Oberlandesgericht Bamberg Beschluss, 23. Mai 2014 - 3 Ss OWi 596/14

bei uns veröffentlicht am23.05.2014

Gericht

Oberlandesgericht Bamberg

Tatbestand

Die Zentrale Bußgeldstelle setzte mit Bußgeldbescheid gegen den Betr. u. a. wegen einer innerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung um 27 km/h eine Geldbuße von 105 Euro fest. Seinen hiergegen gerichteten Einspruch hat das AG in Abwesenheit des Betr. und seines Verteidigers mit Urteil vom 13.03.2014 nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, weil der Betr. - ohne von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden worden zu sein - in der Hauptverhandlung unentschuldigt nicht erschienen sei. Mit seiner hiergegen gerichteten Rechtsbeschwerde, deren Zulassung er beantragt, rügt der Betroffene die Verletzung materiellen und formellen Rechts, insbesondere die Versagung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör. Die Zulassungsrechtsbeschwerde führte zur Urteilsaufhebung und Zurückverweisung an das AG.

Gründe

Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, weil es geboten ist, das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 I Nr. 2 OWiG). Das Rechtsmittel erweist sich mit der gemäß § 80 III 3 OWiG i. V. m. § 344 II 2 StPO ordnungsgemäß ausgeführten Verfahrensrüge der Verletzung von § 74 II OWiG als erfolgreich. Die Einspruchsverwerfung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil das AG über den noch rechtzeitig vor Verhandlungsbeginn gestellten (schlüssigen) Antrag des Betr., ihn von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu entbinden, nicht entschieden und deshalb das Fernbleiben des Betr. in der Hauptverhandlung zu Unrecht als nicht genügend entschuldigt angesehen hat. Darin liegt eine Versagung des rechtlichen Gehörs i. S. v. Art. 103 I GG, die nach den §§ 79 I 2 i. V. m. § 80 I Nr. 2 OWiG die Zulassung der Rechtsbeschwerde bedingt und zugleich deren zumindest vorläufigen Erfolg indiziert.

1. Allerdings steht einer Verurteilung nicht schon ein zur Einstellung zwingendes Verfahrenshindernis entgegen. Vielmehr genügt der Bußgeldbescheid als Verfahrensgrundlage den nicht zu überspannenden Anforderungen an eine hinreichende Tatbezeichnung. Entscheidend ist, dass der Betr. anhand der Tatbeschreibung des Bußgeldbescheides verstehen kann, wegen welches nach der Lebensauffassung einheitlichen geschichtlichen Vorgangs er zur Verantwortung gezogen werden soll und dass insoweit eine Verwechslung mit einem möglichen gleichartigen anderen Fehlverhalten desselben Betr. ausgeschlossen ist (OLG Bamberg DAR 2009, 155 = OLGSt OWiG § 66 Nr. 11 = VRR 2009, 68 [Gieg]); hiervon ist vorliegend ohne weiteres auszugehen.

2. Der Zulassungsantrag, der als vorsorglich eingelegte Rechtsbeschwerde gilt, ist zulässig. Der Bf. hat alle zur Beurteilung der Frage, ob der gerügte Verstoß vorliegt, erforderlichen Verfahrenstatsachen vorgetragen. Insbesondere wird in der gebotenen Vollständigkeit dargelegt, weshalb von der Anwesenheit des Betr. in der am 13.03.2014 fortgesetzten Hauptverhandlung aufgrund der im Verfahren abgegebenen schriftlichen Erklärungen, namentlich dem per Telefax noch vor Beginn der Hauptverhandlung übermittelten und dem Gericht vor Beginn der Hauptverhandlung auch tatsächlich vorliegenden Verteidigerschriftsatz vom 13.03.2014 kein weiterer Beitrag zur Sachaufklärung mehr zu erwarten war.

3. Der Anspruch des Betr. auf rechtliches Gehör ist - wie die GenStA in ihrer Antragsschrift im Wesentlichen in Übereinstimmung mit der Rechtsbeschwerderechtfertigung zutreffend ausführt - hier dadurch verletzt worden, dass das AG den mit Verteidigerschriftsatz vom 13.03.2014 zumindest sinngemäß gestellten Antrag des Betr. auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen rechtsfehlerhaft nicht beschieden und deshalb sein Fernbleiben in der Hauptverhandlung zu Unrecht als nicht genügend entschuldigt angesehen hat mit der Folge, dass das schriftliche Vorbringen des Betr. zur Sache bei der Entscheidung nicht berücksichtigt worden ist.

a) Einem Entbindungsantrag ist stattzugeben, wenn der Betr. sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte nicht erforderlich ist (§ 73 II OWiG). Diese Voraussetzungen waren hier gegeben.

aa) Zwar hat der Betr. nicht ausdrücklich beantragt, ihn von seiner Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden. Es entspricht allerdings obergerichtlicher Rspr., dass der für die Entbindung notwendige Antrag im Sinne von § 73 II OWiG auch in einer - wie hier vom Gericht nicht aufgegriffenen - Anregung bzw. dem Ersuchen des Betr. auf Entscheidung im schriftlichen Verfahren nach § 72 OWiG mitenthalten sein kann, wenn auch ein derartiges weitergehendes, im Wege der Auslegung festzustellendes Begehren jedenfalls bei einem verteidigten Betr. nach Möglichkeit eindeutig formuliert sein sollte, was erst Recht gilt, wenn etwa seitens des Gerichts ausdrücklich um eine klarstellende Erklärung gebeten worden war (OLG Stuttgart Justiz 2013, 357; OLG Rostock, Beschl. v. 27.04.2011 - 2 Ss [OWi] 50/11 [bei juris] und schon BayObLGSt 1998, 179 = NZV 1999, 139 = OLGSt OWiG § 74 Nr. 12; ferner OLG Bamberg, Beschluss vom 25.03.2009 - 3 Ss OWi 1326/08 [unveröffentlicht]).

bb) Nach den mit dem ‚Antrag‘ auf Aufhebung der Hauptverhandlung und Entscheidung „im schriftlichen Verfahren ohne Hauptverhandlung“ verbundenen Ausführungen im Schriftsatz seines Verteidigers vom 13.03.2014 musste das Gericht davon ausgehen, dass der seine Fahrereigenschaft zu dem im Bußgeldbescheid genannten Tatzeitpunkt einräumende Betr. entsprechend seiner Ankündigung in der anstehenden Hauptverhandlung keine weiteren Angaben zur Sache mehr machen wird und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich sein würde, womit die Voraussetzungen für eine Entpflichtung nach § 73 II OWiG gegeben waren. Warum das AG dem an keine bestimmte Form gebundenen Ansinnen auf Entbindung gleichwohl nicht entsprochen hat und warum es die Anwesenheit des Betr. in der Hauptverhandlung unbeschadet seiner bisherigen Sacheinlassung für erforderlich hielt, hat es weder in einem gesonderten Vermerk zur Akte noch in den Gründen seines Verwerfungsurteils dargelegt. Das AG hätte damit in Abwesenheit des Betr. verhandeln können; die über seinen Verteidiger abgegebene Einlassung zum Tatvorwurf hätte verwertet werden können und müssen.

b) Nach alledem hätte dem Antrag des Betr. auf Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen entsprochen werden müssen. Hierdurch ist der Anspruch des Betr. auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt worden. Denn sein Einspruch hätte nicht nach § 74 II OWiG verworfen werden dürfen, weil sein Ausbleiben als entschuldigt anzusehen war.

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Referenzen - Gesetze

Oberlandesgericht Bamberg Beschluss, 23. Mai 2014 - 3 Ss OWi 596/14 zitiert 6 §§.

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten - OWiG 1968 | § 74 Verfahren bei Abwesenheit


(1) Die Hauptverhandlung wird in Abwesenheit des Betroffenen durchgeführt, wenn er nicht erschienen ist und von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war. Frühere Vernehmungen des Betroffenen und seine protokollierten und sonstigen

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten - OWiG 1968 | § 72 Entscheidung durch Beschluß


(1) Hält das Gericht eine Hauptverhandlung nicht für erforderlich, so kann es durch Beschluß entscheiden, wenn der Betroffene und die Staatsanwaltschaft diesem Verfahren nicht widersprechen. Das Gericht weist sie zuvor auf die Möglichkeit eines solch

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten - OWiG 1968 | § 66 Inhalt des Bußgeldbescheides


(1) Der Bußgeldbescheid enthält 1. die Angaben zur Person des Betroffenen und etwaiger Nebenbeteiligter,2. den Namen und die Anschrift des Verteidigers,3. die Bezeichnung der Tat, die dem Betroffenen zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung,

Referenzen

(1) Die Hauptverhandlung wird in Abwesenheit des Betroffenen durchgeführt, wenn er nicht erschienen ist und von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war. Frühere Vernehmungen des Betroffenen und seine protokollierten und sonstigen Erklärungen sind durch Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts oder durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzuführen. Es genügt, wenn die nach § 265 Abs. 1 und 2 der Strafprozeßordnung erforderlichen Hinweise dem Verteidiger gegeben werden.

(2) Bleibt der Betroffene ohne genügende Entschuldigung aus, obwohl er von der Verpflichtung zum Erscheinen nicht entbunden war, hat das Gericht den Einspruch ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil zu verwerfen.

(3) Der Betroffene ist in der Ladung über die Absätze 1 und 2 und die §§ 73 und 77b Abs. 1 Satz 1 und 3 zu belehren.

(4) Hat die Hauptverhandlung nach Absatz 1 oder Absatz 2 ohne den Betroffenen stattgefunden, so kann er gegen das Urteil binnen einer Woche nach Zustellung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter den gleichen Voraussetzungen wie gegen die Versäumung einer Frist nachsuchen. Hierüber ist er bei der Zustellung des Urteils zu belehren.

(1) Der Bußgeldbescheid enthält

1.
die Angaben zur Person des Betroffenen und etwaiger Nebenbeteiligter,
2.
den Namen und die Anschrift des Verteidigers,
3.
die Bezeichnung der Tat, die dem Betroffenen zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Ordnungswidrigkeit und die angewendeten Bußgeldvorschriften,
4.
die Beweismittel,
5.
die Geldbuße und die Nebenfolgen.

(2) Der Bußgeldbescheid enthält ferner

1.
den Hinweis, daß
a)
der Bußgeldbescheid rechtskräftig und vollstreckbar wird, wenn kein Einspruch nach § 67 eingelegt wird,
b)
bei einem Einspruch auch eine für den Betroffenen nachteiligere Entscheidung getroffen werden kann,
2.
die Aufforderung an den Betroffenen, spätestens zwei Wochen nach Rechtskraft oder einer etwa bestimmten späteren Fälligkeit (§ 18)
a)
die Geldbuße oder die bestimmten Teilbeträge an die zuständige Kasse zu zahlen oder
b)
im Falle der Zahlungsunfähigkeit der Vollstreckungsbehörde (§ 92) schriftlich oder zur Niederschrift darzutun, warum ihm die fristgemäße Zahlung nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zuzumuten ist, und
3.
die Belehrung, daß Erzwingungshaft (§ 96) angeordnet werden kann, wenn der Betroffene seiner Pflicht nach Nummer 2 nicht genügt.

(3) Über die Angaben nach Absatz 1 Nr. 3 und 4 hinaus braucht der Bußgeldbescheid nicht begründet zu werden.

(1) Hält das Gericht eine Hauptverhandlung nicht für erforderlich, so kann es durch Beschluß entscheiden, wenn der Betroffene und die Staatsanwaltschaft diesem Verfahren nicht widersprechen. Das Gericht weist sie zuvor auf die Möglichkeit eines solchen Verfahrens und des Widerspruchs hin und gibt ihnen Gelegenheit, sich innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Hinweises zu äußern; § 145a Abs. 1 und 3 der Strafprozeßordnung gilt entsprechend. Das Gericht kann von einem Hinweis an den Betroffenen absehen und auch gegen seinen Widerspruch durch Beschluß entscheiden, wenn es den Betroffenen freispricht.

(2) Geht der Widerspruch erst nach Ablauf der Frist ein, so ist er unbeachtlich. In diesem Falle kann jedoch gegen den Beschluß innerhalb einer Woche nach Zustellung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter den gleichen Voraussetzungen wie gegen die Versäumung einer Frist beantragt werden; hierüber ist der Betroffene bei der Zustellung des Beschlusses zu belehren.

(3) Das Gericht entscheidet darüber, ob der Betroffene freigesprochen, gegen ihn eine Geldbuße festgesetzt, eine Nebenfolge angeordnet oder das Verfahren eingestellt wird. Das Gericht darf von der im Bußgeldbescheid getroffenen Entscheidung nicht zum Nachteil des Betroffenen abweichen.

(4) Wird eine Geldbuße festgesetzt, so gibt der Beschluß die Ordnungswidrigkeit an; hat der Bußgeldtatbestand eine gesetzliche Überschrift, so soll diese zur Bezeichnung der Ordnungswidrigkeit verwendet werden. § 260 Abs. 5 Satz 1 der Strafprozeßordnung gilt entsprechend. Die Begründung des Beschlusses enthält die für erwiesen erachteten Tatsachen, in denen das Gericht die gesetzlichen Merkmale der Ordnungswidrigkeit sieht. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Ferner sind die Umstände anzuführen, die für die Zumessung der Geldbuße und die Anordnung einer Nebenfolge bestimmend sind.

(5) Wird der Betroffene freigesprochen, so muß die Begründung ergeben, ob der Betroffene für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die als erwiesen angenommene Tat nicht als Ordnungswidrigkeit angesehen worden ist. Kann der Beschluß nicht mit der Rechtsbeschwerde angefochten werden, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Betroffenen zur Last gelegte Ordnungswidrigkeit aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist.

(6) Von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn die am Verfahren Beteiligten hierauf verzichten. In diesem Fall reicht der Hinweis auf den Inhalt des Bußgeldbescheides; das Gericht kann unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen zusätzliche Ausführungen machen. Die vollständigen Gründe sind innerhalb von fünf Wochen zu den Akten zu bringen, wenn gegen den Beschluß Rechtsbeschwerde eingelegt wird.

(1) Die Hauptverhandlung wird in Abwesenheit des Betroffenen durchgeführt, wenn er nicht erschienen ist und von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war. Frühere Vernehmungen des Betroffenen und seine protokollierten und sonstigen Erklärungen sind durch Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts oder durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzuführen. Es genügt, wenn die nach § 265 Abs. 1 und 2 der Strafprozeßordnung erforderlichen Hinweise dem Verteidiger gegeben werden.

(2) Bleibt der Betroffene ohne genügende Entschuldigung aus, obwohl er von der Verpflichtung zum Erscheinen nicht entbunden war, hat das Gericht den Einspruch ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil zu verwerfen.

(3) Der Betroffene ist in der Ladung über die Absätze 1 und 2 und die §§ 73 und 77b Abs. 1 Satz 1 und 3 zu belehren.

(4) Hat die Hauptverhandlung nach Absatz 1 oder Absatz 2 ohne den Betroffenen stattgefunden, so kann er gegen das Urteil binnen einer Woche nach Zustellung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter den gleichen Voraussetzungen wie gegen die Versäumung einer Frist nachsuchen. Hierüber ist er bei der Zustellung des Urteils zu belehren.