilweise die Spezifikationen verwenden, die in europäischen, multinationalen, nationalen oder anderen Umweltzeichen definiert sind, wenn
- 1.
diese sich zur Definition der Merkmale der Güter oder Dienstleistungen eignen, die Gegenstand des Auftrags sind, - 2.
die Anforderungen an das Umweltzeichen auf der Grundlage von wissenschaftlich abgesicherten Informationen ausgearbeitet werden, - 3.
die Umweltzeichen im Rahmen eines Verfahrens erlassen werden, an dem interessierte Kreise teilnehmen können und - 4.
das Umweltzeichen für alle Betroffenen zugänglich und verfügbar ist.
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