Oberlandesgericht Bamberg Beschluss, 11. Nov. 2015 - 1 Ws 585/15

published on 11/11/2015 00:00
Oberlandesgericht Bamberg Beschluss, 11. Nov. 2015 - 1 Ws 585/15
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Gründe

Oberlandesgericht Bamberg

1 Ws 585/15

Beschluss

vom 11. 11. 2015

Zum Sachverhalt:

Das AG verurteilte den in der Hauptverhandlung auf eine Rechtsmittelbelehrung verzichtenden verteidigten Angekl. am 13.01.2015 wegen unerlaubten BtM-Besitzes zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen. Der Angekl. legte hiergegen am 20.01.2015 „Rechtsmittel“ ein, während die StA gegen das Urteil bereits mit Verfügung vom 13.01.2015 Berufung einlegte. Die schriftlichen Urteilsgründe wurden dem Angekl. am 22.01.2015, seinem Verteidiger am 23.01.2015 zugestellt. Die Akten wurden am 19.02.2015 der Vorsitzenden der Berufungskammer vorgelegt, die mit Verfügung vom 24.02.2015 dem Verteidiger ohne Fristsetzung folgende - der StA unbekannt gebliebene - Mitteilung zukommen ließ: „Zur Vorbereitung der Hauptverhandlung und im Hinblick auf die zu veranlassenden Ladungen wird aus Kostengründen - auch unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme 1. Instanz und der Berufung der StA - um Mitteilung des Berufungsziels und ggf. in Abstimmung mit der StA um Überprüfung der Möglichkeit einer Berufungsrücknahme, zumindest -beschränkung gebeten.“ Mit Beschluss vom 19.03.2015 nahm die Vorsitzende der Berufungskammer ohne weitere Hinweise oder Mitteilungen die Berufungen des Angekl. und der StA unter Bezugnahme auf § 313 II StPO jeweils nicht an, da beide als offensichtlich unbegründet anzusehen, deshalb nicht anzunehmen und als unzulässig zu verwerfen seien. Noch am Nachmittag des 19.03.2015 ging beim LG eine Stellungnahme des Verteidigers auf die gerichtliche Anfrage vom 24.02.2015 ein, in welcher dieser das Ziel der Berufung mitteilte. Die gegen die Nichtannahme der Berufung eingelegte sofortige Beschwerde des Angekl. hatte der Strafsenat zunächst mit Beschluss vom 03.06.2015 ohne eine Entscheidung über das Rechtsmittel an das LG zur Entscheidung über die Anhörungsrüge des Angekl. gegen den Beschluss vom 19.03.2015 zurückgegeben. Die Vorsitzende der Berufungskammer gab nunmehr dem Verteidiger und dem Angekl. Gelegenheit zur Stellungnahme zur Frage der Annahmeberufung und nahm die Berufungen des Angekl. und der StA mit Beschluss vom 30.09.2015 erneut nicht an. Die gegen diesen formlos versandten und am 06.10.2015 beim Verteidiger eingegangenen Beschluss legte der Angekl. am 13.10.2015 wiederum sofortige Beschwerde ein. Das Rechtsmittel erwies sich als begründet und führte zur Aufhebung der Nichtannahmeentscheidung

Aus den Gründen:

Die sofortige Beschwerde des Angekl. ist […] statthaft und auch im Übrigen zulässig, da form- und fristgerecht eingelegt (§§ 306 I, 311 II StPO).

1. Zwar sind Beschlüsse, mit denen gemäß § 322a StPO die Nichtannahme der Berufung beschlossen wird, gemäß § 322a S. 2 StPO grundsätzlich unanfechtbar. Dies gilt jedoch nach allgemeiner Meinung nur dann, wenn tatsächlich ein Fall des § 322a StPO vorliegt (vgl. nur Meyer-Goßner/Schmitt StPO 58. Aufl. § 322a Rn. 8 m. w. N.). Insoweit hat der Angekl. vorgetragen, seine Berufung sei bereits ohne gerichtliche Annahmeentscheidung zulässig, weil sich der Angekl. in der Hauptverhandlung vom 13.01.2015 mit der formlosen Einziehung sichergestellter Gegenstände (BtM) einverstanden erklärt hatte. Dies ergibt sich indessen nicht aus der gesetzlichen Regelung des § 313 I StPO und auch nicht aus der von dem Verteidiger zitierten Entscheidung (vgl. OLG Hamburg, Beschl. v. 17.09.1998 - 2 Ws 246/98 = OLGSt StPO § 313 Nr. 6 = JR 1999, 479 = StV 2001, 333). Denn im dort entschiedenen Fall hatte das AG neben der Verhängung einer Geldstrafe die Einziehung von Gegenständen (§ 74 I StGB) im Urteil angeordnet. Dies ist vorliegend gerade nicht geschehen; der Angekl. hat sich vielmehr in der Hauptverhandlung mit der formlosen außergerichtlichen Einziehung des bei ihm sichergestellten BtM einverstanden erklärt. Folgerichtig hat das AG allein eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen verhängt, weshalb ein Fall des § 313 I StPO vorliegt.

2. Allerdings entspricht es ganz h.M. in der obergerichtlichen Rspr. und in der Lit., dass eine konkludente Annahme einer Berufung durch das Berufungsgericht eine nachfolgende Nichtannahmeentscheidung ausschließt; in diesen Fällen ist die Nichtannahmeentscheidung entgegen § 322a S. 2 StPO in analoger Anwendung von § 322 II StPO mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar (OLG Frankfurt, Beschl. v. 27.04.2011 - 3 Ws 402/11 = NStZ-RR 2011, 382; OLG Celle, Beschl. v. 06.07.2011 - 2 Ws 180/11 = StraFo 2011, 403; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 17.04.2002 - 1 Ws 167/02 = NStZ-2002, 245; Meyer-Goßner/Schmitt § 322 a Rn. 8; KK-Paul StPO 7. Aufl. § 322a Rn. 1; SK-Frisch StPO 4. Aufl. § 322a Rn. 11). Eine konkludente Annahme der Berufung soll danach jedenfalls dann vorliegen, wenn das Berufungsgericht Termin zur Hauptverhandlung bestimmt. Grund hierfür ist, dass die erste (konkludente) Annahmeentscheidung mit Blick auf ihre Unanfechtbarkeit (§ 323a S. 2 StPO) zugunsten des Angeklagten Bestandsschutz entfaltet und die so erwirkte Position des Angeklagten in besonderen Maße schützenswert erscheint.

3. Zwar hatte die Vorsitzende vorliegend noch keine (ausdrückliche) Terminsbestimmung getroffen. Gleichwohl ist ihre Mitteilung vom 24.02.2015 an den Verteidiger einer solchen gleichzustellen, weil aus ihrem Wortlaut und Sinn ohne jeden Zweifel hervorgeht, dass der Entscheidungsprozess, die Berufung nicht anzunehmen oder diese anzunehmen und Termin zu bestimmen vom Adressaten vernünftigerweise nur im Sinne des Letzteren als abgeschlossen verstanden werden konnte: Bei der Frage, ob eine gerichtliche Entscheidung oder Äußerung eine konkludente Annahmeerklärung i. S. d. § 322 a StPO beinhaltet, ist vom Empfängerhorizont auszugehen, also davon, wie ein Angeklagter bzw. Verteidiger eine Erklärung des Berufungsgerichts verstehen darf. Danach kann die oben wiedergegebene vorbehaltlose Aufforderung der Vorsitzenden vom 24.02.2015 von einem Angeklagten und seiner Verteidigung verständiger Weise nur dahingehend gedeutet werden, dass das Berufungsgericht die Überprüfung der Annahmevoraussetzungen des § 313 II 1 StPO bereits vorgenommen, diese Voraussetzungen abschließend bejaht hat und es im weiteren nur noch um die Frage der - möglichst kostengünstigsten und aufwandbeschränkenden - Vorbereitung und Durchführung der Hauptverhandlung geht, zumal in der Mitteilung mit keinem Wort die Vorschrift des § 313 StPO erwähnt wird. Anders als die Vorsitzende der Berufungskammer in ihrem Beschluss vom 30.09.2015 ausführt, steht der Hinweis auf die Möglichkeit der Prüfung einer Berufungsrücknahme in keinem erkennbaren Zusammenhang mit einer noch vorzunehmenden Prüfung der Nichtannahme der Berufung. Vielmehr wird vorwiegend auf Kostengründe und auf die zu veranlassenden Ladungen für die Berufungshauptverhandlung abgestellt, zumal der ausdrückliche Hinweis auf eine mögliche Berufungsbeschränkung aufgenommen wurde. Die Mitteilung vom 24.02.2015 kann deshalb aus der maßgeblichen Empfängersicht nur so verstanden werden, dass sie der unmittelbaren Vorbereitung der für das Ausbleiben einer beidseitigen Berufungsrücknahme bereits beschlossenen Terminsbestimmung dienen sollte. Damit liegt aber wie im Fall der Terminsbestimmung selbst eine konkludente Annahme der Berufung (jedenfalls der des Angekl.) i. S. d. § 322a StPO vor. Für die getroffene Nichtannahmeentscheidung bestand demgemäß kein Raum mehr.

4. Die damit statthafte sofortige Beschwerde des Angekl. führt zur Aufhebung des Nichtannahmebeschlusses vom 30.09.2015 […]. Einer Aufhebung des ursprünglichen Beschlusses […] vom 19.03.2015 bedurfte es nicht mehr, weil nach Nachholung rechtlichen Gehörs erneut entschieden wurde. Das LG wird daher nunmehr das Berufungsverfahren durchzuführen haben, soweit keine gegenseitige Berufungsrücknahme erfolgt. […]

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(1) Ist der Angeklagte zu einer Geldstrafe von nicht mehr als fünfzehn Tagessätzen verurteilt worden, beträgt im Falle einer Verwarnung die vorbehaltene Strafe nicht mehr als fünfzehn Tagessätze oder ist eine Verurteilung zu einer Geldbuße erfolgt, s

Über die Annahme einer Berufung (§ 313) entscheidet das Berufungsgericht durch Beschluß. Die Entscheidung ist unanfechtbar. Der Beschluß, mit dem die Berufung angenommen wird, bedarf keiner Begründung.
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Gründe Oberlandesgericht Bamberg 1 Ws 585/15 Beschluss vom 11. 11. 2015 Zum Sachverhalt: Das AG verurteilte den in der Hauptverhandlung auf eine Rechtsmittelbelehrung verzichtenden verteidigten Angekl. am 13.01.2
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Gründe Oberlandesgericht Bamberg 1 Ws 585/15 Beschluss vom 11. 11. 2015 Zum Sachverhalt: Das AG verurteilte den in der Hauptverhandlung auf eine Rechtsmittelbelehrung verzichtenden verteidigten Angekl. am 13.01.2
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Annotations

Über die Annahme einer Berufung (§ 313) entscheidet das Berufungsgericht durch Beschluß. Die Entscheidung ist unanfechtbar. Der Beschluß, mit dem die Berufung angenommen wird, bedarf keiner Begründung.

(1) Ist der Angeklagte zu einer Geldstrafe von nicht mehr als fünfzehn Tagessätzen verurteilt worden, beträgt im Falle einer Verwarnung die vorbehaltene Strafe nicht mehr als fünfzehn Tagessätze oder ist eine Verurteilung zu einer Geldbuße erfolgt, so ist die Berufung nur zulässig, wenn sie angenommen wird. Das gleiche gilt, wenn der Angeklagte freigesprochen oder das Verfahren eingestellt worden ist und die Staatsanwaltschaft eine Geldstrafe von nicht mehr als dreißig Tagessätzen beantragt hatte.

(2) Die Berufung wird angenommen, wenn sie nicht offensichtlich unbegründet ist. Andernfalls wird die Berufung als unzulässig verworfen.

(3) Die Berufung gegen ein auf Geldbuße, Freispruch oder Einstellung wegen einer Ordnungswidrigkeit lautendes Urteil ist stets anzunehmen, wenn die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten zulässig oder nach § 80 Abs. 1 und 2 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten zuzulassen wäre. Im übrigen findet Absatz 2 Anwendung.

Über die Annahme einer Berufung (§ 313) entscheidet das Berufungsgericht durch Beschluß. Die Entscheidung ist unanfechtbar. Der Beschluß, mit dem die Berufung angenommen wird, bedarf keiner Begründung.

(1) Ist der Angeklagte zu einer Geldstrafe von nicht mehr als fünfzehn Tagessätzen verurteilt worden, beträgt im Falle einer Verwarnung die vorbehaltene Strafe nicht mehr als fünfzehn Tagessätze oder ist eine Verurteilung zu einer Geldbuße erfolgt, so ist die Berufung nur zulässig, wenn sie angenommen wird. Das gleiche gilt, wenn der Angeklagte freigesprochen oder das Verfahren eingestellt worden ist und die Staatsanwaltschaft eine Geldstrafe von nicht mehr als dreißig Tagessätzen beantragt hatte.

(2) Die Berufung wird angenommen, wenn sie nicht offensichtlich unbegründet ist. Andernfalls wird die Berufung als unzulässig verworfen.

(3) Die Berufung gegen ein auf Geldbuße, Freispruch oder Einstellung wegen einer Ordnungswidrigkeit lautendes Urteil ist stets anzunehmen, wenn die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten zulässig oder nach § 80 Abs. 1 und 2 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten zuzulassen wäre. Im übrigen findet Absatz 2 Anwendung.

Über die Annahme einer Berufung (§ 313) entscheidet das Berufungsgericht durch Beschluß. Die Entscheidung ist unanfechtbar. Der Beschluß, mit dem die Berufung angenommen wird, bedarf keiner Begründung.