Oberlandesgericht Bamberg Beschluss, 24. Nov. 2015 - 3 Ss OWi 1176/15

published on 24/11/2015 00:00
Oberlandesgericht Bamberg Beschluss, 24. Nov. 2015 - 3 Ss OWi 1176/15
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Gründe

Oberlandesgericht Bamberg

3 Ss OWi 1176/15

Beschluss

vom 24. 11. 2015

Zum Sachverhalt:

Das AG hat den Betr. von dem gegen ihn mit Bußgeldbescheid vom 16.03.2015 erhobenen und mit einer Geldbuße in Höhe von 400 EUR geahndeten Tatvorwurf, „auf dem Weg zu einer sonstigen öffentlichen Veranstaltung unter freiem Himmel“ wissentlich „einen Gegenstand mit sich geführt zu haben, der geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt war, die Feststellung der Identität zu verhindern“ (Art. 16 I, II Nr. 2 i. V. m. Art. 21 II Nr. 7 des Bayerischen Versammlungsgesetzes vom 22.07.2008 [BayVersG; GVBl. 2008, 421]) aus Rechtsgründen freigesprochen. Mit ihrer gegen das freisprechende Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde, deren Zulassung sie beantragt, rügt die StA die Verletzung materiellen Rechts. Die vom Einzelrichter nach den §§ 79 I 2, 80 I Nr. 1 2. Alt. OWiG zur Sicherung einer einheitlichen Rspr. zugelassene und gem. § 80a I, 2. Hs., III 1 OWiG dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit 3 Richtern zur Entscheidung übertragene Rechtsbeschwerde erweis sich als begründet.

Aus den Gründen:

I. Das form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das AG, das den Betr. zu Unrecht aus Rechtsgründen vom Tatvorwurf eines Verstoßes gegen das sog. ‚Vermummungsverbot‘ freigesprochen hat.

1. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des AG hielt sich der Betr. am 25.10.2014 gegen 14:55 Uhr vor dem Eingang zur Haupttribüne des Sportstadions in P. auf, da er die Fußball-Regionalligabegegnung des ‚1. FC P.‘ gegen den ‚1. FC Q.‘ besuchen wollte. Der Betr. trug hierbei einen sog. Schlauchschal um den Hals, um mit dessen Hilfe zu gegebener Zeit die polizeiliche Feststellung seiner Identität zu verhindern. Er befand sich in einer Gruppierung weiterer Männer, die ebenfalls Schlauchschals, Sturmhauben oder andere Gegenstände bei sich trugen, die grundsätzlich geeignet waren, die Feststellung der Identität zu verhindern.

2. Seine Auffassung, wonach das Verhalten des Betr. aus rechtlichen Gründen nicht den bußgeldbewehrten Tatbestand des sog. „Vermummungsverbots“ des Art. 16 I, II Nr. 2 i. V. m. Art. 21 II Nr. 7 BayVersG erfüllt, hat das AG im Wesentlichen damit begründet, dass es sich bei dem Fußballspiel nicht um eine öffentliche Veranstaltung „unter freiem Himmel“ handele. […] Nach seinem eindeutigen Wortlaut und seiner systematischen Stellung setze Art. 16 I, II Nr. 2 BayVersG […] voraus, dass die Veranstaltung „unter freiem Himmel“ stattfinde. Bei einem im Stadion in P. ausgetragenen Fußballspiel handele es sich jedoch nicht um eine Veranstaltung „unter freiem Himmel“, weshalb einer Anwendbarkeit von Art. 16 BayVersG der klare und eindeutige Wortlaut des Gesetzes entgegenstehe. Es bestehe eine Regelungslücke, die wegen des in Art. 103 II GG, § 3 OWiG geregelten Bestimmtheitsgrundsatzes nicht mit einer Analogie zulasten des Betr. ausgefüllt werden dürfe; auch sei es unzulässig, den Gesetzeswortlaut zu überdehnen. Dass das Stadion in P. kein Ort „unter freiem Himmel“ sei, folge schon daraus, dass die Zuschauerplätze ausnahmslos überdacht seien und sich der ‚freie Himmel‘ nach allgemeinem Sprachgebrauch dadurch auszeichne, dass man ungeschützt dem Regen, der Sonne und sonstigen Witterungseinflüssen ausgesetzt sei […]. Zwar finde das Spiel selbst unter freiem Himmel statt, jedoch zeichne sich die Veranstaltung durch die teilnehmenden Zuschauer aus, die sie regelmäßig zu einer Großveranstaltung machten und wegen derer die überdachten Blöcke gebaut worden seien. Im Übrigen sei es den Zuschauern verwehrt, das Spielfeld zu betreten, weshalb diese gar nicht unter den freien Himmel gelangen könnten. Hinzu komme, dass der Begriff „unter freiem Himmel“ dahin auszulegen sei, dass die „Unabgeschlossenheit gegenüber der Umwelt entscheidend“ sei. Denn gemeinhin verstehe man „unter freiem Himmel“ so, dass man sich frei, uneingeschränkt und ungehindert bewegen könne. Nach dieser Differenzierung seien deshalb Fußballspiele in Stadien als „sonstige Veranstaltungen in geschlossenen Räumen“ zu qualifizieren, für die kein Vermummungsverbot bestehe.

II. Der Freispruch hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand, weil das AG jedenfalls aufgrund seiner bisherigen Feststellungen zu Unrecht die tatbestandlichen Voraussetzungen der Bußgeldbewehrung des Art. 16 I, II Nr. 2 i. V. m. Art. 21 II Nr. 7 BayVersG aus Rechtsgründen verneint, insbesondere das nach seiner Rechtsansicht nicht erfüllte Tatbestandsmerkmal einer „sonstigen öffentlichen Veranstaltung unter freiem Himmel“ (vgl. Art. 16 I BayVersG) unzutreffend ausgelegt hat.

1. Zwar geht das AG zutreffend davon aus, dass eine „öffentliche Veranstaltung“ vorlag. Im Ansatz richtig ist ferner seine Annahme, dass Art. 103 II GG auch für die Auslegung von Bußgeldvorschriften eine verfassungsrechtliche Schranke zieht. Soweit das AG das Merkmal „unter freiem Himmel“ als nicht erfüllt ansieht, liegt seiner rechtlichen Wertung allerdings ein unzutreffendes, im Ergebnis zu enges Verständnis des einschlägigen Schutzbereichs des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 103 II GG zugrunde.

2. Das vom AG festgestellte Verhalten des Betr. erfüllt den Tatbestand des Art. 16 I, II Nr. 2 i. V. m. Art. 21 II Nr. 7 BayVersG; insbesondere kann von einer Überdehnung des möglichen Wortsinns des Gesetzeswortlauts und damit einer gemäß Art. 103 II GG, § 3 OWiG unzulässigen Analogie zulasten des Betr. keine Rede sein.

a) Die durch Art. 16 I BayVersG in Anknüpfung an die tradierte und aus Art. 8 II GG herrührende Formulierung „unter freiem Himmel“ ist nach der in der verfassungsgerichtlichen Rspr. vertretenen Auffassung, der sich die ganz h. M. im Schrifttum angeschlossen hat, nicht im engen Wortsinne als Verweis auf einen nicht überdachten Veranstaltungsort zu verstehen. Stattdessen soll mit ihr dem durch die Außenwirkung erhöhten, vielfach besondere Vorkehrungen erfordernden Konfliktpotenzial von derartigen Versammlungen bzw. Veranstaltungen Rechnung getragen werden (BVerfGE 128, 226/256 [‚Fraport‘] = NJW 2011, 1201 = EuGRZ 2011, 152). Maßgeblich für Art. 8 II GG ist demgemäß, ob die Versammlung zu allen Seiten hin gegenüber ihrer Umwelt abgegrenzt ist (vgl. BVerfGE 69, 315/348 [‚Brokdorf II‘] = NJW 1985, 2395 = EuGRZ 1985, 450 = DVBl 1985, 1006 = DÖV 1985, 778 m. w. N.; Erbs/Kohlhaas-Wache Strafrechtliche Nebengesetze [Stand: Mai 2015] § 1 VersammlG, Rn. 28; BeckOK/Schneider GG [Stand: 01.06.2015 - Ed. 24] Art. 8 Rn. 37). Ist dies der Fall, liegt eine Versammlung „unter freiem Himmel“ auch dann vor, wenn sich der Ort der Versammlung innerhalb eines zu allen Seiten abgegrenzten und überdachten Raumes befindet. Insoweit ist gleichgültig, ob der für die Allgemeinheit geöffnete Ort als solcher in der freien Natur oder - wie beispielsweise im Innern einer Flughafen- oder Bahnhofshalle - in geschlossenen Gebäuden liegt. Maßgeblich ist, dass die Versammlung oder Veranstaltung an einem solchen Ort ihrerseits in einem öffentlichen Raum, das heißt inmitten eines allgemeinen Publikumsverkehrs stattfindet und von diesem nicht räumlich getrennt ist. Denn auch dann bleiben die Teilnehmer nicht mehr unter sich, sondern müssen zumindest damit rechnen, allein aufgrund der Lokalität u. a. auf andere zu treffen, was ein höheres, weniger beherrschbares Gefahrenpotential mit sich bringt (BVerfGE 128, 226/256 [‚Fraport‘] = NJW 2011, 1201 = EuGRZ 2011, 152; Jarass/Pieroth GG 12. Aufl. Art. 8 Rn. 17; BeckOK/Schneider Art. 8 Rn. 37.1; Dietel/Gintzel/Kniesel VersG 16. Aufl. Rn. 9 ff. vor § 14, jeweils m. w. N.).

b) Danach handelt es sich bei der Austragung eines Fußballspiels innerhalb eines Stadions auch dann um eine öffentliche Veranstaltung „unter freiem Himmel“, wenn der Zuschauerbereich mit einer gegen Witterungseinflüsse schützenden Überdachung versehen ist. Darauf, dass das Stadion als bauliche Anlage und Ort von Großveranstaltungen zu allen Seiten hin baulich klar umgrenzt ist, kommt es entgegen der Auffassung des AG und der Verteidigung nicht an. Entscheidend ist vielmehr, dass sich die Zuschauer bzw. Besucher der sportlichen Veranstaltung an einem für den allgemeinen Publikumsverkehr grundsätzlich für jedermann zugänglichen Ort aufhalten. Der Umstand, dass der Einlass nur gegen Bezahlung des Eintrittsgeldes gewährt wird, steht der Annahme der Öffentlichkeit der Veranstaltung von vornherein nicht entgegen. Denn grundsätzlich ist - bei Entrichtung des Eintrittsgeldes - jedermann befugt, die Veranstaltung aufzusuchen, wenn nicht ausnahmsweise der Veranstalter zur präventiven Abwehr von Störungen berechtigt ist, einzelne Störer hiervon auszuschließen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 30.10.2009 - V ZR 253/08 = NJW 2010, 534 = VersR 2010, 825 = JR 2010, 249).

3. Schließlich bestehen auch mit Blick auf den für die Frage der bußgeldrechtlichen Ahndung des Verhaltens des Betr. letztlich maßgeblichen Gewährleistungsbereich von Art. 103 Abs. GG (vgl. auch § 3 OWiG) keine Bedenken, das festgestellte Verhalten des Betr. unter das sog. ‚Vermummungsverbot‘ des Art. 16 I, II Nr. 2 i. V. m. Art. 21 II Nr. 7 BayVersG zu subsumieren. Die Grenze des möglichen Wortsinns ist bei einer derartigen Interpretation des Tatbestandsmerkmals „unter freiem Himmel“ nicht überschritten.

a) Ausgehend vom Gesetzeswortlaut in Art. 16 I, II Nr. 2 BayVersG kann aus der Sicht eines potentiell normbetroffenen Bürgers schon nicht zweifelhaft sein, dass er sich auch im Bereich der überdachten Tribünenplätze eines Fußballstadions noch „im Freien“ und damit „draußen“ bzw. „an der frischen Luft“ in der jeweils natürlichen Wortbedeutung aufhält. Dies gilt umso mehr, als bei einem nur im Tribünenbereich überdachten Stadion zum „freien Himmel“ über dem Spielfeld bzw. in Stadionmitte eine unmittelbare atmosphärische Verbindung besteht, welche nicht nur durch den ungetrübten „freien“ Blick auf den „Himmel“ gekennzeichnet ist, sondern es bei entsprechender Witterung auch zulässt, dass Stadionbesucher trotz vorhandener Überdachung Regen und Sonne nahezu ebenso ausgesetzt sein können wie jahreszeitlich bedingter Kälte oder Hitze.

b) Nach alledem ist auszuschließen, dass für den Normadressaten ausgehend vom Gesetzeswortlaut und der seinen möglichen Wortsinn als äußerste Grenze zulässiger richterlicher Norminterpretation nicht überschreitenden Auslegung im hier vertretenen Sinne das Risiko einer bußgeldrechtlichen Ahndung nicht vorhersehbar gewesen ist.

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published on 30/10/2009 00:00

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL V ZR 253/08 Verkündet am: 30. Oktober 2009 Weschenfelder Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein
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Annotations

Eine Handlung kann als Ordnungswidrigkeit nur geahndet werden, wenn die Möglichkeit der Ahndung gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde.

(1) Jedermann hat das Recht, öffentliche Versammlungen und Aufzüge zu veranstalten und an solchen Veranstaltungen teilzunehmen.

(2) Dieses Recht hat nicht,

1.
wer das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gemäß Artikel 18 des Grundgesetzes verwirkt hat,
2.
wer mit der Durchführung oder Teilnahme an einer solchen Veranstaltung die Ziele einer nach Artikel 21 Abs. 2 des Grundgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten Partei oder Teil- oder Ersatzorganisation einer Partei fördern will,
3.
eine Partei, die nach Artikel 21 Abs. 2 des Grundgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden ist, oder
4.
eine Vereinigung, die nach Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes verboten ist.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

Eine Handlung kann als Ordnungswidrigkeit nur geahndet werden, wenn die Möglichkeit der Ahndung gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde.