Oberlandesgericht Bamberg Beschluss, 03. Dez. 2014 - 1 Ws 622/14

published on 03/12/2014 00:00
Oberlandesgericht Bamberg Beschluss, 03. Dez. 2014 - 1 Ws 622/14
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Gericht

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Tatbestand

Das AG verurteilte die in der Hauptverhandlung durch ihren Wahlverteidiger vertretene Angekl. am 06.08.2104 wegen Untreue in mehreren Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe. Dem Urteil ging eine Verständigung i. S. v. § 257c StPO voraus, deren Bestandteil u. a. das Geständnis der Angekl. war. Gegen das erstinstanzliche Urteil legten sowohl die Angekl. als auch die StA, diese beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch, fristgerecht Berufung ein, wobei sich aus der Rechtsmittelschrift der Angekl. ergibt, dass sie sich nicht nur gegen die Strafhöhe, sondern auch gegen den Schuldspruch wendet. Am 20.08.2014 kündigte die Angekl. das Mandat ihres Wahlverteidigers und beantragte gegenüber der Berufungskammer unter dem 23.10.2014, ihr für das weitere Verfahren einen Pflichtverteidiger zu bestellen. Die Vorsitzende der Berufungskammer hat den Antrag am 29.10.2014 abgelehnt. Die hiergegen seitens der Angekl. eingelegte Beschwerde vom 03.11.2014 blieb ohne Erfolg.

Gründe

Die Beschwerde ist statthaft und zulässig (§§ 304, 306 StPO), hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, weshalb sie mit der Kostenfolge aus § 473 I StPO zu verwerfen ist. Die Vorsitzende der Berufungskammer hat zutreffend den Antrag der Angekl., ihr für das weitere Verfahren einen Pflichtverteidiger zu bestellen, abgelehnt.

1. Nachdem die Voraussetzungen des § 140 I StPO nicht vorliegen, liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 II StPO dann vor, „wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann“.

2. Die Angekl. trägt zwar vor, aufgrund eines schlechten Gesundheitszustandes nach einer Erholungsreise eine Kur wegen massiver Erschöpfungsdepression bzw. ‚Burnout‘ angetreten zu haben bzw. antreten zu wollen. Nähere Ausführungen dazu, dass sie aus gesundheitlichen Gründen außer Stande ist, sich selbst zu verteidigen, fehlen jedoch. Eine solche Unfähigkeit wird auch aus den verschiedenen Schreiben der Angekl. nicht deutlich.

3. Vorliegend gebietet auch die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage nicht die Mitwirkung eines Verteidigers. Der den abgeurteilten Straftaten zugrundeliegende Sachverhalt ist relativ übersichtlich und beinhaltet weder hinsichtlich des Sachverhalts und der Beweisaufnahme, noch hinsichtlich der rechtlichen Würdigung besondere Schwierigkeiten.

4. Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt schließlich insbesondere nicht allein deshalb vor, weil dem amtsgerichtlichen Urteil eine Verständigung gemäß § 257c StPO zugrunde liegt. Der Senat folgt insoweit nicht der Auffassung des OLG Naumburg (OLG Naumburg, Beschl. v. 04.12.2013 - 2 Ss 151/13 = StraFo 2014, 21 = NStZ 2014, 116 m. abl. Anm. Wenske NStZ 2014, 117 f. = StV 2014, 274), wonach eine Verständigung nach § 257c StPO in der Regel geeignet sei, die Schwierigkeit der Rechtslage im Sinne des § 140 II StPO zu begründen. Das OLG Naumburg führt insoweit aus, ein Angeklagter könne sich bei der Erörterung einer Verfahrensweise nach § 257c StPO in der Regel nicht selbst wirksam verteidigen, weil die Anwendung der gesetzlichen Vorschriften des § 257c StPO und der damit im Zusammenhang stehenden Regelungen aus dem Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29.07.2009 selbst für Berufsrichter äußerst kompliziert und fehleranfällig sei. Vielmehr sei es unwahrscheinlich, dass ein Angeklagter, der nicht Volljurist ist, seine Rechte im Rahmen des undurchsichtigen Verfahrens, das einer Verständigung vorauszugehen hat, ohne juristischen Beistand erkennen und somit wahrnehmen könne. Diese Entscheidung wird im Schrifttum kritisiert (vgl. neben Wenske a. a. O. auch Peglau jurisPR-StrafR 6/2014 Anm. 2). Der Senat folgt diesen kritischen Einschätzungen.

a) Eine Rechtslage ist dann schwierig im Sinne des § 140 II StPO, wenn bei Anwendung des materiellen oder des formellen Rechts auf den konkreten Sachverhalt bislang nicht ausgetragene Rechtsfragen entschieden werden müssen, oder wenn die Subsumtion im Einzelfall problematisch ist.

b) Zutreffend führt Peglau (a. a. O.) aus, dass der gesamte Strafprozess grundsätzlich fehleranfällig ist. Dieser Fehleranfälligkeit hat der Gesetzgeber bei der Verständigung u. a. mit der Regelung des § 302 I 2 StPO ausdrücklich Rechnung getragen. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass es Fälle gibt, in denen der Angeklagte auch im Rahmen eines Verständigungsprozesses keiner Verteidigung bedarf. So heißt es in den Materialien (BT-Drs. 16/12310, S. 2): „Der Gesetzesentwurf unterscheidet bewusst nicht zwischen verteidigtem und unverteidigtem Angeklagten und schließt auch amtsgerichtliche Verfahren nicht von den Vorschriften über die Verständigung aus“. Auch ist die Regelung des § 257c III 4 StPO so zugeschnitten, dass es - jedenfalls beim Zustandekommen der Verständigung - der Mitwirkung eines Verteidigers überhaupt nicht bedarf. Mit dieser Grundstruktur der gesetzlichen Regelungen ist die generelle Entscheidung des OLG Naumburg (a. a. O.) kaum vereinbar. Denn das Gesetz sieht ausführliche und qualifizierte Belehrungen im Verfahren über eine Verständigung vor (§ 257c V StPO). Deshalb ist nicht das Vorliegen einer Verständigung per se, sondern nur die Berücksichtigung aller Besonderheiten des Einzelfalls geeignet, die Notwendigkeit der Mitwirkung eines Verteidigers zu begründen.

c) Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Angekl. wendet sich mit ihrer Berufung gegen die Verurteilung insgesamt, also insbesondere gegen die Verurteilung, soweit ihr ein verständigungsbasiertes Geständnis zugrunde liegt. Dies hat zur Folge, dass in der Berufungsinstanz der ansonsten weder tatsächlich noch rechtlich schwierige Sachverhalt durch die Einlassung der Angekl. und aller sonst zur Verfügung stehenden Beweismitteln neu aufgeklärt werden muss.

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(1) Die Beschwerde ist gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug oder im Berufungsverfahren erlassenen Beschlüsse und gegen die Verfügungen des Vorsitzenden, des Richters im Vorverfahren und eines beauftragten oder ersuchten Richters zulässig,

(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt. (2) Gegenstand dieser Verstä

(1) Die Beschwerde wird bei dem Gericht, von dem oder von dessen Vorsitzenden die angefochtene Entscheidung erlassen ist, zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich eingelegt. (2) Erachtet das Gericht oder der Vorsitzende, dessen Entscheid
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published on 04/12/2013 00:00

Tenor Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Wernigerode vom 5. August 2013 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine an
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Annotations

(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt.

(2) Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein.

(3) Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen.

(4) Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen.

(5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren.

(1) Die Beschwerde ist gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug oder im Berufungsverfahren erlassenen Beschlüsse und gegen die Verfügungen des Vorsitzenden, des Richters im Vorverfahren und eines beauftragten oder ersuchten Richters zulässig, soweit das Gesetz sie nicht ausdrücklich einer Anfechtung entzieht.

(2) Auch Zeugen, Sachverständige und andere Personen können gegen Beschlüsse und Verfügungen, durch die sie betroffen werden, Beschwerde erheben.

(3) Gegen Entscheidungen über Kosten oder notwendige Auslagen ist die Beschwerde nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt.

(4) Gegen Beschlüsse und Verfügungen des Bundesgerichtshofes ist keine Beschwerde zulässig. Dasselbe gilt für Beschlüsse und Verfügungen der Oberlandesgerichte; in Sachen, in denen die Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug zuständig sind, ist jedoch die Beschwerde zulässig gegen Beschlüsse und Verfügungen, welche

1.
die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Unterbringung zur Beobachtung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 oder § 101a Absatz 1 bezeichneten Maßnahmen betreffen,
2.
die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnen oder das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einstellen,
3.
die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten (§ 231a) anordnen oder die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung aussprechen,
4.
die Akteneinsicht betreffen oder
5.
den Widerruf der Strafaussetzung, den Widerruf des Straferlasses und die Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe (§ 453 Abs. 2 Satz 3), die Anordnung vorläufiger Maßnahmen zur Sicherung des Widerrufs (§ 453c), die Aussetzung des Strafrestes und deren Widerruf (§ 454 Abs. 3 und 4), die Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 372 Satz 1) oder die Einziehung oder die Unbrauchbarmachung nach den §§ 435, 436 Absatz 2 in Verbindung mit § 434 Absatz 2 und § 439 betreffen;
§ 138d Abs. 6 bleibt unberührt.

(5) Gegen Verfügungen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes und des Oberlandesgerichts (§ 169 Abs. 1) ist die Beschwerde nur zulässig, wenn sie die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 bezeichneten Maßnahmen betreffen.

(1) Die Beschwerde wird bei dem Gericht, von dem oder von dessen Vorsitzenden die angefochtene Entscheidung erlassen ist, zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich eingelegt.

(2) Erachtet das Gericht oder der Vorsitzende, dessen Entscheidung angefochten wird, die Beschwerde für begründet, so haben sie ihr abzuhelfen; andernfalls ist die Beschwerde sofort, spätestens vor Ablauf von drei Tagen, dem Beschwerdegericht vorzulegen.

(3) Diese Vorschriften gelten auch für die Entscheidungen des Richters im Vorverfahren und des beauftragten oder ersuchten Richters.

(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt.

(2) Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein.

(3) Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen.

(4) Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen.

(5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren.